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OWi I: Halter nicht automatisch Parkverstoßtäter, oder: Das ist keine „Revolution“, sondern h.M.

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Heute dann noch einmal OWi-Entscheidungen. Grund ist der BVerfG, Beschl. v. 17.05.2024 – 2 BvR 1457/23 -, der seit gestern ja über die Ticker läuft und heute dann auch in der Tagespresse angekommen ist.

Folgender, alltäglicher, Sachverhalt: Gegen den Betroffenen wird wegen eines Parkverstoßes eine Geldbuße in Höhe von 30 EUR festgesetzt. Der Betroffene legt Einspruch ein.  In der darauf stattfindenden Hauptverhandlung schweigt der Betroffene. Das AG verurteilt ihn. Im Urteil wird ausgeführt, der Betroffene habe geschwiegen. Die Feststellungen zur Person basierten auf den Angaben im Bußgeldbescheid, die der Betroffene bestätigt habe, und auf der verlesenen Auskunft des Fahreignungsregisters. Die Feststellungen zur Sache beruhten auf den verlesenen Angaben im Bußgeldbescheid, den Lichtbildern sowie dem Umstand, dass der Beschwerdeführer Halter des in Rede stehenden Fahrzeugs sei.

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, der damit begründet worden ist, dass der Rückschluss auf den Betroffenen als Nutzer des Fahrzeugs allein aus der Haltereigenschaft fehlerhaft sei, hat das OLG Köln mit Beschl. v. 12.9.2023 – III-1 ORbs 292/23 – als unbegründet verworfen. Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, die Erfolg hatte:

„1. Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot.

a) Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den konkreten Fall sind zwar Sache der dafür zuständigen Gerichte und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen; ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt jedoch unter anderem unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; stRspr). Ein solcher Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung Fehler enthält, sondern erst dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Von einer willkürlichen Missdeutung kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 74, 102 <127>; 83, 82 <84>; 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>; stRspr). Dieser Maßstab gilt auch für die verfassungsrechtliche Überprüfung der von den Fachgerichten vorgenommenen Beweiswürdigung und der von ihnen getroffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. BVerfGE 4, 294 <297>; 96, 189 <203>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. März 2023 – 1 BvR 1620/22 -, Rn. 10 m.w.N.).

b) Gemessen daran verstößt das Amtsgericht mit der angegriffenen Entscheidung gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Willkürverbot. Das angegriffene Urteil enthält keinerlei Ansätze sachgerechter Feststellungen und Erwägungen zur Täterschaft des Beschwerdeführers, auf die bei einer Verurteilung nicht verzichtet werden kann.

Nach § 49 Abs. 1 Nr. 13 Variante 3 StVO handelt ordnungswidrig im Sinne des § 24 StVG, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift über Parkscheiben nach § 13 Abs. 1 oder Abs. 2 StVO verstößt. Das Amtsgericht hat seine Feststellungen zur Sache allein auf die verlesenen Angaben im Bußgeldbescheid, auf Lichtbilder des Fahrzeugs sowie auf den Umstand gestützt, dass der Beschwerdeführer der Halter des in Rede stehenden Fahrzeugs sei. Damit hat das Amtsgericht zu dem Verkehrsverstoß, der dem Beschwerdeführer angelastet wird, in seiner Person weder ein aktives Tun noch ein Begehen durch Unterlassen festgestellt. Die Angaben im Bußgeldbescheid – wie auch die Lichtbilder, die allein das Fahrzeug des Beschwerdeführers zeigen – haben bezüglich der Frage, ob der Beschwerdeführer das Fahrzeug bei der bestimmten Fahrt auch tatsächlich geführt hat, keinerlei Aussagekraft. Der Beschwerdeführer hat zu dem ihn betreffenden ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorwurf geschwiegen. Auch aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer Halter des in Rede stehenden Pkws ist, darf bei Fehlen jedes weiteren Beweisanzeichens nicht auf dessen Täterschaft geschlossen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1993 – 2 BvR 843/93 -, juris, Rn. 12; BGHSt 25, 365 <367 ff.>; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 20. November 1973 – 2 Ss OWi 1374/73 -, NJW 1974, S. 249; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Februar 2020 – IV-2 RBs 1/20 -, juris, Rn. 5 ff.; Fromm, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2021, § 61 OWiG Rn. 1; Tiemann, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 261 StPO Rn. 57).“

Angesichts der dargestellten zwischenzeitlich einhelligen Auffassung in Literatur und fachgerichtlicher Rechtsprechung zum unzureichenden Beweiswert der Haltereigenschaft als solcher ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei sachgerechter Verfahrensweise und bei Zugrundelegung sachgerechter Erwägungen zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre.“

Ich kann die Aufregung nicht so ganz verstehen. Die „Bild“ meinte gestern, titeln zu müssen: „Neuer-Richter-Beschluss: Knöllchen-Revolution für alle Autorfahrer“. Geht es noch oder: Kann man mal bitte einen Gang zurückschalten. Denn was ist an dem Beschluss bzw. der Aussage des BVerfG „neu“ und was ist bitte die „Revolution“? „Revolution“ ist „ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Systeme, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt.“ Das sehe ich nun wirklich nicht. Das BVerfG rügt einen Verstoß gegen das Willkürverbot, nämlich das Abweichen von einer h.M., wonach allein die Haltereigenschaft nicht ausreicht, um die Täterschaft zu begründen. Das ist, wie die zitierte Rechtsprechung zeigt, nun wirklich nicht, neu. Also warum die Welle?

