Archiv der Kategorie: Strafrecht

Verkehr II: Isolierte Sperre für eine Fahrerlaubnis, oder: Ungeeignet in Zusammenhang mit Führen eines Kfz

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Und die zweite Entscheidung kommt dann auch vom BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 31.01.2024 – 4 StR 205/23 noch einmal zu den Voraussetzungen für eine isolierte Sperrfrist (§ 69 StGB) Stellung genommen.

Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Ferner hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten nicht vor Ablauf von vier Jahren eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Hiergegen hat sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gewendet. Das Rechtsmittel hatte hinsichtlich der Fahrerlaubnissperre Erfolg:

„Während der Schuld- und Strafausspruch sowie die Einziehungsentscheidung keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler aufweisen, kann die Anordnung einer Sperre gemäß § 69a Abs. 1 StGB nicht bestehen bleiben. Denn das Landgericht hat zum Verhalten des Angeklagten als Beifahrer einer Drogentransportfahrt keine Umstände festgestellt, die seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen belegen.

1. Eine isolierte Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gemäß § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB darf nur angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 StGB vorliegen, die rechtswidrige Tat somit bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen worden ist und sich aus der Tat ergibt, dass der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Die Tat muss damit in Beziehung stehen zu der Führung eines Kraftfahrzeugs durch den Täter oder zumindest einen anderen Tatbeteiligten (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2023 – 4 StR 443/22 Rn. 5). Bei der Maßregelanordnung gegen einen Beifahrer sind besonders gewichtige Hinweise auf seinen Einfluss auf die Führung des Kraftfahrzeugs oder die Fahrweise zu fordern, aus denen sich die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ergibt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2004 – 4 StR 585/03 Rn. 7 mwN).

2. Solche gewichtigen Hinweise auf die Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen sind den Urteilsgründen zu Fall III.3 nicht zu entnehmen.

Zwar hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte als Beifahrer die gesondert verfolgte Fahrzeuglenkerin veranlasste, sich einer Polizeikontrolle durch Flucht vor dem Streifenwagen zu entziehen, um sich im Besitz der zum Handel bestimmten Betäubungsmittel zu erhalten. Diese überholte, wie vom Angeklagten beabsichtigt, das Halt gebietende Polizeifahrzeug und durchfuhr mit überhöhter Geschwindigkeit eine Baustelle, überholte rechts und links andere Verkehrsteilnehmer, überfuhr eine rot anzeigende Lichtzeichenanlage und verlor in einem Kreisverkehr die Kontrolle über das Fahrzeug. Jedoch ist ein über die Aufforderung zur Flucht hinaus gehender Einfluss des Angeklagten auf die Fahrweise der gesondert Verfolgten bei der anschließenden Fahrt in einer Weise, die seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen belegen könnte, nicht festgestellt. Über seine bloße Absicht zur riskanten Fahrweise hinaus lässt sich eine derartige Einwirkung des Angeklagten den Urteilsgründen auch in ihrem Zusammenhang nicht entnehmen.“

Verkehr I: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, oder: Täter kann auch ein Mitfahrer sein

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Und heute dann ein wenig Verkehrsrecht, und zwar zunächst hier der BGH, Beschl. v. 16.08.2023 – 4 StR 227/23. Schon etwas älter, aber erst vor kurzem auf der Homepage des BGh veröffentlicht. Es geht um den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB).

Das LG hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das LG hate folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: Im Verlauf des Tatabends tauschten der Angeklagte und der Geschädigte im Rahmen zwischen ihnen bestehender Streitigkeiten massive Beschimpfungen aus. U.a. versandte der Angeklagte eine Sprachnachricht an den Geschädigten mit dem Wortlaut: „Ich weiß, dass du nicht mehr leben willst, dabei werde ich dir helfen“. Zu dem in der Folge verabredeten Treffpunkt in der B. Innenstadt fuhren der Angeklagte und sein Bruder mit einem Pkw, der auf die Lebensgefährtin des Angeklagten zugelassen war. Der Angeklagte befand sich auf der Rücksitzbank des Fahrzeugs und dirigierte seinen Bruder, der das Fahrzeug führte, zu dem Aufenthaltsort des Geschädigten.

