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OWi I: Umfang der Feststellungen beim Rotlichtverstoß, oder: Umfangreich beim qualifizierten Verstoß

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Nachdem am 24.05.2024 nun Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, erschienen ist (vgl. hier: News: Handbuch für das OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, oder: Am 24.05.2024 (endlich) erschienen) gibt es passend zu dem „Ereignis“ hier heute OWi-Entscheidungen. Ein paar haben sich inzwischen mal wieder angesammelt.

Ich beginne den Reigen mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.05.2024 – 3 ORbs 330 SsBs 218/24 -, der noch einmal in Erinnerung ruft, welche tatsächlichen Feststellungen das AG bei einem qualifizierten Rotlichverstoß treffen muss. Hier haben dem OLG die vom AG getroffenen Feststellungen nicht gereicht:

„Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und im Ubrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils und die ihnen zugrundeliegende Beweiswürdigung sind unzureichend. Sie tragen schon den Schuldspruch wegen eines Rotlicht-verstoßes nicht.

Bei einer Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes nach § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO müssen die Urteilsgründe zunächst Feststellungen darüber enthalten, an welcher konkreten Wechsellichtzeichenanlage sich der Verstoß ereignet hat, wie dieser Bereich verkehrstechnisch gestaltet ist (Fußgängerüberweg, Kreuzungs- oder Einmündungsbereich, Anzahl und ggf. nähere Ausgestaltung der Fahrstreifen) und welchen Verkehrsbereich die Anlage schützt (Fußgängerfurt und/oder Kreuzungsbereich mit Querverkehr), ebenso ob der Betroffene überhaupt in den geschützten Bereich (Fahrstreifen und Fahrtrichtung des Betroffenen) eingefahren ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juli 2020 – IV-4 RBs 46/20 -, juris, Rn. 13). Für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO müssen beim Einsatz eines standardisierten Messverfahrens – ein solches ist auch das im vorliegenden Fall eingesetzte Verfahren Traffiphot III (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 19. Oktober 2009 – 2 SsBs 38/09 -, Rn. 5, juris) – zudem der konkret verwendete Gerätetyp und das gewonnene Messergebnis sowie ein etwa zu beachtender Toleranzwert angegeben werden (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Februar 2022 – 1 Rb 34 Ss 9/22 -, Rn. 17, juris). Daneben müssen zumindest die wesentlichen Anknüpfungstatsachen, wie Abstand zwischen Haltelinie und der Induktionsschleifen sowie die Rotlichtzeiten bei Überfahren der Induktionsschleifen angegeben werden, denn ohne diese Darlegungen lässt sich für das Rechtsbeschwerdegericht die Berechnung der Rotlichtdauer beim Überfahren der Haltelinie nicht nachvollziehen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Februar 2022, aaO, Rn 13). Etwas Anderes gilt lediglich für den Fall, dass die Induktionsschleife in der Haltelinie selbst angebracht wäre. Dann wären Messzeit und der Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie identisch. Aber auch in diesem Falle wäre der Tatrichter gehalten, sowohl die Messzeit als auch den Lageort der Induktionsschleife im Urteil darzulegen (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 2. April 2014 – 1 Ss OWi 59/14 -, Rn. 5, juris).

Gemessen hieran wird durch die Gesamtheit der Urteilsgründe (UA S. 3 unten) und die zulässige Verweisung auf die Skizze AS. 59 die Tatörtlichkeit hinsichtlich der Wechsellichtzeichenanlage und der verkehrstechnischen Gestaltung des geschützten Verkehrsbereiches hinreichend konkret beschrieben.

Allerdings enthalten die Urteilsgründe keine Erörterungen über die Lage der Haltelinie und der Induktionsschleife. Auch aus den Lichtbildern AS. 13 und der Skizze des Ampelschaltplans, auf die im Urteil Bezug genommen wird, ergeben sich diese Umstände nicht.