Ich kenne genügend andere Stellen, an denen das BVerfG eine „Revolution“ hätte beginnen können. Ich sage nur „Messverfahren“.

 

 

VR II: Urteilsfeststellungen beim Alleinrennen, oder: Wir wollen das Fahrverhalten des Täters kennen

Und im zweiten Posting dann gleich noch einmal etwas vom KG, nämlich der KG, Beschl. v. 01.03.2024 – 3 ORs 16/24 – 161 SRs 4/24 – zu den Urteilsfeststellungen bei „Alleinrennen“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB). Mal wieder.

Das AG hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens „mit fahrlässiger Gefährdung von Leib und Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert“  verurteilt. Zugleich hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperre für die Wiedererteilung von sechs Monaten festgesetzt. Schließlich hat das Amtsgericht auch den bei der Tat verwendeten PKW VW Passat eingezogen.

Das AG hat festgestellt, dass der am 03.02.2023 auf einer Fahrstrecke von etwa zwei km Länge ein sogenanntes Einzelrennen durchgeführt und im Zusammenhang mit einem Spurwechsel einen anderen Verkehrsteilnehmer dazu veranlasst zu haben, bis zum Stillstand abzubremsen.

Die hiergegen gerichtete Sprungrevision des Angeklagten hatte mit der Sachrüge Erfolg. Das KG rügt unzureichende Feststellungen:

„1. Die Feststellungen erweisen nicht, dass der Angeklagte den Grundtatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht hat.

a) Nach dieser Regelung macht sich strafbar, wer sich im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Bei der Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gilt, dass gerade dessen weite Fassung vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) möglichst klar konturierte Feststellungen des für erwiesen erachteten Sachverhalts erfordert (vgl. Senat StraFo 2019, 342 = VRS 135, 267 = NZV 2019, 314 [m. zust. Anm. Quarch]; NJW 2019, 2788 m. Anm. Zopfs; DAR 2020, 149 = NZV 2020, 210; StV 2022, 29 [Volltext bei juris]). Vor dem Hintergrund der weiten gesetzlichen Formulierung dürfen sich Unschärfen bei der Sachverhaltsermittlung nicht einseitig zum Nachteil des Angeklagten auswirken (vgl. Senat StV 2022, 29 [Volltext bei juris]).

b) Die Urteilsfeststellungen leiden, wie dies bei ähnlichen Fallkonstellationen immer wieder vorkommt (vgl. Senat StV 2022, 29 [Volltext bei juris]), daran, dass sie zu weiten Teilen nicht das Fahrverhalten des Angeklagten darstellen, sondern dasjenige des verfolgenden Polizeifahrzeugs. Über dieses soll sich das Rechtsmittelgericht erschließen, welches Fahrverhalten dem Angeklagten zur Last fällt. Bei den Urteilsfeststellungen zu schildern ist aber nicht vorrangig das den Polizeibeamten zur Verfolgung abgenötigte Fahrverhalten, sondern dasjenige des (vorausfahrenden) Täters, welches das Tatgericht nach freier richterlicher Beweiswürdigung für tatbestandsmäßig hält. Hiervon hat sich zuvörderst der Tatrichter selbst ein Bild zu machen, das er im Urteil niederzulegen und dem Revisionsgericht zu vermitteln hat (vgl. Senat StV 2022, 29 [Volltext bei juris]).

Hier heißt es in den Urteilsfeststellungen, der Fahrer des Polizeifahrzeugs habe „stark beschleunigen“ müssen, „um zu dem PKW Passat aufzuholen, wobei der digitale Tachometer des Polizeifahrzeugs 87 km/h anzeigte“. „Trotzdem“, so heißt es weiter, „entfernte sich der PKW immer weiter“ (UA S. 3). Im gleichen Duktus heißt es später, die polizeilichen Zeugen seien dem Angeklagten weiter gefolgt, mit einer „abgelesenen Geschwindigkeit von 95 km/h“ bzw., dass „der Tachometer 85 km/h anzeigte“ (alles UA S. 3). Schließlich heißt es: „Die Polizeibeamten verfolgten den Angeklagten (…) mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h“ (UA S. 4).  All diese Schilderungen betreffen das Fahrverhalten des Polizeifahrzeugs. Ersichtlich soll das Rechtsmittelgericht daraus Schlussfolgerungen in Bezug auf die Fahrweise des Angeklagten und die von diesem erzielte Geschwindigkeit ziehen. Diese Folgerungen auszuformulieren und sie – in der Beweiswürdigung – zu begründen, ist aber die ureigene Aufgabe des Tatgerichts. Wenn es, wie hier, unterschiedliche Möglichkeiten gibt, die Beweise zu würdigen, ist das Revisionsgericht weder befugt noch in der Lage, dies zu tun.

Hier bleibt unklar, welche vom Angeklagten tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit, die sowohl für den äußeren Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB als auch für die subjektiv erforderliche „Höchstgeschwindigkeitserzielungsabsicht“ zentral ist, das Tatgericht für erwiesen erachtet. Die Feststellung, der Tachometer des Polizeifahrzeugs sei digital, sagt nichts darüber aus, ob er geeicht war und ob das Amtsgericht einen Toleranzabzug vorgenommen hat. Dieser hätte bei einem geeichten Geschwindigkeitsmesser geringer ausfallen können als bei einem ungeeichten. Bei letzterem wird – zudem unter jedenfalls in Bezug auf Messstrecke und Abstand im Ansatz standardisierten Bedingungen – von der Rechtsprechung in Bußgeldsachen überwiegend 20% in Abzug gebracht (vgl. Senat DAR 2015, 99).