In Ausführung des zuvor an diesem Abend mit dem Angeklagten gefassten Tatplans, den Geschädigten zu töten, beschleunigte der Bruder des Angeklagten das Fahrzeug, als sie den Geschädigten auf dem Bürgersteig vor einem Gebäude entdeckten. Der Bruder des Angeklagten fuhr sodann mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 bis 25 km/h in der Absicht auf den Geschädigten zu, diesen mit dem Fahrzeug zu erfassen bzw. gegen die nahegelegene Hauswand zu quetschen. Der Angeklagte und sein Bruder erkannten, dass der Geschädigte dabei möglicherweise tödliche Verletzungen erleiden könnte; sie nahmen dies jedoch mindestens billigend in Kauf. Der Geschädigte konnte auf die Motorhaube des Pkw springen und sich abrollen; er blieb unverletzt und ergriff die Flucht.

Das LG hat den Angeklagten wegen seines erheblichen Tatinteresses und seines Tatbeitrages (Zur-Verfügung-Stellen des Fahrzeugs; Weitergabe des Standorts des Geschädigten an seinen Bruder; Anwesenheit im Fahrzeug) als Mittäter sowohl des versuchten Tötungsdelikts als auch des schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr angesehen. Die dagegen gerichtete Revision hatte keinen Erfolg:

„2. Ein verkehrsfeindlicher Inneneingriff kann auch durch einen Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs in Mittäterschaft begangen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2013 – 4 StR 145/13 Rn. 8 f. zu § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB; siehe auch OLG Hamm, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 RVs 159/16, NStZ-RR 2017, 224). § 315b Abs. 1 StGB stellt kein eigenhändiges Delikt dar, bei dem der Täter nur durch ein eigenes Handeln persönlich den Tatbestand erfüllen kann.

a) Ein eigenhändiges Delikt ist dadurch gekennzeichnet, dass die Täterschaft an eine bestimmte Ausführungshandlung gebunden ist, sodass das maßgebliche Unrecht in einem eigenen verwerflichen Tun liegt und nicht in erster Linie aus der Gefährdung oder Verletzung eines Rechtsguts hergeleitet wird (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2021 – 4 StR 511/20, BGHSt 66, 294 Rn. 22 mwN). Ob dies der Fall ist, ist mit Rücksicht auf die Fassung des gesetzlichen Tatbestands sowie mit Blick auf den Zusammenhang der einschlägigen Gesetzesbestimmungen und die Entstehungsgeschichte zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 37/20, NJW 2020, 2201 Rn. 9; Urteil vom 25. Juni 1954 – 2 StR 298/53 Rn. 6, BGHSt 6, 226, 227; Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl., Abschn. 21 Rn. 19 und 21; Auerbach, Die eigenhändigen Delikte, 1978, S. 26 ff.).

b) Gemessen hieran setzt der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB auch in der Fallgruppe des verkehrsfeindlichen Inneneingriffs kein eigenhändiges Führen eines Kraftfahrzeugs voraus.

aa) Nach dem Wortlaut des § 315b Abs. 1 StGB kann die Sicherheit des Straßenverkehrs von jedermann beeinträchtigt werden. Die Tathandlungen der Nummern 1 bis 3 knüpfen – anders als diejenigen des § 315c StGB – nicht an ein tatbestandlich umschriebenes Verhalten an, das nur eigenhändig verwirklicht werden kann (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 RVs 159/16, NStZ-RR 2017, 224; Kudlich in BeckOK-StGB, 59. Ed., § 315b Rn. 38; Pegel in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 315b Rn. 60; Renzikowski in Matt/Renzikowski, 2. Aufl., § 315b Rn. 23; Quarch in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl., § 315b Rn. 8).

