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Mal wieder „Mitwirkung“ an der Einstellung streitig, oder: Mitteilung vom Tod des Angeklagten

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Und dann Gebühren. Und ich eröffne mit einem AG-Beschluss, der m.E. falsch ist, und zwar dem AG Cham, Beschl. v. 23.01.2024 – 2 Ls 506 Js 4996/23 -, der sich mit der Frage befasst, ob für den Verteidiger, der dem Gericht Mitteilung vom Tode seines beschuldigten Mandanten macht, entsteht. Die Frage scheint dann streitig zu werden.

Folgender Sachverhalt: Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger des (inzwischen verstorbenen) Beschuldigten. Nach Einstellung des Verfahrens nach § 206a StPO wegen des Todes des Mandanten hat der Pflichtverteidiger gegenüber der Staatskasse seine Gebühren geltend gemacht. U.a. hat er auch die Festsetzung einer zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG beantragt. Zur Begründung hatte er darauf verwiesen, dass er dem Gericht aktiv mitgeteilt habe, dass der Beschuldigte verstorben sei. Das Gericht habe daraufhin das Verfahren eingestellt, sodass eine tatsächliche Mitwirkung des Verteidigers unbestreitbar sei.

„Das AG hat diese Gebühr im Kostenfestsetzungsbeschluss nicht festgesetzt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Pflichtverteidigers hatte keinen Erfolg:

In der Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, ob eine Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG nach dem Tod eines Mandanten grundsätzlich noch anfallen kann.

In von dem Verteidiger zitierten Entscheidung des Landgerichts Leipzig (Beschluss vom 19.06.2020 – 2 Qs 8/20 jug – juris) wird die Ansicht vertreten, dass der Anfall einer solchen Gebühr möglich ist, soweit das Gericht nicht bereits anderweitig von dem Tod des Angeklagten erfahren hat.

Nach hiesiger Auffassung kann jedoch, unabhängig von dem Vorliegen einer Mitwirkungstätigkeit, eine Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG nach dem Tod des Mandanten nicht mehr anfallen.

Diese Auffassung wird auch in der (bereits in der Begründung des Kostenfestsetzungsbeschlusses zitierten) Kommentarstelle (SchneiderNolpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, Rn. 15 – beckonline) vertreten.

Das Amtsgericht Halle (Saale), (Beschluss vom 8. Juni 2022 – 322 Ds 285 Js 32704/21 —, Rn. 14, 15 juris) macht zum Nichtanfall der Gebühr Nr. 4141 VV RVG folgende Ausführungen:

„Nach Auffassung des Gerichts liegt aber auch aus einem anderen Grund der Gebührentatbestand nicht vor, unabhängig davon, ob das Schreiben des Verteidigers als Mitwirkung betrachtet wird. Denn bereits der Wortlaut der Gebührenvorschrift lässt erkennen, dass es um „Mitwirkung“ an der Entbehrlichkeit“ einer Hauptverhandlung geht, also eine gewisse Einflussnahme (nicht Ursächlichkeit!) auf die entsprechenden Entscheidungen von Gericht und Staatsanwaltschaft im Rahmen der Verfahrenseinstellung zumindest möglich erscheint. Im Falle des Todes des Angeklagten endet das Strafverfahren jedoch von sich aus, sodass eine Hauptverhandlung nicht erst entbehrlich wird, sondern gar nicht stattfinden kann. Eine Einflussnahme auf den Ausgang des Verfahrens ist dem Verteidiger gar nicht mehr möglich. Da eine Hauptverhandlung nicht – mehr- stattfinden kann, hat der Verteidiger auch grundsätzlich keine Gebühr dafür mehr verdient, deren Verlust durch eine Handlung von ihm durch eine zusätzliche Gebühr zu kompensieren wäre.

