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Strafzumessung III: Täter-Opfer-Ausgleich, oder: Geht das beim Computerbetrug?

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Und zum Tagesschluss komme ich dann noch einmal auf das OLG Hamm, Urt. v. 22.09.2020 – 5 RVs 63/20 – zurück. Über das hatte ich ja schon einmal berichtet habe (vgl. hier: Kessel Buntes III: Diebstahl einer Geldbörse mit Personalpapieren, oder: Auch Urkundenunterdrückung?).

Heute geht es um die Strafzumessung bzw. die damit zusammenhängende Frage eines Täter-Opfer-Ausgleichs (§ 46a StGB). Das LG hatte seine Voraussetzungen bejaht. Die Revision der StA hatte insoweit Erfolg:

“ 2. Die Staatsanwaltschaft rügt aber mit Recht, dass die Begründung für die von der Kammer nach §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB vorgenommenen Strafrahmenverschiebung rechtsfehlerhaft ist. Das Landgericht ist bei seiner Strafzumessung vom Strafrahmen des § 243 Abs. 1 S. 1 StGB ausgegangen, soweit es die Angeklagte wegen Diebstahls verurteilt hat. In jenen Fällen, in denen es einen Computerbetrug festgestellt hat, hat es seiner Strafzumessung den Strafrahmen der §§ 263a Abs. 2, 263 Abs. 3 S. 1 StGB zu Grunde gelegt. Diese Strafrahmen hat es in den unter II. 2. der Urteilsgründe festgestellten Fällen 1., 2., 6. und 7. nach §§ 46a Nr. 1, 49 Abs. 1 StGB und in den Fällen 3. und 4. nach §§ 46a Nr. 2, 49 Abs. 1 StGB gemildert. Die Anwendung des § 46a StGB stellt sich dabei in mehrfacher Hinsicht als rechtsirrig dar.

a) In den Fällen des Computerbetrugs, in denen der wirtschaftliche Schaden im Ergebnis durch die beteiligten Banken getragen wurde (Taten 2. und 7.), steht der Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs schon entgegen, dass im Verhältnis zu den Kreditinstituten ein Ausgleich gar nicht stattgefunden hat. Es reicht für die Anwendung des § 46a StGB nicht aus, dass ein Ausgleich nur in Bezug auf einen von mehreren Geschädigten gegeben ist. Sind durch eine Straftat Rechtsgüter mehrerer Personen verletzt, muss nach ständiger Rechtsprechung hinsichtlich jedes Geschädigten zumindest eine Variante des § 46a StGB erfüllt sein (BGH, Urteil vom 07. Februar 2018 ? 5 StR 535/17 = NStZ 2018, 276, beck-online m.w.N.; Maier in: MüKoStGB, 3. Aufl. 2016, StGB, § 46a Rn. 12). Vorliegend ist den beteiligten Banken ein Vermögensschaden zumindest in Höhe der von der Angeklagten zu Unrecht erlangten Barabbuchungen unter Verwendung der EC-Karten der Geschädigten T und H entstanden. Zu einem Ausgleich dieser Schäden hat das Landgericht keine Feststellungen getroffen.

b) Jedoch auch soweit die Angeklagte Zahlungen an die wirtschaftlich geschädigten natürlichen Personen erbracht (T und L) oder angekündigt hat (H) tragen die Feststellungen des Landgerichts die Annahme eines vertypten Milderungsgrundes nicht.

Noch zutreffend berücksichtigt die Kammer, dass die verschiedenen Alternativen des § 46a StGB sich in ihren Voraussetzungen unterscheiden. § 46a Nr. 1 StGB bezieht sich vor allem auf den Ausgleich der immateriellen Folgen einer Straftat, die auch bei Vermögensdelikten denkbar sind, während § 46a Nr. 2 StGB den materiellen Schadensersatz betrifft (BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 290/11 = NStZ 2012, 439, beck-online; Heger in: Lackner/Kühl, 29. Aufl. 2018, StGB § 46a Rn. 4a).

