Archiv der Kategorie: Untersuchungshaft

Inhaftierter Beschuldigter? = Immer Pflichtverteidiger

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Im Jahr 2009 ist die Vorschrift des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO in die StPO eingefügt worden. Sie soll die notwendige Verteidigung des inhaftierten Beschuldigten sicher stellen. Diesem ist ein Pflichtverteidiger beizuordnen. Schon bald nach In krafttreten der Neuregelung haben sich Streitfragen bei der Auslegung der Vorschrift aufgetan. Dazu gehört(e) u.a. die Fragen, ob dem Beschuldigten auch dann ein notwendiger Verteidiger beigeordnet werden muss, wenn er sich nicht im zu verhandelnden Verfahren, sondern in einem anderen Verfahren inhaftiert ist. Vom Sinn und Zweck der Vorschrift her liegt m.E. die Antwort auf der Hand. Ja, es muss. Und so sieht es auch die obergerichtliche Rechtsprechung, wie z.B. das OLG Hamm in dem schon etwas älteren OLG Hamm, Beschl. v. 03.09.2013 – 4 RVs 111/13 – auf den ich erst jetzt gestoßen bin:

„..Gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig, wenn gegen den Angeklagten – wie vorliegend – während wesentlicher Teile der Hauptverhandlung Untersuchungshaft nach den §§ 112, 112 a StPO vollstreckt wird. Dabei ist die Vorschrift nach zutreffender obergerichtlicher Rechtsprechung (zu vgl. OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 22.04.2010 – 3 Ws 351/10 -, zit. nach […]; Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflg., § 140 StPO Rdnr. 14 m.w.N.) dahingehend zu verstehen, dass sie nur dann gilt, wenn Untersuchungshaft tatsächlich vollstreckt wird, dann aber für alle gegen den Angeklagten geführten Strafverfahren, ohne dass es darauf ankommt, in welchem die Untersuchungshaft vollzogen wird (zu vgl. Meyer-Goßner a.a.O). Insofern ist es unerheblich, dass der Angeklagte sich nicht für das vorliegende Verfahren, sondern ein gesondertes Strafverfahren in Untersuchungshaft befand. Das Amtsgericht wäre auch bereits vor Beginn der Hauptverhandlung am 29.01.2013 gehalten gewesen, die Bestellung eines notwendigen Verteidigers vorzunehmen, da dies nach Bekanntwerden der Inhaftierung unverzüglich zu erfolgen hat (§ 141 Abs. 3 S. 4 StPO) und mithin vorliegend zeitnah nach dem 09.01.2013 hätte erfolgen können und müssen…“

Der Telefonkontakt zum Verteidiger – verwertbar oder nicht?

1896_telephoneDer Kollege Nozar hat mir vor einigen Tagen den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 14.04.2014 – 1 Ws 53/14 – übersandt und dabei den Sachverhalt, der letztlich zum Beschluss geführt hat, kurz geschildert, und zwar wie folgt:

Der Kollege verteidigt einen Mandanten in einer Bedrohungssache. Das Verfahren ist gerichtlich anhängig. Der Mandant ruft ihn an und spricht mit ihm. Monate später ergeht gegen den Mandanten ein Haftbefehl wegen Verdacht der gefährlichen Körperverletzung, was nichts mit dem Mandat – Bedrohung zu tun hat. Der Kollege legt weitere (Haft)- Beschwerde ein und erhält nun den OLG, Beschluss, in dem er lesen muss:

Der Beschuldigte gehört dem sog. Rockermilieu an, in dem die besagte Tat sich ereignete. Die polizeiliche Analyse seines Mobiltelefons hat ergeben, dass er dieses entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten im Zeitraum vom ppppp. bis pppppp nicht nutzte und seine letzten telefonischen Kontakte zu seinem jetzigen Verteidiger und dem polizeilichen Erkenntnissen zufolge Präsident des pppppp bestanden, wobei festzuhalten ist, dass Hintergrund der Tat vom pppppp Differenzen zwischen dieser Rockervereinigung und dem pppp gewesen sein sollen (vgl. BI. 15 ff Register TKÜ). Dies lässt den Schluss zu, dass der Beschuldigte, dessen Telefonie auch ansonsten konspirativen Charakter hat, sich unmittelbar nach der Tat — evtl. auf anwaltlichen und „kollegialen“ Rat – in jeder Hinsicht ruhig verhalten wollte bzw. sollte, um seiner Ermittlung als möglicher Täter nicht Vorschub zu leisten.

