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OWi III: Entbindung und rechtlicher Hinweis, oder: Rechtsbeschwerde – Anlagenkonvolut/Unterzeichnung

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Und dann habe ich hier im letzten Posting des Tages noch Rechtsprechung zum Verfahrensrecht im Bußgeldverfahren; auch hier nichts Neues, das hatten wir alles schon:

1. War der Verteidiger nicht im Sinne des § 73 Abs. 3 OWiG „mit nachgewiesener Vollmacht“ zur Vertretung befugt und deshalb auch nicht berechtigt, einen Entbindungsantrag für den Betroffenen zu stellen, so ist der Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG zu verwerfen.

2. Hat das Amtsgericht gleichwohl zur Sache verhandelt und entschieden, so ist der Betroffene mit dem Einwand ausgeschlossen, in der fälschlich abgehaltenen Verhandlung sei Verteidigervortrag unberücksichtigt geblieben.

3. Hat die prozessordnungswidrige Verhandlung für den Betroffenen zu einer Verschlechterung geführt (Erhöhung der Geldbuße), so stellt dies einen Verfahrensfehler dar, der auf Rechtsbeschwerde zur Aufhebung des Urteils zumindest im Rechtsfolgenausspruch führen würde. Ein Zulassungsgrund nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ergibt sich aber nicht, weil sich die Fehlerhaftigkeit des Urteils nicht aus einer Verletzung rechtlichen Gehörs ergibt, sondern aus der irrtümlichen Annahme, der Verteidiger sei zur Vertretung befugt.

Möchte der Tatrichter die im Bußgeldbescheid festgesetzte Geldbuße erhöhen, so bedarf dies grundsätzlich keines Hinweises entsprechend § 265 StPO.

Gibt der Verteidiger durch einen distanzierenden Zusatz zu erkennen, dass er nicht die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernehmen will oder kann, ist die Rechtsbeschwerdebegründung nach § 345 StPO formunwirksam.

1. Ein unübersichtliches Konvolut aus Ablichtungen des Bußgeldbescheides, Ablichtungen aus dem amtsgerichtlichen Sitzungsprotokoll, Gesetzeszitaten, Ablichtungen aus einem privaten Sachverständigengutachten sowie von Schreiben des Verteidigers an das Gericht genügt den Anforderungen an einen ausreichenden Vortrag nicht.

2. Aus dem Rechtsbeschwerdevortrag muss erkennbar sein, aufgrund welcher konkreten Tatsachen sich das Gericht zu weiteren Beweiserhebungen hätte gedrängt sehen sollen.

3. Es ist nicht Aufgabe des Rechtsbeschwerdegerichts, sich aus einem unübersichtlichen Vortrag das für die jeweilige Rüge Passende herauszusuchen.

OWi II: Nachfahren mit ungeeichtem Tacho, oder: „Richtigkeitsvermutung“ bei standardisierter Messung

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Im zweiten OWi-Posting dann zwei (KG-)Entscheidungen, und zwar zur Geschwindigkeitsüberschreitung. Hier kommen dann die Leitsätze;

1. Wie hoch der bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tachometer in Abzug zu bringende Sicherheitsabschlag ist, ist Tatfrage, die der Tatrichter in freier Beweiswürdigung zu beurteilen hat.

2. Will das Tatgericht von den der obergerichtlichen Rechtsprechung entsprechenden Toleranzwerten abweichen, bedarf es eingehender Darlegungen, warum dies ausnahmsweise geboten erscheint. Dies hat in einer auf die konkrete Beweisaufnahme gestützten Weise tatsachenbasiert zu geschehen.

1. Beruht das Ergebnis einer Geschwindigkeitsmessung auf dem Einsatz eines standardisierten Messverfahrens, kann sich die Beweisaufnahme auf ein Minimum beschränken, wenn sich dem Tatgericht im Rahmen der Amtsermittlung keine Zweifel daran aufdrängen müssen, dass das Messgerät von seinem Bedienungspersonal standardgemäß, also in geeichtem Zustand, seiner Bauartzulassung entsprechend und gemäß der vom Hersteller herausgegebenen Bedienungsanleitung, verwendet worden ist.

2. Wenn nicht ausnahmsweise etwas dagegenspricht, kann davon ausgegangen werden, dass von der Polizei eingesetzte Messgeräte grundsätzlich geeicht sind und auch die Bedienungsanleitung eingehalten worden ist.