Bezüglich der Geschädigten T und H hat die Kammer die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB angenommen, wobei sie gegenüber der Geschädigten T von einer Wiedergutmachung und bezüglich der Geschädigten H von einem ernsthaften Bemühen um Wiedergutmachung ausgegangen ist. Dabei hat sie jedoch zu geringe Anforderungen an beide Alternativen der Norm gestellt. Die Bestimmung des § 46a Nr. 1 StGB verlangt, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat „ganz oder zum überwiegenden Teil” wiedergutgemacht hat; es ist aber auch ausreichend, dass der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt. Das Bemühen des Täters setzt grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein muss (BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 290/11= NStZ 2012, 439, beck-online m.w.N.). Dafür ist eine von beiden Seiten akzeptierte, ernsthaft mitgetragene Regelung Voraussetzung. Das ernsthafte Bemühen des Täters muss Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein, und das Opfer muss die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren (BGH, 4. Strafsenat, a.a.O.). Die Kammer hat jedoch, wie die Revision zutreffend rügt, keinerlei Feststellungen dazu getroffen, inwieweit die Geschädigten die von der Angeklagten erbrachten bzw. beabsichtigten Zahlungen als Ausgleich ihrer materiellen und immateriellen Schäden akzeptiert haben. Bezüglich der Geschädigten H geht aus den Urteilsgründen nicht einmal hervor, ob diese von dem Streben nach Wiedergutmachung seitens der Angeklagten überhaupt Kenntnis erlangt hatte.

Auch soweit das Landgericht in Bezug auf die Geschädigte L die Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB angenommen hat, tragen die getroffenen Feststellungen die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs nicht. Weil die Entschädigungsleistung auch nach dieser Alternative der Norm eine friedensstiftende Wirkung entfalten soll und Ausdruck der Übernahme von Verantwortung gerade gegenüber dem Opfer sein muss, hat der Täter einen über die rein rechnerische Kompensation hinausgehenden Beitrag zu erbringen. Die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen allein genügt nicht (BGH, Beschluss vom 25. Juli 1995 – 1 StR 205/95 = NStZ 1995, 492, beck-online; OLG München, Urteil vom 02. August 2007 – 5 St RR 113/07 = BeckRS 2007, 12872; Maier in: MüKoStGB, 3. Aufl. 2016 Rn. 41, StGB § 46a Rn. 41 m.w.N.) Zudem ist grundsätzlich auch für die Annahme einer Entschädigung des Opfers nach § 46a Nr. 2 StGB die Mitwirkung des Opfers notwendig, denn die Schadenswiedergutmachung muss eine friedensstiftende Wirkung entfalten können (Maier in: MüKoStGB, 3. Aufl. 2016, StGB § 46a Rn. 42 m.w.N.). Vorliegend hat die Kammer lediglich festgestellt, dass die Angeklagte der Geschädigten den Wert des entwendeten Bargeldes und der von der Geschädigten getragenen Abbuchung von deren Konto ersetzt hat. Ein Ersatz von Aufwendungen, etwa für die Beschaffung einer neuen EC-Karte, eines Ausweises oder Ersatzführerscheins, hat nach den Feststellungen des Berufungsurteils nicht stattgefunden. Auch teilt das angefochtene Urteil nicht mit, ob die Geschädigte die Zahlung als Ausgleich des erlittenen Schadens akzeptierte….“

OWi III: Urteilsgründe „durchweg fehlerbehaftet und unbrauchbar“, oder: „Setzen 6“.

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Wenn schon im OLG Jena, Beschluss vom 21.09.2020 – 1 OLG 151 SsBs 72/20 die Feststellungen des Amtsrichters dem OLG nicht ausgereicht haben (vgl. OWi II: SV-Gutachten als Urteilsgrundlage, oder: Und bloße Wiedergabe des Bußgeldbescheides reicht nicht): Es geht auch noch „besser“. Das zeigt, der OLG Brandenburg, Beschl. v. 03.11.2020 – (1 B) 53 Ss-OWi 549/20 (316/20)  -, den mir der Kollege  Rakow aus Rostock gestern geschickt hat.

Das OLG hat ein Urteil des AG Brandenburg, mit dem der Betroffene wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden ist, aufgehoben.

Grund (zunächst): Die Verfahrensrüge des Kollegen, mit der er gerügt hatte, dass dem Betroffenen nicht das letzte Wort (§ 258 StPO) gewährt worden ist, hatte Erfolg.Nun ja, denkt man, das kann (mal) passieren. Darf es nicht, aber kann eben mal. Und wenn man als Verteidiger dann aufpasst, hat man einen Revisions-/Rechtsbeschwerdegerund, der in der Regel auch zum Erfolg führt. So eben auch hier.

Damit wäre es an sich genug gewesen. Das OLG hat aufgehoben und zurückverwiesen. Aber: Das OLG macht noch mehr. Man hatte es schon geahnt, denn das OLG hat von § 79 Abs. 6 OWiG Gebrauch gemacht und an ein andere Abteilung des AG Brandenburg zurückverwiesen. Das machen OLG selten und meist nur, wenn etwas Besonderes geschehen ist. Man ist also gspannt und die Spannung löst sich, wenn man dann weiter liest:

„b) Ungeachtet des vorgenannten Verfahrensverstoßes kann das angefochtene Urteil auch auf die erhobene Rüge der Verletzung sachlichen Reals keinen Bestand haben. Die Urteilsgründe genügen in zahlreicher Hinsicht nicht den selbst in Bußgeldverfahren erheblich reduzierten Mindestanforderungen: Es fehlen bereits Angaben zur zulässigen Geschwindigkeit, zur gefahrenen Geschwindigkeit, zum Toleranzabzug. Die Höhe der Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit wird verfehlt lediglich im Urteilstenor, nicht jedoch in den Urteilsgründen erwähnt.