bb) Auch in der Fallkonstellation des verkehrsfeindlichen Inneneingriffs setzt § 315b Abs. 1 StGB allein die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale aus einer der Alternativen des § 315b Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB voraus. Der spezifische Unrechtsgehalt der Tat liegt dabei darin, dass das Fahrzeug nicht (mehr) als Mittel der Fortbewegung dient, sondern im fließenden Verkehr – gleich einem Fremdkörper – zur Verletzung oder Nötigung eines anderen eingesetzt wird (vgl. Wolters in SK-StGB, 10. Aufl., § 315b Rn. 26; SSW/Ernemann, 5. Aufl., § 315b Rn. 21; König in LK-StGB, 13. Aufl., § 315b Rn. 92; Zieschang in NK-StGB, 6. Aufl., § 315b Rn. 8; a. A. ohne nähere Begründung Kuckuk, KVR, Kraftverkehrsrecht von A-Z, Schlagwort Verkehrsgefährdung Hindernisbereiten Erläuterungen 1, S. 21). Dies hat zur Folge, dass es für die Beschreibung des tatbestandlichen Unrechts auch nicht mehr darauf ankommen kann, ob der Täter das Kraftfahrzeug dabei eigenhändig führt.

cc) Systematische Erwägungen führen ebenfalls nicht zu einem anderen Auslegungsergebnis. Dies gilt auch mit Blick auf das Verhältnis zu § 315c StGB. Absatz 1 dieser Vorschrift enthält eine enumerative Aufzählung besonders gefährlicher Regelverstöße im Straßenverkehr, die dann zur Strafbarkeit führen, wenn dadurch eine konkrete Gefahr für bestimmte fremde Rechtsgüter verursacht wird (vgl. dazu König in LK-StGB, 13. Aufl., § 315c Rn. 5). Demgegenüber wird ein vorschriftswidriges Verhalten im fließenden Verkehr von § 315b StGB – insoweit ohne Beschränkung auf einen entsprechenden Katalog – dann erfasst, wenn es sich dabei um einen bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Absicht handelt und das Fahrzeug darüber hinaus mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz missbraucht wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. November 2021 ? 4 StR 134/21 Rn. 4; Beschluss vom 19. November 2020 ? 4 StR 240/20 Rn. 26 mwN; Urteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 236 f.; Urteil vom 31. August 1995 – 4 StR 283/95 Rn. 8, BGHSt 41, 231, 233 f.; BGH, Urteil vom 22. Juli 1999 – 4 StR 90/99 Rn. 5, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Nr. 2 Hindernisbereiten 3). Beide Vorschriften haben verschiedene Anknüpfungspunkte, sodass sich auch die Frage der möglichen Beteiligungsformen unterschiedlich stellen kann. Damit besteht auch keine Notwendigkeit, den Anwendungsbereich des § 315b StGB hinsichtlich Täterschaft und Teilnahme auf ein eigenhändiges Delikt zu verengen.

c) Diesem Verständnis stehen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs nicht entgegen, die einen verkehrsfeindlichen Inneneingriff dahin umschreiben, dass ein Fahrzeugführer das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt (vgl. Beschluss vom 19. November 2020 – 4 StR 240/20 Rn. 26; Urteil vom 22. Juni 2023 – 4 StR 481/22 Rn. 31). Denn diese Ausführungen sind auf Konstellationen bezogen, in denen der Täter tatsächlich als Führer eines Kraftfahrzeugs am fließenden Verkehr teilgenommen hat; sie sind jedoch nicht im Sinne einer Beschränkung des tauglichen Täterkreises in Fällen des verkehrsfremden Inneneingriffs zu verstehen. Vielmehr kommt auch der Beifahrer als tauglicher Täter eines verkehrsfremden Inneneingriffs in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 2016 ? 4 StR 1/16 zu § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB; Beschluss vom 6. Juli 1989 ? 4 StR 321/89 Rn. 2 [Eingriff des Beifahrers in den Lenkvorgang]; Urteil vom 20. Dezember 1968 ? 4 StR 489/68 Rn. 15 [wuchtiges Werfen nach vorne und Griff in das Lenkrad]). In der Rechtsprechung ist im Übrigen anerkannt, dass (auch) ein Fußgänger den Tatbestand des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklichen kann (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 1995 – 4 StR 283/95 Rn. 10, BGHSt 41, 231, 234; siehe auch BGH, Beschluss vom 14. September 2021 ? 4 StR 21/21 Rn. 6).