Dass das Verfahren gemäß § 206a StPO später einzustellen sein wird, hat dementsprechend rein deklaratorische Bedeutung, ohne dass damit eine weitere Rechtswirkung eintritt, außer dass gegebenenfalls Nebenentscheidungen plausibel werden, wie etwa eine Kostenentscheidung. Mit dem Tod des Mandanten endet im Übrigen bereits die Verteidigung, so dass Handlungen nach dem Tod des Angeklagten keine —zusätzlichen- Gebühren auslösen können. Lediglich über die bereits entstandenen Gebühren wären gegebenenfalls noch Entscheidungen zu treffen (überzeugend: Stollenwerk in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, RNr. 15 zu Nr. 4141 m.w.N.).“

Auch mit Entscheidung des Amtsgerichts Kelheim vom 16.08.2022 (Az. 6 Ds 408 Js 26519/21 — nicht veröffentlicht) wurde die Ansicht vertreten:

„Eine Hauptverhandlung hätte in keinem Fall mehr durchgeführt werden können, dies völlig ungeachtet des Antrags des Verteidigers. Der Tod das Angeklagten ist auch kein Umstand, der einer rechtlichen Würdigung zugänglich ist. Der Antrag des Verteidigers vom 04.02.2022 konnte das Verfahren im Sinne einer Einstellung nicht mehr zugunsten seines bereits verstorbenen Mandanten fördern. Der Zweck des Gebührentatbestands, das Verfahren durch Vermeidung einer Hauptverhandlung zugunsten seines Mandanten dauerhaft zu beenden, konnte durch das Schreiben des Verteidigers nicht mehr erreicht werden. Der Beschluss gem. § 206a StPO hat insoweit vielmehr deklaratorische Wirkung.““

Wie gesagt: M.E. falsch.

Vorab: Bemerkenswert ist, wie das AG mit einem Hinweis auf zwei weitere AG-Entscheidungen und die Literaturstimme von Stollenwerk (a.a.O.) die entgegenstehende Rechtsprechung verschiedener LG und eines AG (LG Leipzig StraFo 2020, 395 = RVGreport 2020, 389; LG Potsdam JurBüro 2013, 586 = RVGreport 2014, 71 = Rpfleger 2013, 648; AG Magdeburg Rpfleger 2000, 154) und anderer Stimmen in der Literatur (AnwKomm-RVG/N. Schneider, 9. Aufl., 2021, VV 4141 Rn 23; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 26. Aufl., 2023, VV 4141 Rn 7; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldverfahren, 6. Aufl., 2021, Nr. 4141 VV Rn 14; Mayer/Kroiß/Kori, RVG, 8. Aufl., 2021, Nrn. 4141 – 4107 VV Rn 4) abtut. Diese werden noch nicht einmal erwähnt, wenn man mal von dem pauschalen Hinweis in „Literatur und Rechtsprechung ist umstritten“ absieht. Gerade der Hinweis auf Stollenwerk ist m.E. gefährlich, denn der ist nun nicht gerade ein Freund von anwaltlichen Gebühren und neigt eher zur Seite der Staatskasse.

M.E. ist die Argumentation des AG auch nicht zutreffend und zudem widersprüchlich. Entscheidend für das Entstehen der zusätzlichen Gebühr des Verteidigers ist ein Beitrag – Mitwirkung – an der Einstellung des Verfahrens. Das reicht, wobei die Qualität der Mitwirkung ohne Belang ist. Auch die Ursächlichkeit der Mitwirkung spielt keine Rolle. Das führt das AG insoweit zutreffend zwar aus, stellt dann aber wieder auf „Einflussnahme“ ab. Was ist aber „Einflussnahme“ anderes als Ursächlichkeit? Hier argumentiert das AG also widersprüchlich. Ohne Belang ist m.E. für die Frage des Entstehens der Gebühr Nr. 4141 VV RVG auch, ob das Verfahren ggf. auch ohne Mitwirkung des Verteidigers hätte eingestellt werden, also beendet, werden müssen. Auch insoweit stellt das AG im Grunde dann doch wieder auf „Ursächlichkeit“ ab. Die Auffassung des AG wird auch nicht dadurch gestützt, dass das AG darauf verweist, dass mit dem Tode des Mandanten die Verteidigung ende. Denn dabei wird übersehen, dass es auch nach dem Todes des Mandanten sehr wohl noch „Abwicklungstätigkeiten“ gibt, die ggf. beim Verteidiger, wenn dadurch eine Gebühr entsteht, honoriert werden müssen. Und zu diesen Abwicklungstätigkeiten gehört dann eben auch die Mitteilung, dass der Mandant verstorben ist und damit das Verfahren nach § 206a StPO wegen eines endgültigen Verfahrenshindernisses eingestellt werden muss.

