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KCanG I: Einziehung von sichergestelltem Marihuana, oder: Bisschen schnell geschossen…

Und zum Start in die 24. KW zwei Entscheidungen zum neuen KcanG.

Nun ja, nicht ganz, denn in der ersten Entscheidung, dem LG Hagen, Beschl. v. 21.05.2024 – 40 Qs 18/24 – hat die Kammer die Frage der Auswirkungen des KCanG auf die Einziehung elegant 🙂 offen lassen können. Sie ist aber dennoch (auch) im Zusammenhang mit dem KCanG interessant.

Das AG hatte in einem Beschluss vom 22.04.2024 die Einziehung von sichergestellten 19,05 Gramm Marihuana nebst Verpackungsmaterial angeordnet. Dagegen hatte der Verteidiger sofortige Beschwerde eingelgt wurde. Im Einzelnen ging es um folgenden Sachverhalt:

Der ehemalige Angeklagte sowie ein Mitangeklagter wurden am 14.07.2023 in Iserlohn kontrolliert, wobei insgesamt 19,05 Gramm (netto) Marihuana sichergestellt wurden.

Das Marihuana war nach ihren Angaben zum Eigenkonsum bestimmt. Aufgrund dessen erhob die Staatsanwaltschaft am 31.08.2023 Anklage zum Amtsgericht – Strafrichter – Iserlohn, wobei die Anklageschrift bezüglich der beabsichtigten Einziehung wie folgt formuliert war: „Die nachfolgend aufgeführten Gegenstände unterliegen der Einziehung: sichergestellte Betäubungsmittel samt Verpackungsmaterial“

Nachdem die Anklageschrift am 07.10.2023 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wurde, wurde die Hauptverhandlung schließlich auf den 02.04.2024 anberaumt. Die Hauptverhandlung vom 02.04.2024 endete mit der Aussetzung des Verfahrens. Der zuständige Amtsrichter teilte unter dem 03.04.2024 seine Rechtsansicht gegenüber der Staatsanwaltschaft Hagen mit, wonach der in der Anklageschrift geschilderte Tatvorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nicht mehr strafbar sei und eine Einstellung nach § 206b StPO beabsichtigt sei. Eine Einziehungsentscheidung sei nicht möglich, da § 37 KCanG nicht einschlägig sei.

Nach diesen Ausführungen beantragte die Staatsanwaltschaft am 15.04.2024 die sichergestellten 19,05 Gramm (netto) Marihuana gemäß § 435 StPO in Verbindung mit § 37 KCanG in Verbindung mit § 74a Nr. 2 StPO einzuziehen. Dies ergebe sich daraus, dass der Beschwerdeführer sowie der Mitangeklagte pp. nach Aktenlage eingeräumt hätten, dass sie das Marihuana von einer unbekannten Person gekauft hätten. Diese Person habe sich mithin wegen unerlaubten Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG strafbar gemacht. Dadurch, dass die Cannabinoide bei dieser Person hätten eingezogen werden können, sei gemäß § 74a Nr. 2 StGB in Verbindung mit § 37 KCanG auch eine Einziehung beim Angeklagten sowie dem Mitangeklagten pp. möglich.

Ohne den Angeklagten oder seinem Verteidiger diesen Antrag zu übersenden, erließ das Amtsgericht am 22.04.2024 den o.a. Beschluss. Gegen den wurde Rechtsmittel eingelegt. Das hatte Erfolg:

1. Das Verfahren leidet bereits an einem nicht mehr behebbaren Verfahrenshindernis. Denn das Amtsgericht Iserlohn hat entgegen §§ 435 Abs. 3, 203 StPO im selbstständigen Einziehungsverfahren durch Beschluss entschieden, ohne zuvor über die Eröffnung des Einziehungsverfahrens zu entscheiden und eine förmliche Beteiligung des Beschwerdeführers herbeizuführen. Das selbstständige Einziehungsverfahren setzt über §§ 435 Abs. 3, 203 StPO voraus, dass das Gericht durch eine Willenserklärung deutlich macht, ob es den Antrag auf Durchführung des (selbstständigen) Einziehungsverfahrens zulässt (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 01.11.2021 – 4 Ws 80/21, 4 Ws 80/21161 AR 186/21, Rn. 3 ff, juris; OLG Oldenburg, Beschluss vom 10.08.2020 -1 Ws 265/20, Rn. 9 ff., juris). Dies ist vorliegend unterblieben.

