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Rechtsmittel II: Ausbleiben genügend entschuldigt?, oder: Kann man einen „subjektiven“ Vorwurf machen?

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Die zweite Entscheidung, der OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.05.2024 – Ws 276/24 – stammt aus einem Berufungsverfahren. Behandelt wird mal wieder die Frage der genügenden Entschuldigung, also ein Klassiker.

Das OLG führt dazu aus:

„b) Soweit der Angeklagte zur Geltendmachung seiner ordnungsgemäßen Entschuldigung eine durch Einfügung seines Namens korrigierte Verhandlungsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt, bezieht sich dieses Vorbringen zwar auf die bereits am Tag der Berufungsverhandlung vom Angeklagten für sein Nichterscheinen geltend gemachte Erkrankung und eine damit dem Berufungsgericht bei seiner Entscheidung bekannte Tatsache. Die attestierte Verhandlungsunfähigkeit hat das Berufungsgericht aber bei seinem Verwerfungsurteil nicht in seine Sachentscheidung einbezogen, sondern diese nicht berücksichtigt und insoweit ausgeführt, dass die Bescheinigung über die Verhandlungsunfähigkeit keinen Patientennamen enthalte. Da aber der Angeklagte sowohl die Bescheinigung über die Verhandlungsunfähigkeit als auch die in derselben Praxis ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gemeinsam oder jedenfalls unmittelbar nacheinander eingereicht hat, war trotz des fehlenden Eintrags des Patientennamens im Schreiben betreffend die Verhandlungsunfähigkeit der bestehende Zusammenhang unübersehbar und eine gemeinsame Würdigung beider eingereichter Unterlagen hätte sich aufgedrängt und hätte daher auch erfolgen müssen. Der Angeklagte kann im Wiedereinsetzungsverfahren geltend machen, dass dies nicht geschehen ist.

2. Der Angeklagte ist unverschuldet nicht zur Berufungsverhandlung gekommen, da er jedenfalls ohne Verschulden davon ausgehen konnte, dass die von ihm vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen sein Fernbleiben entschuldigen.

a) Nach § 329 Abs. 7 StPO kann der Angeklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den in den §§ 44 und 45 StPO bezeichneten Voraussetzungen beanspruchen. Maßgebend sind also solche Gründe, die den Angeklagten ohne sein Verschulden am rechtzeitigen Erscheinen zur Berufungsverhandlung gehindert haben. Dies ist insbesondere der Fall bei Vorliegen einer Krankheit, die nach Art und Auswirkungen ein Erscheinen in der Hauptverhandlung unzumutbar machte (KK-StPO/Paul, 9. Aufl. 2023, StPO § 329 Rn. 23). Eine genügende Entschuldigung im Sinne der Vorschrift ist anzunehmen, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens billigerweise kein Vorwurf zu machen ist. Auch wenn ein ärztliches Attest den Angeklagten objektiv nicht entschuldigt, darf ein Urteil nach § 329 Abs. 1 StPO nicht ergehen, wenn der Angeklagte ohne Verschulden annehmen durfte, der Inhalt des Attestes entschuldige sein Ausbleiben (KK-StPO/Paul, 9. Aufl. 2023, StPO § 329 Rn. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.05.1985, 2 Ws 184/85 u. 2 Ss 161/85 – 104/85 II, beck-on-line; OLG Dresden, Beschluss vom 13.12.2016, 13 Ss 802/16, beck-online).

b) Der Angeklagte ist unter Berücksichtigung dieser Grundsätze jedenfalls ohne subjektives Verschulden nicht zur Berufungsverhandlung gekommen.