3. Liegt der Verurteilung eine Messung mit einem standardisierten Verfahren zugrunde, so muss im Regelfall nur das Messverfahren (nicht: der Gerätetyp) und ggf. der Toleranzabzug mitgeteilt werden. Nicht mitzuteilen sind hingegen regelmäßig die Umstände, welche die Standardisierung tatsächlich tragen (sog. „Prämissen“, also die Vorbedingungen oder „materiellrechtlichen Voraussetzungen“ der Standardisierung).

OWi I: Bußgeldbescheid mit falscher Tatortangabe, oder: Ermittlungsfehler der Polizei ==> Einstellung?

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Heute am „Tag der deutschen Einheit“ gibt es hier OWi-Entscheidungen. Es handelt sich weitgehend um Entscheidungen des KG. Das hatte jetzt mal wieder geliefert. Ich beschränke mich bei den Entscheidungen aber auf die Leitsätze. Grund: Die Entscheidungen sind zum Teil schon etwas älter oder es gibt zu den angesprochenen Fragen nichts Neues.

ich beginne hier mit Entscheidungen zum Bußgeldbescheid und  mit einer Entscheidung zur Verjährung, die in den Kontext passt. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

1. Die falsche Angabe zum Tatort beeinträchtigt weder die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids noch der Verjährungsunterbrechung, wenn der richtige und der falsche Tatort nahe beieinanderliegen und für den Betroffenen der wahre Tatort auch deshalb ohne weiteres erkennbar ist, weil er sogleich nach der Verkehrsordnungswidrigkeit von Polizeibeamten angehalten worden ist und sich ihnen gegenüber zu der Zuwiderhandlung äußern konnte.

2. Die Verfahrensrüge der Verletzung der §§ 71 Abs. 1 OWiG, 265 StPO bzw. des Art. 103 Abs. 1 GG bedarf der Darlegung, wie sich der Betroffene anders verteidigt hätte, wenn er auf den veränderten Gesichtspunkt (hier: Tatort) förmlich hingewiesen worden wäre. 

1. Geht die behördliche Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen auf den Fehler eines einzelnen Polizeibeamten zurück (hier: fehlende Notierung eines Hausnummernzusatzes bei den Personalien des Betroffenen), so ist dieser der Verwaltungsbehörde grundsätzlich zuzurechnen (nicht tragend).

2. Fällt dem Polizeibeamten ein lässlicher und bei massenhafter Bearbeitung unausweichlich vorkommender Flüchtigkeitsfehler und nicht eine willkürliche Sachbearbeitung im Sinne einer sog. Scheinmaßnahme zur Last, so besteht kein Anlass, die verjährungsunterbrechende Wirkung der vorläufigen Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen (§ 33 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 OWiG) zu suspendieren (entgegen OLG Hamm NZV 2005, 491 und OLG Brandenburg NZV 2006, 100).

So und an einem OWi-Tag natürlich <<Werbemodus an>> der Hinweis auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl., 2024, in dem die Fragen, zu denen es heute Entscheidungen gibt. Das Buch kann man übrigens zusammen mit Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2023, in einem „Paket“, dem sog. Verkehrsrechtspaket bestellen. Zur Bestellung geht es dann hier. <<Werbemodus aus>>.

OWi III: (Nicht)Verteidigung im OWi-Verfahren, oder: Dann kann man den Verteidiger in Regress nehmen

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Und als dritte Entscheidung dann hier das LG Potsdam, Urt. v. 24.03.2023 – 12 S 16/22. Leider schon etwas älter, aber ich stelle es vor, weil es eine interessante Entscheidung ist. Und ich stelle es an einem „OWi-Tag“ vor, auch wenn es, wie man schon am Aktenzeichen sieht, sich um ein zivilrechtliches Berufungsurteil handelt.

In der Entscheidung geht es um den Regress eines Betroffenen gegenüber seinem Verteidiger aus dem Bußgeldverfahren. Der Einsender hatte zur Einordnung des Falls – das LG-Urteil enthält keinen Sachverhalt – darauf hingewiesen, das der Kollege in dem zugrundeliegenden Ordnungswidrigkeitenverfahren keinerlei Verteidigung hatte erkennen lassen. Seine Tätigkeit beschränkte er nur darauf, Einspruch einzulegen und gegenüber dem Mandanten, der zudem nicht rechtschutzversichert war, abzurechnen. Akteneinsicht beantragte er seche Tage vor dem HT-Termin bei Gericht. Gegen daie Verurteilung des Betroffenen beantragte man dann zwar noch die Zulassung der Rechtsbeschwerde, die aber in Ermangelung einer Begründung verworfen wurde.