3. Unter den hier gegebenen Umständen tragen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Verurteilung des Angeklagten auch wegen des in Mittäterschaft begangenen schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a), § 25 Abs. 2 StGB.

Die Urteilsgründe belegen die Tatherrschaft des das Kraftfahrzeug nicht eigenhändig führenden Angeklagten, der das Tatfahrzeug zur Verfügung stellte, das Fahrziel vorgab, während der Tatausführung im Fahrzeug anwesend war und Einfluss auf die Handlungen seines Bruders nehmen konnte sowie ein erhebliches Tatinteresse aufwies, nachdem er zuvor mit dem Geschädigten Beleidigungen und Bedrohungen ausgetauscht hatte.

Auch die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt; insbesondere sind der bedingte Schädigungsvorsatz des Angeklagten und seine Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen, rechtsfehlerfrei belegt.“

Klima: Klimakleber-Straßenblockaden sind Nötigung, oder: Verwerflichkeitsklausel

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Und heute dann Entscheidungen zu Themen, die uns in der letzten Zeit bewegt haben, die derzeit aber nicht so im Fokus stehen, dass man einen ganzen Tag damit füllen kann. Daher gitb es auch keine Zählung 🙂 .

Ich beginne mit einer Entscheidung zu den Klimaaktivisten, und zwar mit dem OLG Karlsruhe, Urt. v. 20.02.2024 – 2 ORs 35 Ss 120/23 – zur Beurteilung der Verwerflichkeit von Straßenblockaden.

Das OLG ist von folgendem Schverhalt ausgegangen:

„Nach den getroffenen Feststellungen beteiligte sich der Angeklagte am 7.2.2022, am 11.2.2022 und am 15.2.2022 an jeweils nicht angemeldeten und nicht angekündigten Straßenblockaden des Aktionsbündnisses „Aufstand Letzte Generation“ in Freiburg. Blockiert wurden am 7.2.2022 ab ca. 8:20 Uhr die Lessingstraße/B 31a in Höhe der Kronenbrücke einschließlich der Abfahrt zur Kronenstraße, am 11.2.2022 ab ca. 8:20 Uhr die Lessingstraße/B 31a in Höhe der Kaiserbrücke in östlicher Richtung sowie am 15.2.2022 ab ca. 8:14 Uhr die Fahrbahn des Autobahnzubringers A 5 Freiburg Nord an der Einmündung zur L 187/B 294. Der Angeklagte setzte sich jeweils mit weiteren Beteiligten auf die Straße. Bei den Blockaden am 7.2.2022 und am 15.2.2022 klebten sich drei bzw. zwei weitere Beteiligte mit Sekundenkleber am Asphalt der Fahrbahn so versetzt fest, dass jeweils die Möglichkeit zur Bildung einer Rettungsgasse bestand. Polizeilichen Aufforderungen zur Räumung der Fahrbahn kam der Angeklagte jeweils nicht nach, weshalb er jeweils ohne Gegenwehr von der Polizei von der Fahrbahn getragen wurde, bei der Aktion am 7.2.2022 um 9:43 Uhr. Die polizeiliche Räumung der Fahrbahn war am 11.2.2022 um 8:57 Uhr und am 15.2.2022 um 9:15 Uhr beendet.