In diesem Zusammenhang gilt es nicht, einen Rechtssatz mit dem Inhalt zu formulieren, diese Grundsätze seien auf die Feststellung einer Straftat nach § 315d StGB ohne Abweichung zu übertragen. Vielmehr können in Bezug auf Geschwindigkeiten auch valide Schätzungen versierter – ggf. zur Verkehrsüberwachung eingesetzter – polizeilicher Zeugen erwartet werden (vgl. allg. BayObLG NZV 2001, 139; OLG Hamm NZV 1998, 169) und vom Tatgericht in freier richterlicher Beweiswürdigung sogar ohne Abschlag übernommen werden (vgl. Senat StV 2022, 29 [Volltext bei juris]). Aber die Urteilsfeststellungen müssen das Ergebnis dieser Überlegungen in Form der für erwiesen erachteten Geschwindigkeit mitteilen, und im Rahmen der Beweiswürdigung ist klarzustellen, ob ein Toleranzabzug vorgenommen wurde. Unterbleibt dies, bedarf es regelmäßig einer Erklärung.

Nicht bei den Feststellungen, sondern im Rahmen der Beweiswürdigung teilt das Amtsgericht mit, von welcher tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit es ausgeht, nämlich „von bis zu 100 km/h auf einer Strecke von 2 km“ (UA S. 6 u.). Sollte es sich hierbei um eine zusätzliche Urteilsfeststellung handeln, so setzt sie sich in Widerspruch zu den zuvor getroffenen Feststellungen (UA S. 3 – 4), und zudem fehlt ihr eine tragende Beweiswürdigung. Zwar hat einer der polizeilichen Zeugen „von gefahrenen Geschwindigkeiten bis 100 km/h“ gesprochen (UA S. 5). Insoweit fehlt es aber, wie dargelegt, an einer Überprüfung der Validität. Insbesondere wäre mitzuteilen gewesen, ob die Geschwindigkeit mit einem geeichten Tachometer ermittelt und ob ein Toleranzabzug vorgenommen worden ist.“

Auch hier: Immer wieder.

Und bei der Segelanweisung bzw. dem Teil: Wir wollen die Sache nicht wieder sehen, führt das KG aus:

„2. Für den weiteren Verfahrensgang weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Gegen die auf § 315f StGB gestützte Einziehung eines vom Täter bei der Tat geführten PKW ist im Grundsatz nichts zu erinnern. Allerdings wird das Amtsgericht zu beachten haben, dass es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, die im Hinblick auf die Tat und die Persönlichkeit des Täters entsprechend zu begründen ist (vgl. hierzu NK-GVR/Quarch, a.a.O., § 315f StGB Rn. 1). Dies ist hier unterblieben. Das angefochtene Urteil erwähnt lediglich das Baujahr des Fahrzeugs (2011) (UA S. 7).

b) Die Einziehung hat den Charakter einer Nebenstrafe und stellt damit eine Strafzumessungsentscheidung dar. Wird dem Täter auf diese Weise ein Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, so ist dies ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege einer Gesamtbetrachtung der den Täter treffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 2020, 214). Sollte das Amtsgericht erneut zur Einziehung des vom Angeklagten geführten PKW gelangen, so wird es bei der Strafzumessung deutlich zu machen haben, dass es dies als bestimmenden Gesichtspunkt erkannt und berücksichtigt hat.

c) Schließlich ist auch fraglich, ob die bisherigen Feststellungen die Verurteilung wegen der Qualifikation des § 315d Abs. 2 StGB tragen. Die Anforderungen an die hierzu erforderliche konkrete Gefährdung entsprechen denjenigen des § 315b und § 315c StGB (vgl. NK-GVR/Quarch, 3. Aufl., § 315d StGB Rn. 13). Eine konkrete Gefährdung liegt vor, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Notwendig ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, es sei „noch einmal gut gegangen“ (vgl. BGH NStZ 2023, 415).

Die hierzu im Urteil festgestellte Verkehrssituation ist wenig klar. Geschildert wird ein Fahrstreifenwechsel des Angeklagten, in dessen Folge sowohl dieser als auch ein anderer Fahrzeugführer bis zum Stillstand abbremsen mussten. Allerdings erschließt sich der Vorgang nicht gänzlich, zumal die Fahrzeuge des Angeklagten und des anderen Verkehrsteilnehmers offenbar nebeneinander zum Stehen kamen. Das auf diese Weise geschilderte Verkehrsgeschehen ist jedenfalls nicht ohne Weiteres als „Beinaheunfall“ einzustufen, zumal unklar bleibt, ob der andere Fahrer aus einer nicht ganz geringen Geschwindigkeit und zudem stark abbremsen musste. „

VR I: Mal wieder zur Straßenverkehrsgefährdung, oder: Wie oft denn noch der Gefährdungsschaden?

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Heute dann drei OLG-Entscheidungen zu verkehrsrechtlichen Fragen.

Zum Warmwerden hier zunächst der KG, Beschl. v. 12.04.2024 – 3 ORs 31/24 – 161 SRs 21/24 – zu den erforderlichen Urteilsfeststellungen zum Gefährdungsschaden bei § 315c StGB.

Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen wollte der infolge einer Blutalkoholkonzentration von zumindest 0,61 Promille (relativ) fahrunsichere Angeklagte am Tattag ausparken, wobei er gegen einen hinter ihm parkenden PKW stieß. Von der anwesenden Fahrerin dieses Fahrzeugs angesprochen, soll der Angeklagte erwidert haben, sie sei selbst schuld, wenn sie so „bescheuert und so nah“ parke. Hiernach soll der Angeklagte, nunmehr mit bedingtem Schädigungsvorsatz, noch zwei weitere Male gegen das Fahrzeug gefahren sein, ohne dass es durch einen der Anstöße zu einem Schaden gekommen sei. In einer neuen selbstständigen Tat soll der Angeklagte, seine Fahrunsicherheit sorgfaltswidrig missachtend, nach dem Ausparken auf eine mit ihrem Kleinkind auf der Fahrbahn stehende Zeugin zugefahren sein, um diese zu einem ruckartigen Verlassen der Fahrbahn zu veranlassen.

Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat in Bezug auf den Schuldspruch mit der allgemeinen Sachrüge und zudem hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs mit einer ausgeführten Verfahrensrüge Erfolg.

Zum Schuldspruch führt das KG aus:

3. Die allgemeine Sachrüge dringt durch, weil die Feststellungen den zum Fall 1 getroffenen Schuldspruch der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB) nicht tragen. Sie belegen nicht, dass der Angeklagte die Tat vorsätzlich begangen hat (a), und sie zeigen auch nicht auf, dass einer fremden Sache von bedeutendem Wert ein bedeutender Schaden gedroht hat (b).

a) Das Amtsgericht hat den Angeklagten nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB, also wegen alkoholbedingter vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, verurteilt. Nach den Feststellungen hätte der Angeklagte aber seine Fahrunsicherheit „erkennen können und müssen“ (UA S. 3). Dies belegt nur Fahrlässigkeit.

b) § 315c StGB erfordert zum sog. Gefährdungsschaden zwei Prüfschritte, zu denen im Strafurteil in aller Regel Feststellungen zu treffen sind: Zunächst ist zu fragen, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert gehandelt hat, was etwa bei älteren oder bereits vorgeschädigten Fahrzeugen fraglich sein kann. Handelt es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der allein maßgebliche „überschießende“ Gefährdungsschaden. Der Wert der Sache ist hierbei nach dem Verkehrswert und die Höhe des (drohenden) Schadens nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu berechnen (vgl. BGH NStZ 2019, 677 m. w. N.).

Hier ist schon nicht festgestellt, dass es sich bei dem gefährdeten Fahrzeug um einen Gegenstand von bedeutendem Wert gehandelt hat, wobei die Wertgrenze noch immer bei 750 Euro liegen dürfte (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 125; NJW 2017, 743; zuletzt BayObLG, Beschluss vom 27. November 2023 – 203 StRR 381/23 – [juris]). Dass das im Urteil lediglich als PKW Audi bezeichnete Fahrzeug (UA S. 3) überhaupt diesen Wert hatte, mag naheliegen, versteht sich aber nicht von selbst. Selbst wenn man diesen Wert unterstellte, fehlten Ausführungen zum zweiten Prüfschritt, ob dem Fahrzeug nämlich ein bedeutender Schaden gedroht hat. Dies liegt bei dem festgestellten Fahrverhalten keinesfalls nahe: Es ging um einen Ausparkvorgang mit ersichtlich üblich geringer Geschwindigkeit, bei dem trotz dreifachen Anstoßes kein Schaden entstanden ist. Die Feststellungen belegen daher die konkrete Gefährdung nicht.

Auch die Beweiswürdigung und die rechtliche Würdigung enthalten keine Ausführungen dazu, warum das Tatgericht bei dem festgestellten Sachverhalt von einer konkreten Gefährdung und einem drohenden bedeutenden Schaden ausgegangen ist.“

Man fragt sich, wie oft die Obergerichte zu der Frage noch entscheiden müssen. Das, worauf es an der Stelle ankommt, sollte man wissen.

Mit der Verfahrensrüge war eine Verletzung des § 267a Abs. 3 Satz 4 StPO gerügt. Dazu der Leitsatz des KG:

Befassen sich die Urteilsgründe entgegen § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO nicht mit der vom Verteidiger beantragten Möglichkeit der Verwarnung mit Strafvorbehalt, so liegt eine mit der Verfahrensrüge geltend zu machende Verletzung dieser Vorschrift auch dann vor, wenn das sachliche Recht die Prüfung des § 59 StGB keinesfalls nahelegt (Anschluss OLG Hamm Beschlüsse vom 4. September 2008 – 3 Ss 370/08 – und vom 9. November 1985 – 4 Ss 1328/85).

OWI III: Beschluss ohne Gründe im Beschlussverfahren, oder: Nachholung der Begründung

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Und im dritten Posting dann noch etwas Verfahrensrechtliches, nämlich etwas zum Beschlussverfahren (§ 72 OWiG). Entschieden hat das OLG Oldenburg über einen AG-Beschluss im Verfahren nach § 72 OWiG, der keine Gründe hatte. Das OLG hat im OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.11.2023 – 2 ORbs 194/23  – aufgehoben:

„Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 1200,- € verurteilt und ein Fahrverbot für die Dauer von zwei Monat gegen ihn festgesetzt.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Der Beschluss der dem Betroffenen am 29.8.2023 zugestellt worden ist, hat keine Gründe aufgewiesen. Gemäß § 72 Abs. 6 Satz 2 OWiG kann das Amtsgericht nur dann von eigenen Ausführungen in den Gründen seines Beschlusses absehen und auf den Inhalt des Bußgeldbescheides verweisen, wenn gemäß § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG die am Verfahren Beteiligten auf eine Begründung verzichtet haben. Ein solcher Verzicht ist zwar durch den Verteidiger erklärt worden. Allerdings wären die Gründe nach Einlegung der Rechtsbeschwerde gemäß § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG auch in diesem Fall nachzuholen gewesen, was nicht geschehen ist.

