Bild von Gerd Altmann auf Pixabay
Ich habe ja schon ein paar Mal über die Zulässigkeit der konsensualen Umbeiordnung berichtet, bislang aber leider übersehen, dass sich ja auch der BGH inzwischen zur Frage der Zulässigkeit einer einvernehmlichen Umbeiordnung des Pflichtverteidigers geäußert hat. Der BGH hat im BGH, Beschl. v. 10.08.2023 – StB 49/23 – die Frage grundsätzlich bejaht.
Zugrunde lag folgender Sachverhalt: Dem Angeschuldigten wurde am 06.04.2022 noch im Ermittlungsverfahren Rechtsanwalt H. als Pflichtverteidiger bestellt. Nachdem der GBA gegen den Angeschuldigten und mehrere Mitangeschuldigte beim OLG Jena Anklage u.a. wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie weiterer Delikte bei dem Thüringer Oberlandesgericht erhoben hatte, hat dieses durch Beschluss vom 23.05.2023 den zuvor als Wahlverteidiger tätigen Rechtsanwalt K. als zusätzlichen Pflichtverteidiger bestellt. Den Antrag des Angeschuldigten, Rechtsanwalt H. zu entpflichten und stattdessen Rechtsanwalt Ha. „unter Verzicht auf die bisher entstandenen Gebühren des zu entpflichtenden Pflichtverteidigers“ – zu bestellen, hilfsweise nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO einen Verteidigerwechsel vorzunehmen, hat das OLG abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es an der für eine konsensuale Umbeiordnung erforderlichen Zustimmung von Rechtsanwalt H. fehle und kein zerstörtes Vertrauensverhältnis im Sinne des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO vorliege. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Angeschuldigten (§ 143a Abs. 4 StPO) hatte keinen Erfolg.
Der BGH hat das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Pflichtverteidigerwechsel verneint und dabei zur – grundsätzlich bejahten – Frage der konsensualen Umbeiordnung Stellung genommen:
„1. Die Voraussetzungen für einen konsensualen Pflichtverteidigerwechsel liegen nicht vor.
a) Die einvernehmliche Entpflichtung eines bestellten Pflichtverteidigers und die Bestellung eines anderen Verteidigers ist durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2128) nicht normiert worden. Nach dem zugrundeliegenden Gesetzentwurf sollte indes unbeschadet der gesetzlichen Neuregelung der zuvor in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte anerkannte „konsensuale und zeit- und kostenaufwandsneutrale Verteidigerwechsel weiterhin möglich bleiben“. Danach soll „auf Antrag des Beschuldigten die Bestellung des bisherigen Verteidigers zu widerrufen und der neue Verteidiger beizuordnen“ sein, „wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: Einverständnis des bisherigen Verteidigers und des neuen Verteidigers, keine Verfahrensverzögerung sowie keine Mehrbelastung für die Staatskasse“ (BT-Drucks. 19/13829 S. 47, s. auch S. 49). Dementsprechend wird ein konsensualer Verteidigerwechsel in Rechtsprechung und Schrifttum für zulässig erachtet (s. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2021 – 2 StR 81/21, juris Rn. 1; Saarländisches OLG, Beschluss vom 27. Oktober 2021 – 4 Ws 157/21, juris Rn. 11; vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. November 2020 – StB 39/20, juris Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 143a Rn. 31; KK-StPO/Willnow, 9. Aufl., § 143a Rn. 14).
Wie bereits der Begriff des konsensualen Wechsels zeigt, erfordert ein solcher ein Einvernehmen zwischen dem bisherigen und dem künftigen Pflichtverteidiger sowie dem Beschuldigten. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kann auf das Einverständnis des bislang bestellten Pflichtverteidigers nicht mit der Begründung verzichtet werden, dieser sei durch seine Entpflichtung nicht beschwert und habe dagegen kein eigenes Beschwerderecht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 18. August 2020 – StB 25/20, BGHSt 65, 106 Rn. 4 ff.).
Der Gesetzeswortlaut bietet mangels Regelung keinen Anhaltspunkt dafür, auf das Einverständnis des bisherigen Verteidigers verzichten zu können. Die Intention des Gesetzgebers, der nach den Gesetzesmaterialien ausdrücklich das Einverständnis für notwendig erachtet hat, spricht ersichtlich dagegen. In systematischer Hinsicht ermöglichen § 143a Abs. 2 und Abs. 3 StPO den Wechsel des Pflichtverteidigers lediglich in bestimmten Konstellationen. Diese gesetzlichen Vorgaben drohen ausgehöhlt zu werden, wenn bereits der Wunsch des Beschuldigten, das Einverständnis des neuen Verteidigers und dessen Verzicht auf eigene Gebühren in Höhe schon angefallener Kosten einen Wechsel zur Folge haben können. Dies gilt insbesondere für die Voraussetzungen gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO, wonach für einen Wechsel das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört sein muss.
Da der konsensuale Verteidigerwechsel nicht gesetzlich geregelt ist, ist den normierten Tatbeständen Vorrang zu geben. Wenn gleichwohl in Fortführung früherer Rechtsprechung über das Gesetz hinaus ein Wechsel möglich sein soll, spricht wenig dafür, diesen nicht normierten Ausnahmefall noch auszuweiten. Im Übrigen braucht das – sowohl nach der Rechtsprechung als auch nach der Gesetzesbegründung – für notwendig erachtete Einverständnis des bisherigen Pflichtverteidigers nicht ausschließlich in dessen eigenem Interesse zu bestehen (vgl. in Bezug auf eine missbräuchliche Verdrängung KG, Beschluss vom 20. November 1992 – 4 Ws 228/92, NStZ 1993, 201, 202), sondern kann zugleich Nachweis dafür sein, dass mit dem nach § 143a StPO nicht erforderlichen Verteidigerwechsel kein besonderer zusätzlicher Aufwand und keine weiteren Komplikationen verbunden sind.
b) Vor diesem Hintergrund fehlt das für einen konsensualen Verteidigerwechsel erforderliche Einverständnis von Rechtsanwalt H. . Dieser hat sich ausdrücklich den Ausführungen des Generalbundesanwalts angeschlossen, mit denen die Zurückweisung des Antrags auf Verteidigerwechsel beantragt worden ist.
2. Ein Verteidigerwechsel gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist ebenfalls nicht veranlasst. Weder aus den vom Angeschuldigten vorgebrachten Umständen noch sonst ergibt sich, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeschuldigten und Rechtsanwalt H. endgültig zerstört ist……“