Ein Rechtsmittel ist/war leider nicht möglich. Vielleicht hätte das dann zuständige LG regensburg es ja richtig gemacht. Allerdings: Mia san mia. 🙂

Einstellung wegen Todes im Berufungsverfahren, oder: Mit endgültiger Verurteilung war zu rechnen

Ich komme dann heute im zweiten Posting noch einmal auf den OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.09.2023 – 1 Ws 96/23 – zurück. Über den hatte ich ja gestern schon berichtet (siehe hier:  Pflichti III: Rechtsmittel nach dem Tod des Angeklagten, oder: „Pflichti“-Bestellung“ gilt über den Tod hinaus). Heute geht eum die Erstattungsproblematik.

Das AG hatte den Angeklagten verurteilt. Zu den Tatvorwürfen hatte sich der Angeklagte teilweise geständig eingelassen. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte Berufung ein. Nach Ladung des Angeklagten durch das LG meldete sich ein Rechtsanwalt als Verteidiger, beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 2 StPO und gab an, dass der Angeklagte an einer Depression sowie einer nicht näher bezeichneten Persönlichkeitsstörung leide. Zudem teilte der Verteidiger telefonisch mit, dass sich der Angeklagte in einem Klinikum befände und bei ihm eine schizophrene Erkrankung wohl diagnostiziert werden würde. Es stelle sich möglicherweise die Frage der verminderten Schuldfähigkeit.

Der Rechtsanwalt beantragte sodann, den terminierten Hauptverhandlungstermin aufzuheben und das Verfahren nach § 153a StPO einzustellen. Es bestünden Zweifel an der Verhandlungs- und möglicherweise der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit. Ein ärztliches Attest, ausgestellt durch das Klinikum zur Verhandlungsunfähigkeit wurde beigefügt. Eine Diagnose beinhaltete die ärztliche Bescheinigung nicht. Das LG hat dann Begutachtung des Angeklagten auf seine Verhandlungs- und Reisefähigkeit in Auftrag gegeben.

Nachdem der Angeklagte im Anschluss daran verstorben war, hat das LG das Verfahren auf Kosten der Landeskasse gemäß § 206a StPO eingestellt. Es hat ausdrücklich von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten auf die Landeskasse abgesehen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Pflichtverteidigers war zwar zulaässig – siehe das gestrige Posting – hatte aber in der Sache keinen Erfolg:

„2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 13. Juli 2023 Folgendes ausgeführt:

„Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des verstorbenen Angeklagten auf die Landeskasse abgesehen.

Wann die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind, ist in der Rechtsprechung umstritten (vgl. dazu Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O.). Die Frage kann jedoch offen gelassen werden, da auch nach der engen Auffassung, welche die Durchführung der Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife verlangt, der Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet ist. Das Amtsgericht ist hier nach durchgeführter Hauptverhandlung bereits erstinstanzlich zu einem Schuldspruch des Angeklagten gekommen.

Im Falle der Fortsetzung des Berufungsverfahrens hätte der frühere Angeklagte damit rechnen müssen, dass sein Rechtsmittel verworfen worden wäre. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils bilden eine tragfähige Grundlage für den Schuldspruch und die Rechtsfolgenentscheidung. Rechtsfehler, die zu einer anderen Entscheidung und letztlich zum Freispruch des Angeklagten insgesamt oder einer erheblich milderen Bestrafung und damit zu einer für ihn ganz oder teilweise günstigen Auslagenentscheidung hätten führen können, sind nicht ersichtlich.