Die fehlenden Gründe sind vom Senat bei erhobener Sachrüge zu berücksichtigen; einer Verfahrensrüge bedarf es insoweit nicht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 9.5.2019, 4 RBs 144/19; KG, Beschluss vom 16.1.2019, 3 Ws(B) 312/18; BayObLG, Beschluss vom 25.9.2019, 202 ObOwi 1845/19, jew. juris).

Es fehlt mithin an einer tragfähigen Grundlage, die es dem Rechtsbeschwerdegericht ermöglicht, den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch zu überprüfen, so dass der Beschluss keinen Bestand haben kann. Anders wäre es bei einer hier nicht gegebenen Zulassungsrechtsbeschwerde.“

KCanG II: Neufestsetzung von Strafen nach dem KCanG, oder: Einzel-, Gesamtstrafe, geringerer Strafrahmen

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In der zweiten Entscheidung des Tages nimmt das LG Karlsruhe im LG Karlsruhe, Beschl. v. 15.05.2024 – 20 StVK 228/24 – zur Neufestsetzung von Strafen nach dem KCanG Stellung.

Der Angeklagte ist mit Urteil vom 27.04.2022 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwölf Fällen (Taten Ziffern 1 bis 12), wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Tat Ziffer 13) und wegen unerlaubten Besitzes von 1,6 Gramm Marihuana zum Eigenkonsum in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz eines Schlagrings (Tat Ziffer 14) unter Einbeziehung einer wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden.

Für die Taten Ziffern 1, 3, 4, 8, 10 und 11 setzte das verurteilende AG es jeweils Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr, für die Taten Ziffern 2, 5, 6, 7 und 9 jeweils Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und einem Monat, für die Tat Ziffer 12 eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten und für die Tat Ziffer 13 unter Annahme eines minder schweren Falls eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten fest. Für die Tat Ziffer 14 setzte das Amtsgericht eine Einzelfreiheitsstrafe von drei Monaten, die es dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG entnahm, fest.

Bei der Strafzumessung wertete das verurteilende AG zu Gunsten des Verurteilten dessen weitgehendes bzw. hinsichtlich Tat Ziffer 14 umfassendes Geständnis, dass es sich durchweg um eine sog. weiche Droge gehandelt hatte, dass es sich in den Fällen der Taten Ziffern 1 bis 12 und 14 jeweils um kleine bzw. sehr kleine Mengen gehandelt hatte, dass es in den Fällen der Taten Ziffern 1, 4, 8, 10 und 13 zu einer Übergabe der Drogen jeweils nicht gekommen war und dass im Fall der Tat Ziffer 14 das Marihuana und der Schlagring hatten sichergestellt werden können und der Verurteilte bereitwillig auf den Schlagring verzichtet hatte. Entsprechend gelangte das Amtsgericht zu dem Ergebnis, dass sämtliche Strafen am untersten Rand des jeweils eröffneten Strafrahmens verbleiben könnten. Zulasten des Verurteilten wertete das Amtsgericht hingegen, dass der Verurteilte mit erheblicher krimineller Energie und professionell vorgegangen war, zumal die Tat Ziffer 13, auch wenn das Geschäft letztlich nicht vollzogen worden war, eine große Menge Drogen zum Gegenstand gehabt hatte. Bei der Bildung der Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Vorverurteilung nahm es aufgrund des zeitlichen und situativen Zusammenhangs der Taten einen straffen Zusammenzug vor und erachtete unter Berücksichtigung sämtlicher für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten für tat- und schuldangemessen.

Die Staatsanwaltschaft hat der Strafvollstreckungskammer am 05.04.2024 die Akten vorgelegt mit dem Antrag festzustellen, dass eine Ermäßigung der für die Tat Ziffer 14 verhängten Einzelstrafe nicht geboten sei. Das LG hat die für unter o.a. Ziffer 14 abgeurteilte Tat festgesetzte Einzelstrafe neu auf eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen und die Höhe des einzelnen Tagessatzes auf einen Euro festzusetzen festgesetzt (siehe dazu 1.). Zugleich hat es  ausgesprochen, dass es trotz Neufestsetzung der Einzelstrafe im Ergebnis bei der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verbleibt (dazu 2.):

„1. Wurde die verurteilte Person vor In-Kraft-Treten des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) am 01.04.2024 wegen einer Handlung verurteilt, die – neben einer anderen Strafvorschrift – zugleich auch eine nach In-Kraft-Treten des KCanG nicht mehr anwendbare Vorschrift des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) verletzt hat – Art. 313 Abs. 3. S. 1 EGStGB verweist auf § 73 Abs. 2 StGB in der bis zum 01.01.1975 geltenden Fassung, der Gesetzgeber hatte jedoch bei Erlass des KCanG § 52 StGB in der aktuell geltenden Fassung im Blick (siehe BT-Drs- 20/8704, S. 155) -, und wurde die Strafe der nicht mehr anwendbaren Vorschrift des BtMG entnommen, setzt das Gericht nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB die auf die andere Gesetzesverletzung entfallende Strafe neu fest.