Der Kollege ist über die Argumentation verwundert und fragt sich, ob es zulässig ist „diesen „Anrufkontakt“ mit dem Verteidiger überhaupt zu speichern bzw. zu verwerten ?“ Denn in dem Zeitpunkt bestand ja bereits ein Mandantsverhältnis aus der Bedrohungssache. Er hält dies für bedenklich, und zwar wegen des BGH, Beschl. v. 18.02.2014 – StB 8/13 (vgl. dazu Das abgehörte Anbahnungsgespräch – eine Entscheidung mit Folgen). Ich meine, er hat Recht. M.E. kann den „Telefonkontakt“ beim Rechtsanwalt/Verteidiger nicht als Indiz zu Lasten des Beschuldigten werten. Dem steht m.E. § 160a StPO entgegen.

Was mich wundert: Das OLG scheint die Problematik gar nicht gesehen zu haben. Jedenfalls findet man dazu nichts im Beschluss.

Ach so: Ich brauche keine Kommentare zur Frage, ob der Haftbefehl nicht auch ohne dieses „Indiz“ aufrechterhalten worden wäre. Darum geht es nicht.

BVerfG rüffelt OLG München: „…nicht einmal ansatzweise dargelegt“

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U-Haft-Fragen sind für den Beschuldigten wegen des betroffenen Freiheitsgrundrechtes aus Art. 2 GG von erheblicher Bedeutung. Sie spielen auch in der Praxis der OLG eine große Rolle. Und: Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass die Strafsenate beim OLG Hamm insbesondere dann in „heller Aufregung“ waren, wenn in einer Haftsache Verfassungsbeschwerde eingelegt worden war. Denn man war/ist es ja nicht mehr gewohnt, dass ggf. ein „übergeordnetes“ Gericht die eigenen Entscheidungen überprüft. Deshalb wurde beim OLG Hamm immer großen Wert auf eine ausreichende Begründung einer Haftfortdauerentscheidung gelegt. Denn man wollte einen Rüffel des BVerfG vermeiden. Den hat sich jetzt aber das OLG München zu einem Haftfortdauerbeschluss eingefangen, und zwar im BVerfG, Beschl. v. 22.01.2014 – 2 BvR 2248/13 und 2 BvR 2301/13 – ziemlich deutlich.

Das BVerfG referiert im Beschluss zunächst seine Rechtsprechung zur U-Haft und verweist darauf, dass der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen auch für das Zwischenverfahren nach §§ 199 ff. StPO sowie dann gilt, wenn ein Haftbefehl wegen Strafhaft in anderer Sache nicht vollzogen wird und nur Überhaft notiert ist. Außerdem verweist es (nochmals) darauf, dass an den Fortgang des Verfahrens sind umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft bereits dauert. Nichts Neues, aber vom BVerfG immer wieder betont.

Und dann wird es für das OLG aber bitter. Denn das BVerfG setzt sich mit der „Begründungstiefe“ der oberlandesgerichtlichen Entscheidungeauseinander und rüffelt die als nicht ausreichend. Auch insoweit nichts Neues, aber schon „unschön“ und wird man beim OLG auch nicht gern lesen. Auch Formulierungen wie „auch sonst nicht einmal ansatzweise dargelegt“ haben das OLG sicherlich nicht gefreut.

Diesen sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Anforderungen wird der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts, welcher die Fortdauer der zu diesem Zeitpunkt seit annähernd zehn Monaten andauernden Untersuchungshaft zum zweiten Mal anordnete, nicht gerecht. Es fehlt jedenfalls an der gebotenen Begründungstiefe der Entscheidung.