Zu den Auswirkungen der Blockaden sind im Urteil folgende Feststellungen getroffen:

? 7.2.2022: Der Verkehr kam vollständig zum Erliegen. Es entstanden innerhalb kürzester Zeit ein mehrere Kilometer langer Rückstau bis hin zur Berliner Allee und eine Zeitverzögerung von mindestens 30 – 45 Minuten.

? 11.2.2022: Trotz sofort durch die Polizei eingeleiteter Umleitungsmaßnahmen kam es zu vorübergehenden Verkehrsbeeinträchtigungen.

? 15.2.2022: Es kam zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen. Der Verkehr auf der BAB A 5 staute sich in südlicher Richtung bis auf ungefähr 18 Kilometer. Der Verkehr normalisierte sich erst gegen 10:08 Uhr wieder.

Mit den Sitzblockaden wollte der Angeklagte auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen und für ein entsprechendes „Essen-Retten-Gesetz“, nach dem große Supermärkte genießbares Essen nicht mehr wegwerfen dürften, sondern weiterverteilen müssten, eintreten. Durch die Demonstrationen wollte der Angeklagte sowohl mediale Aufmerksamkeit als auch bei den Autofahrern für die Verschwendung von Lebensmitteln und den zu hohen CO2-Ausstoß insgesamt schaffen. Ziel sei es, durch ein entsprechendes Gesetz die Ernährungssicherheit für die Zukunft zu schaffen und die Freisetzung von Treibhausgasen zu reduzieren. Zudem tritt die „Letzte Generation“ auch für eine Mobilitätswende ein und fordert u.a. eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h auf Autobahnen. Das Aktionsbündnis möchte mit den Blockaden auch darauf hinweisen, dass die Bundesregierung aktuell zu wenig für den Klimaschutz unternehme. Ein „Deeskalationsteam“ versuchte dazu mit den Autofahrern ins Gespräch zu kommen und verteilte entsprechende Flyer.

Das AG hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es hat zwar jeweils den Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) als verwirklicht angesehen, jedoch in allen Fällen die die Rechtswidrigkeit begründende Verwerflichkeit gemäß § 240 Abs. 2 StGB verneint. Dagen die Revision der Staatsanwaltschaft , die Erfolg hatte.

Ich stelle hier, das die Fragen ja nicht neu sind, nur den Leitsatz der Entscheidung ein. Rest dann bitte selbst lesen:

    1. Bei Blockadeaktionen mit Versammlungscharakter ist bei der Prüfung der Verwerflichkeit (§ 240 Abs. 2 StGB) eine Beurteilung aller für die Mittel-Zweck-Relation wesentlicher Umstände und eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht im jeweiligen Einzelfall vorzunehmen, ohne dass das mit der Blockade verfolgte inhaltliche Anliegen bewertet werden darf.
    2. Um die so vorgenommene Bewertung nachvollziehbar zu machen, müssen die tatsächlichen Grundlagen der im Einzelfall wesentlichen Umstände im Urteil festgestellt sein.

 

Neues zur Fahrerlaubnisentziehung nach StVG, oder: Drogen-/Trunkenheitsfahrt, Fahrrad, Psychose, FABS

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Und dann heute im „Kessel Buntes“ Verkehsrverwaltungsrecht.

Ich beginne mit einer (kleinen) Übersicht zur Entziehung der Faahrerlaubnis nach dem StVG, allerdings nur die Leitsätze, sonst wird es zu viel. Ich weise dann hin auf:

Fragt eine Fahrerlaubnisbehörde nach einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad in einer Begutachtungsanordnung separat nach der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen und der Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge, ist die Frage nach der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zulässig, wenn die Fragen thematisch klar voneinander abgegrenzt sind, sich nicht überschneiden und nicht aufeinander aufbauen. Sie wird dann nicht von der Rechtswidrigkeit der Frage nach der Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge infiziert.

1. Einem Fahrerlaubnisinhaber, der ein Fahrrad im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt hat, kann aufgegeben werden, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV).