Ohne diese erforderlichen Feststellungen lässt sich für das Rechtsbeschwerdegericht die Berechnung der Rotlichtdauer beim Überfahren der Haltelinie nicht nachvollziehen.

Aufgrund des aufgezeigten Darstellungsmangels können der Schuldspruch und damit auch der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.“

Und natürlich sind die Fragen dann auch umfassend behandelt – jetzt aber <<Werbemodus an>> in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, das man hier jetzt bestellen kann. <<Werbemodus aus>>.

StGB II: Günstige Sozialprognose wegen der Therapie?, oder: Nur bei erfolgreichem Therapieabschluss

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Im zweiten Posting dann das BayObLG, Urt. v. 19.02.2024 – 203 StRR 571/23 – zur Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung

Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen Diebstahls zu einer eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt und die Vollstreckung der festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, die sich ihrem Inhalt nach ausschließlich gegen die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung richtete. Die Revision hatte Erfolg.

„2. Die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr wird gemäß § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Nach Absatz 2 der Vorschrift kann das Gericht unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen.

b) Bei der insoweit anzustellenden Gesamtwürdigung, insbesondere der in § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Umstände, kommt dem Tatgericht ein weiter Bewertungsspielraum zu; dessen Entscheidung ist daher vom Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 28. März 2018 – 2 StR 516/17- und vom 12. Mai 2021 – 5 StR 120/20-, jeweils juris; BayObLG, Urteil vom 02. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22-, juris Rn. 3). Auch ein Bewährungsbruch schließt eine günstige Kriminalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB nicht von vornherein aus (BGH, Urteil vom 14. April 2022 – 5 StR 313/21 –, juris Rn. 23 m.w.N.; BayObLG, Urteil vom 15. September 2023 – 202 StRR 47/23 –, juris Rn. 5; BayObLG, Urteil vom 02. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22-, juris Rn. 6). Bei Straftätern, die in der Vergangenheit bereits eine längere Freiheitsstrafe verbüßt haben oder vorsätzliche Straftaten in der Bewährungszeit begehen, kommt es für die Annahme einer günstigen Legalprognose darauf an, ob sich in den Lebensverhältnissen des Angeklagten nach der Begehung der Taten Änderungen ergeben haben, die den Schluss zulassen, dass die Ursachen für die bisherige Delinquenz beseitigt sind (BayObLG, Urteil vom 15. September 2023 – 202 StRR 47/23 –, juris Rn. 5).

Die Ausführungen des Landgerichts für seine Erwartung, der nach den Feststellungen erheblich vorbestrafte, unter laufender Bewährung stehende und strafhafterfahrene Angeklagte werde sich nunmehr schon allein die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB), genügen den Anforderungen der Rechtsprechung nicht. Dass sich der Angeklagte am 28. Juni 2023, also knappe zwei Monate vor der anstehenden Berufungshauptverhandlung, auf eine von der Berufungskammer bezüglich ihrer Ausgestaltung nicht näher dargestellte stationäre Soziotherapie eingelassen hat, vermag eine günstige Legalprognose nicht zu stützen. Nach der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung könnte eine Therapie nur dann eine positive Prognose rechtfertigen, wenn eine solche erfolgreich abgeschlossen wäre, nicht aber, wenn der Eintritt des erhofften Behandlungserfolgs im maßgeblichen Zeitpunkt des Endes der Hauptverhandlung noch völlig ungewiss ist; dies gilt auch dann, wenn aus der Sicht des Tatrichters gute Gründe dafür sprechen, dass die Therapie zukünftig eine positive Veränderung bei dem Angeklagten bewirken könnte (vgl. BayObLG, Urteil vom 2. Dezember 2022 – 202 StRR 108/22 –, juris Rn. 10; OLG Bamberg, Urteil vom 12. November 2013 – 3 Ss 106/13 –, juris; KG Berlin, Urteil vom 5. Oktober 2007 – (4) 1 Ss 307/07 (191/07) –, juris Rn. 6).