Bereits der Vorlagebeschluss der Strafkammer vom 4. September 2013 enthält keine Ausführungen, die eine Haftfortdaueranordnung tragfähig begründen könnten. Erst recht erfüllt der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts nicht die erhöhten Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen, weil er eine ausreichende Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers und dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch vermissen lässt. Insbesondere sind in die Abwägung nicht alle maßgeblichen Umstände einbezogen worden.

1. Der Strafsenat hat sich nicht damit auseinandergesetzt, ob das Zwischenverfahren deshalb nicht mit der zu erwartenden Zügigkeit gefördert worden ist, weil die Strafkammer bis zur angefochtenen Haftfortdauerentscheidung trotz seit längerem bestehender Entscheidungsreife noch nicht die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen hatte.

Selbst wenn das Ausgangsverfahren angesichts der Komplexität der den Beschwerdeführern zur Last gelegten Steuerstraftaten und der Vielzahl der beteiligten Personen eine überdurchschnittliche Schwierigkeit aufweisen mag, rechtfertigt dies allein es nicht, im Zwischenverfahren anstehende Entscheidungen nicht mit der gebotenen Beschleunigung zu treffen.

In diesem Zusammenhang hätte der Strafsenat in den Blick nehmen müssen, dass das Landgericht sich in seinem Vorlagebeschluss vom 4. September 2013 nicht auf eine besondere Schwierigkeit berufen hatte. Es hat auch sonst nicht einmal ansatzweise dargelegt, aus welchen Gründen es sich an einer rechtzeitigen Beschlussfassung über die Eröffnung des Hauptverfahrens gehindert sah. Von Seiten der Beschwerdeführer sind jedenfalls zu keinem Zeitpunkt Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens erhoben oder nach § 202 StPO Beweisanträge gestellt worden, die auf die Förderung des Verfahrens und einen zeitnahen Eröffnungsbeschluss hätten Einfluss nehmen können. Soweit das Bayerische Staatsministerium der Justiz in seiner Stellungnahme auf die einem Verteidiger eines Mitangeklagten gewährte Fristverlängerung von zwei Monaten hinweist, führt die Strafkammer auch diesen Umstand nicht als Grund für eine Verzögerung an.

Es ist somit nicht ersichtlich, weshalb die Strafkammer nicht nach Ablauf der den Verteidigern bis Ende Juli 2013 gewährten Stellungnahmefrist oder jedenfalls spätestens mit der Vorlageentscheidung am 4. September 2013 über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden konnte. Vielmehr ist diese Entscheidung unterblieben, obwohl sich die Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt seit annähernd acht Monaten in Untersuchungshaft befanden.

2. Der Strafsenat führt zum Beleg der gerichtlichen Tätigkeit im Zwischenverfahren allein den Umstand an, die Strafkammer habe die Verteidiger gebeten, für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens etwaige Terminverhinderungen zwischen dem 1. Februar und 30. April 2014 mitzuteilen. Dies erfolgte erst am 18. September 2013, wobei aufgrund des zeitlichen Ablaufs die Annahme naheliegt, dass zwischen der Abfrage der Kammer und der Faxanfrage des Strafsenats vom selben Tag ein unmittelbarer Zusammenhang bestand und die Kammer allein deshalb eine entsprechende Tätigkeit entfaltet hatte. Das Landgericht hätte jedoch schon im Anschluss an die Anfang Juli 2013 mit den beiden Verteidigern geführten Telefonate eine Terminabfrage vornehmen können. Weitere Gelegenheiten nutzte die Kammer ebenfalls nicht, nachdem die Bevollmächtigte des Beschwerdeführers zu 1. am 25. Juli und 8. August 2013 schriftlich um die Mitteilung gebeten hatte, wann im Falle der Eröffnung Termine bestimmt würden.

3. Überdies setzt sich der Strafsenat im Zusammenhang mit der von ihm – nicht jedoch vom Landgericht im Vorlagebeschluss – angeführten hohen Belastung der Strafkammer nicht mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer auseinander. Danach war für die Justiz bereits Mitte 2012 der Umfang des Gesamtkomplexes erkennbar und daher vorhersehbar, dass die vorhandenen Wirtschaftsstrafkammern des Landgerichts nicht in der Lage sein würden, die einzelnen Haftsachen in angemessener Zeit durch Urteil abzuschließen.“

U-Haft kann “bis zur Höhe der erkannten Freiheitsstrafe vollzogen” werden, -ist das noch verhältnismäßig?