Die lediglich ohne ärztliche Unterlagen behauptete psychische Erkrankung des Angeklagten, nämlich einer Depression und einer nicht näher bezeichneten Persönlichkeitsstörung, würden nach Aktenlage nicht zu einer Aufhebung oder Verminderung der Schuldfähigkeit führen. Es fehlt auch an hinreichenden Anknüpfungstatsachen dafür, dass der Angeklagte bereits zur Tatzeit im August 2020 und Januar 2021 derart krankheitsbedingt eingeschränkt war, dass die Anwendung der §§ 20, 21 StGB in Betracht käme. Erstmalig vorgetragen wurden die Krankheitsanzeichen mit Schreiben vom 16.05.2022. Das vom Amtsgericht festgestellte Tatgeschehen und das Einlassungsverhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung sprechen ebenfalls gegen eine Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit.

Das Landgericht hätte die Anwendung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO im Beschluss begründen müssen (§ 34 StPO).

Eine Zurückverweisung der Sache an das untere Gericht ist trotz der fehlenden Begründung jedoch nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 17.04.1996 – 2 Ws 50/96), welche hier nicht ersichtlich sind. Weitere Sachaufklärung ist durch den Tod des Angeklagten nicht möglich.“

Der Senat schließt sich diesen Ausführungen, die der Sach- und Rechtslage entsprechen, an.“

Pflichti III: Rechtsmittel nach dem Tod des Angeklagten, oder: „Pflichti“-Bestellung“ gilt über den Tod hinaus

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Und dann noch der OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.09.2023 – 1 Ws 96/23 – zur Frage, ob die Rechtsmittelbefugnis des (Pflicht)Verteidigers über den Tod des Angeklagten hinaus gilt.

Nach dem Sachverhalt hatte das AG den Angeklagten verurteilt. Dem war ein Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 2 StPO beigeordnet. Im Berufungsverfahren verstirbt dann der Angeklagte. Das LG stellt das Verfahren auf Kosten der Landeskasse gemäß § 206a StPO ein. Es sieht ausdrücklich von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten auf die Landeskasse abgesehen. In der entscheidung über die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Pflichtverteidigers nimmt das OLG auch zu dessen Rechtsmittelbefugnis nach dem Tod des Angeklagten Stellung:

„Die Frage, ob der Verteidiger im Falle des Todes des Angeklagten weiterhin zur Einlegung von Rechtsmitteln befugt ist, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung inzwischen überwiegend bejaht (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 03.05.2011- 2 Ws 1/11-; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 246; OLG Celle NJW 2002, 3720; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2003, 286; KG NStZ-RR 2008, 295; OLG Nürnberg, Beschluss vom 30. März 2010, Az.: 1 Ws 113/10, zitiert nach juris; Meyer-Goßner, StPO, 66. Aufl., Vor § 137 Rn. 7). Zur Begründung wird vor allem angeführt, dass zwischen dem Verteidiger und dem Mandanten ein Geschäftsbesorgungsvertrag im Sinne des § 675 BGB besteht. Auf diesen findet § 672 BGB, wonach der Auftrag im Zweifel nicht durch den Tod des Auftraggebers endet, entsprechende Anwendung. Dasselbe gilt – wie hier – im Fall der Pflichtverteidigung (vgl. KG StraFo 2008, 90; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2003, 296; a.A. Hanseatisches Oberlandesgericht, NStZ-RR 2008, 160). Die Pflichtverteidigerbestellung endet im Erkenntnisverfahren grundsätzlich mit dessen rechtskräftigem Abschluss (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 143 Rn. 1 ; KK-Willnow, StPO 9. Aufl., § 143 Rdn. 1, jeweils m.w.N.). Durch den Tod des Angeklagten wird das Verfahren nicht ohne weiteres beendet. Es bedarf dazu vielmehr einer förmlichen Einstellung nach § 206a StPO oder – in der Hauptverhandlung – nach § 260 Abs. 3 StPO (vgl. BGHSt 45, 108). Mit dieser Entscheidung ist zugleich gemäß § 464 StPO auch darüber zu befinden, wer die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des (verstorbenen) Angeklagten zu tragen hat. Insoweit bleibt das Verfahren auch nach dem Tod des Angeklagten anhängig (vgl. BGH aaO). Ebenso wie die Einstellung selbst unterliegen auch die Nebenentscheidungen der Anfechtung (§§ 206 Abs. 2, 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 StPO). Erst mit ihrer Rechtskraft ist das Verfahren endgültig abgeschlossen. Der Pflichtverteidiger muss daher – wie die Staatsanwaltschaft – befugt sein, auch nach dem Tod des Angeklagten auf eine gesetzmäßige Kosten- und Auslagenentscheidungen hinzuwirken und diese erforderlichenfalls durch das Beschwerdegericht überprüfen zu lassen (vgl. OLG Karlsruhe aaO.; KG Berlin, Beschluss vom 14. November 2007 – 1 AR 447/051 Ws 235/07 –, Rn. 6, juris).“