c) Da das angefochtene Urteil schon die Annahme einer günstigen Legalprognose nicht belegt, kommt es nicht mehr darauf an, dass sich die Kammer mit den Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 und 3 StGB rechtsfehlerhaft in ungenügender Weise auseinandergesetzt hat.“

StGB I: Missbrauch im Arzt-Patienten-Verhältnis, oder: Berufsverbot?

entnommen wikimedi.org
Urheber Rieser Bauernmuseum Maihingen

Vor dem morgien Gebührenfreitag heute dann StGB-Entscheidungen, und zwar zu Nebenrechtsfolge,

Hier zunächst etwas vom BGH zum Berufsverbot (§ 70 StGB), und zwar der BGH, Beschl. v. 26.03.2024 – 4 StR 416/23. Das LG hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Ferner hat es ihm für die Dauer von fünf Jahren untersagt, den Beruf des Arztes auszuüben. Dagegen die Revision, die wegen des Berufsverbots Erfolg hatte:

„1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte ist von Beruf Arzt. Er absolvierte erfolgreich zwei Facharztausbildungen. Nachdem er seit 2006 – unter anderem als leitender Oberarzt – in verschiedenen Krankenhäusern tätig gewesen war, gründete er im Jahr 2018 eine eigene orthopädische Praxis. Am 16. Oktober 2020 suchte die unter Depressionen leidende Nebenklägerin wegen anhaltender starker Rückenschmerzen absprachegemäß die Praxis des Angeklagten auf und wurde zur manuellen Therapie in ein dafür vorgesehenes Behandlungszimmer geführt. Nach Schmerzmittelgabe mittels Injektion massierte der Angeklagte die auf der Seite liegende und ihm den Rücken zuwendende Nebenklägerin am Gesäß, nachdem er hierzu ihre Hose ein Stück heruntergezogen hatte. Anschließend verließ er den Raum. Nach einer Weile kehrte er zurück, zog die in unveränderter Position liegende Nebenklägerin an ihrer Hüfte zu sich an den Rand der Liege und trat so dicht an sie heran, dass die Nebenklägerin – hiervon völlig überrascht – seinen erigierten Penis spürte. Nach einem erneuten kurzzeitigen Verlassen des Behandlungszimmers zog der Angeklagte die Nebenklägerin, die in der Zwischenzeit versucht hatte, von der Kante der Liege abzurücken, wieder zu sich heran. Er öffnete seine Hose und drückte seinen erigierten Penis zwischen die Pobacken der perplexen Nebenklägerin. Anschließend schob er ihren Slip zur Seite und begann Stoßbewegungen zu vollziehen. Sodann zog der Angeklagte ihr Bein hoch und rieb seinen Penis bis zur Ejakulation zwischen den Gesäßhälften der Nebenklägerin, die das Geschehen „wie paralysiert“ weitestgehend wort- und regungslos über sich ergehen ließ. Der Angeklagte setzte sich dabei über den entgegenstehenden Willen der Nebenklägerin hinweg und hatte zudem erkannt, dass diese wegen der „Überrumpelung“ in der Behandlungssituation zu keiner Abwehr in der Lage war.

2. Der Maßregelausspruch hat keinen Bestand, weil das Landgericht bei der Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 70 Abs. 1 StGB nicht alle maßgeblichen Gesichtspunkte in die gebotene Gesamtwürdigung eingestellt hat.

a) Das Berufsverbot ist ein schwerwiegender Eingriff, mit dem die Allgemeinheit, sei es auch nur ein bestimmter Personenkreis, vor weiterer Gefährdung geschützt werden soll. Es darf nur dann verhängt werden, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter auch in Zukunft den Beruf, dessen Ausübung ihm verboten werden soll, zur Verübung erheblicher Straftaten missbrauchen wird. Voraussetzung hierfür ist, dass eine – auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung abgestellte – Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat(en) das Tatgericht zu der Überzeugung führt, dass die Wahrscheinlichkeit künftiger ähnlicher erheblicher Rechtsverletzungen durch den Täter besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2023 – 2 StR 144/23 Rn. 5; Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 1 StR 418/18 Rn. 8, jew. mwN). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass an die Annahme einer weiteren Gefährlichkeit im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB ganz besonders strenge Anforderungen zu stellen sind, wenn der Täter erstmalig wegen einer Anlasstat straffällig wird; insbesondere ist zu prüfen, ob bereits die Verurteilung zur Strafe den Täter von weiteren Taten abhalten wird (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 – 4 StR 296/12 Rn. 7; Beschluss vom 12. September 1994 – 5 StR 487/94, NStZ 1995, 124).