Im erstinstanzlichen Zivilverfahren, mit dem der Kollege in Regress genommen wurde, verteidigte sich dieser damit, dass das AG von Amts wegen zu prüfen habe, und ein etwaiges Anwaltsverschulden daher nicht kausal sei. Das AG sah zwar das Anwaltsverschulden, aber keine Kausalität. Das LG hat das anders gesehen und verurteilt:

„Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Kläger hat gemäß §§ 611, 675, 280 BGB einen Anspruch auf Zahlung von 1.420,51 EUR.

Der Beklagte hat seine Pflichten aus dem Mandatsverhältnis mit dem Kläger verletzt.

Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, die Interessen seines Mandanten umfassend wahrzunehmen und sein Verhalten so einzurichten, dass Schädigungen des Mandanten vermieden werden (BGH, Urteil vom 11.02.1999 — IX ZR 14/98, NJW 1999, 1391; Urteil vom 13.03.1997 — XI ZR 81/96 NJW 1997, 2168 (2169)). Bei der Prozessvertretung muss der Anwalt die Angaben des Mandanten, wenn sie ihm lückenhaft erscheinen, vom Mandanten ergänzen lassen und hierzu Nachfrage halten (BGH, NJW 2002, 1413; NJW 2000, 730).

Auch im Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz muss der Rechtsanwalt die für die Argumentation seiner Mandanten sprechenden Gründe vortragen. Der Rechtsanwalt muss dafür Sorge tragen, dass die zu Gunsten seines Mandanten sprechenden rechtlichen Gesichtspunkte möglichst umfassend berücksichtigt werden, um seinen Mandanten vor einer Fehlentscheidung des Gerichts zu bewahren (BGH, Urteil vom 07.10.2010 – IX ZR 191/09, Urteil vom 15.11.2007 – IX ZR 44/04, BGHZ 174, 205 Rn 15; Urteil vom 18.12.2008 – IX ZR 179/07, NJW 2009, 987 Rn 8).

Ein erstattungsfähiger Schaden ist dann begründet, wenn der Prozessausgang ohne die Pflichtverletzung für den Mandanten günstig ausgegangen und der eingetretene Schaden nicht entstanden wäre. Maßgeblich ist, wie der Vorprozess unter Berücksichtigung des hier unterlassenen Tatsachenvortrages nach Auffassung des Regressgerichts richtigerweise hätte entschieden werden müssen; hierzu hat der Kläger vorzutragen (BGH, Urteil vom 27.01.2000 – IX ZR 45/98, NJW 2000, 1572; Beschluss vom 05.03.2009 – IX ZR 90/06, NJW 2009, 1422 Rn 8).

Der Beklagte hat es versäumt, rechtzeitig in dem Bußgeldverfahren vor dem Amtsgerichts Zossen (Az.: 11 OWIG 483-Js-Owi 51015/19) zu beantragen, dass das dem Bußgeldverfahren zugrundeliegende Messverfahren durch ein Gutachten überprüft wird. Der Beklagte hätte unter Berücksichtigung seiner umfassenden Sorgfaltspflicht einwenden müssen, dass anhand der in dem Messverfahren vorgegebenen Parameter, die Messung nicht ordnungsgemäß erfolgte. Entgegen den Feststellungen des zuständigen Richters am Amtsgericht liegt die hier maßgebliche Markierungsrand oberhalb der Radaufstandspunkte. Diese Feststellungen hätte das einzuholende Gutachten beachten und die Messergebnis für unverwertbar erklären müssen.

Inwieweit bzw. dass, der Beklagte im Rahmen seiner bestehenden Beratungspflicht den Kläger darüber aufgeklärt hat, dass es für seine erfolgreiche Rechtsverteidigung notwendig ist, ein Gutachten zu den Messdaten einzuholen, fehlt jeglicher konkreter und nachvollziehbarer Vortrag.