Das Amtsgericht hat lediglich die ursprüngliche Anklageschrift, in der die Betäubungsmittel nur abstrakt als Einziehungsgegenstand benannt wurden, eröffnet, nicht hingegen das später seitens der Staatsanwaltschaft beantragte selbstständige Einziehungsverfahren. Es existiert auch keine konkludente Eröffnungsentscheidung, vielmehr hat das Amtsgericht ohne weiteren Verfahrensschritt nach Eingang des Antrags der Staatsanwaltschaft entschieden. Abgesehen von der Tatsache, dass das Verfahren somit bereits unter einem erheblichen Verfahrensfehler leidet, wurde dem Beschwerdeführer hierdurch jegliches rechtliche Gehör verwehrt.

Der Verzicht auf eine Eröffnungsentscheidung ist nur in engen Grenzen möglich, nämlich dann, wenn das Gericht durch Urteil eine Entscheidung ausspricht und hierin eine selbstständige Einziehungsentscheidung vornimmt, da in diesen Fällen das subjektive Strafverfahren auch objektiv wirkt und die Vorschriften für das selbstständige Einziehungsverfahren insoweit keine Anwendung finden (vgl. BGH, Beschluss vom 23.05.2023 – GSSt 1/23, Rn. 29, juris). Wird allerdings – wie im vorliegenden Fall -die Hauptverhandlung ausgesetzt und gerade keine Entscheidung durch Urteil getroffen, ist es dem Amtsgericht verwehrt, ohne Berücksichtigung der strafprozessualen Voraussetzungen in das selbstständige Einziehungsverfahren zu wechseln und unmittelbar zu entscheiden (vgl. Gaede in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 435 StPO, Rn. 61).

Durch die erfolgte Einziehungsentscheidung des Amtsgerichts Iserlohn ist ein nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis eingetreten. Die Kammer kann weder die Eröffnungsentscheidung nachholen noch die Sache insoweit zurückverweisen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 01.11.2021 – 4 Ws 80/21, 4 Ws 80/21161 AR 186/21, Rn. 6, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 08.02.2019 – 1 Ws 165/1, Rn. 4, juris).

2. Auf die materiell-rechtliche Frage der Möglichkeit einer Einziehung über § 74a Nr. 2 StGB kam mithin es nicht mehr an.“

Tja. bisschen schnell geschossen das AG 🙂 .

Angenommen: Fortentwicklung des Völkerstrafrechts, oder: Weisungen der StA/höhere Streitwerte geplant

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Und im zweiten „Bericht aus Berlin-Posting“ weise ich dann auf folgende Änderungen und Vorhaben hin, und zwar:

Zunächst:  Der Bundestag hat am 06.06.2024, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts (20/9471, 20/10015, 20/10131 Nr. 1.21) in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung (20/11661) angenommen.

In das Gesetz aufgenommen wurden weitere Tatbestände der sexualisierten Gewalt. Dazu gehören der Vorlage zufolge unter anderem die Tatbestandsalternativen des „sexuellen Übergriffes“, der „sexuellen Sklaverei“, des „Gefangenhaltens eines unter Zwang geschwängerten Menschen“ sowie des „erzwungenen Schwangerschaftsabbruchs“. Mit der Anpassung wird laut Entwurf auch auf bereits vorgenommene Änderungen im Strafgesetzbuch reagiert.

Die erweiterten Tatbestandsalternativen kommen sowohl beim Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 des VStGB) als auch beim Tatbestand des Kriegsverbrechens gegen Personen (§ 8 VStGB) zum Tragen. Zudem wird „die sexuelle Orientierung als unzulässiger Grund für die Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft durch Entziehung oder wesentliche Einschränkung grundlegender Menschenrechte“ aufgenommen.

