Archiv der Kategorie: Untersuchungshaft

U-Haft I: Fluchtgefahr bei Schwerkriminalität, oder: Wenn der Beschuldigte schwer krank ist

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Heute dann zunächst allen einen schönen Nikolaustag mit hoffentlich prall gefüllten Stiefeln. Ich habe den „Stiefel“ hier heute mit Entscheidungen zur U-Haft gefüllt. Ich habe einiges zusammengefasst, das sich während des Urlaubs doch einiges angesammelt hat und ich daher in meinem Ordner ein wenig Platz schaffen muss.

Ich beginne mit dem OLG Dresden, Beschl. v. 01.11.2023 – 1 Ws 226/23 – zur Fluchtgefahr bei Delikten der Schwerkriminalität. Das OLG hat in einem Verfahren mit einem Totschlagsvorwurf das (weitere) Vorliegen eines Haftgrundes verneint.

„Der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) besteht nicht.

Zwar hat der Beschuldigte im Falle seiner Verurteilung angesichts der Schwere der ihm zur Last gelegten Tat mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Es ist jedoch vorliegend ausgeschlossen, dass der von dieser Straferwartung ausgehende Fluchtanreiz die konkrete Gefahr begründet, dass der Beschuldigte – auf freiem Fuß belassen – sich dem Verfahren entziehen wird, selbst wenn Fluchtgefahr nicht verlangt, dass dies auf Dauer geschieht, sondern ein gegebenenfalls vorübergehendes Sichentziehen, was den Fortgang des Strafverfahrens verhindert, genügt. Der Beschuldigte ist pp. Jahre alt und verfügt über enge soziale Bindungen zu pp. Er leidet unter einer schweren Erkrankung, die palliativ zu behandeln ist.

Bereits vor seiner Festnahme am 01. September 2023 wies er einen deutlich beeinträchtigten Gesundheitszustand auf, wie sich sowohl den detaillierten Angaben pp. in ihrer Vernehmung vom pp. als auch der Dokumentation der Hausärztin pp. entnehmen lässt, wonach ab dem 10. August 2023 beim Beschuldigten unter anderem ein deutlicher Gewichtsverlust sowie Kraftlosigkeit bzw. Schwäche dokumentiert sind. Soweit die Kammer in der angefochtenen Entscheidung unter Bezugnahme auf die Aussagen der Zeugin pp. – Pflegerin der Geschädigten – sowie der Zeugin pp. – Hausärztin der Geschädigten und des Beschuldigten – zugrunde gelegt hat, der Beschuldigte habe den Haushalt geführt und die Ehefrau des Beschuldigten in die Praxis begleitet, so beziehen sich diese Angaben ersichtlich auf den Zeitraum vor der Diagnosesteilung beim Beschuldigten, die im Juli 2023 erfolgt ist. Nach seiner Inhaftierung hat sich der bereits deutlich beeinträchtigte Gesundheitszustand nochmals erheblich verschlechtert, wie insbesondere der Stellungnahme der JVA vom 26. Oktober 2023, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, entnehmen lässt. Angesichts der dort beschriebenen körperlichen und geistigen Verfassung des Beschuldigten, der bereits stark von seiner schweren Erkrankung gezeichnet ist, sieht es der Senat vorliegend als ausgeschlossen an, dass sich der Beschuldigte dem Verfahren entziehen wird,

Es besteht dementsprechend auch der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) nicht.