Unabhängig von den im Freibeweisverfahren getroffenen Feststellungen zur Frage der ausreichenden Diagnostizierung der Erkrankung des Angeklagten und zur Gleichsetzung von Arbeitsunfähigkeit und Verhandlungsunfähigkeit durch den behandelnden und die Bescheinigungen ausstellenden Arzt hat das Landgericht nicht berücksichtigt, dass der Begriff der unentschuldigten Säumnis eine Pflichtverletzung auch in subjektiver Hinsicht voraussetzt und das Nichterscheinen einem Angeklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, wenn er in berechtigtem Vertrauen auf die Richtigkeit einer ärztlichen Diagnose davon ausgeht, aus gesundheitlichen Gründen einen Gerichtstermin nicht wahrnehmen zu können und zudem annehmen kann, das eingereichte Attest reiche aus, um ihn genügend zu entschuldigen (OLG Dresden, Beschluss vom 13.12.2016, 13 Ss 802/16, beck-online). Der Angeklagte, der durch die Information der Kanzleimitarbeiterin seines Verteidigers wusste, dass er ein Attest über seine Verhandlungsunfähigkeit vorlegen musste, und dem durch Dr. pp. sowohl eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als auch die Bescheinigung der Verhandlungsunfähigkeit ausgestellt worden waren, konnte auf die Bestätigungen des Mediziners vertrauen, sich angesichts seiner dem Arzt vorgetragenen Durchfallerkrankung für objektiv entschuldigt halten und ohne Schuldvorwurf annehmen, der Inhalt der von ihm eingereichten Atteste – Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit und der Verhandlungsunfähigkeit – reiche aus, um ihn genügend zu entschuldigen. Dass der Angeklagte seine Erkrankung nur vorgetäuscht und sich die ausgestellten Bescheinigungen erschlichen hat, ist nicht festgestellt. Auch durch die vom Landgericht durchgeführte Zeugenvernehmung ergaben sich hierfür keine Hinweise. Den ersten Termin zur Berufungshauptverhandlung vom 20.12.2023 hatte der Angeklagte im Übrigen wahrgenommen.“

Rechtsmittel I: Zweifel an Wirksamkeit der Rücknahme, oder: Wer muss was tun?

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Und dann mal wieder Rechtsmittelentscheidungen, also StPO.

Den Reigen beginne ich mit dem BGH, Beschl. v. 11.10.2023 – 4 StR 226/23. Ist schon älter und hängt schon länger in meinem Blogordner. Ich habe die Entscheidung bisher aber immer übersehen.

Es geht um die Frage, wie eigentlich damit umgegangen werden muss, wenn die Revision zurückgenommen, dann aber die Wirksamkeit der Rücknahme bezweifelt wird. Wer muss was tun?. Der BGH sagt: Es muss eine feststellende Entscheidung über die Wirksamkeit geben, und zwar vom Revisions-/Rechtsmittelgericht, und nicht, wie hier, vom Tat-/Ausgangsgericht:

„1. Der Senat ist zur Entscheidung über die Frage der Wirksamkeit der Revisionsrücknahme berufen.

a) Wird die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme von einem Verfahrensbeteiligten in Zweifel gezogen, ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Sache des Revisionsgerichts, über die Frage der Wirksamkeit der Revisionsrücknahme zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2022 ? 3 StR 29/22 Rn. 2; Beschluss vom 17. Februar 2011 ? 4 StR 691/10, wistra 2011, 314; Beschluss vom 8. März 2005 ? 4 StR 573/04, NStZ-RR 2005, 211, 212; Beschluss vom 20. Juli 2004 ? 4 StR 249/04, NStZ 2005, 113; Beschluss vom 12. Juli 2000 ? 3 StR 257/00, NStZ 2001, 104; KK-StPO/Paul, 9. Aufl., § 302 Rn. 14a). Die Zuständigkeit ist auch in Fällen begründet, in denen ? wie hier ? die Frage der Wirksamkeit der Revisionsrücknahme aufgeworfen wird, bevor die Akten dem Revisionsgericht zur Entscheidung vorgelegt worden sind. Dies ergibt sich aus Folgendem:

aa) Die Strafprozessordnung enthält insoweit keine ausdrückliche Regelung darüber, welches Gericht zu entscheiden hat, wenn Zweifel darüber bestehen, ob die Revision wirksam zurückgenommen worden ist (vgl. MüKo-StPO/Allgayer, 1. Aufl., § 302 Rn. 51). Da die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme ? ähnlich wie die Frage der Wirksamkeit eines erklärten Rechtsmittelverzichts ? implizit die Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels aufwirft, ist die Beantwortung der Zuständigkeitsfrage an dem insoweit maßgeblichen Regelungsgefüge der §§ 346 Abs. 1, 349 Abs. 1 StPO auszurichten. Da § 346 Abs. 1 StPO nach seinem eindeutigen Wortlaut eine Zuständigkeit des Tatgerichts nur in den Fällen verspäteter Revisionseinlegung oder einer nicht rechtzeitigen Revisionsbegründung vorsieht, bleibt es im Übrigen bei der Regel des § 349 Abs. 1 StPO. Danach hat in Fällen, in denen die Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahme von einem Verfahrensbeteiligten ernsthaft in Zweifel gezogen wird, das Revisionsgericht hierüber eine feststellende Entscheidung zu treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2023 ? 4 StR 171/23 Rn. 3).

Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Danach soll § 346 Abs. 1 StPO der Entlastung der Revisionsgerichte sowie der Verfahrensbeschleunigung in einfachen und klaren Fällen dienen, indem der judex a quo selbst über die Frage der Zulässigkeit der Revision entscheidet (vgl. Franke, in: Löwe-Rosenberg, 26. Aufl., § 346 Rn. 1; kritisch zur gesetzgeberischen Entscheidung Meyer-Goßner, Hamm-FS (2008), S. 443, 455 [„übervorsichtig“]). In allen anderen Fällen bleibt es bei der Zuständigkeit des Revisionsgerichts nach § 349 Abs. 1 StPO. § 346 Abs. 1 StPO ist eine Ausnahmevorschrift und daher eng auszulegen. Kann sich die Unzulässigkeit der Revision aus einem anderen als den in § 346 Abs. 1 StPO aufgezählten Gründen ergeben, obliegt die Prüfung allein dem Revisionsgericht. Dies gilt auch dann, wenn ein solcher Grund mit Mängeln der Form- und Fristwahrung zusammentrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2006 ? 4 StR 375/06, NJW 2007, 165; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 346 Rn. 2). Deshalb ist anerkannt, dass die Prüfung der Zulässigkeit der Revision trotz Rechtsmittelverzichts allein dem Revisionsgericht obliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2006 ? 4 StR 375/06, NJW 2007, 165).

bb) Zwar wird in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, das Tatgericht sei zu einer Entscheidung über die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme berufen, solange das Verfahren dort noch anhängig ist und die Akten dem Revisionsgericht noch nicht zur Entscheidung vorgelegt worden sind (vgl. Hanack, in Löwe-Rosenberg, 25. Aufl., § 302 Rn. 76; Albrecht in KMR, 92. EL, § 302 Rn. 10; ablehnend BGH, Beschluss vom 2. Mai 2007? 1 StR 192/07 Rn. 4 aE; Jesse, in: Löwe-Rosenberg, 26. Aufl., § 302 Rn. 98 („nur im Umfang des […] § 346 Abs. 1 StPO“; Momsen in KMR, 55. EL, § 346 Rn. 5; Hoch in SSW-StPO, 5. Aufl., § 302 Rn. 37 [„in der Regel“]).

Dieser Rechtsauffassung vermag der Senat nicht beizutreten (zweifelnd auch BGH, Beschluss vom 23. März 2022 ? 3 StR 29/22 Rn. 2; Beschluss vom 17. Februar 2011 ? 4 StR 691/10 Rn. 4; Beschluss vom 20. September 2007 ? 4 StR 297/07 Rn. 4; Beschluss vom 20. Juli 2004 ? 4 StR 249/04, NStZ 2005, 113; Beschluss vom 14. September 2006 ? 4 StR 300/06 Rn. 5; Beschluss vom 8. März 2005 ? 4 StR 573/04, NStZ-RR 2005, 211, 212). Mit Blick auf das dargestellte Regelungsgefüge kann dem Umstand, ob das Verfahren noch beim Landgericht oder schon beim Bundesgerichtshof anhängig ist, eine zuständigkeitsbegründende Wirkung nicht beigemessen werden. Dass das Tatgericht über die Frage der Kostentragung zu entscheiden hat, solange die Akten dem Revisionsgericht noch nicht zur Entscheidung vorgelegt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1958 ? 1 StR 485/58, BGHSt 12, 217, 219; RGSt 67, 145, 146 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 464 Rn. 13), vermag hieran nichts zu ändern.