Auslagen nach Einstellung wegen Tod des Angeklagten, oder: Ermessenentscheidung hat Ausnahmecharakter

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Die zweite Entscheidung kommt dann heute auch vom BGH. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 03.05.2023 – 6 StR 42/23. Er nimmt Stellung zur Kosten- und Auslagenentscheidung nach Einstellung des Verfahrens nach dem Tod des Angeklagten.

Das LG hat den Angeklagten am 28.06.2022 wegen Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit Beihilfe zum versuchten Mord zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen hat sich der Angeklagte mit der Revision gewandt. Das Verfahren ist am 13.02.2023 beim BGH eingegangen. Am 11.04.2023 ist der Angeklagte verstorben. Der BGH hat das Verfahren eingestellt und ausgesprochen, dass das angefochtene Urteil damit gegenstandslos ist (vgl. BGH, Beschl. v. 25.08.2020 – 6 StR 164/20; vom 12.05.2020 – 5 StR 13/20; vom 08.061999 – 4 StR 595/97, BGHSt 45, 108).

Zur Kostenentscheidung führt er aus:

„1. Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last (§ 467 Abs. 1 StPO). Der Senat sieht jedoch nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon ab, ihr die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind gegeben. Im Revisionsverfahren ist dafür maßgeblich, ob das Rechtsmittel des Angeklagten – ohne das Verfahrenshindernis – erfolglos geblieben wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. September 2020 – 1 StR 576/18; vom 24. Mai 2018 – 4 StR 51/17, NStZ-RR 2018, 294; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 467 Rn. 16a). Dies ist hier der Fall, weil der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. September 2020 – 1 StR 576/18; vom 19. September 2019 – 3 StR 352/19; vom 13. Februar 2014 – 1 StR 631/13, NStZ-RR 2014, 160).

a) Der Angeklagte, der vom 20. Januar 1942 bis zum 18. Februar 1945 als Wachmann im Konzentrationslager Sachsenhausen eingesetzt war, wird nur deshalb nicht rechtskräftig verurteilt, weil mit seinem Tod ein Verfahrenshindernis eingetreten ist. Nach den vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen zur rechtlichen Bewertung der durch das nationalsozialistische Deutschland in Konzentrationslagern begangenen Mordtaten unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2016 – 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252 mwN) hätte zumindest die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord (§§ 211, 27 1 StGB) revisionsgerichtlicher Überprüfung standgehalten. Das gilt jedenfalls hinsichtlich der dem Angeklagten insoweit vom Landgericht zugerechneten Tötung von mindestens 300 sowjetischen Kriegsgefangenen im Rahmen der von Juli bis September 1942 durchgeführten „Aktion 14 f 14“ und der Tötung von mindestens 2.600 Lagerinsassen bei der „Aktion Alarmstufe Scharnhorst“ in der ersten Februarhälfte des Jahres 1945 unmittelbar vor der Räumung des Konzentrationslagers.