§ 112 Abs. 3 StPO lässt nach dem Wortlaut bei den darin aufgeführten Straftaten der Schwer-kriminalität die Anordnung der Untersuchungshaft auch dann zu, wenn ein Haftgrund nach § 112 Abs, 2 StPO nicht besteht. Bei der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichts (BVerfGE 19, 342, 350 ff; BVerfG NJW 1966, 772) gebotenen verfassungskonformen Auslegung ist die Vorschrift wegen eines sonst darin enthaltenen offensichtlichen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen, dass der Erlass eines Haft-befehls nur zulässig ist, wenn Umstände vorliegen, welche die Gefahr begründen, dass ohne die Verhaftung des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte, Genügen kann bereits die zwar nicht mit bestimmten Tatsachen belegbare, aber nach den Umständen des Falles doch nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunkelungsgefahr, ferner die ernstliche Befürchtung, der Täter werde weitere Taten ähnlicher Art begehen, Ausreichend aber auch erforderlich ist die Feststellung, dass eine verhältnismäßig geringe oder entfernte Gefahr in dieser Art besteht, Wenn allerdings nach den Umständen des Einzelfalls gewichtige Gründe gegen jede Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr sprechen, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von einem Haftbefehl nach § 112 Abs. 3 StPO abzusehen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. April 2022, Az.; StB 15/22 – juris; BGH, Beschluss vorn 23. Dezember 2009, Az,; StB 51/09 – juris).

Unter Berücksichtigung dessen und der unter 1. genannten Umstände, aufgrund derer der Senat im Ergebnis seiner Prüfung eine bestehende Fluchtgefahr beim Beschuldigten ausschließt, scheidet daher auch der Haftgrund der Schwerkriminalität aus.“

Strafzumessung III: Anrechnung von Auslieferungshaft, oder: Besuch der Großmutter ist keine Flucht

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Und dann zum Tagesschluss noch eine Thematik, zu der ich hier noch nicht so ganz häufig berichtet habe, und zwar Anrechnung einer im Ausland erlittenen Auslieferungs-/Untersuchungshaft.

Das LG hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und eine Anrechnungsentscheidung hinsichtlich erlittener Auslieferungshaft getroffen hat. U.a. die Anrechnungsentscheidung hat dem BGH nicht gefalle. Er führt dazu im BGH, Beschl. v. 06.07.2023 – 2 StR 8/23:

„2. Hingegen hält der Ausspruch des Landgerichts, mit dem das Landgericht die in der Zeit vom 18. Juli 2021 bis 3. August 2021 in Kroatien erlittene Untersuchungshaft im Verhältnis 1:1 angerechnet hat, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Haftbedingungen des Angeklagten – nicht zuletzt aufgrund seiner bosnischen Abstammung – schlecht waren und hat damit zu erkennen gegeben, dass abweichend von der in einem EU-Staat und damit auch in Kroatien im Allgemeinen zu erfolgenden Anrechnung im Verhältnis 1:1 (vgl. zuletzt zu Kroatien BGH, Beschluss vom 21. Juni 2018 – 4 StR 499/17) ausnahmsweise ein anderer Maßstab in Betracht kommen könnte. Es hat im Ergebnis aber davon abgesehen so zu verfahren, weil der Angeklagte selbst dafür verantwortlich gewesen sei, dass er ausgerechnet in Kroatien eine Freiheitsentziehung erlitten habe. Durch den Antritt einer Reise nach Kroatien habe er begründeten Anlass zu der Sorge gegeben, er werde sich dem Verfahren dauerhaft nicht stellen. Selbst wenn er nicht von dem Haftbefehl gewusst haben sollte, sei dem Angeklagten doch bewusst gewesen, dass dieses Verhalten geeignet gewesen sei, den Haftgrund der Fluchtgefahr zu begründen.

Mit dieser Begründung durfte die Strafkammer dem Angeklagten eine möglicherweise angezeigte Anrechnung der Auslieferungshaft in einem anderen Verhältnis als 1:1 nicht versagen. Nach § 51 Abs. 1 Satz 2 StGB kann das Gericht ausnahmsweise anordnen, dass eine Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist. Ein Verhalten, das eine solche Versagung rechtfertigen könnte, ist aber nicht ersichtlich. Die Reise nach Kroatien diente nach der unwiderlegt gebliebenen Einlassung dem Besuch seiner 92-jährigen Großmutter, wobei der Angeklagte angegeben hat, von dem Verfahren gewusst zu haben, er aber keineswegs habe fliehen wollen. Ein Fluchtversuch ist bei dieser Erklärung nicht dargetan; zudem ist durch die daraufhin erfolgte Inhaftierung keine Verschleppung des Verfahrens – was auch bei einem Fluchtversuch oder Fluchtvorbereitungen für eine Versagung vonnöten wäre – belegt (vgl. BGH NJW 1970, 1752, 1753 = BGHSt 23, 307).“