b) Die Tatsache, dass das Landgericht „deklaratorisch“ über die Frage der Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme entschieden hat, steht dem nicht entgegen. Der Senat kann offenlassen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das Tatgericht aus Gründen prozessualer Fürsorgepflicht und im Interesse der Verfahrensbeschleunigung gehalten sein kann, die von einem der Verfahrensbeteiligten geäußerten Zweifel an der Frage der Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme durch Bekanntgabe seiner Rechtsauffassung zu beseitigen. Führt dies zu einer Behebung der Zweifel, kann es sich erübrigen, eine Entscheidung des Revisionsgerichts herbeizuführen. Hier hat der Angeklagte aber trotz der Entscheidung des Tatgerichts an seiner Revision festgehalten und damit zum Ausdruck gebracht, dass er die Revisionsrücknahme für unwirksam halte. Da der Angeklagte aufgrund des Inhalts des Beschlusses davon ausgehen durfte, dass das Landgericht dem Senat die Akten zur Herbeiführung einer Entscheidung über die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme vorlegen werde, konnte schließlich auch weiterhin offenbleiben, ob eine Entscheidung im Revisionsverfahren in analoger Anwendung des § 346 Abs. 2 StPO einen entsprechenden (fristgebundenen) Antrag voraussetzt oder ob die Entscheidung des Revisionsgerichts formlos und ohne Einhaltung einer Frist herbeigeführt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2004 ? 4 StR 249/04, NStZ 2005, 113 mwN; siehe auch BGH, Beschluss vom 28. Mai 2013 ? 3 StR 426/12 Rn. 5).

2. Die Revision des Angeklagten ist wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der Angeklagte hatte seinen Verteidiger mit der Revisionsrücknahme beauftragt. Die Rücknahmeerklärung, die als Prozesshandlung unwiderruflich und unanfechtbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2021 ? 1 StR 285/21; Beschluss vom 17. Juli 2019 ? 4 StR 85/19), wurde daher mit ihrem Eingang beim Landgericht wirksam. Anhaltspunkte für schwerwiegende Willensmängel oder Hinweise auf das Fehlen der prozessualen Handlungsfähigkeit des Angeklagten (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 2020 ? 3 StR 595/19 Rn. 5; Beschluss vom 15. Dezember 2015 ? 4 StR 491/15 Rn. 6) sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dass der Angeklagte sich später ? wie er ausdrücklich mitteilt ? „umentschieden“ hat, ist als nachträgliche Willensänderung für die Frage der Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung bedeutungslos.

Urteilsgründe: Handel mit Betäubungsmitteln, oder: Allein Besitz von Feinwaage u.a. reicht nicht

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Und dann als letzte Entscheidung noch etwas aus dem BtM-Bereich, und zwar das AG München, Urt. v. 10.4.2024 – 1015 Ds 373 Js 146518/23 jug. Vorgeworfen worden ist der m Angeklagten ein Verstoß gegem das BtMG/KCanG. Das AG hat ihn frei gesprochen:

„Der Angeklagte wurde von der Staatsanwaltschaft mit unveränderter zugelassener Anklageschrift vom 30.11.23 folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

„1.Am 15.03.2023 gegen 18:51 Uhr bewahrte der Angeklagte in der pp-, München, 2,87 Gramm Marihuana und 2,22 Gramm Tabak-Marihuana-Gemisch zusammen mit einer Feinwaage und diversen Druckverschlusstüten wissentlich und willentlich auf. Dabei plante der Angeklagte, durch einen späteren Verkauf Gewinn zu erzielen.