2. Aus der Weigerung oder Nichtbeibringung kann auf Nichteignung geschlossen werden.

3. Von einer Trunkenheitsfahrt kann auch unabhängig von einer strafrechtlichen Ahndung insbesondere aufgrund eines polizeilichen Sachberichts und der Blut- und Atemalkoholtests ausgegangen werden kann. Die Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft nach § 153a StPO bringt nicht zum Ausdruck bringt, dass der Tatverdacht gegen den Fahrerlaubnisinhaber damit ausgeräumt wäre.

1. Die Fahrerlaubnisbehörde darf auf die Nichteignung des Betroffenen schließen darf, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt.

2. Eine Weigerung in diesem Sinne liegt auch vor, wenn der Betroffene die Untersuchung teilweise verweigert oder unmöglich macht, indem er etwa unzureichend mitwirkt.

3. Das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens ist nicht nachvollziehbar, wenn der Gutachter die Frage nach vergangenem oder aktuellem Drogenkonsum beantwortet hat, ohne zu werten, dass der Antragsteller keine Angaben zu dem zur Begutachtung Anlass gebenden Vorfall gemacht hat. Insofern ist dann ein neues Gutachten erforderlich.

Der Wirksamkeit einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem steht nicht entgegen, wenn dem Fahrerlaubnisinhaber unvollständig vor Erlass des Bescheids Akteneinsicht gewährt worden ist. Das führt nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts.

1. Bereits der einmalige Konsum harter Drogen (hier: Amphetamin) rechtfertigt die Entziehung der Fahrerlaubnis.

2. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei einer Anfechtung der Entziehung der Fahrerlaubnis kommt es auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung an. Nach Bescheiderlass eingetretene Änderungen der Sachlage können weder im anhängigen Klageverfahren noch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern allenfalls in einem behördlichen Verfahren zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis berücksichtigt werden.  

Eine akute polymorphe psychotische Störung mit Symptomen einer Schizophrenie kann bei fraglicher Drogenabstinenz auch mehr als zwei Jahre nach ihrem nachweislichen Auftreten berechtigte Zweifel an der Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen.

 

 

StGB III: Freiwillig ./. erhöhtes Selbstgefährdungsrisiko, oder: Tätige Reue bei der Geldautomatensprengung?

Geldautomat, Gewinn

Nun aber wirklich außerhalb des Mainstreams, nämlich der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 16.10.2023 – 3 ORs 29/23 – und zwar – Achtung! – zur tätigen Reue bei der Geldautomatensprengung.

Das AG die Angeklagten wegen Vorbereitung zu einem Explosions- oder Strahlungsverbrechen schuldig gesprochen. Das LG hat auf die Berufung der Angeklagten das angefochtene Urteil u.a. im Strafausspruch aufgehoben. Die weitergehende Berufung der Angeklagten hat das LG verworfen. Hiergegen richten sich Revisionen der Angeklagten. Die Angeklagten rügen die Verletzung materiellen Rechts. Die Revisionnen hatten keinen Erfolg:

„Die auf die Sachrüge der Angeklagten erfolgte Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

a) Insbesondere ist es frei von Rechtsfehlern, dass das Landgericht – auf Grundlage seiner beanstandungsfreien Beweiswürdigung – nicht den persönlichen Strafaufhebungsgrund (vgl. nur Schönke/Schröder/Heine/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 314a Rn. 1) der tätigen Reue gem. § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB i.V.m. § 314a Abs. 3 Nr. 2 StGB angenommen hat.