Den Urteilsgründen sind weder Angaben zum angewandten Messverfahren noch zur Eichung des Messgerätes noch zur Qualifikation des Messbeamten zu entnehmen. Ausführungen zum subjektiven Tatbestand enthält das angefochtene Urteil ebenfalls nicht; eine Beweiswürdigung findet nicht statt. Auch der Rechtsfolgenausspruch ist nicht nachvollziehbar. Weshalb die Bußgeldrichterin von der Regelgeldbuße nach Ziff. 11.3.6 Tabelle 1 c BKat abweicht, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen; Ausführungen zu den persönlichen Verhältnissen oder zu Eintragungen im Fahreignungsregister enthält das Urteil nicht. Weshalb die Bußgeldrichterin auf ein angesichts der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht indiziertes Fahrverbot erkannt hat, ergibt sich aus den Urteilsgründen ebenfalls nicht; es ist auch nicht ersichtlich, ob die Bußgeldrichterin erwogen hat, dass in besonderen Ausnahmefällen von einem Fahrverbot abgesehen werden kann.

Insgesamt erweist sich das angefochtene Urteil als durchweg fehlerbehaftet und unbrauchbar und unterliegt daher der Aufhebung. ….“

Da kommt es also für das AG bzw. die Amtsrichterin ganz dicke, das ist das berühmte Brett, die Ohrfeige usw. Ich habe ja in den letzten Jahrens einiges an OLG-Begründungen gelesen. So „Dickes“ aber – wenn ich mich richtig erinnere – noch nicht. „Durchweg fehlerbehaftet und unbrauchbar“ – in der Schule würde ein Leherer wahrscheinlich sagen – na ja, heute nicht mehr, aber früher -: „Setzen, 6“. Und das, was da abgeliefert worden ist, ist auch unbrauchbar. Man fragt sich bei den „Beanstandungen“ des OLG, was da wohl überhaupt im Urteil gestanden hat. Denn das OLG vermisst ja nun alles, was in ein amtsgerichtliches Bußgeldurteil wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung gehört. Für mich grenzt das an Arbeitsverweigerung bzw. die Grenze dürfte überschritten sein. Verhängt wird eine Fahrverbot – immerhin ja schon mal eine einschneidendere Rechtsfolge – und das AG hat es nicht nötig, das zu begründen. Nein, das grenzt nicht an Arbeitsverweigerung, das ist es. Und das hat auch nichts mit Belastung pp. zu tun. Die Anforderungen der OLG an die Urteilsgründe sind sicherlich an manchen Stellen schon recht hoch, aber andererseits nun auch nicht wieder so hoch, dass man die nicht erfüllen kann, ja muss. Wenn man das nicht will/kann, ist man eben fehl am Platz.

Sorry, tut mir leid. Aber das ist meine Meinung. Für mich: Unfassbar, – das AG-Urteil, nicht der OLG-Beschluss.

OWi II: SV-Gutachten als Urteilsgrundlage, oder: Und bloße Wiedergabe des Bußgeldbescheides reicht nicht

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Jena, Beschluss vom 21.09.2020 – 1 OLG 151 SsBs 72/20.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung  verurteilt. Der Betroffene hat die Ordnungsgemäßheit der durchgeführten Messung bezweifelt Das AG hatte dann ein SV-Gutachten eingeholt und im Urteil seine Überzeugung von der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung auf die Ausführungen dieses Sachverständigen gestützt. Aber das – wie das OLG in seinem Beschluss ausführt – nicht ausreichend dargelegt. Mal wieder der Dauerbrenner:

„Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils ist lückenhaft, weil lediglich das Ergebnis des Gutachtens dargestellt wird.

Stützt der Tatrichter den Schuldspruch – wie vorliegend – auf ein Sachverständigengutachten, so ist in den Urteilsgründen eine verständliche in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung erforderlich (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 06. Oktober 2004 – 2 Ss OWi 555/04 -, Rn. 9; Beschluss vom 18. Dezember 2012 – III-1 RBs 166/12-, Rn. 9, juris).