Das Betäubungsmittel hatte mindestens einen Wirkstoffgehalt von 5 % THC.

Wie der Angeklagte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.

Bei Tatbegehung besaß der Angeklagte die gemäß § 3 JGG erforderliche Reife, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.“

Dem Angeklagten wurde deshalb vorgeworfen, sich eines vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß §§ 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage I zum BtMG, §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, Fassung vor dem 01.04.24 bzw. §§ 1 Nr. 8, 2 I Nr. 1, 34 I Nr. 1, 2 u. 12 KCanG, ab dem 01.04.24 strafbar gemacht zu haben.

Dem gegenüber hat das Gericht folgenden Sachverhalt festgestellt:

Der Angeklagte hatte in seinem Zimmer die unter Nr. 1 angegebenen Mengen an Marihuana und Tabak-Marihuana-Gemisch sowie die Druckverschlusstüten und die Feinwaage. Der Angeklagte hat angegeben, die Druckverschlusstüten hätten sich dort befunden, weil er wisse, dass beim Transport von Marihuana der Geruch verräterisch sei. Deshalb würde er, wenn er Marihuana in der Hosen- oder Jackentasche mitnehme, dieses in Druckverschlusstüten verpacken.

Diese seien nicht einzeln zu erwerben deswegen habe sich eine solche Menge dort befunden. Weiter hat er angegeben, dass er die Feinwaage in seinem Besitz gehabt habe, weil er zum Teil geringere Mengen habe abwiegen wollen. Diese beiden Angaben sind nicht zu widerlegen. Allein die Tatsache, dass der Angeklagte eine Feinwaage und diverse Druck-verschlusstüten bei sich zuhause aufbewahrt, reicht nicht aus, um davon auszugehen, dass er auch mit Marihuana Handel getrieben habe.

Der Angeklagte konnte daher nicht mit der zur Verurteilung erforderlichen Sicherheit des vorsätzlichen unerlaubten Handelns mit Cannabis in Form von Marihuana nach dem Konsumcannabisgesetz überführt werden. Er war daher freizusprechen. Der Freispruch erfolgte aus tatsächlichen Gründen.“

Urteilsgründe II: Verurteilung wegen KiPo-Verbreitens, oder: Wesentliche Inhalte der KiPo-Schriften im Urteil?

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Die zweite Entscheidung, den OLG Celle, Beschl. v. 27.05.2024 – 1 ORs 13/24 – hatte ich schon mal vorgestellt, und zwar wegen der vom OLG angesprochenen Frage in Zusammenhang mit dem KCanG. Hier kommt sie jetzt noch einmal, und zwar wegen der Ausführungen des OLG bei einer Verurteilung wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften u.a.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Verbreitens kinderpornographischer Inhalte in sechs Fällen sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Inhalte verurteilt. Gegen das Urteil hatten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Die Staatsanwaltschaft beschränkte diese in ihrer schriftlichen Berufungsbegründung und der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft jeweils auf den Rechtsfolgenausspruch. Das LG hat die Beschränkungen für wirksam gehalten und die Rechtsmittel jeweils verworfen.

Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zur Sache, die das Landgericht aufgrund der erfolgten Berufungsbeschränkungen seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, lauten wie folgt:

„1.- 6.
Mit Hilfe seines Computers oder Mobiltelefons hielt der Angeklagte in dem Zeitraum vom 02.11.2020 bis zum 26.06.2021 insgesamt mindestens 34 Bilddateien, auf denen unter anderem ein entblößtes männliches Genital, jeweils mit einem ausgedruckten Bild, auf dem der sexuelle Missbrauch eines unter 14 Jahre alten Mädchens oder in grob anreißerischer (pornographischer) Weise eine sexuelle Handlung von, an oder vor einem Kind, ein zumindest teilweise unbekleidetes Kind in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung oder in sexuell aufreizender Weise das unbekleidete Geschlechtsteil bzw. Gesäß eines Kindes dargestellt ist, sowie der Bundespersonalausweis des Angeklagten zu sehen ist, über einen Verweisungslink auf das Tauschbörsenprogramm „pornopics“ im Internet zum Download bereit und zwar
1. am 02.12.2020 insgesamt elf solche Dateien,
2. am 03.12.2020 insgesamt zwölf solche Dateien,
3. am 19.12.2020 insgesamt sechs solche Dateien,
4. am 08.03.2021 insgesamt drei solche Dateien,
5. am 22.06.2021 eine solche Datei,
6. am 26.06.2021 eine solche Datei.
7. Der Angeklagte ließ sich mithilfe seines Computers oder Mobiltelefons
a) Dateien mit Bildern oder Videos, auf denen der sexuelle Missbrauch von unter 14 Jahre alten Mädchen oder in grob anreißerischer (pornographischer) Weise eine sexuelle Handlung von, an oder vor einem Kind, ein zumindest teilweise unbekleidetes Kind in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung oder in sexuell aufreizender Weise das unbekleidete Geschlechtsteil bzw. Gesäß eines Kindes dargestellt ist,
b) Dateien mit Bildern, auf denen in grob anreißerischer (pornographischer) Weise sexuelle Handlungen von, an oder vor Mädchen oder Jungen zwischen der Vollendung des 14. und 18. Lebensjahres oder zumindest teilweise unbekleidete Jugendliche in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung dargestellt sind,
von anderen Internetnutzern übermitteln oder lud solche Dateien aus dem Internet herunter und speicherte diese auf einer Festplatte, die er in seinem Keller in einer Metallbox verwahrte, sodass anlässlich einer Durchsuchung am 27.09.2021 bei ihm 2.384 kinderpornographische Mediendateien sowie 120 jugendpornographische Dateien aufgefunden wurden. Zusätzlich wurden in der Metallbox vier weitere, ausgedruckte kinderpornographische Bilder in DIN-A4-Format aufgefunden.“

Dagegen die Revision, die erfolgreich war. Dem OLG reichen nämlich diese amtsgerichtlichen Feststellunge nicht:

„….. Ob das Berufungsgericht zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung nach § 318 S. 1 StPO und damit von einer Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Urteils ausgegangen ist, ist im Rahmen einer zulässigen Revision auf die Sachrüge von Amts wegen zu prüfen (vgl. etwa BayOLG, Beschluss vom 18. Oktober 2023 – 202 StRR 74/23, juris Rn. 3; KG Berlin, Beschluss vom 10. Juni 2020 – (4) 161 Ss 65/20 (86/20), juris Rn. 24). Eine wirksame Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch setzt voraus, dass das angefochtene Urteil seine Prüfung ermöglicht; dies ist dann nicht der Fall, wenn die Feststellungen zur Tat so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen und deshalb keine hinreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung des Berufungsgerichts bilden können (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 – 2 StR 288/19, juris Rn.9; BayOLG, Beschluss vom 18. Oktober 2023 – 202 StRR 74/23, juris Rn. 4; KG Berlin, Beschluss vom 10. Juni 2020 – (4) 161 Ss 65/20 (86/20), juris Rn. 26; jeweils mwN). Die Urteilsfeststellungen müssen insbesondere auch erkennen lassen, durch welche Tatsachen die gesetzlichen Merkmale der Straftat als verwirklicht angesehen worden sind (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. Mai 2023 – 1 ORs 85/23, juris Rn. 6).