a) Der Besitz der 1,6 Gramm Marihuana zum Eigenkonsum war zum Zeitpunkt des Urteils noch nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG strafbar. Seit In-Kraft-Treten des KCanG am 01.04.2024 ist der bloße Besitz einer solchen Menge zum Eigenkonsum nach §§ 2 Abs. 3 Nr. 2, 3 KCanG von dem in § 2 Abs. 1 Nr. 1 KCanG verankerten grundsätzlichen Verbot des Besitzes von Cannabis ausgenommen und entsprechend nicht nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG, mithin nicht mehr strafbar.

b) Soweit der Verurteilte durch die Tat Ziffer 14 zugleich auch die Vorschrift des §§ 52 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. 2 Abs. 3 WaffG i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 1 Ziff. 1.3.2 verletzt hat, war – entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft – die für diese Tat zu verhängende Einzelstrafe neu festzusetzen. Verringert sich der Schuldumfang, weil etwa wie vorliegend eine tateinheitlich begangene Tat nicht mehr strafbar ist, führt dies zwar nicht zwingend zur Herabsetzung der für die strafbare Handlung verhängten Strafe (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 331 Rn. 11 m.w.N.). Maßgeblich für die Erforderlichkeit, die Einzelstrafe neu festzusetzen, waren jedoch folgende Erwägungen:

Während § 29 Abs. 1 BtMG Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre oder Geldstrafe vorsieht, sieht § 52 Abs. 3 WaffG lediglich Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Infolge des Wegfalls der Strafbarkeit des Besitzes des Marihuanas zum Eigenkonsum erschöpft sich der Schuldgehalt der Tat im unerlaubten Besitz des Schlagrings. Die Tat ist unter Berücksichtigung ihres jetzt geringeren Schuldgehalts in den nunmehr anzuwendenden, im Vergleich zu demjenigen des § 29 Abs. 1 BtMG milderen Strafrahmen des § 52 Abs. 3 WaffG einzuordnen. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe von (weiterhin) drei Monaten erscheint vor diesem Hintergrund weder tat- noch schuldangemessen.

c) Bei der Neufestsetzung der nunmehr dem Strafrahmen des § 52 Abs. 3 WaffG zu entnehmenden, für die Tat Ziffer 14 zu verhängenden Strafe hat die Kammer sämtliche vom Amtsgericht bei der Strafzumessung berücksichtigten, für und gegen den Verurteilten sprechenden Umstände ebenfalls berücksichtigt. Insoweit hat sie insbesondere auch berücksichtigt, dass der Verurteilte die Tat vor dem Amtsgericht vollumfänglich eingeräumt und bereitwillig auf den sichergestellten Schlagring verzichtet hatte.

Unter Abwägung sämtlicher für die Strafzumessung bedeutsamer Umstände erschien es der Kammer tat- und schuldangemessen, die für die Tat Ziffer 14 zu verhängende Einzelstrafe mit zwei Monaten Freiheitsstrafe zu bemessen. Nach § 47 Abs. 2 S. 2 HS. 2 StGB war dementsprechend eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen festzusetzen.

Die Verhängung einer Freiheitsstrafe nach § 47 Abs. 1 StGB war demgegenüber nicht geboten. Nach dieser Vorschrift verhängt das Gericht eine Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Besondere Umstände sind solche, die die Tat oder die Täterpersönlichkeit aus dem Durchschnitt sämtlicher ab- bzw. zu beurteilender Fälle herausheben (Fischer, StGB, 71. Auflage 2024, § 47 Rn. 6). Die Unverzichtbarkeit der Verhängung einer Freiheitsstrafe liegt umso ferner, je geringfügiger die konkrete Tatschuld ist (OLG Hamburg, StraFo 2006, 465 [465]; OLG Naumburg, Beschl. v. 11.06.2008 – 2 Ss 484/07 –, juris Rn. 3; vgl. auch KG Berlin, Beschl. v. 31.05.2006 – (5) 1 Ss 68/06 (8/06) –, juris Rn. 4 und OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 73 [73]). Die gleichzeitige Verurteilung zu einer hohen Freiheitsstrafe macht die Erörterung nicht entbehrlich; die Prüfung ist vielmehr für jede einzelne Tat vorzunehmen (BGH, Beschl. v. 03.05.2023 – 6 StR 161/23 –, juris Rn. 11 m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben liegen weder in der Person des Verurteilten noch in der Tat solche Umstände vor, die die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Verurteilten oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Mag es sich vor dem Entfallen der Strafbarkeit des Besitzes des Marihuanas in Ansehung der übrigen abgeurteilten Taten noch um eine Tat gehandelt haben, die Teil einer Tatserie war und die – wie vom Amtsgericht letztlich vorgenommen – die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe nahelegte (vgl. BGH, NJW 2009, 1979 [1984]), ist dies nach dem Entfallen der Strafbarkeit des Besitzes des Marihuanas jedenfalls nicht mehr der Fall. Sämtliche übrigen abgeurteilten Taten hatten ein Handeltreiben mit Cannabis zum Gegenstand. Tat Ziffer 14 hat hingegen – zum jetzigen Zeitpunkt – alleine einen Verstoß gegen das Waffengesetz, mithin einen gänzlich anderen Deliktsbereich zum Gegenstand. Abgesehen davon, dass der Schuldgehalt des bloßen Besitzes des Schlagrings gering ist, wurde der Schlagring sichergestellt und der Verurteilte hat auf ihn verzichtet, sodass insoweit durch den Schlagring und den Verurteilten für die Allgemeinheit keine weitere Gefahr ausgeht. Aber auch sonst liegen in der Person des Verurteilten keine besonderen Umstände vor, die es gebieten, die Tat mit einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe zu ahnden. Zwar war der Verurteilte vor dem Urteil des Amtsgerichts vom 27.04.2022 schon wegen eines Raubes, mithin wegen einer gewichtigen Straftat verurteilt worden. Der Raub ereignete sich indes am 02.09.2020, mithin innerhalb des Zeitraums, in dem der Verurteilte die Taten beging, die mit dem Urteil vom 27.04.2022 abgeurteilt wurden. Bei Begehung sämtlicher Taten, derer wegen der Verurteilte bislang verurteilt wurde, war er jeweils noch nicht vorbestraft.