Die Gründe ermöglichen dem Senat vorliegend nicht die Überprüfung, ob die vom Amtsgericht getroffene Feststellung, die durchgeführte Messung sei in jeder Beziehung ordnungsgemäß erfolgt und sei zu einem völlig richtigen Messergebnis gelangt, ohne Rechtsfehler getroffen wurde. Das Urteil führt nur punktuell das Ergebnis des Gutachtens auf, ohne eine geschlossene Darstellung der Anknüpfungs- und Befundtatsachen. Auch die das aufgeführte Ergebnis des Gutachtens tragende fachliche Begründung wird nicht mitgeteilt. Eine Prüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens ist somit nicht möglich.

Die alleinige Mitteilung des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens kann zwar u.U. dann ausreichen, wenn der Sachverständige bei der Begutachtung ein weithin standardisiertes Verfahren angewendet hat, es sich um einen renommierten Sachverständigen handelt und wenn von keiner Seite Einwände gegen die der Begutachtung zugrunde liegende Tatsachengrundlage und die Zuverlässigkeit der Begutachtung selbst erhoben werden (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 06. Oktober 2004 – 2 Ss OWi 555/04 -, Rn. 10 m.w.N.). Diese Voraussetzungen, unter denen die Mitteilung des Ergebnisses ausnahmsweise zur Beweisführung ausreicht, liegen hier nicht vor.“

Und nicht nur das, denn:

„Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das Urteil nach §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 1 StPO eigene Feststellungen zum Tatgeschehen als Grundlage des Schuldspruchs ausweisen muss. Mit der Darstellung der Tat unter Ziff. II des Urteils, eingeleitet mit “dem Betroffenen wird vorgeworfen”, werden eigene Feststellungen des Amtsgerichts nicht belegt. Die bloße Wiedergabe des Bußgeldbescheides ist nicht ausreichend (vgl. Senat, Beschluss vom 30.07.2020, Az. 1 Ss 57/20 für § 267 Abs. 1. Satz 1 StPO; Beschluss vom 10.01.2005 – 1 Ss 239/04 -, Rn. 21 ff., juris).2

Scheint also nicht viel „drin gestanden“ zu haben in dem AG-Urteil.

OWi I: Nachfahren und Messung mit einem Navi im Privat-Pkw, oder: Im Zweifel SV-Gutachten

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Heute ist dann „OWi-Tag“, also bußgeldrechtliche Entscheidungen.

Und den Opener mache ich mit dem BayObLG, Beschl. v. 18.06.2020 – 201 ObOWi 739/20. Er ist schon etwas älter, aber das BayObLG hat ihn jetzt erst geschickt. Behandelt werden die Anforderungen an die Urteilsgründe, wenn der Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit einem Navigationsgerät im Privatfahrzeug zugrunde lag.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um mindestens 41 km/h verurteilt. Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen war die Messung der Geschwindigkeit durch den Zeugen PHM L. erfolgt, der mit seinem Privat-Pkw auf der B 14 in Richtung T. über eine Strecke von etwa 500 Metern mit etwa gleichbleibender Geschwindigkeit den vom Betroffenen geführten Pkw verfolgt hatte, wobei er von seinem Navigationssystem eine Geschwindigkeit von bis zu 195 km/h hatte ablesen können bei in etwa gleich bleibendem Abstand [von] „zwei Streckenbegrenzungspfosten“. In Anbetracht dessen, dass das genaue Ausmaß der Nachfahrstrecke und die exakte Einhaltung des Abstands nicht sicher gewährleistet worden seien hatte das AG einen – nicht näher begründeten – „weiteren“ Toleranzabzug vorgenommen und eine Geschwindigkeitsüberschreitung um wenigstens 41 km/h zugrunde gelegt. Dagegen hatte sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde gewandt, die beim BayObLG Erfolg hatte:

„1. Zwar sind im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine über-trieben hohen Anforderungen zu stellen. Dennoch kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten, denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen (vgl. Göhler/Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 71 Rn. 42, 43 m.w.N.). Hinsichtlich der Beweiswürdigung müssen die Urteilsgründe regelmäßig auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt und inwieweit er die Einlassung für widerlegt ansieht. Nur so ist gewährleistet, dass das Rechtsbeschwerdegericht die tatrichterliche Beweiswürdigung auf Rechtsfehler überprüfen kann (KK/Senge OWiG 5. Aufl. § 71 Rn. 107 m.w.N.; Göhler/Seitz/Bauer a.a.O. Rn. 43, 43a m.w.N.).Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.