Im Falle einer Verurteilung nach §§ 184b, 184c StGB müssen die Urteilsgründe die wesentlichen Inhalte der kinder- bzw. jugendpornografischen Schriften bzw. Abbildungen wiedergeben; hierzu gehört zumindest eine Beschreibung der Art der sexuellen Handlung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2023 – 5 StR 55/23, juris Rn. 3 und vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12; OLG Oldenburg aaO Rn. 10). Zwar ist es beim Vorliegen einer großen Menge von Video- und Bildaufnahmen nicht erforderlich, in den Urteilsgründen jede einzelne zu beschreiben; zumindest für eine exemplarische Auswahl der Aufnahmen sind aber konkrete Feststellungen zu den abgebildeten sexuellen Handlungen von, an oder vor Kindern oder Jugendlichen geboten (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12; OLG Oldenburg aaO).

Solche sind jedoch – auch in Form einer grundsätzlich möglichen Bezugnahme auf in den Akten befindliche Abbildungen gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12) – in den Gründen des amtsgerichtlichen Urteils nicht zu finden. Das amtsgerichtliche Urteil belässt es bei den Feststellungen zur Sache vielmehr im Wesentlichen bei der Wiedergabe des Gesetzeswortlauts, ohne die Tatbestandsvoraussetzungen der angewandten Normen durch entsprechende tatsächliche Feststellungen auszufüllen. Der Inhalt der maßgeblichen Dateien wird – selbst für eine exemplarische Auswahl – nicht mitgeteilt. Es fehlen Angaben zum Geschlecht der jeweils Betroffenen sowie zu den jeweiligen Tatmodalitäten. Schließlich wird auch nicht dargelegt, aus welchen äußeren Merkmalen das Gericht auf ein bestimmtes Alter der auf den Bildern zu sehenden Personen schließt.

Wegen der Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung hätte das Landgericht die notwendigen Feststellungen zum Schuldspruch in eigener Verantwortung treffen müssen. Dass dies nicht geschehen ist, begründet einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, so dass das angefochtene Urteil insgesamt der Aufhebung unterliegt.“

OWi II: Fahreridentifizierung mit SV-Gutachten, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

Im zweiten Posting dann etwas zur Urteilbegründung in den Indentifizierungsfällen, wenn das AG ein SV-Gutachten eingeholt hat. Dazu führt das OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.06.2024 – 1 ORbs 137/24 – aus:

„Das angefochtene Urteil weist durchgreifende, auf die Sachrüge hin beachtliche, Rechtsfehler in der Beweiswürdigung auf.

Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters. Das Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegericht kann nur eingreifen, wenn sie rechtsfehlerhaft ist, insbesondere wenn sie Widersprüche oder erhebliche Lücken aufweist oder mit Denkgesetzen oder gesicherten Erfahrungssätzen nicht vereinbar (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08. Juni 2017 – III-4 RVs 64/17 – m.w.N.).

Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil ist hinsichtlich der Täteridentifizierung lückenhaft. Folgt der Richter dem Gutachten eines Sachverständigen, hat er die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachtens so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und ob die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (BGHSt 39, 291, 297).

Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich danach, ob es sich um eine standardisierte Untersuchungsmethode handelt, sowie nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGH NStZ 2000, 106 m. w. N.; OLG Bamberg, DAR 2010, 390). Diesen Anforderungen genügt die Darstellung des anthropologischen Gutachtens im angegriffenen Urteil nicht.

Zwar sind keine Angaben zum Verbreitungs- oder Häufigkeitsgrad bestimmter morphologischer Merkmale erforderlich, wenn der Sachverständige – wie hier – keine Wahrscheinlichkeitsberechnung anstellt und daraus unmittelbar das Ergebnis des Gutachtens ableitet. Denn nur in diesem Fall bedarf es der Kenntnis der in die Berechnung eingestellten Rechengrößen, um die Richtigkeit der Berechnung überprüfen und die Berechnung nachvollziehen zu können (OLG Jena, VRS 122, 143 m. w. N.).