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Der Kollege, der sich in einem Strafverfahren derzeit mit dem AG/LG Kleve um die Haftfortdauer bei seinem Mandaten streitet, hatte mir den LG Kleve, Beschl. v. 03.04.2014 – 120 Qs-402 Js 845/13-29/14 – übersandt, der den in meinen Augen „denkwürdigen“ Satz enthält: „Es gibt keinen Rechtssatz, dass die Untersuchungshaft nicht bis zur Höhe der erkannten Freiheitsstrafe vollzogen werden darf, wenn dies – wie hier – notwendig ist, um die Durchführung des vom Angeklagten gewünschten Berufungsverfahrens oder die drohende Vollstreckung der Strafe zu sichern.“, der dann Pate für die Überschrift zu diesem Posting gestanden hat. Ich habe mit dem Satz so meine Probleme, führt er doch ggf. zu einer Vollstreckung der noch nicht rechtskräftigen Strafe während es laufenden Verfahrens. Aber wie so häufig – solche Aussagen verselbständigen sich dann nicht selten.

Da der LG, Beschluss nicht so ganz viel Sachverhalt enthielt, habe ich den Kollegen um die „Eckdaten“ gebeten, die er mir dann geschickt hat. Es liegen dem Beschluss als folgende Verfahrensumstände zu Grunde, ich zitiere:

„Der Mandant saß – ebenso wie seine beiden Mittäter – seit dem 4. Oktober 2013 in Auslieferungshaft in den NL (Festnahme 2-. Oktober), ab dem 18. November dann in der JVA Kleve. Er war in der Hauptverhandlung beim Strafrichter des AG Geldern (wie auch seine Mittäter) geständig und wurde wegen Diebstahls und Sachbeschädigung zu einer FS iHv 9 Monaten ohne Bewährung verurteilt (seine Mittäter erhielten 7 Monate – der eine mit, der andere ohne Bewährung). Der Mandant ist bereits einschlägig, allerdings lediglich zu Geldstrafen verurteilt worden (03/2013 AG Hannover, Diebstahl, 30 Tagessätze; 07/2013 AG Wuppertal versuchter schwerer Diebstahl, 120 Tagessätze; 03/2012 in Rumänien, Diebstahl, Geldstrafe).

Die drei Herren sind hier in der Gegend in eine Firma eingebrochen und haben Werkzeuge zur Metallverarbeitung mit einem Anschaffungswert von 30000 Euro mitgenommen, die Dinge gelangten vollständig (aufgrund einer Grenzkontrolle und anschließender Festnahme) an den Eigentümer zurück. Beim Versuch, Innentüren mit einem Hammer zu „öffnen“, wurden diese beschädigt (so kommt es zu der Sachbeschädigung), während sich das Tor ins Innere der Halle aufgrund lediglich einer Notreparatur wegen eines früheren Einbruchs verhältnismäßig leicht hatte öffnen lassen. Strafe aus dem Strafrahmen des § 243 StGB.

Hinsichtlich desjenigen, der 7 Monate ohne Bewährung bekommen hat, hat bereits der Strafrichter – wegen Erreichens des 2/3-Zeitpunkts – den Haftbefehl gemäß meiner Terminsmitschrift aufgehoben. Bei meinem Mandanten wurde der 2/3-Zeitpunkt, wenn ich richtig gerechnet habe, am 4. April erreicht. Da – so weit ich informiert bin – die StA nicht in Berufung gegangen ist, geht m.E. das Zitat von KK-Schultheis § 120 Rn. 7 im Beschluss der Kammer fehl (s. KK aaO am Ende). Die Entscheidung des KG habe ich noch nicht nachgeschlagen, komme aber hoffentlich morgen dazu.