a) Der Tatrichter stellt fest, dass der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit außer-halb geschlossener Ortschaften mit seinem Pkw um mindestens 41 km/h überschritten habe und statt der zulässigen Geschwindigkeit von 100 km/h wenigstens 141 km/h gefahren sei. Die Messung der Geschwindigkeit sei durch den Zeugen PHM L. erfolgt, der mit seinem Privat-Pkw auf der B 14 in Richtung T. über eine Strecke von etwa 500 Metern mit etwa gleichbleibender Geschwindigkeit den vom Betroffenen geführten Pkw verfolgt habe, wobei er von seinem Navigationssystem eine Geschwindigkeit von bis zu 195 km/h habe ablesen können bei in etwa gleich bleibendem Abstand [von] „zwei Streckenbegrenzungspfosten“. Eine Fahrstrecke von 500 Metern ab kurz nach der Abfahrt nach R. sei mit der vom Zeugen L. genannten Maximalgeschwindigkeit kompatibel. In Anbetracht dessen, dass das genaue Ausmaß der Nachfahrstrecke und die exakte Einhaltung des Abstands nicht sicher gewährleistet worden sind, hat das Gericht einen – nicht näher begründeten – „weiteren“ Toleranzabzug vorgenommen und legt eine Geschwindigkeitsüberschreitung um wenigstens 41 km/h zugrunde.

b) Es ist anerkannt, dass die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit einem Fahr-zeug, das mit einem ungeeichten Tacho ausgestattet ist, grundsätzlich eine genügende Beweisgrundlage für die Annahme eine Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit sein kann. Dies gilt auch dann, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, wenn ein Privatfahrzeug bei der Nachfahrmessung Verwendung findet (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 19.03.2009 – 3 Ss OWi 94/09 bei juris). Wie das Tatgericht zutreffend feststellt, handelt es sich hierbei aber nicht um ein standardisiertes Messverfahren. Maßgebliche Kriterien für die Zuverlässigkeit einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren sind insbesondere die Sichtverhältnisse, eine ausreichende Nachfahrstrecke und ein gleichbleibender Abstand. Ist das nachfolgende Fahrzeug mit einem ungeeichten Tachometer ausgerüstet, berücksichtigt ein Sicherheitsabschlag von 20 % bei guten allgemeinen Sichtverhältnissen grundsätzlich alle zugunsten des Täters in Betracht kommenden Fehlerquellen, wenn der Abstand zum voraus-fahrenden Fahrzeug etwa den halben bis maximal ganzen Tachowert, den das nachfahrende Fahrzeug anzeigt, nicht übersteigt, der Abstand ungefähr gleich bleibt, die Nachfahrstrecke rund das Fünffache des Abstandes beträgt und der Tachometer in kurzen Abständen abgelesen wird. Wenn keine Anhaltspunkte für außergewöhnliche Umstände vorliegen, entfallen i.d.R. 16 % des Abschlages auf mögliche Fehlerquellen der Geschwindigkeitsanzeige des nachfolgenden Fahrzeugs (Tachometerabweichung, Reifenverschleiß, Reifenluftdruck, Reifenfertigungstoleranz, Antriebsschlupf) und 4 % auf eine nicht ausschließbare unbemerkte Abstandsverringerung (BayObLG, Beschl. v. 17.04.1996 – 1 ObOWi 85/96 bei juris). Bei Geschwindigkeiten von über 90 km/h soll im Regelfall die Mindeststrecke, über die die Geschwindigkeit festgestellt werden muss, 500 Meter betragen (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 04.02.2010 – 2 Ss OWi 77/10 bei juris; KG, Beschl. v. 05.04.2019 – 3 Ws (B) 114/19, BeckRS 2019, 16058). Dies entspricht den Vorgaben der Richtlinien des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren für die polizeiliche Verkehrsüberwachung vom 12.01.2011 (Ergänzende Weisung Nr. 3.2), wonach die Messstrecke bei Geschwindigkeiten von über 90 km/h nicht kürzer als 500 Meter sein soll, der Nachfahrabstand etwa dem halben bis maximal dem ganzen Tacho-Wert entsprechen soll und auch bei Geschwindigkeiten von über 90 km/h ca. 100 Meter nicht überschreiten soll. Es muss sichergestellt sein, dass sich der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug zwischen Messbeginn und Messende nicht merklich verringert hat. Deshalb soll der Abstand so gering sein, dass dies durch den nachfolgenden Polizeibeamten zuverlässig beurteilt werden kann.

c) Die Feststellungen des Tatgerichts und die dahingehende Beweiswürdigung zu der vom Betroffenen mindestens gefahrenen Geschwindigkeit erweisen sich als lückenhaft, weil nicht dargelegt wird, dass sämtliche vorgenannte Voraussetzungen für eine Nachfahrmessung gegeben sind. Es besteht zudem Grund zu der Besorgnis, dass der Tatrichter nicht ausreichend beachtet hat, dass vorliegend die Geschwindigkeit des nachfolgenden Fahrzeugs nicht von einem Tachometer, sondern von einem Navigationssystem abgelesen worden ist, und deshalb unklar bleibt, ob auch eventuelle Messungenauigkeiten bei der Geschwindigkeitsermittlung durch das Navigationsgerät Berücksichtigung gefunden haben.