EV III: Mal wieder Haftgrund der Wiederholungsgefahr, oder: Anwendbar auch beim Heranwachsenden

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Und dann zum Tagesschluss noch der OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.10.2023 – 2 Ws 142/23 -, der sich mit der Frage der Anwendbarkeit des Haftgrundes der Widerholungsgefahr (§ 112a StPO)  im JGG-Verfahren befasst.

Das OLG hat die Anwendbarkeit bejaht:

„2. Aus den zutreffenden und fortdauernden Gründen des Haftbefehls besteht der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO).

Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, fortgesetzt schwerwiegende räuberische Erpressungen begangen zu haben. Neben den dem Haftbefehl zugrunde liegenden Vorwürfen soll er ausweislich des Schlussberichts vom 29. September 2023 in vorliegendem Ermittlungsverfahren eine Vielzahl weiterer gleichartiger Delikte begangen haben und es wurden darüber hinaus bereits mehrere Strafverfahren wegen derartiger Taten gegen ihn geführt. Wegen der großen Anzahl der Tatvorwürfe und der besonders hohen Rückfallgeschwindigkeit, die auch durch zwischenzeitliche Ermittlungsverfahren ersichtlich nicht verringert werden konnte, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass er sich von den gegen ihn geführten Ermittlungen und Strafverfahren nicht von weiteren Erpressungen abhalten lassen, sondern vor rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens weitere derartige Straftaten begehen wird.

Entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung ist der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beschuldigte zur Tatzeit Heranwachsender war und insoweit möglicherweise nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe, sondern – jedenfalls wegen schädlicher Neigungen – aufgrund des Ausmaßes der Tatvorwürfe die Verurteilung zu einer unbedingten, ein Jahr weit übersteigenden Jugendstrafe zu erwarten ist. Entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung ist § 112 a StPO auch im Jugendstrafrecht anwendbar (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 2. März 2017 – 1 Ws 14/17; KG, Beschl. v. 28. Februar 2012 – 4 Ws 18/12, zit. nach Juris mwN.). Auch der Umstand der erst nach Inhaftierung des Beschuldigten unterrichteten Jugendgerichtshilfe steht der Untersuchungshaft nicht entgegen. Möglichkeiten zur Haftvermeidung sind seitens des Jugendamtes verneint worden.“

EV I: BVerfG zur Haft in Reichsbürgerverfahren, oder: Enge Auslegung von § 148 StPO

Heute dann drei Entscheidungen aus dem Ermittlungsverfahren, dabei zwei Haftentscheidungen.

Ich starte mit dem BVerfG, Beschl. v. 16.08.2023 – 2 BvR 1330/23. Das ist der (Teil)Endpunkt zu der  „Reichs­bür­ger“-Raz­zia aus 2022. Die Bundesanwaltschaft hatte bei der Anfang Dezember 2022 über 20 Verdächtige in Deutschland, Österreich und Italien festnehmen lassen, darunter eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete, Ex-Offiziere und Polizeibeamte. Einige sind zwischenzeitlich aus der U-Haft entlassen. Die Einsatzkräfte stellten damals u.a. zahlreiche Waffen sicher. Nach den vorliegenden Entscheidungen des BGH (vgl. die im Volltext zitierten beschlüsse) soll die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß als einen der mutmaßlichen Rädelsführer vorgehabt haben, das politische System in Deutschland mit Waffengewalt zu stürzen und eine neue Regierung zu installieren. Die Beteiligten hätten auch Tote in Kauf genommen.