Und dann sind folgende Vorhaben interessant:

  • Es gibt einen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Erhöhung der Transparenz von Weisungen gegenüber der Staatsanwaltschaft. Der geht zurück auf das EuGH, Urt. v. 27.05.2019, verbundene Rechtssachen C-508/18 und C-82/19). In dem hatte der EuGH, im Zusammenhang mit der Rolle der deutschen Staatsanwaltschaft als ausstellende Justizbehörde eines Europäischen Haftbefehls festgestellt, dass diese die Gewähr für unabhängiges Handeln unter anderem deshalb nicht biete, weil im GVG nicht näher geregelt sei, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Form das Weisungsrecht ausgeübt werden könne. Mit dem Gesetzentwurf soll den Kritikpunkten begegnet und das  Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft ausdrücklich geregelt werden.
  • Und dann noch die Anhebung des Grenzstreitwertes beim Amtsgericht. Ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht dazu vor, dass der in § 23 GVG vorgesehene Zuständigkeitsstreitwert der AG von bisher 5.000 EUR auf nunmehr 8.000 EUR angehoben wird. Daneben soll durch eine streitwertunabhängige Zuweisung bestimmter Sachgebiete an die AG und die LG die Spezialisierung der Justiz gefördert und eine effiziente Verfahrensführung unterstützt werden. So sollen bestimmte nachbarrechtliche Streitigkeiten streitwertunabhängig den AG zugewiesen werden. Streitigkeiten aus Heilbehandlungen, Vergabesachen sowie Veröffentlichungsstreitigkeiten sollen hingegen streitwertunabhängig den LG zugewiesen werden, um so eine weitergehende Spezialisierung zu erreichen.

 

VR III: Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter (in Berlin), oder: Keine Entziehung der Fahrerlaubnis bei 2,02 o/oo?

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Und dann zum Tagesschluss noch etwas vom AG Tiergarten, und zwar eine Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scotter. Ist ja an sich nichts Besonderes, hier haben wir es aber mit einer recht großzügigen Entscheidung des AG zur Entziehung der Fahrerlaubnis zu tun.

In dem AG Tiergarten, Urt. v. 25.04.2024 – 318 Cs 31/24 – stellt das AG eine Trunkenheitsfahrt des nicht vorbelasteten Angeklagten abends um 22.27 Uhr mit einem Blutalkoholwert zur Tatzeit von 2,02 Promille. Der Angeklagte fuhr infolge der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit nicht in gerader Fahrlinie, sondern in Schlangenlinien. Das AG führt zur Strafzumessung und zur Entziehung der Fahreralubnis aus:

„Bei der Strafzumessung ist das Gericht vom gesetzlichen Rahmen des § 316 Abs. 1 und 2 StGB ausgegangen, welcher Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr vorsieht. Innerhalb des so ermittelten Strafrahmens war bei der konkreten Strafzumessung gemäß § 46 StGB zugunsten des Angeklagten zu werten, dass er sich hinsichtlich seines Fehlverhaltens einsichtig und reuig zeigte und seit dem Tattag – nachgewiesen durch Laboruntersuchungen – keinen Alkohol mehr konsumiert. Das zum Tatzeitpunkt geführte Kraftfahrzeug war ein Elektrokleinstfahrzeug, von dem für andere Verkehrsteilnehmer im Vergleich z.B. mit einem Pkw deutlich geringere Gefahren ausgehen. Zudem ist der Angeklagte bisher strafrechtlich unvorbelastet gewesen.

Zu seinen Lasten war indes der mit 2,02 Promille Alkohol im Vollblut nicht nur unerheblich über dem Grenzwert der Rechtsprechung zur absoluten Fahruntauglichkeit von 1,1 Promille Alkohol im Vollblut liegende Grad der Alkoholisierung zu werten, der deutlich über das für den Tatbestand erforderliche Mindestmaß hinausgeht. Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Strafzumessungserwägungen hat das Gericht unter nochmaliger zusammenfassender Würdigung auf eine Geldstrafe von 30 (dreißig) Tagessätzen zu je 30,00 (dreißig) Euro erkannt, die ausreichend, jedoch auch zwingend notwendig erscheint, um das begangene Unrecht tat- und schuldangemessen zu bestrafen und allen Strafzwecken zu genügen.

Zwar liegt durch die Tat ein Regelfall für die Annahme der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vor (§ 69 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB). Gleichwohl konnte aufgrund der Gesamtumstände, der zuvor genannten Strafzumessungsgesichtspunkte und des vom Gericht von dem Angeklagten im Termin gewonnenen Eindrucks von der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB abgesehen werden und es genügte die Anordnung eines Fahrverbotes gemäß § 44 Abs. 1 StGB. Der Angeklagte hat die Straftat im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges begangen. Das Gericht hat es unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Angeklagten, der Tatumstände sowie unter Berücksichtigung der Strafzumessungsgesichtspunkte“— insbesondere dessen, dass der Angeklagte sich während des gesamten Verfahrens sehr kooperativ zeigte und erstmalig vor Gericht stand — auch unter Berücksichtigung des Nachtatverhaltens des Angeklagten (dokumentierter Verzicht auf den Konsum von Alkohol) als erforderlich aber auch ausreichend erachtet, ein Fahrverbot gemäß § 44 Abs. 1 StGB von vier Monaten anzuordnen.“

Nun ja. M.E. Glück gehabt. Das Urteil ist rechtskräftig. Wäre die StA in die Revision gegangen, hätte das m.E. beim KG nicht „gehalten“. Allein schon wegen der der 2,02 Promille.