aa) Den Feststellungen des Tatgerichts lässt sich vorliegend nicht entnehmen, wie häufig der Zeuge während der Nachfahrmessung die Geschwindigkeitsanzeige beobachtet hat bzw. welche Geschwindigkeit der Betroffene während der Nachfahrmessung wenigstens eingehalten hat. Es ist vielmehr zu besorgen, dass der Zeuge nur kurzfristig eine Geschwindigkeit von 195 km/h beobachtet hat, da im Urteil davon die Rede ist, dass es sich um die Maximalgeschwindigkeit von bis zu 195 km/h gehandelt habe. Bei der Nachfahrenmessung kann aber nur die Geschwindigkeit zugrunde gelegt werden, die der Betroffene für die Dauer der Messung über die Nachfahrstrecke bei (in etwa) konstantem Abstand wenigstens eingehalten hat.

bb) Zudem bleibt unklar, ob die vom Tatgericht berücksichtigte Toleranz ausreichend ist. Die genannten Richtlinien des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren für die polizeiliche Verkehrsüberwachung setzen voraus, dass ein Fahrzeug mit einem ungeeichten Tachometer ausgerüstet ist. Vorliegend wurde jedoch die Geschwindigkeit von einem Navigationsgerät abgelesen. Im tatrichterlichen Urteil finden sich keine Feststellungen zur Art dieses Navigationsgerätes bzw. zur Ermittlung der Geschwindigkeit durch dieses Gerät. Die Generalstaats-anwaltschaft hat hierzu in ihrer Stellungnahme vom 19.05.2020 Folgendes ausgeführt:

„Vorliegend hat das Amtsgericht zur Kompensation einer möglichen geringfügigen Unterschreitung der Messstrecke von 500 m und einer nicht exakten Einhaltung des Nachfahrabstands von der festgestellten „Maximalgeschwindigkeit“ von 195 km/h 54 km/h abgezogen und somit einen Toleranzabzug von rechnerisch 27 % angenommen. Allerdings hat das Amtsgericht bei der Bemessung der anzunehmenden Toleranz nicht erkennbar bedacht, dass die Messung vorliegend nicht mit einem serien-mäßig verbauten ungeeichten Tacho vorgenommen wurde, sondern mithilfe eines Navigationsgeräts, wobei Feststellungen zu dem verwendeten Typ und dessen Funktionsweise vollständig fehlen. Hierauf kann jedoch nicht verzichtet werden. Denn der Tatrichter muss in jedem Fall der Messung mit einem ungeeichten Gerät darlegen, welche mögliche geräteinternen Fehler und welche externen Fehlerquellen er berücksichtigt hat (vgl. zum Nachweis eines Rotlichtverstoßes mittels ungeeichter Stoppuhr BayObLG, Beschl. v. 19.08.2019 – 201 ObOWi 238/19 bei juris Rn. 7). Davon, dass die Genauigkeit eines Navigationsgerätes stets dem eines Tachos entspricht oder diese sogar übersteigt, konnte das Tatgericht nicht ohne Weiteres ausgehen. Denn während bei einem serienmäßig verbauten Tacho anzunehmen ist, dass er den sich aus § 57 Abs. 2 StVZO i.V.m. Ziff. 4.3 und 4.4 im Anhang II zur Richtlinie 75/443/EWG des Rates vom 26. Juni 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Rückwärtsgang und das Geschwindigkeitsmessgerät in Kraftfahrzeugen ergebenden technischen Anforderungen genügt, die aus Gründen der Verkehrssicherheit sicherstellen, dass die angezeigte Geschwindigkeit stets ober-halb der tatsächlich gemessenen Geschwindigkeit liegt, bestehen solche (sich im Rahmen der Nachfahrmessung zugunsten des Betroffenen auswirkende) einheitlichen Mindestanforderungen für ein Navigationsgerät nicht. Insbesondere dann, wenn das Navigationsgerät nicht mit dem Wegstreckenzähler des Fahrzeugs verbunden ist, sondern zur Ermittlung von Position und Geschwindigkeit auf das GPS-Signal zu-rückgreift, dürfte die Zuverlässigkeit zudem auch von der Qualität der empfangenen Daten abhängen. Nachdem nähere Feststellungen zu dem verwendeten Navigations-gerät vollständig fehlen, kann das Rechtsbeschwerdegericht nicht prüfen, ob der schon wegen anderer Unsicherheiten erhöhte Toleranzwert ausreicht, zumal dieser sich ersichtlich an dem Schwellenwert von 41 km/h für einen Verstoß nach laufender Nr. 11.3.7 der Tabelle 1 zum BKat orientiert.“