Jedoch muss der Tatrichter, der sich dem Sachverständigengutachten anschließt, zunächst die wesentlichen Anknüpfungstatsachen des Sachverständigengutachtens mitteilen (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 12. August 2008, 2 Ss (OWi) 148 B/08; Beschl. v. 22. Februar 2007, 2 Ss (OWi) 39 B/07), d. h. das ausgewertete Bildmaterial und die vom Sachverständigen dabei herausgearbeiteten morphologischen Merkmale, die er einem Vergleich unterzogen hat, sowie deren Anzahl. Sodann ist darzustellen, in welchem Maße der Sachverständige Übereinstimmungen festgestellt, auf welche Art und Weise er diese ermittelt hat und welche Aussagekraft er ihnen beimisst, d. h. wie er die jeweilige Übereinstimmung bei der Beurteilung der Identität gewichtet hat (Senatsbeschluss vom 4. November 2010, (1 B) 53 Ss-OWi 505/10 (271/10)). In welcher Form diese Darstellung erfolgt, ist dabei unerheblich, sofern sich die vom Sachverständigen untersuchten Merkmalsprägungen – soweit das Gericht sie für ergebnisrelevant hält -, deren Gewichtung und das Ergebnis des Vergleichs daraus ablesen lassen (OLG Jena, a. a. O.).

Diesen Anforderungen genügt die Darstellung des anthropologischen Gutachtens im angegriffenen Urteil nicht. Das Urteil enthält keine Feststellungen darüber, welche morphologischen Merkmale die Sachverständige untersucht hat. Aus der Angabe, dass 107 Merkmale bei dem Fahrer erkennbar waren, wobei die Merkmale der Nase, der Untergesichtsregion und des rechten Ohres beim Fahrer als stark charakteristisch hervorzuheben seien und dass Übereinstimmungen bei 65 der 65 untersuchten Gesichtsmerkmalen festgestellt worden seien und zugleich den Betroffenen ausschließende Merkmale nicht aufgefunden wurden, lässt auch in Verbindung mit dem Umstand, dass der Betroffene „sehr wahrscheinlich“ der Fahrer des Tatfahrzeugs gewesen sei, keinen Rückschluss auf die Geeignetheit dieser Anzahl von übereinstimmenden Merkmalen zur Identifizierung des Betroffenen zu. Im Übrigen stellt das Gericht nicht dar, zu welchem Ausprägungsgrad die Sachverständige Übereinstimmungen festgestellt hat und welche Aussagekraft sie ihnen beimisst. Diese Ausführungen waren auch nicht entbehrlich.

Zwar hat die Bußgeldrichterin gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG wirksam auf das Beweisfotos Bezug genommen, indem sie im Rahmen der Nennung und Erörterung des der Täteridentifizierung dienenden Lichtbildes in den Urteilsgründen einen Klammerzusatz mit einer genauen Fundstelle in den Akten angefügt hat (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 22. Mai 2023 – 1 Ss (OWi) 47/22 –). Das Beweisfoto ist indes nicht, wie die Generalstaatsanwaltschaft meint, zur Identifizierung des Fahrers uneingeschränkt geeignet. Im Urteil wird zutreffend ausgeführt, dass das Beweisfoto für die Sachverständige zwar insgesamt zur Identifikation geeignet sei, weil es mehr als 20 Merkmale erkennen lasse, allerdings sei es von nur mäßiger Qualität. Darüber hinaus wird ein großer Teil der Stirn und des Haaransatzes des Fahrers von der Sonnenblende des Fahrzeuges verdeckt. Von einer uneingeschränkten Eignung zur Identifizierung des Fahrzeugführers kann hiernach gerade nicht ausgegangen werden, weshalb sich das Amtsgericht auch folgerichtig der Sachverständigen zur Identifizierung des Fahrzeugführers bedient hat.

Aufgrund der aufgezeigten Darstellungsfehler ist dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens und seines Beweiswertes nicht möglich.

Der Senat weist darauf hin, dass das Amtsgericht die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zu einer vorsätzlichen Begehung der Ordnungswidrigkeit zu berücksichtigen haben wird.“

Ein zunächst mal schöner Erfolg, der Zeitgewinn bringt. Allerdings ist der letzte Sazu „unschön“. Da muss man sich überlegen, was man macht.