b) Zur Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht ausgeführt, dass es auch künftig zu vergleichbaren Kontakten mit psychisch labilen Patientinnen kommen werde, bei denen das Risiko einer Aufdeckung und Aburteilung etwaiger Sexualstraftaten reduziert erscheinen könnte. Im Lichte der festgestellten Tatmodalitäten und der Persönlichkeit des Angeklagten lägen daher zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung ähnlich erhebliche Rechtsgutsverletzungen in der Zukunft nahe.

Damit hat das Landgericht maßgebliche Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen. So hat es nicht bedacht, dass der Angeklagte zur Zeit der Begehung der hier abgeurteilten Tat strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten war. Das Landgericht lässt weiter unerörtert, dass gegen ihn mit dem angefochtenen Urteil eine empfindliche Freiheitsstrafe verhängt worden ist und es daher naheliegt, dass die Verurteilung und die (bevorstehende) Vollstreckung den Angeklagten bereits nachhaltig beeindrucken. Auch hat es insoweit nicht in den Blick genommen, wie der 50 Jahre alte und seit 2006 als Arzt tätige Angeklagte seinen Beruf im Übrigen ausgeübt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 1 StR 418/18 Rn. 8).“

VerkehrsR II: Beweiswert des Nachtrunk und Revision, oder: Feststellungen zur Fahruntüchtigkeit

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Und als zweite Entscheidung dann noch einmal etwas vom OLG Frankfurt am Main, nämlich der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 16.10.2023 – 3 ORs 26/23. Es geht um Nachtrunk und die Feststellungen zur Fahruntüchtigkeit:

„2. Die Sachrüge des Beschwerdeführers ist unbegründet.

Insoweit der Beschwerdeführer geltend macht, der Tatrichter habe pflichtwidrig davon abgesehen, einen Sachverständigen mit einer Begleitstoffanalyse zur Überprüfung des Nachtrunks zu beauftragen, kann dies nicht mit der Sachrüge geltend gemacht werden. Eine Verfahrensrüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO ist aber nicht erhoben worden.

Ein sachlich-rechtlicher Mangel läge nur dann vor, wenn Darstellung und Würdigung des festgestellten Sachverhalts unklar, widersprüchlich oder ersichtlich nicht vollständig wäre, Denkfehler enthielte oder Erfahrungssätze missachtete (st. Rspr., vgl. nur OLG Nürnberg, Beschl. v. 06.09.2006 – 2 St Ss 170/06, BeckRS 2006, 11724; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 337 Rn. 21 m.w.N.).

a) Angesichts dieses Prüfungsmaßstabs ist die Beweiswürdigung, welche die konkrete Nachtrunkbehauptung des Beschwerdeführers als unglaubhaft würdigt, nicht zu beanstanden. Zwar ist der Beweiswert einer zweiten Blutentnahme im Einzelnen umstritten (MüKo-StGB/Pegel, 4. Aufl. 2022, § 316 Rn. 83; Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 316 Rn. 20), gleichwohl bildet sie hier für die Beweiswürdigung des Tatrichters eine tragfähige Grundlage, da sie neben die Widersprüche in der Einlassung des Angeklagten zu seinem Trinkverhalten und die Aussagen der Zeugen V und W tritt, die zudem durch die Angaben des Zeugen POK X bestätigt wurden.

b) Schließlich halten auch die Feststellung der Fahruntüchtigkeit revisionsgerichtlicher Prüfung stand.