„Der Senat schließt sich diesen zutreffenden Ausführungen nach eigener Überprüfung an. Vor diesem Hintergrund wäre das Amtsgericht gehalten gewesen, Feststellungen zur Art des zum Einsatz gekommenen Navigationsgerätes sowie zu der Frage zu treffen, wie zuverlässig der von diesem Navigationsgerät angezeigte Geschwindigkeitswert mit der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit übereinstimmt und welcher Sicherheitsabschlag ausreichend erscheint, um etwaige Messungenauigkeiten und sonstige Fehlerquellen auszugleichen (vgl. hierzu im Einzelnen BayObLG, Beschl. v. 19.08.2019 – 201 ObOWi 238/19 = StraFo 2020, 25 = VerkMitt 2020, Nr 2 = ZfSch 2020, 173 = OLGSt MessEV § 1 Nr 1). Der Senat geht davon aus, dass insoweit die Zuziehung eines messtechnischen Sachverständigen geboten gewesen wäre (vgl. hierzu auch OLG Köln, Beschl. v. 29.08.2018 – 1 RBs 212/18 = BeckRS 2018, 27567 = VerkMitt 2019, Nr 3 [für den Fall der Geschwindigkeitsanzeige des nachfolgenden Fahrzeugs über eine Dash-Cam]).“

Wenn man es liest fragt man sich, welche Anstrengungen, Polizeibeamte eigentlich noch alle unternehmen wollen, um einen Geschwindigkeitsverstoß festzustellen?

Und/Aber: Als Verteidiger sollte man den Hinweis des OLG nicht übersehen: Im Zweifel wird man ohne einen Sachverständigen nicht auskommen. Darauf sollte man angesichts der Tendenz bei den AG, Beweisanträge möglichst abzulehnen, bei Antragstellung hinweisen.

Bewährung II: Noch einmal Bewährung beim vielfachen Bewährungsversager, oder: Urteilsgründe

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um das BayObLG, Urt. v. 27.07.2020 – 203 StRR 210/20.

Das AG hat den Angeklagten wegen Diebstahls von 4 Flaschen Bier u.a. im Gesamtwert von 5,03 EUR zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen hat die Staatsanwaltschaft eingelegt, die sie auf die dem Angeklagten gewährte Strafaussetzung zur Bewährung beeschränkt hat. Sie rügt, dass die Feststellungen des AG die Gewährung der erneuten Strafaussetzung zur Bewährung nicht tragen. Das angefochtene Urteil werde den erhöhten Darlegungsanforderungen bei angenommener günstiger Sozialprognose trotz erheblicher Vorstrafen und massiven zweifachen Bewährungsversagens nicht gerecht. Damit hatte sie beim BayObLG Erfolg:

„Die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft ist zulässig (§§ 335 Abs. 1, 341 Abs.1, 3, 344, 345 StPO) und hat in der Sache – zumindest vorläufigen – Erfolg. Die Sprungrevision konnte auf die dem Angeklagten gewährte Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt werden, weil dieser Beschwerdepunkt losgelöst von den nicht angefochtenen Teilen des Urteils rechtlich und tatsächlich selbstständig überprüft und beurteilt werden kann.

Die dem Angeklagten gewährte Strafaussetzung zur Bewährung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand:

„1. Dem Tatrichter kommt bei der nach § 56 Abs. 1 StGB vorzunehmenden Legal- und Sozialprognose ein weiter Beurteilungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Das Revisionsgericht kann nur in den Ausnahmefällen eingreifen, in denen das angegriffene Urteil die Mindestanforderungen an die Begründung unterschreitet. Diese Grenzziehung ist allerdings nicht abstrakt zu bestimmen, sondern abhängig vom konkreten Einzelfall.