Der BGH ist von eine terroristischen Vereinigung ausgegangen, die Pläne für einen gewaltsamen Sturm auf den Bundestag gehabt haben soll.

Einer der Festgenommenen hatte sich mit sei­nem Ver­tei­di­ger mit ei­ner Ver­fas­sungs­be­schwer­de gegen Be­schrän­kun­gen in der Un­ter­su­chungs­haft gewandt, und zwar ging es um die rich­ter­li­che Kon­trol­le ihres Schrift­ver­kehrs. Der Beschuldigte beschwerte sich auch darüber, dass ihm – abgesehen von Wechselwäsche – keine Gegenstände übergeben werden dürfen.

Das BVerfG hat die Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Ich stelle hier nur die Leitsätze zu der Entscheidung aus. Rest dann bitte selbst lesen:

  1. Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar oder mittelbar gegen ein Gesetz, muss der Beschwerdeführer hinsichtlich jeder angegriffenen Norm konkret darzulegen, aus welchen Gründen die jeweilige Bestimmung gegen die als verletzt gerügten Grundrechte verstoßen soll.

  2. Maßnahmen, die den freien Kontakt zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger behindern, berühren das Recht auf ein faires Verfahren. Werden die das Recht auf ein faires Verfahren ausgestaltenden Vorschriften der StPO missachtet oder berücksichtigen die Gerichte bei ihrer Auslegung und Anwendung nicht hinreichend die Tragweite des Rechtsstaatsgebots, so ist das Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

  3. Der Gesetzgeber hat aber das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren mit § 148 Abs. 1 StPO dahingehend konkretisiert, dass auch dem inhaftierten Beschuldigten schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet ist. Die auf der Grundlage von § 148 Abs. 2 S. 1 StPO mögliche Überwachung des Schriftverkehrs durch den Leserichter und die in § 148 Abs. 2 s. 3 StPO vorgesehene Trennscheibenanordnung stellen einen gewichtigen Eingriff in dieses Recht dar. Zu berücksichtigen ist insofern auch ein etwaiger von der Anordnung der Kontrolle durch den Leserichter ausgehender abschreckender Effekt auf den freien Meinungs- und Informationsaustausch zwischen dem betroffenen Beschuldigten und seinem Verteidiger. Vor diesem Hintergrund ist eine enge Auslegung der Vorschrift verfassungsrechtlich geboten.

Haft II: Zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr, oder: 8,21 gr. Kokain reichen auch dem OLG nicht

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Ich hatte im September über den LG Kiel, Beschl. v. 08.09.2023 – 7 KLs 593 Js 43392/23 – berichtet (vgl. hier Haft II: Zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr, oder: 8,21 gr. Kokain reichen auch mit Waffen nicht). Dazu liegt jetzt die Beschwerdeentscheidung vor. Das OLG Schleswig hat im OLG Schleswig, Beschl. v. 12.10.2023 – 1 Ws 233/23 – die Beschwerde der StA gegen die Aufhebung des haftbefehls verworfen:

„Gemäß § 112 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO darf gegen den Angeschuldigten Untersuchungshaft angeordnet werden, wenn er dringend verdächtig ist, wiederholt oder fortgesetzt eine die Rechts-ordnung schwerwiegend beeinträchtigende dem Katalog zu entnehmende Straftat begangen zu haben und bestimmte Tatsachen, die Gefahr begründen, dass er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen werde. Gleichzeitig muss die Haft zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich und eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten sein.