Angesichts der in der Anflutungsphase verstärkten Ausfallerscheinungen bedarf es einer Rückrechnung nicht, wenn bei der Blutentnahme wenigstens der Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,1 Promille BAK erreicht ist. Dann steht fest, dass eine entsprechende Körperalkoholmenge zur Tatzeit vorgelegen haben muss (BGH, Beschl. vom 11.12.1973 – 4 StR 130/73, BGHSt 25, 246, 251 = NJW 1974, 246, 247; Schönke/Schröder-StGB/Hecker, 30. Aufl. 2019, § 316 Rn. 17; MüKo-StGB/Pegel aaO., § 316 Rn. 77; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke-Straßenverkehrsrecht/Burmann, 27. Aufl. 2022, § 316 Rn. 17). Die Berücksichtigung eines Nachtrunks im Umfang einer Dose Bier (5 Volumenprozent) zu 0,5 l durch den Vorderrichter ist zwar rechtsfehlerhaft, jedoch beruht das Urteil nicht darauf. Dem Amtsgericht ist noch zuzustimmen, dass die BAK, die sich aus dem Genuss einer bestimmten Alkoholmenge ergibt, in der Weise errechnet werden darf, dass die wirksame Alkoholmenge in Gramm durch das mit dem sog. Reduktionsfaktor multiplizierte Körpergewicht in Kilogramm geteilt wird. Es bedarf daher der Feststellung des Körpergewichts zum Tatzeitpunkt, der Bestimmung des Reduktionsfaktors und der Mitteilung der aufgenommenen Alkoholmenge in Gramm (vgl. Senat, Beschl. vom 28.11.1996 – 3 Ss 363/96, NZV 1997, 239). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gerecht. Allerdings geht es unzulässiger Weise zuungunsten des Angeklagten davon aus, dass der Angeklagte 0,05 Promille in 30 Minuten zwischen Nachtrunkende und der ersten Blutprobenentnahme abgebaut hat. Zu beanstanden ist dabei aber nicht der Abbauwert von 0,05 Promille in 30 Minuten (= 0,1 Promille pro Stunde), sondern der Abzug des Zeitfaktors an sich, da sich der Angeklagte nach den Erwägungen des Amtsgerichts hinsichtlich des Nachtrunks unwiderlegt noch in der Anflutungsphase befand. Der verminderte Nachtrunkwert führt dazu, dass sich die vorgeworfene BAK zu Lasten des Angeklagten erhöht.

Ein Beruhen des Urteils auf diesem Fehler ist aber ausgeschlossen, zumal es das Amtsgericht unterlassenen hat, von der „Nachtrunkpromille“ das sogenannte Resorptionsdefizit (bei einer tätergünstigen Annahme 10 %) in Abschlag zu bringen.“

VerkehrsR I: Feststellung und Geldbuße bei Vorsatz, oder: „Strafzumessungserwägungen“ bei OWis?

Smiley

Und dann heute mal ein „Verkehrsrechtstag“.

Den beginne ich mit einer Entscheidung aus dem Bußgeldverfahren, und zwar mit dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.04.2024 – 2 ORBs 29/24 – zu den Feststellungen bei der Annahme von Vorsatz und zu den Anforderungen an die dann auch zu den Rechtsfolgenerwägungen notwendigen Feststellungen-

Das OLG hat Folgendes ausgeführt:

„Der Betroffene ist auf der Landstraße statt der am Tatort erlaubten 60 km/h unter Abzug der Toleranz 115 km/h gefahren.