b) Abweichend von § 467 1 StPO eröffnet § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO die Möglichkeit, nach billigem Ermessen von der Erstattung der notwendigen Auslagen abzusehen. Bei der Entscheidung ist dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 26. Mai 2017 – 2 BvR 1821/16, NJW 2017, 2459; vom 29. Oktober 2015 – 2 BvR 388/13, NStZ-RR 2016, 159). Besondere Bedeutung hat dabei der Umstand, ob das Verfahrenshindernis bereits vor Anklage bestand oder erst – wie hier – im Laufe des Verfahrens eingetreten ist (vgl. BVerfG aaO; KG, StV 1991, 479; KK-StPO/Gieg, 9. Aufl., § 467 Rn. 10b). Während in der erstgenannten Konstellation eine Freistellung der Staatskasse in aller Regel ausscheidet, kommt dies anderenfalls etwa dann in Betracht, wenn der Angeklagte das Verfahrenshindernis selbst vorwerfbar herbeigeführt oder aber verschwiegen hat (vgl. MüKo-StPO/Grommes, § 467 Rn. 24; KK-StPO/Gieg, aaO; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO Rn. 18). Jedoch ist der Anwendungsbereich der Norm nicht darauf beschränkt. Dies ergibt sich nicht nur aus ihrem weiter gefassten Wortlaut, sondern auch aus ihrer Entstehungsgeschichte. Die Nummer 2 des § 467 Abs. 3 Satz 2 StPO ist erst auf Betreiben des Bundesrats nach Einigung im Vermittlungsausschuss eingefügt worden (vgl. dazu ausführlich LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 467 Entstehungsgeschichte und Rn. 50). Dabei war insbesondere auf NS-Gewaltverbrechen hingewiesen worden (vgl. MüKo-StPO/Grommes, aaO Rn. 19). In den Gesetzesmaterialien wird betont, dass es unbillig sei, wenn vor allem in derartigen Fällen „der Staat einem Verbrecher, der nur aus rein formellen Gründen nicht verurteilt werden kann, auch noch die Anwälte bezahlt“ (vgl. BT-Plenarprotokoll 05/173 S. 9250).

So verhält es sich hier. Das Rechtsmittel des Angeklagten wäre – allenfalls mit Ausnahme einer geringfügigen Korrektur des Schuldspruchs im Hinblick auf das tateinheitlich abgeurteilte Delikt – erfolglos geblieben. Diese Feststellung ist dem Senat im Revisionsverfahren, zumal nach Ablauf sämtlicher Stellungnahmefristen, ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK möglich (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO Rn. 16a; MüKo-StPO/Grommes, aaO Rn. 20). Gerade mit Blick auf das Tatbild würde es auf Unverständnis stoßen, den Angeklagten von seinen notwendigen Auslagen freizustellen. Angesichts dieses Ergebnisses erübrigt sich die sonst gebotene kritische Auseinandersetzung mit den rechtlichen Ausführungen im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. Februar 1969 – 2 StR 280/67 (NJW 1969, 2056).

3. Die Nebenkläger tragen ihre notwendigen Auslagen selbst. Dies folgt aus § 472 Abs. 1 und 2 StPO, der die Überbürdung der Kosten auf den Angeklagten nur bei seiner Verurteilung oder einer Einstellung nach den §§ 153 ff. StPO erlaubt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. September 2019 – 5 StR 461/19; vom 23. August 2012 – 4 StR 252/12, NStZ-RR 2012, 359).“

Einstellung nach Tod des Angeschuldigten gem. § 206a, oder: Auslagenerstattung ja oder nein?

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Und als zweite – allerdings kostenrechtliche – Entscheidung des Tages dann der LG Dresden, Beschl. v. 24.01.2022 – 5 Qs 12/22 – zur Auslagenerstattung nach Einstellung des Verfahrens, hier nach dem Tod des Angeschuldigten.

Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeschuldigten mit Anklageschrift vom 03.03.2021 Subventionsbetrug in 7 Fällen wegen unrichtiger Angaben in verschiedenen Corona-Soforthilfe-Anträgen bzw. Darlehensanträgen bei der Sächsischen Aufbaubank und in einem Antrag auf Corona-Soforthilfe Zuschuss bei der Investitionsbank Sachsen-Anhalt zur Last gelegt. Nachdem der Angeschuldigte am 28.11.2021 verstorben war, stellte das AG das Verfahren gemäß § 206a StPO ein. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten wurden der Staatskasse auferlegt. Hiergegen legte die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde ein, die keinen Erfolg hatte:

„Die sofortige Beschwerde ist zulässig, in der Sache aber unbegründet.

Gemäß § 467 Abs. 1 StPO fallen die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten grundsätzlich der Staatskasse zur Last. Diese Kostenentscheidung ist Folge der Unschuldsvermutung, wonach jeder als unschuldig gilt, solange er nicht verurteilt ist.

Gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 StPO kann das Gericht von dieser Auslagenentscheidung absehen, wenn der Angeschuldigte wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung, wobei der Ausnahmecharakter dieser Vorschrift zu berücksichtigen ist.

Eine in Rechtsprechung und Literatur verbreitete Auffassung hält die tatbestandlichen Voraus-setzungen für die Versagung einer Auslagenerstattung nach § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO nur dann für gegeben, wenn der Angeschuldigte allein wegen des bestehenden Verfahrenshindernisses nicht verurteilt wird, also mit Sicherheit von einer Verurteilung auszugehen sei. Insoweit wird vielfach davon ausgegangen, dass allein die Durchführung des Verfahrens bis zur Schuld-spruchreife eine Ermessensentscheidung ermögliche. Teilweise wird eine Vorverlagerung für einfach gelagerte Fälle erwogen, bei denen eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Schuld des Angeschuldigten spricht, sofern sich die maßgeblichen Tatsachen dem Akteninhalt ohne Klärung in einer Hauptverhandlung zweifelsfrei entnehmen lassen oder ein Geständnis vorliegt.

Demgegenüber können nach einer weiteren in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht im Rahmen der gemäß § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO zu treffenden Ermessensentscheidung schon verbleibende Verdachtserwägungen einer Auslagenerstattung entgegenstehen, da eine Beschränkung auf Fälle der Schuldspruchreife nach dieser Ansicht zu einem unangemessen engen Anwendungsbereich der Vorschrift des § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO führen würde. Um dem Ausnahmecharakter der Vorschrift ausreichend Rechnung zu tragen sei ein erheblicher Tat-verdacht erforderlich. Zudem dürfen tatsächliche oder rechtlich entlastende Umstände, welche die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen könnten, nicht ersichtlich sein.

Vorliegend trat das Verfahrenshindernis nach Anklageerhebung, aber vor Erlass eines Eröffnungsbeschlusses ein. Die Akte enthält Unterlagen über Gewerbean- und – abmeldungen sowie Vollstreckungsaufträge und Pfändungen, die auf wirtschaftliche Schwierigkeiten bereits vor Eintreten der Corona-Pandemie hindeuten sowie darauf, dass der Angeschuldigte Subventionen für ein nicht mehr bestehendes Gewerbe beantragte. Der Angeschuldigte hat sich allerdings vor seinem Tod nicht zur Sache eingelassen, entlastende Umstände mithin nicht vorbringen können. Vom Fehlen entlastender Umstände kann nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Insbesondere ist die wirtschaftliche Situation seiner Unternehmung nicht ausreichend aufgeklärt, so zum Beispiel, ob und gegebenenfalls welche Forderungen dem Angeschuldigten zustanden. Auch nähere Angaben zum Umfang seiner selbständigen Tätigkeit fehlen, so dass die Entscheidung des Amtsgerichts Dresden nicht zu beanstanden ist. Eine Begründung ist für die Anwendung der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO nicht erforderlich.“