VR I: Verurteilung wegen verbotenen Rennens, oder: Der BGH hebt zum zweiten Mal auf, auf in die 3. Runde

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Heute ist dann ein Verkehrsrechtstag, den ich mit einer Entscheidung des BGH eröffne.

Im BGH, Beschl. v. 27.03.2024 – 4 StR 493/23 – geht es mal wieder um ein Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB). „Mal wieder“ passt auch noch aus einem anderen Grund. Denn die Sache war schon einmal beim BGH. Der hatte das erste LG-Urteil mit Urteil v. v. 18.08.2022 (4 StR 377/21)  aufgehoben. Im zweiten Rechtsgang hat das LG den Angeklagten dann erneut verurteilt. Dagegen dann erneut die Revision des Angeklagten, die wieder Erfolg hatte. Ich stelle hier dann auch mal die doch recht umfangreichen Feststellungen des LG mit ein. Der BGH führt aus:

„1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen als bindend angesehen: Am 20. Oktober 2019 befuhr der 22-jährige Angeklagte mit seinem BMW M4 kurz nach 23:00 Uhr die Bundesautobahn 9 bei Ingolstadt. Sein Fahrzeug verfügte – auch aufgrund von mittels einer für den Off-road-Betrieb bestimmten Tuning-App vorgenommenen technischen Veränderungen – über 575 PS, 850 Nm Drehmoment und eine theoretische Höchstgeschwindigkeit von 330 km/h. Wegen der durch die Veränderungen und weitere Umbauten bedingten Verschlechterung der Geräusch- und Abgasemissionen war die Betriebserlaubnis des BMW erloschen. Der von dem Angeklagten befahrene geradlinig und eben verlaufende Streckenabschnitt der A 9 verfügt über drei nicht beleuchtete Spuren mit separatem Standstreifen. Aus Lärmschutzgründen ist die Geschwindigkeit ab 1.400 m vor der tatgegenständlichen Unfallstelle in der Zeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr auf 120 km/h beschränkt, ab 750 m vor dieser auf 100 km/h. Das Verkehrsaufkommen war moderat, die Sicht war gut und die Fahrbahn trocken. Es befanden sich von Zeit zu Zeit Fahrzeuge auf allen drei Spuren. Auch die linke Spur wurde regelmäßig für Überholvorgänge genutzt.

Bereits innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h überholte der links fahrende Angeklagte einen mit ca. 100 km/h auf der mittleren Fahrspur befindlichen Pkw, wechselte vor diesem zunächst auf die mittlere Spur, dann auf die rechte Spur und ließ sich anschließend hinter den Pkw zurückfallen, so dass der Pkw wieder an ihm vorbeifuhr. Anschließend wechselte er über die mittlere Spur auf die linke Spur, setzte zu einer massiven Beschleunigung an und passierte den weiterhin auf der mittleren Fahrspur fahrenden Pkw erneut mit hoher, nicht mehr näher feststellbarer Geschwindigkeit. Das gesamte Fahrmanöver nahm er in der Absicht vor, eine möglichst schnelle Beschleunigung und die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und die Leistungssteigerung seines Fahrzeugs „auszuleben“. Dabei ignorierte er die ihm bekannten Geschwindigkeitsbegrenzungen auf 120 km/h und 100 km/h, weil er „seinen Geschwindigkeitsrausch ausleben wollte“. Wenige Sekunden später schloss er zu einem vor ihm auf der linken Fahrspur fahrenden Pkw auf und ging leicht vom Gas. Nachdem der Fahrer dieses Pkw, der den mit hoher Geschwindigkeit sich nähernden BMW bemerkt hatte, auf die mittlere Spur gewechselt war, gab der Angeklagte wieder stark Gas, überholte den Pkw mit weit überhöhter Geschwindigkeit und beschleunigte weiter auf mindestens 233 km/h.