Materiell-rechtlich ist, wie beim Rücktritt gem. § 24 StGB, die Freiwilligkeit dann ausgeschlossen, wenn sich durch vom Täter unvorhergesehene Umstände das mit der Tatbegehung verbundene Risiko beträchtlich erhöht (BGH, Beschl. v. 16.03.2011 – 2 StR 22/11, juris Tz. 9; gegen die Unvorhersehbarkeit als notwendige Bedingung NK-StGB/Engländer, 6. Aufl. 2023, § 24 Rn. 60). Risikoerhöhend bedeutet indes noch nicht, dass die Tatausführung dem Täter durch den Auftritt des unvorhergesehenen Umstands unmöglich gemacht werden muss; insoweit läge bereits ein im Ganzen nicht mehr rücktritts- oder reuefähiger Fehlschlag vor. Das Risiko kann darin liegen, dass der Täter glaubt, durch die weitere Tatausführung Gefahr zu laufen, „geschnappt zu werden“ (BGH, Urt. v. 01.09.1992 – 1 StR 484/92, NStZ 1993, 76) bzw. seine Flucht zu vereiteln (BGH, Beschl. v. 20.11.2013 – 3 StR 325/13, NStZ 2014, 202). Neben dem Risiko, angezeigt und bestraft zu werden, sind auch Fälle umfasst, in denen sich das durch die Tatausführung eingegangene Risiko auf andere Rechtsgüter des Täters wie sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit bezieht, er die Tat also nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen ohne erhebliche Eigengefährdung ausführen kann (vgl. BGH, Urt. v. 15.09.2005 – 4 StR 216/05, NStZ-RR 2006, 168, 169; Schönke/Schröder/Eser/Bosch, 30. Aufl. 2019, § 24 Rn. 49; NK-StGB/Engländer aaO., § 24 Rn. 60).

b) Der risikoerhöhende Umstand lag nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Vorderrichters in der die Angeklagten überkommenden großen Müdigkeit. Dadurch bestand aus der maßgeblichen Sicht der Angeklagten bei der nach der Sprengung vorgesehenen Flucht mit dem PKW eine von ihnen nachvollziehbar befürchtete, signifikant erhöhte Gefahr, zu verunglücken. Es genügt, dass die Angeklagten die Tat nach § 308 Abs. 1 StGB ihrer Vorstellung nach nicht mehr ohne erhebliche Selbstgefährdung durchführen konnten (so auch BGH, Urt. v. 15.9.2005 – 4 StR 216/05, NStZ-RR 2006, 168, 169). Ihr Entschluss zur Tataufgabe erfolgte daher nicht freiwillig i.S.d. § 314a Abs. 3 Nr. 2 StGB.

Dass die Selbstgefährdung nicht durch die Tatausführung selbst, sondern die sich anschließende Flucht begründet worden wäre, steht der Unfreiwilligkeit nicht entgegen, weil dieses Risiko unmittelbar durch die Tatausführung gesetzt wurde. Nicht anders ist es in Fällen des durch unvorhergesehene Umstände erhöhten Entdeckungs- bzw. Bestrafungsrisiko, da die dem Täter unerwünschten Folgen, Festnahme, (Freiheits-)Strafe etc., ihn naturgemäß erst nach der Tatausführung treffen (vgl. nochmals BGH, Beschl. v. 16.03.2011 – 2 StR 22/11, juris Tz. 10).

c) Es kann deshalb auch offenbleiben, ob tätige Reue gem. § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB i.V.m. § 314a Abs. 3 Nr. 2 StGB auch vorausgesetzt hätte, dass es die Angeklagten auch aufgegeben hätten, ihren Hinterleuten den Sprengstoff für künftige ähnliche Taten zu überlassen.

2. Das Landgericht war auch nicht gehalten, den unfreiwilligen Abbruch der Tatausführungen in seinen – auch im Übrigen rechtsfehlerfreien – Strafzumessungserwägungen darzulegen (§ 267 Abs. 3 S.1 StPO). Ob es bei einem Vorbereitungsdelikt denknotwendig ausgeschlossen ist, das Ausbleiben der vorbereiteten Tat als Strafmilderungsgrund zu berücksichtigen, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift ausführt, kann dahinstehen. Jedenfalls handelt es sich nicht um einen Strafmilderungsgrund, der sich dem Landgericht bei der nach § 46 StGB gebotenen Abwägung nach Lage des Falles hätte aufdrängen müssen. Eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden Erwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 02.08.2012 – 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337).“