d) Die Höhe des einzelnen Tagessatzes, die auch dann festzusetzen ist, wenn die Einzelstrafe – wie hier – in eine Gesamt(freiheits)strafe einbezogen wird (BGH, NStZ-RR 2014, 208 [209] m.w.N.), hat die Kammer unter Berücksichtigung der gegenwärtigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten auf die Mindesthöhe von einem Euro (vgl. § 40 Abs. 2 S. 4 StGB) festgesetzt. Maßgeblich sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (BGH, NJW 1979, 2523 [2523]). Der Verurteilte ist gegenwärtig inhaftiert. Strafgefangene sind in aller Regel nur in geringem Umfang leistungsfähig (vgl. zu § 52 GKG: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.05.2018 – 2 Ws 112/18 –, juris Rn. 17), sodass, sofern der Verurteilte ein solches in Haft überhaupt erzielt, allenfalls ein geringfügiges Nettoeinkommen (vgl. § 40 Abs. 2 S. 2 StGB) erzielt.

e) Demgegenüber kommt eine Ermäßigung der für die Taten Ziffern 1 bis 12 verhängten Einzelstrafen vor dem Hintergrund, dass das Amtsgericht sie der seinerzeit noch anwendbaren Vorschrift des § 29 Abs. 3 BtMG entnommen hat, die für das gewerbsmäßige unerlaubte Handeltreiben mit Cannabis Freiheitsstrafe von einem bis zu 15 Jahren vorsah, wohingegen § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1 und 2 Nr. 1 KCanG nunmehr lediglich noch Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht – § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1 und 2 Nr. 4 KCanG sieht hinsichtlich des unerlaubten Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge entsprechend dem vom Amtsgericht angenommenen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 3 BtMG ebenfalls Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor, wobei es nach der Neuregelung keinen minder schweren Fall mehr gibt -, nicht in Betracht.

Die abschließenden Regelungen der Art. 316p i.V.m. 313 EGStGB eröffnen lediglich die Möglichkeit, eine Strafe zu erlassen oder zu ermäßigen, wenn die Strafbarkeit einer Handlung infolge des In-Kraft-Tretens des KCanG nachträglich zumindest teilweise entfallen ist. Die Möglichkeit, eine Strafe alleine aufgrund einer Abmilderung der Strafrahmens herabzusetzen, während das geahndete Verhalten auch nach dem KCanG weiterhin unter Strafe gestellt ist, eröffnen die Regelungen hingegen nicht. Zwar hat der Gesetzgeber die Strafrahmen für Cannabis aufgrund einer neuen Risikobewertung des Umgangs mit Cannabis im Vergleich zum Strafrahmenregime des BtMG bewusst herabgesetzt (BT-Drs. 20/8704, S. 74), sich insbesondere bewusst dagegen entschieden, die Strafrahmen des BtMG eins zu eins ins KCanG zu übernehmen (BT-Drs. 20/8704, S. 130). Diese Überlegungen haben jedoch weder in Art. 316p EGStGB noch in Art. 313 EGStGB, an die die Gerichte und somit auch die Kammer nach Art. 20 Abs. 3 GG gebunden sind, Niederschlag gefunden.

Insoweit vermag die Kammer auch auszuschließen, dass es sich hierbei um ein Versehen des Gesetzgebers, mithin um eine planwidrige Regelungslücke handelt. Neben der Entkriminalisierung des Besitzes bestimmter Mengen Cannabis zum Eigenkonsum verfolgt der Gesetzgeber mit dem KCanG das Ziel, dem Gesundheits-, Kinder- und Jugendschutz Rechnung zu tragen und den illegalen Markt für Cannabis einzudämmen (BT-Drs. 20/8704, S. 69f.). Während der Besitz von Cannabis unter Geltung des BtMG schlechthin verboten und unter Strafe gestellt war, unter Geltung des KCanG jedoch nur noch außerhalb der durch §§ 2 Abs. 3 Nr. 2, 3 KCanG gezogenen Grenzen untersagt und nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG nur noch ab bestimmten Mengen unter Strafe gestellt ist, ist das Handeltreiben mit Cannabis – der gesetzgeberischen Intention konsequent folgend – nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG weiterhin ausnahmslos untersagt und in § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG weiterhin ausnahmslos unter Strafe gestellt. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch solche Täter nachträglich privilegieren wollte, die wegen Verhaltensweisen nach dem BtMG verurteilt wurden, die er auch unter Geltung des KCanG weiterhin ausnahmslos für strafwürdig erachtet.