Noch im Sichtbereich des Fahrers des zuvor überholten Pkw nahm der Angeklagte erst im letzten Augenblick den mit eingeschaltetem Abblendlicht vor ihm mittig auf der linken Spur fahrenden Audi A4 des Geschädigten wahr. Obwohl er noch eine Vollbremsung einleitete und weitest möglich nach links auswich, fuhr er mit 207 km/h auf das Heck des Audi auf. Der Geschädigte, der angeschnallt mit ca. 120 km/h auf der mittleren Spur gefahren war, hatte etwa 4,2 Sekunden vor der Kollision seinen linken Blinker gesetzt und war sodann auf die linke Spur gewechselt, um ein vor ihm mit ca. 100 km/h fahrendes Wohnwagengespann, das seinerseits einen mit etwa 85 km/h auf der rechten Fahrspur fahrenden Lkw passierte, zu überholen. Als der Geschädigte den Blinker setzte, war der Angeklagte noch 125 m entfernt. Der Geschädigte hätte zu diesem Zeitpunkt die Lichter des BMW im Rück- und Seitenspiegel erkennen und den Spurwechsel unterlassen können. Eine zutreffende Einschätzung der Position des BMW und dessen hoher Geschwindigkeit war dem Geschädigten allerdings nur eingeschränkt und nur mit hoher Fehlertoleranz möglich. Der Unfall wäre vermeidbar gewesen, wenn der Angeklagte höchstens 197 km/h gefahren wäre.

Durch den Zusammenprall schleuderte der Audi A4 über die mittlere und rechte Spur ins Bankett und überschlug sich. Der Geschädigte erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und verstarb an der Unfallstelle. Der BMW des Angeklagten geriet ebenfalls ins Schleudern, kollidierte mit dem auf der mittleren Spur fahrenden Wohnwagengespann und überschlug sich. Aufgrund der Sicherheitsausstattung seines Fahrzeugs erlitt der Angeklagte nur leichte Verletzungen. An beiden Fahrzeugen entstand Totalschaden. An weiteren Fahrzeugen wurden hohe Sachschäden verursacht.

2. Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht zusätzlich festgestellt: Der Angeklagte hielt den Eintritt einer kritischen Verkehrssituation durch einen Spurwechsel anderer Verkehrsteilnehmer direkt vor ihn auf seine Fahrspur für möglich und fand sich hiermit ab. Er ging dabei jedoch ernsthaft davon aus, sein Fahrzeug auch bei hohen Geschwindigkeiten sicher beherrschen und so einen Unfall ggf. im letzten Moment verhindern zu können. Er vertraute hierdurch auf das Ausbleiben einer Kollision und eines damit einhergehenden tödlichen Erfolges.

II.

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Der Schuldspruch wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge nach § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 5 StGB weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinen Lasten auf. Denn die von dem hier maßgeblichen Grundtatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB geforderte Rennabsicht des Angeklagten ist nicht festgestellt.

1. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft keine Feststellungen zu der für den hier einschlägigen Grundtatbestand des sog. Alleinrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlichen Absicht des Angeklagten getroffen, mit seinem Fahrzeug eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen. Vielmehr hat es in seinem Urteil wiederholt ausgeführt, dass eine solche Absicht nach dem Urteil des Senats bereits bindend feststehe. Dies trifft nicht zu. Die Strafkammer hat die Reichweite der Aufhebung und damit auch den Umfang der Bindungswirkung von Feststellungen verkannt.

Der Senat hat das im ersten Rechtsgang angefochtene Urteil „mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite“ aufgehoben (vgl. § 353 StPO). Diese Formulierung erfasst sämtliche Feststellungen zur inneren Tatseite, ohne dass der Senat Teile hiervon ausgenommen hätte. Aus dem Umstand, dass er in den Entscheidungsgründen die im Ersturteil festgestellte Absicht des Angeklagten, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, als rechtsfehlerfrei festgestellt bezeichnet hat, lässt sich diesbezüglich nichts Gegenteiliges ableiten. Diese Ausführungen waren ohnehin lediglich der gebotenen Prüfungsreihenfolge bei der hier auf dem Grundtatbestand nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB aufbauenden Qualifikation nach § 315d Abs. 2 und 5 StGB geschuldet. Im maßgeblichen Tenor der Senatsentscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2007 – 2 StR 62/07 Rn. 5; Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135, 137) haben sie hingegen keinen Niederschlag gefunden. Auch in deren Gründen findet sich im Rahmen der Ausführungen zum Aufhebungsumfang keine entsprechende Einschränkung, so dass sich schon deshalb die Frage einer Auslegung des Tenors im Sinne des landgerichtlichen Verständnisses nicht stellt.