Der Beklagte hatte ausweislich der beigezogenen Bußgeldakte auch die Rohmessdaten am 16.7.2020 vor der mündlichen Verhandlung vom 14.0.2020 erhalten. Er hatte damit ausreichend Gelegenheit und Zeit sich auf die mündliche Verhandlung vorzubereiten und vorab rechtzeitig Beweisanträge zur Überprüfung der Messdaten zu stellen. Diesen Beweisantrag hatte der Beklagte pflichtwidrig erst in er mündlichen Verhandlung gestellt, der dann gemäß § 77 Abs.2 Nr. 2 OWiG im Urteil des Amtsgerichts Zossen ( Az.: 11 OWIG 483-Js-Owi 51015/19) vom 14.09.2020 zurückgewiesen wurde. Bei Entscheidung nach Einholung eines Gutachtens, hätte der Kläger freigesprochen werden müssen und ihm wären keine Kosten in Höhe von 1420,51 € entstanden.

Der Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Kläger ihn nicht weiter mit der Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahren beauftragt habe, so dass die Rechtsbeschwerde wegen fehlender Begründung als unzulässig verworfen wurde.

Das Urteil des Amtsgericht vom 14.09.2020 war mit der Rechtsbeschwerde nicht erfolgreich anfechtbar, da die Voraussetzungen der §§ 79 Abs. 1 Satz 2, § 80 OWiG nicht vorliegen.

Dem Vortrag des Beklagten kann nicht entnommen werden, mit welcher Begründung eine Rechtsbeschwerde Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

Aufgrund der gegen den Kläger verhängten Geldbuße in Höhe von lediglich 120,00 € kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nur unter dem Gesichtspunkt der Versagung rechtlichen Gehörs und der Fortbildung materiellen Rechts in Betracht, nicht jedoch zur Überprüfung des Verfahrens sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG) in Betracht.

Die Beanstandung der Versagung des rechtlichen Gehörs ist nicht erfolgreich. Das Tatgericht hat sich ausweislich der Urteilsgründe mit den Einwänden der Verteidigung zur Geschwindigkeitsmessung auseinandergesetzt. Auch die – abgelehnte – Beweiserhebung stellt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar (Art. 103 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Die Ablehnung verstößt nicht gegen das Willkürverbot (vgl. Cierniak/Niehaus DAR 2018, 181, 185).

Sofern die Verteidigung der Sache nach auch eine Verletzung des fairen Verfahrens beanstanden hätte — was im Hinblick auf die Höhe der verhängten Geldbuße ohnehin nur unter dem Gesichtspunkt einer hier nicht ersichtlichen Verletzung rechtlichen Gehörs zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde führen könnte,  wäre mit der Antragsbegründung konkret darzulegen gewesen, dass die Verteidigung die Beiziehung konkreter Messunterlagen gegenüber der Verwaltungsbehörde geltend gemacht und dieses Begehren gegebenenfalls im Verfahren nach § 62 OWiG weiterverfolgt hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12. November 2020 2 BvR 1616/18,mwN). Die Messdaten sind vorliegend an den Beklagten übermittelt worden, so dass ein entsprechender diesbezüglich begründeter Einwand nicht ersichtlich ist.

Weiter Einwände, die eine Zulassung der Rechtsbeschwerde begründen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die dem Kläger durch das Bußgeldverfahren entstandenen Kosten hat der Beklagte zu tragen. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat der Beklagte aus Verzug zu tragen.“

OWi II: Polizeiliche Sicherstellung des Führerscheins, oder: Anrechnung auf die Fahrverbotsdauer

Im zweiten Posting dann mal etwas aus dem vollstreckungsrechtlichen Bereich, und zwar den AG Landstuhl, Beschl. v. 05.09.2024 – 2 OWi 157/24. Es geht um die Anrechnung einer polizeirechtlichen Sicherstellung des Führerscheins auf ein Fahrverbot im Vollstreckungsverfahren.