2. Trotz Neufestsetzung der Einzelstrafe für Ziffer 14 auf eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen verblieb es bei der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten.

a) Enthält eine Gesamtstrafe eine Einzelstrafe im Sinne der Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 1 S. 1 EGStGB, mithin eine solche Einzelstrafe, die für eine nach In-Kraft-Treten des KCanG nicht mehr strafbare Tat verhängt wurde und deshalb zu erlassen ist, sowie weitere Einzelstrafen, die nicht zu erlassen sind, ist nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB eine neue Gesamtstrafe festzusetzen. Geht man strikt nach dem Wortlaut von Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB, der ausdrücklich auf Art. 313 Abs. 1 S. 1 EGStGB verweist, nicht jedoch auch auf Art. 313 Abs. 3 EGStGB, wäre im vorliegenden Fall nicht über die Bildung einer neuen Gesamtstrafe zu befinden, da die unter Ziffer 14 abgeurteilte Tat weiterhin strafbar ist und lediglich die für sie verhängte Strafe nach Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB neu festgesetzt, die Strafe jedoch nicht insgesamt erlassen wurde.

Indes hat der Gesetzgeber in Art. 316p EGStGB bestimmt, dass Art. 313 EGStB „entsprechende“ Anwendung findet in Fällen, in denen vor dem In-Kraft-Treten des KCanG Strafen für solche Handlungen nach dem BtMG verhängt wurden, die nach dem KCanG „nicht mehr strafbar“ sind. Die Vorschrift ist im Lichte des KCanG und dem mit ihm durch den Gesetzgeber verfolgten Zweck auszulegen, der unter anderem darin liegt, den Besitz bestimmter Mengen Cannabis zum Eigenkonsum zu entkriminalisieren (BT-Drs. 20/8704, S. 69f.). Entsprechend soll Art. 316p EGStGB und über ihn Art. 313 EGStGB in entsprechender Anwendung die Möglichkeit eröffnen, solche Strafen zu erlassen oder zu ermäßigen, die für Handlungen verhängt wurden, die nach dem BtMG noch strafbar waren, es unter Geltung des KCanG jedoch nicht mehr sind. Es würde dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck zuwiderlaufen, wenn Art. 316p EGStGB zwar die Möglichkeit eröffnete – wie hier – bei tateinheitlicher Tatbegehung nach Art. 313 Abs. 3 EGStGB eine Einzelstrafe zu ermäßigen, dem Gericht jedoch die Möglichkeit verwehrt bliebe nach Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB darüber zu befinden, ob sich die Neufestsetzung einer (niedrigeren) Einzelstrafe auch auf eine verhängte Gesamtstrafe, in die diese Einzelstrafe einbezogen ist, auswirkt. Diese Fallgestaltung hatte der Gesetzgeber bei Schaffung des Art. 316p EGStGB offenkundig nicht im Blick, sodass insoweit eine Regelungslücke besteht, von der mit Blick auf die gesetzgeberische Intention anzunehmen ist, dass diese planwidrig ist. Die Interessenlage ist dabei vergleichbar mit derjenigen in den von Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB nach dessen Wortlaut erfassten Fällen: Wenn und soweit sich das Entfallen der Strafbarkeit des Besitzes von Cannabis auf eine Gesamtstrafe auswirken kann, soll dem Gericht die Möglichkeit eröffnet sein, die Gesamtstrafe neu festzusetzen. Somit liegen insgesamt die Voraussetzung für eine analoge Anwendung der Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStB dahingehend vor, dass eine Gesamtstrafe auch dann neu festzusetzen ist, wenn eine solche eine Einzelstrafe enthält, die nach Art. Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 3 EGStB ermäßigt oder neu festgesetzt wurde.

b) Im Ergebnis führt die Neufestsetzung der Einzelstrafe für Tat Ziffer 14 jedoch nicht zu der Festsetzung einer geringeren Gesamtfreiheitsstrafe als diejenige, die das Amtsgericht S. ausgesprochen hat.

Die Kammer hat bei der von ihr zu treffenden Entscheidung sämtliche für die Strafzumessung bedeutsamen, für und gegen den Verurteilten sprechenden Umstände, die schon das Amtsgericht seinerzeit berücksichtigt hat, berücksichtigt und abgewogen. Unter maßvoller Erhöhung der Einsatzstrafe von einem Jahr und drei Monaten erschien der Kammer eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten als tat-, persönlichkeits- und schuldangemessen.

Hierbei hat die Kammer auch berücksichtigt, dass im Falle tatmehrheitlicher Verurteilung der Wegfall – und erst recht nicht die erfolgte Reduzierung – einer Einzelstrafe nicht ohne Weiteres zu einer Herabsetzung einer Gesamtstrafe zwingt (OLG Hamm, Beschl. v. 17.12.2018 – III-1 RVs 78/18 –, juris Rn. 5). Das Amtsgericht hat für die abgeurteilten Taten Ziffern 1 bis 13 jeweils Einzelfreiheitsstrafen zwischen einem Jahr und einem Jahr und drei Monaten verhängt. Auch die einbezogene, unter anderem wegen Raubes verhängte Einzelfreiheitsstrafe betrug ein Jahr und drei Monate. Die von der Kammer für die Tat Ziffer 14 neu auf eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen festgesetzte Einzelstrafe, die das Amtsgericht schon mit „nur“ drei Monaten bemessen hatte, weicht von den übrigen verhängten Einzelstrafen deutlich nach unten ab. Auch unter Berücksichtigung des straffen Zusammenzugs der einzelnen Strafen, der aufgrund des engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs sämtlicher Taten geboten ist, fällt die Reduzierung der für die Tat Ziffer 14 verhängten Strafe in Ansehung der übrigen Einzelstrafen nicht derart ins Gewicht, dass sie zu der Festsetzung einer niedrigeren Gesamtfreiheitsstrafe führt.“