2. Das Fehlen von Feststellungen zur Tat, hier zur subjektiven Tatseite des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, ist ein sachlich-rechtlicher Mangel, der auf die allgemeine Sachrüge zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2007 – 2 StR 62/07 Rn. 8 mwN). Da sich die Strafkammer für die Rennabsicht des Angeklagten an die Feststellungen des ersten Rechtsgangs gebunden sah, sind entsprechende Feststellungen auch der Gesamtheit der Urteilsgründe nicht zu entnehmen. Zudem beruht das Urteil auf dem Rechtsfehler (§ 337 StPO). Der Schuldspruch unterliegt daher – zugleich wegen des tateinheitlich verwirklichten Delikts (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 2023 – 2 StR 308/22 Rn. 20) – der Aufhebung. Dasselbe gilt für die Folgeentscheidungen. Der Senat hebt auch die Entscheidung zur Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung auf; das neue Tatgericht wird insoweit ohnehin den gesamten (auch weiteren) Verfahrensablauf zu berücksichtigen haben.

Die vom Landgericht im zweiten Rechtsgang getroffenen Feststellungen zum Gefährdungsvorsatz des Angeklagten (bei zugleich fehlendem Tötungsvorsatz) sind von dem Rechtsfehler ebenfalls betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO). Denn das Landgericht hat den ansonsten rechtsfehlerfrei bejahten Gefährdungsvorsatz des Angeklagten auch damit begründet, dass er ein „Alleinrennen“ gefahren habe. Diese Erwägung des Landgerichts knüpft an die zu Unrecht als bindend angesehene Rennabsicht des Angeklagten an. Der Senat hebt vor diesem Hintergrund alle im zweiten Rechtsgang neu getroffenen Feststellungen ebenfalls auf.

III…..

IV.

Das im dritten Rechtsgang erkennende Tatgericht wird aufgrund eigener Beweiserwägungen Feststellungen zur subjektiven Tatseite aller in Betracht kommenden Delikte (Grund- und Qualifikationstatbestände) zu treffen haben. Dies betrifft namentlich die Rennabsicht und den Gefährdungsvorsatz des Angeklagten, die weiteren subjektiven Voraussetzungen von § 315d Abs. 1 Nr. 3, § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) StGB (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315c Rn. 18) und den Tötungsvorsatz.

Auch eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, sollte sich das neue Tatgericht von seinem Tötungsvorsatz überzeugen können, verböte sich nicht. Einer derartigen Verschärfung des Schuldspruchs stünden weder das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) noch die Bindung des neuen Tatgerichts an die Aufhebungsansicht des Senats (§ 358 Abs. 1 StPO) entgegen, die sich hierüber nicht verhält. Das neu zuständige Schwurgericht wird jedoch das Verschlechterungsverbot hinsichtlich der gegen den Angeklagten zu verhängenden Rechtsfolgen zu beachten haben, denn die Urteilsaufhebung ist nunmehr allein zu seinen Gunsten erfolgt (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1991 – 2 StR 288/91, BGHSt 38, 66, 67; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 358 Rn. 18 mwN).

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass mangels damaliger Aufhebung auch die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten aus dem ersten Rechtsgang bindend sind. Sie können widerspruchsfrei ergänzt werden.“

Dann darf als die nächste Strafkammer ihr Glück versuchen. Vielleicht klappt es ja.

KCanG II: Encro-Chat-Verwertung nach KCanG erlaubt?, oder: Aufhebung einer (alten) Abstinenzweisung

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Und im Mittagsposting dann zwei Entscheidungen, und zwar einmal OLG und einmal LG.