Folgender Sachverhalt: Der Führerschein des Betroffenen war am Tattag, dem 25.05.2023, nach einer Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 StVG durch Anordnung einer Polizeibeamtin auf der Grundlage von § 22 Nr. 1 POG RP präventiv zur „Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr“ „kurzzeitig sichergestellt“ und sodann in amtlichen Gewahrsam verbracht worden. Der Führerschein wurde von dem Betroffenen erst nach dem 28.07.2023 wieder aus dem amtlichen Gewahrsam abgeholt, wo er sich seit der Sicherstellung am 25.05.2023 durchgängig befunden hatte. Der Betroffene hat gegenüber der Verwaltungsbehörde beantragt, die Dauer, in der sich sein Führerschein infolge der vorbezeichneten Sicherstellungsanordnung in amtlichem Gewahrsam befand, auf das rechtskräftig gegen ihn verhängte Fahrverbot anzurechnen. Die Verwaltungsbehörde hat die beantragte Anrechnung abgelehnt. Den hiergegen gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das AG als unbegründet verworfen:

„2.1 Das Amtsgericht Landstuhl ist gem. § 103 Abs. 1 Nr. 3, § 104 Abs. 1 Nr. 1 OWiG i.V.m. § 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 OWiG, § 4 StrafZustV RP für die Entscheidung über die begehrte Anrechnung örtlich und sachlich zuständig, weil der Begehungsort der dem Vollstreckungsverfahren zu Grunde liegenden Verkehrsordnungswidrigkeit im Bezirk dieses Gerichts liegt (§ 7 OWiG) und es sich bei der Nichtanrechnungsentscheidung durch die Verwaltungsbehörde um eine nicht von § 103 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 OWiG umfasste, bei der Vollstreckung getroffene Maßnahme i.S.d. § 103 Abs. 1 Nr. 3 OWiG handelt (vgl. Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2021, § 14 Rn. 1).

Dem statthaften und auch sonst zulässigen Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung bleibt der Erfolg indes versagt, weil sich die Nichtanrechnung der Dauer, in der sich der Führerschein infolge der auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten Sicherstellung in amtlichem Gewahrsam befand, durch die Verwaltungsbehörde jedenfalls im Ergebnis als zutreffend erweist.

2.2 Gemäß § 25 Abs. 6 Satz 1 StVG wird die Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO auf das Fahrverbot angerechnet. Nach § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins nach § 94 StPO gleich. Hieran fehlt es vorliegend, weil dem Betroffenen die Fahrerlaubnis nicht gem. § 111a StPO vorläufig entzogen wurde. Sein Führerschein war auch nicht gem. § 94 StPO verwahrt, sichergestellt oder beschlagnahmt. Rechtsgrundlage für die am 25.05.2023 erfolgte Sicherstellung war vielmehr ausweislich des Sicherstellungsprotokolls ausschließlich § 22 Nr. 1 POG RP.

Auf die Frage, ob eine Sicherstellung des Führerscheins nach polizeirechtlichen Vorschriften überhaupt rechtmäßig erfolgen kann, kommt es nicht entscheidungserheblich an (ebenso offengelassen durch BGH, NJW 1969, 1308 (1310 a.E.)), denn einer Anrechnung sind ohnehin nur solche Maßnahmen zugänglich, die im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgen. Andere Maßnahmen, wie etwa eine Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins alleine aus beweisrechtlichen Gründen (§ 94 Abs. 1 StPO), sind nach zutreffender Auffassung nicht auf ein später verhängtes Fahrverbot anzurechnen (so jeweils für § 51 Abs. 5 Satz 2 StGB König, in: LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 44 Rn. 72; Grohmann, DAR 1988, 45 ff.; a.A. Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 51 Rn. 14). Für eine Differenzierung nach Maßnahmen, die im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgen und anderen Maßnahmen spricht insbesondere der teleologische Zusammenhang von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG zu § 111a StPO und § 69 StGB. Nach § 111a Abs. 5 Satz 1 StPO endet eine Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins in den dort bestimmten Fällen nur, wenn diese im Hinblick auf eine mögliche Einziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB erfolgt ist, die Maßnahme ihre Rechtsgrundlage also ausschließlich in § 94 Abs. 3 i.V.m. § 94 Abs. 1 oder 2 StPO gefunden hat (Hauschild, in: MüKo-StPO, 2. Aufl.2023, § 111a Rn. 40; Hauck, in: LR-StPO, 27. Aufl. 2019, § 111a Rn. 73). Eine (auch) zu Beweiszwecken erfolgte Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 Abs. 1 oder 2 StPO) kann demnach nicht gem. § 111a Abs. 5 Satz 1 StPO beendet werden; ebenso kann die gem. § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO erforderliche Bestätigung einer (auch) zu Beweiszwecken erfolgten Beschlagnahme nicht nach § 111a Abs. 4 StPO durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ersetzt werden. Ein nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG strafbewehrtes Verbot des Führens von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr folgt indes lediglich aus solchen Maßnahmen nach § 94 StPO, die nach Lage der Dinge zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis führen können (König, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 47. Aufl. 2023, § 21 StVG Rn. 22; ders., in: LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 44 Rn. 72; in diese Richtung auch BGH, NJW 1982, 182 (183); OVG Schleswig, DAR 1968, 135). Das Führen eines Kraftfahrzeugs während der Dauer einer auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten Sicherstellung des Führerscheins ist nicht nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG strafbar, sondern lediglich nach § 75 Nr. 4 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 FeV ahndbar (OLG Köln, NJW 1968, 666; Hühnermann, in: Burmann u.a., StVR, 28. Aufl. 2024, § 21 Rn. 42; König, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 47. Aufl. 2023, § 21 StVG Rn. 22; Hauck, in: LR-StPO, 27. Aufl. 2019, § 111a Rn. 72; Trupp, NZV 2004, 389 (394)). Demnach kann auch eine Sicherstellung des Führerscheins auf polizeirechtlicher Grundlage nicht von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG erfasst sein, weil diese nicht im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis, sondern alleine aus präventiven Gründen erfolgt.