Die Kammer hat in ihrer Begründung ausgeführt, dass es bereits an einer Katalogtat im Sinne des § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO fehlen dürfte, da § 30 a Abs. 2 BtMG in der abschließenden Aufzählung des Katalogs nicht aufgeführt sei und sich eine Analogie verbiete. Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft unter Benennung der Bundestagsdrucksachen 459/03 vom 2. Juli 2023 und 24/11 vom 18. Januar 2011 eingewandt, dass die Berichtigung der Zitierweise bzw. die Berichtigung eines redaktionellen Versehens bezüglich § 30 a Abs. 2 BtMG bereits angestrebt wurde und vor dem Hintergrund der nachträglichen Einführung und des Wortlautes „ebenso bestraft“ eine Gleichstellung mit § 30 a Abs. 1 BtMG anzunehmen sei.

Ob eine entsprechende Anwendung des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO überhaupt in Betracht käme und der Straftatbestand des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG bei entsprechender Anwendung eine Katalogtat im Sinne des § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO darstelle, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, da jedenfalls, was die Kammer auch erkannt hat, das Grunddelikt des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG im dringenden Tatverdacht impliziert ist.

Der Haftbefehl war allerdings aufzuheben, weil die hier wiederholt begangenen Anlasstaten entgegen der Ausführungen der Staatsanwaltschaft zu keiner schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung geführt haben. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung liegt dann vor, wenn die Anlasstat einen überdurchschnittlichen Schweregrad und Unrechtsgehalt auf-weist (OLG Hamm, Beschluss vom 1. April 2010 Az.: 3 Ws 161/10) und dadurch geeignet ist, in weiten Kreisen der Bevölkerung das Vertrauen in Sicherheit und Rechtsfrieden zu beeinträchtigen (OLG Hamm, Beschluss vom 25. Februar 2010 – III-2 Ws 18/10). Es muss sich daher um eine Straftat handeln, die schon nach ihrem gesetzlichen Tatbestand einen erheblichen, in der Höhe der Strafandrohung zum Ausdruck kommenden Unrechtsgehalt aufweist und in ihrer konkreten Gestalt, insbesondere nach Art und Ausmaß des angerichteten Schadens, die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigt hat (BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 1973 Az.: 2 BvL 4/73). Daher kann nicht ausschließlich auf die Straferwartung, welche bei den Katalogtaten des § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO bereits die generelle schwerwiegende Natur begründet, abgestellt werden. Vielmehr sind auch die Umstände der Tat im Einzelfall heranzuziehen. Der Haftgrund der Wiederholungs-gefahr dient nicht Sicherung des Strafverfahrens, sondern dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten, weswegen das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit dem Freiheitsanspruch des bislang nur Angeschuldigten überwiegen muss.

Dem Angeschuldigten wird mit der vorliegenden Anklage zum einen vorgeworfen, im Schlafzimmer seiner Wohnung in Kiel am 13. Juli 2023 insgesamt 8,21 g Kokain verwahrt zu haben und dabei griffbereit in unmittelbarer Nähe zu den Betäubungsmitteln ein Klappmesser -im Fernseher-regal-, eine Machete -auf dem Kleiderschrank- und ein Baseballschläger -zwischen Kleiderschrank und Regal, in dem ein Großteil des Kokains festgestellt werden konnte -vorgehalten zu haben. Des Weiteren wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, am 2. Juli 2023 einem Abnehmer 0,5 g Kokain verbindlich zum Kauf angeboten und am 5. Juli 2023 Verkaufsverhandlungen über den Erwerb von 100 g Marihuana zum Zweck des Weiterverkaufs geführt zu haben. Die Geschäftsanbahnungen sind jeweils über Chat erfolgt. Jede dieser Taten und insbesondere die Tat am 13. Juli 2023 hat nach außen hin keine Wirkung auf die Bevölkerung entfaltet. Es ist durch sie auch kein Schaden angerichtet worden, der nach Art und Umfang geeignet wäre, in weiten Kreisen der Bevölkerung das Vertrauen in die Sicherheit und den Rechtsfrieden zu beeinträchtigen. Auch, dass der Angeschuldigte bei Tatbegehung wegen einer gleichartigen Tat unter laufender Bewährung stand, vermag daran nichts zu ändern.

Andere Haftgründe sind nicht ersichtlich. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO.“