Zunächst der Hinweis auf den OLG Hamburg, Beschl. v. 13.05.2024 – 1 Ws 32/24 – zu Verwertbarkeit einer EncroChat-Kommunikation nach Inkraftreten des KCanG. Die hatten das KG im KG, Beschl. v. 30.04.2024 – 5 Ws 67/24 – und das LG Mannheim im LG Mannheim, Urt. v. 12.4.2024 – 5 KLs 804 Js 28622/21 – ja verneint, das LG Köln hatte Sie hingegen im LG Köln, Beschl. v. 16.4.2024 – 323 Qs 32/24 – bejaht. Nun also das OLG Hamburg mit folgenden amtlichen Leitsätzen:

  1. Die Rechtmäßigkeit einer Verwertung von EncroChat-Daten vor dem 1. April 2024 wird durch die Neuregelungen des KCanG nicht berührt.
  2. Nach Ansicht des Senats sprechen gute Gründe dafür, dass – es für die Verwertbarkeit nach § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO sowohl in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht auf den Zeitpunkt ankommt, in dem die betroffenen Beweismittel Eingang in das Strafverfahren gefunden haben und dementsprechend- eine Verwertung von EncroChat-Daten, die vor dem 1. April 2024 rechtmäßig in entsprechender Anwendung des § 100e Abs. 6 StPO Eingang in ein Strafverfahren gefunden haben, auch dann zulässig bleibt, wenn nunmehr aufgrund des seit dem 1. April 2024 in Kraft befindlichen Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (KCanG) aufgrund des Fehlens einer Katalogtat die Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO nicht mehr vorliegen.

Dazu meinte der Kollege Welke, der mich (auch) auf den Beschluss hingewiesen hatte, nicht zu Unrecht: Das meint es anders zu sehen als das KG und LG Mannheim. Wenn man aber genau hinschaut, stimmt das nicht. Denn: nach der Rechtsprechung des BGh zu EncroChat kommt es als Zeitpunkt der Verwertung der Daten auf die Entscheidung des Gerichts an. Deswegen kam ja auch das LG Mannheim zur Uverwertbarkeit, da es ja am 12.04.2024 und damit nach der seit 01.04.2024 bestehenden Rechtslage zu prüfen hatte. Hier im OLG-Beschluss geht es nun aber um ein Urteil, dass am 20.02.2023 durch das LG verkündet wurde. Zu dem Zeitpunkt waren die Daten, wenn man sie denn überhaupt als verwertbar ansieht, noch verwertbar. Die Gerichte werden sich über entsprechende Diskussionen freuen.

In dem Zusammenhang dann der Hinweis auf einen Beitrag von LTO zum „Bundes-Marco“, unserem allseits beliebten BMJ, und zwar „Gesetzeslücke bei illegaler Einfuhr großer Mengen Cannabis? Marco Busch­mann setzt auf die Recht­sp­re­chung“.

Und als zweite Entscheidung dann der LG Mannheim, Beschl. v. 10.05.2024 – R 18 StVK 285/22 -, den mir der Kollege Welke geschickt hat. Dessen Mandat war mit Verstößen gegen das BtMG im Zusammenhang mit Cannabis, welche nach dem KCanG auch heute noch strafbar wären, und deswegen verurteilt worden. Nach Teilverbüßung ist die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Im Bewährungsbeschluss hieß es u.a.: „Der Verurteilte hat sich jeglicher illegaler Drogen zu enthalten. Während der gesamten Bewährungszeit hat sich der Verurteilte nach näherer Weisung seines Bewährungshelfers zum Nachweis seiner Suchtmittelfreiheit regelmäßig, mindestens jedoch einmal im Quartal, Drogenscreenings zu unterziehen. …..“

Der Kollege hat dann nach dem 01.04.2024 beantragt, gemäß § 58e StGB dieaw Weisung aus dem Beschluss aufzuheben bzw. dahingehend abzuändern, dass keine Drogenscreenings mehr abgegeben werden müssen. Dazu dann das LG Mannheim, das die Weisung aufgehoben hat und wie folgt neu gefasst hat: „Der Verurteilte hat sich jeglicher illegaler Drogen bzw. des nach KCanG verbotenen Umgangs mit Cannabis zu enthalten„:

„Dem Antrag konnte dabei im erfolgten Umfang entsprochen werden, zumal auch die Bewährungshelferin keine Hinweise sieht, die dafür sprechen könnten, die Kontrollweisung aufrechtzuerhalten. Die Weisung, sich jeglicher illegaler Drogen zu enthalten, hat auch nach Ein-führung des KCanG weiterhin Berechtigung, und zwar auch im Umgang mit Cannabis, der, soweit hier von Relevanz, nur innerhalb der Grenzen des § 2 Abs. 3 KCanG vom generell verbotenen Umgang ausgenommen ist bzw. im Rahmen des § 34 KCanG unter Strafe gestellt ist.“