2.3 Eine analoge Anwendung von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG für den Fall einer Sicherstellung des Führerscheins auf polizeirechtlicher Grundlage scheidet aus, weil im Hinblick auf die Eingriffsintensität keine Vergleichbarkeit mit den von § 25 Abs. 6 Sätze 1 und 3 StVG erfassten Maßnahmen besteht. Denn wie bereits dargestellt, hätte sich der Betroffene nicht strafbar, sondern lediglich ahndbar gemacht, wenn er während der Dauer der auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten Sicherstellung seines Führerscheins ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hätte. Die lediglich zur Gefahrenabwehr erfolgte Sicherstellung des Führerscheins ist zudem im Vergleich zu Maßnahmen nach §§ 94, 111a StPO für den Betroffenen weit weniger belastend, weil sie nach Wegfall der Gefahrenlage aufgehoben wird und damit regelmäßig nur von kurzer Dauer ist. Nach dem Sachverhaltsvermerk von PKin … vom 31.07.2023 sowie ihrer Stellungnahme gegenüber der Verwaltungsbehörde vom 22.07.2024, an deren Richtigkeit zu zweifeln das Gericht jeweils keinen Anlass hat, war dies auch vorliegend der Fall.

Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in einem Beschluss vom 16.07.2020 eine analoge Anwendung von § 25 Abs. 6 StVG für möglich gehalten hat (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 16.07.2020 ? 1 Ss-OWi 309/20, BeckRS 2020, 28167 (Rn. 8)), ist der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt mit dem hiesigen Sachverhalt nicht vergleichbar. Denn in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main wurde dem Betroffenen anlässlich der dort verfahrensgegenständlichen Tat die Fahrerlaubnis von der Fahrerlaubnisbehörde während des laufenden Bußgeldverfahrens ohne ausreichende Grundlage sofort vollziehbar entzogen. Die Entziehungsentscheidung wurde erst knapp fünf Monate später vom Verwaltungsgericht aufgehoben und hätte wegen § 43 Abs. 2 VwVfG HE, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zur Folge gehabt, dass sich der Betroffene gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar gemacht hätte, wenn er bis zur Aufhebung durch das Verwaltungsgericht ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hätte. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

2.4 Auf die Frage, ob der Betroffene subjektiv davon ausging, dass die Sicherstellung jedenfalls bis zum 28.07.2024 angedauert habe und ihm infolgedessen das Führen eines Kraftfahrzeugs verboten gewesen sei, kommt es nicht an. Ein Irrtum des Betroffenen über die Rechtswirkungen der erfolgten Sicherstellung hätte lediglich im Erkenntnisverfahren Berücksichtigung finden können; eine Berücksichtigung im Vollstreckungsverfahren kommt hingegen nicht mehr in Betracht (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 20.01.2016 ? 1 OWi SsBs 3/16, BeckRS 2016, 12320 (Rn. 5f.); vgl. zur Berücksichtigungsfähigkeit im Erkenntnisverfahren auch OLG Koblenz, Blutalkohol 41 (2004), 533 (534)).“