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In der zweiten Entscheidung, dem BayObLG, Beschl. v. 31.05.2023 – 207 StRR 294/22 – geht es nicht um eine materiellen Frage, sondern um die Frage nach dem erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen.
Das AG hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung („Gebrauchen einer unechten Urkunde“) verurteilt Nach den dort getroffenen Feststellungen habe der Angeklagte am 26.10.2021 in einer Apotheke einen, wie er wusste, manipulierten Impfpass vorgelegt, aus welchem hervorging, dass er vollständig gegen das SARS-COV2-Virus geimpft sei. Tatsächlich sei der Angeklagte, wie er wusste, nicht mit den angegebenen Impfstoffen geimpft gewesen. Durch die Vorlage habe er ein digitales Impfzertifikat erhalten wollen. In den Urteilsgründen ist weiter ausgeführt, dass der Impfpass mit enthaltenem Stempel der Arztpraxis und Unterschrift zusammen mit den eingeklebten C.-Aufklebern eine unechte (zusammengesetzte) Urkunde darstelle, die der Angeklagte durch deren Vorlage in der Apotheke auch gebraucht habe.
Gegen die Verurteilung hat der Angeklagte (Sprung-)Revision eingelegt, u. a. mit dem Ziel des Freispruchs. Das BayObLG hat wegen nicht ausreichender Feststellungen aufgehoben:
„1. Das zulässige Rechtsmittel hat einen mindestens vorläufigen Erfolg, weil die getroffenen Feststellungen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Urkundenfälschung nach § 267 StGB entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft nicht tragen (§ 349 Abs. 4 StPO).
a) Zwar wurde die Anwendung des 267 StGB zur Tatzeit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht durch §§ 277, 279 StGB a. F. gesperrt (BGH, Urteil vom 10.11.2022, 5 StR 283/22, BeckRS 2022, 31209, dort Rdn. 34 ff.).
b) Das Urteil leidet jedoch an durchgreifenden Darstellungsmängeln, weil die Feststellungen des Amtsgerichts lückenhaft und unklar sind und damit dem Senat bereits nicht die revisionsgerichtliche Überprüfung ermöglichen, ob der Angeklagte – wie vom Amtsgericht angenommen – den Tatbestand der Urkundenfälschung in der Tatmodalität des Gebrauchmachens von einer unechten oder verfälschten Urkunde i.S.v. 267 Abs. 1 3. Alt. StGB erfüllt hat (vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt BayObLG, Beschluss vom 22.07.2022, 202 StRR 71/22, zitiert nach juris, m. w. N.).
aa) Nach 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen, mitteilen, in dem die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies muss in einer geschlossenen Darstellung aller äußeren und jeweils im Zusammenhang damit auch der dazugehörigen inneren Tatsachen in so vollständiger Weise geschehen, dass in den konkret angeführten Tatsachen der gesetzliche Tatbestand erkannt werden kann; denn nur dann kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge prüfen, ob bei der rechtlichen Würdigung eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, vgl. zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 08.03.2022, 1 StR 483/21, zitiert nach juris, dort Rdn. 6).
bb) Die Urteilsfeststellungen des Amtsgerichts belegen bereits nicht, ob es sich bei dem gegenständlichen Impfpass überhaupt um eine Urkunde im Sinne des 267 Abs. 1 StGB handelte. Eine Urkunde setzt das Vorhandensein einer verkörperten Gedankenerklärung voraus, die zum Beweis bestimmt und geeignet ist und einen Aussteller erkennen lässt (vgl. Fischer, StGB, 70. Aufl., § 267 Rdn. 3 m. w. N.). Keines dieser Merkmale kann den Urteilsgründen zuverlässig entnommen werden. Der Impfpass und die Eintragungen darin werden anlässlich der Feststellung des strafbaren Sachverhalts überhaupt nicht und auch später nur unzureichend beschrieben. Das tatrichterliche Urteil stellt nicht fest, welchen Inhalt die offenbar in den Impfausweis eingeklebten Impfnachweise im Einzelnen hatten und wer im Zusammenhang mit der angeblichen Impfung der Aussteller der Impfbescheinigung ist.
cc) Es kann nach diesen Feststellungen auch nicht beurteilt werden, ob der Angeklagte mit der Vorlage des Impfpasses von einer unechten oder verfälschten Urkunde Gebrauch gemacht hat.
Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der in ihr als Aussteller bezeichnet ist. Entscheidendes Kriterium für die Unechtheit ist die Identitätstäuschung: Über die Person des wirklichen Ausstellers wird ein Irrtum erregt; der rechtsgeschäftliche Verkehr wird auf einen Aussteller hingewiesen, der in Wirklichkeit nicht hinter der in der Urkunde verkörperten Erklärung steht. Nicht tatbestandsmäßig ist dagegen die Namenstäuschung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Aussteller nur über seinen Namen täuscht, nicht aber über seine Identität (BGH, Beschluss vom 19.11.2020, 2 StR 358/20, zitiert nach juris, dort Rdn. 18). Nachdem das Amtsgericht aber schon nicht mitteilt, wer nach den Eintragungen im Impfpass der Aussteller ist, unterbleiben auch die gebotenen Feststellungen dazu, ob nicht gegebenenfalls die Urkunde von dem Aussteller, sollte ein solcher ersichtlich sein, tatsächlich erstellt wurde. Eine Beweiswürdigung zu dieser für die rechtliche Einstufung der Urkunde als unecht maßgeblichen Frage findet schon gar nicht statt. Denn sollte ein aus dem Impfpass ersichtlicher Aussteller die Eintragung vorgenommen haben, würde es sich um eine echte Urkunde handeln, deren Gebrauch nicht nach § 267 Abs. 1 3. Alt. StGB strafbar wäre. Auch ist auf dieser Grundlage nicht ausgeschlossen, dass nur eine (nicht strafbare) „schriftliche Lüge“ vorliegt (vgl. zu solchen Konstellationen Senat, Beschluss vom 22.05.2023, 207 StRR 239/22).
Den Ausführungen des Amtsgerichts kann schließlich auch nicht sicher entnommen werden, ob eine unechte Urkunde vorlag oder es sich um eine Verfälschung einer ursprünglich echten Urkunde handelte. Eine Verfälschung liegt in der inhaltlichen Veränderung der gedanklichen Erklärung einer ursprünglich echten Urkunde (vgl. BGH, Beschluss vom 21.09.1999, 4 StR 71/99, zitiert nach juris, dort Rdn. 19), was nur dann der Fall sein kann, wenn die Urkunde von dem aus ihr hervorgehenden Aussteller stammte; eine solche käme etwa in Betracht, wenn in einen „echten“ Impfpass zusätzliche Impfungen eingetragen werden.“