Der Senat sieht sich veranlasst zu Feststellungen von Vorsatz und zu den Anforderungen an die dann auch zu den Strafzumessungserwägungen notwendigen Feststellungen nachfolgendes klarzustellen:

Der Vorwurf der Ordnungsbehörden geht bei Verkehrsordnungswidrigkeiten grundsätzlich vom Fahrlässigkeitsvorwurf aus und nimmt zur Vereinfachung zu Gunsten des Betroffenen an, dass dieser „nur“ die im Verkehr erforderliche Sorgfalt unberücksichtigt gelassen hat. Insoweit ist auch die Darlegung von Tatsachen im Urteil zur Schuldbestimmung wesentlich reduziert. In der weiteren Folge greift die gesetzgeberische Strafzumessung der Regelstrafen im Bußgeldkatalog und stellt die Tatrichter von der Darlegung eigener Strafzumessungserwägungen weitestgehend frei.

Greift der Betroffene die Bußgeldentscheidung der Ordnungsbehörden an und stellt das Tatgericht dann bei der Tatprüfung in der Hauptverhandlung fest, dass der fahrlässige Schuldvorwurf den Betroffenen zu Unrecht begünstigt, greifen diese Darlegungserleichterungen nicht und der Tatrichter ist gehalten die den Schuldvorwurf verschärfenden Tatsachen darzulegen. In der Regel handelt es sich dabei um tatortbezogene objektive Feststellungen wie „Baustellen“, „Ein- und Ausfahrten“, Geschwindigkeitstrichter, „Kindergärten, Schulen oder Krankenhäuser“ oder klar erkennbare geschwindigkeitsbeschränkende Umgebungen wie z.B. die Tatsache auf Grund der Bebauung „innerorts“ unterwegs zu sein. Die Ordnungsbehörden sind in Hessen verpflichtet, diese tatortbezogenen Besonderheiten im Messprotokoll, das eine öffentliche Urkunde darstellt, und das in der Hauptverhandlung gem. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO vom Tatrichter zeugenersetzend zu verlesen ist, zu vermerken, so dass der Tatrichter darauf zurückgreifen kann, ohne den Messbeamten als Zeugenladen zu müssen.

Verschärft der Tatrichter unter entsprechender Darlegung solcher Tatsachen den Schuldvorwurf auf „grob fahrlässig“ oder „vorsätzlich“, greifen die gesetzgeberischen  Strafzumessungserwägungen des amtlichen Bußgeldkatalogs nur noch eingeschränkt und er ist in der Folge ebenfalls gehalten seine eigene Strafzumessungserwägung darzulegen. Dabei sind der Bußgeldrahmen und die nach § 3 Abs. 4a der Bußgeldkatalog-Verordnung zum Vorsatz genannten Regelungen zu berücksichtigen.

Diese Voraussetzungen genügt das vorliegende Urteil nur eingeschränkt. Der Tatrichter hat nur die Geschwindigkeitsbeschränkung als solche und die Tatsache, dass der Betroffene nahezu doppelt so schnell gefahren ist, wie erlaubt angegeben und darauf im Wesentlichen seine Strafzumessungserwägungen gestützt. Der Grund für die Beschränkung der Geschwindigkeit auf der Landstraße auf 60 km/h und die daraus abgeleitete vorsätzliche Nichtbeachtung durch den Betroffenen bei Kenntnis der Beschränkung fehlt.

Ausnahmsweise greifen diese Darlegungsmängel hier aber nicht durch, da nach den Feststellungen der Betroffene sich mit 115 km/h ohnehin dazu entschieden hatte, schon die Regelgeschwindigkeitsbeschränkung auf Landstraßen mit 100 km/h zu missachten. Wer wie der Betroffene damit vorsätzlich sowieso nicht bereit ist sich an die gesetzlich vorgegebenen Geschwindigkeitsregelungen zu halten, der missachtet dann auch vorsätzlich die weiteren Reduktionen innerhalb des gesetzlichen Geschwindigkeitsrahmens, so dass gegen die Annahme von Vorsatz unter entsprechender Verdopplung der Regelbuße nach § 3 Abs. 4a der Bußgeldkatalog-Verordnung darum Ergebnis nichts zu erinnern ist.“

„gesetzgeberische Strafzumessung der Regelstrafen im Bußgeldkatalog“ – wenn man das beim OLG Frankfurt am Main so sieht, erklärt das einiges. 🙂