Bei einem, wie hier, schon vielfach vorbestraften Täter, der die Tat während zweier laufender Bewährungen begangen hat, bestehen besonders hohe Anforderungen an die Begründungstiefe der Prognoseentscheidung. Denn bereits die zweite Bewährung hat nach ständiger Rechtsprechung des Senats absoluten Ausnahmecharakter (Senatsbeschluss vom 6.6.2019, Az. 203 StRR 799/19). Das Tatgericht hat in diesen Fällen die außergewöhnlichen Umstände darzulegen, die es erwarten lassen, dass sich der Angeklagte, trotz zweifachen Bewährungsversagens in Zukunft straffrei führen wird. Der Tatrichter muss sich dabei mit der Tat und den Vortaten dezidiert auseinandersetzen. Die Vorverurteilungen sind nicht nur zu benennen, sondern es sind die diesen Urteilen zugrundeliegenden Sachverhalte so mitzuteilen, dass das Revisionsgericht sie seiner Bewertung zugrunde legen kann (BayObLG Urt. v. 8.11.2019, Az. 207 StRR 1863/19; OLG Köln Beschluss v. 24.5.2016 Az. 1 RVs 83/16 – juris).
Weiter hat das Tatgericht sich mit der – nachträglich betrachtet – falschen Sozialprognose der Vorverurteilungen auseinanderzusetzen und die gegenwärtigen Lebensverhältnisse des Angeklagten substantiell mitzuteilen, um sodann in einer plausiblen Begründung darzulegen, auf welche konkret zu benennende geänderte Umstände sich die Erwartung künftig straffreien Lebens stützt (vgl. KG, Urt. v. 26.02.2020 – 3 Ss 11/20 – juris). Trotz der zunächst gegebenen Bewertungsprärogative des Tatrichters, der sich aufgrund mündlicher Verhandlung – anders als das Revisionsgericht – einen persönlichen Eindruck über die aktuelle Lebenssituation des Angeklagten verschaffen kann, genügen in Fällen mehrfachen Bewährungsversagens die schlichten Angaben des Angeklagten hierzu nicht. Das Tatgericht ist gehalten, sich durch Anhörung etwa des Bewährungshelfers oder von Zeugen aus dem persönlichen Umfeld des Angeklagten eine Tatsachenplattform zu verschaffen, die geeignet ist, eine belastbare Prognoseentscheidung zu tragen. Diese in der Hauptverhandlung erhobenen Fakten sind in den Urteilsgründen umso detaillierter mitzuteilen, je außergewöhnlicher die Bewährungsentscheidung ist.

2. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es teilt lediglich den Inhalt der Eintragungen im Bundeszentralregister mit, nicht aber die den Vorstrafen zugrunde liegenden Sachverhalte.

Ausweislich der Urteilsgründe weist der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten insgesamt 18 strafrechtliche Vorbelastungen auf. Zum Tatzeitpunkt stand der Angeklagte unter Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Regensburg vom 24.2.2015 (Freiheitsstrafe von 5 Monaten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs) und aus dem Urteil des Amtsgerichts Regensburg vom 10.7.2018 (Freiheitsstrafe von 8 Monaten wegen vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis u.a. unter Einbeziehung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von 5 Monaten wegen Erschleichens von Leistungen durch das Amtsgericht Landshut vom 8.2.2018). Die Bewährungszeit aus dem Urteil des Amtsgerichts Regensburg vom 24.2.2015 wurde wegen weiterer Verurteilungen zu Geldstrafen (Urteile des Amtsgerichts Landshut vom 9.5.2016 und Amtsgerichts Traunstein vom 12.5.2016) sowie der Verurteilung durch das Amtsgericht Regensburg vom 10.7.2018 zwei Mal verlängert bis zuletzt 1.6.2021.
Eine Mitteilung der Sachverhalte der genannten Entscheidungen war schon deswegen unabdingbar, damit der Senat nachvollziehen kann, warum das Amtsgericht bewährungsfreundlich berücksichtigt hat, dass „der Angeklagte nicht wegen Diebstahls unter Bewährung stand, sondern die letzten Vorverurteilungen aus dem Bereich der Fortbewegung stammen“ (UA S. 7 am Ende). Dabei hat das Amtsgericht ausgeblendet, dass ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs die beiden Verurteilungen zu Geldstrafen vom 9.5.2016 und 12.5.2016 (BZRA Nr. 15 und 16) Vermögensdelikte betrafen, die in die Bewährungszeit aus dem Urteil vom 24.2.20215 fielen. Auch der Verlauf der vorangegangenen Bewährungen mit den gegebenenfalls erteilten Weisungen zur Alkoholabstinenz oder zu einer Betäubungsmittelproblematik (vgl. UA S. 7) hätte mitgeteilt werden müssen. Ungeklärt bleibt weiter, auf welcher Grundlage und vor welchem Hintergrund die im Urteil angesprochene Suchtentwöhnungstherapie durchgeführt wurde und welche Fakten der Bewährungshelfer in der Hauptverhandlung mitgeteilt und ob und gegebenenfalls welche bewertende Stellungnahme er abgegeben hat. Auch die schlichte Feststellung in den Urteilsgründen, der Angeklagte sei „nach der Therapie wieder familiär eng eingebunden“ ist bei einem mehrfachen Bewährungsversager nicht geeignet eine revisionsrechtlich nachvollziehbare Prognoseentscheidung zu tragen. Schließlich bildet eine Erklärung des Angeklagten, sich um weitere Stabilisierungsmöglichkeiten zu bemühen, Termine bei einer Suchtberatungsstelle vereinbaren zu wollen und die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe zu planen keine tragfähige Grundlage für eine dritte positive Bewährungsprognose.“