Die Haftbeschwerde habe ich am 21. Februar ans AG Geldern gefaxt. Die Akte wurde am 25. Februar an die StA Kleve weitergeleitet. Aus Gründen, die sich wohl nicht mehr recht nachvollziehen lassen, wurde die Akte mit meiner Haftbeschwerde dem StA erst nach ca. 3 Wochen vorgelegt – die Geschäftsstellendame war krank, die Vertretung hat wohl nicht vernünftig funktioniert. Als die Sache schließlich der Kammer vorgelget wurde, wartete der Bearbeiter (hier war es laut Auskunft der Geschäftsstelle VRiLG ppp. höchstpersönlich) noch auf die schriftlichen Urteilsgründe aus Geldern (und ich dachte, er wartet auch auf den 2/3-Zeitpunkt…). In meiner Haftbeschwerde hatte ich natürlich nicht den dringenden Tatverdacht, wohl aber den Haftgrund angegriffen und ebenso in Abrede gestellt, dass U-Haft – insbesondere wegen der zwischenzeitlich erfolgten Verbüßung – noch verhältnismäßig sei (unter Hinweis insb. auf SSW-Herrmann, § 112 Rn. 125, 126, 127; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, Rn. 682).“

Die Antwort des LG:

Es ist der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben. Trotz der familiären Bindungen und der relativ milden Strafe besteht die überwiegende und sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass er sich dem weiteren Strafverfahren bzw. der Strafvollstreckung durch Untertauchen oder Flucht entziehen würde. Die Meldeanschrift bei den Eltern in Duisburg ist nicht mit der Bindung durch ein Eigenheim vergleichbar (vgl. auch BI. 26 und 552: „für Zustellungen nicht tauglich“). Der Angeklagte ist arbeitslos und spricht kaum Deutsch. Auch nach einem früheren Deutschlandaufenthalt hat er sich wieder „nach Hause“ nach Rumänien begeben (BI. 517). Für die Strafverfolgungsbehörden in Niedersachsen war er zeitweise nicht erreichbar (BI. 81: „unbekannter Aufenthalt“). Nach der Tat flüchtete er mit der Beute in die Niederlande. Es bestehen scheinbar auch Verbindungen nach Belgien, wo man die Beute verkaufen wollte (BI. 519). Ob angesichts früherer Diebstahlstaten in Deutschland und Rumänien zusätzlich der subsidiäre Haftgrund der Wiederholungsgefahr besteht (nach den Urteilsfeststellungen wollte er sich durch weitere Einbrüche eine Einnahmequelle von einigem Umfang und gewisser Dauer verschaffen), kann hier dahingestellt bleiben.

 Schließlich ist die Haftfortdauer auch verhältnismäßig. Das Amtsgericht hat den Angeklagten – insoweit in Übereinstimmung mit dem Antrag des Verteidigers (BI. 520) – zu 9 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Diese – offenbar allseits für dem Grunde nach zutreffend und schuldangemessen gehaltene – Zeitspanne ist – auch unter Einrechnung von Auslieferungs- und Untersuchungshaft – noch nicht verstrichen. Es gibt keinen Rechtssatz, dass die Untersuchungshaft nicht bis zur Höhe der erkannten Freiheitsstrafe vollzogen werden darf, wenn dies – wie hier – notwendig ist, um die Durchführung des vom Angeklagten gewünschten Berufungsverfahrens oder die drohende Vollstreckung der Strafe zu sichern (KG, NStZ-RR 2008, 157; OLG Hamm MDR 1993, 673; Schultheis in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013 § 120 Rn. 7). Maßnahmen nach § 116 StPO – etwa die von der Verteidigung angeführten Meldeauflagen – reichen angesichts des hohen Grades der Fluchtgefahr nicht aus. Die vom Amtsgericht festgestellte besondere Haftempfindlichkeit des Angeklagten stellt einen zusätzlichen Fluchtanreiz dar. Angesichts der für den Strafrichter recht umfangreichen Sache (drei – zunächst bestreitende – Angeklagte) und der erforderlichen Rechtshilfeersuchen wurde das erstinstanzliche Verfahren in angemessener Zeit abgeschlossen. Durch die Flucht des Angeklagten ins Ausland bedingte Verzögerungen muss sich der Staat nicht zurechnen lassen.

Sorry, aber für mich kaum noch nachvollziehbar… Die Sache ist natürlich nicht zu Ende. Der Kollege verfolgt sie weiter – entweder mit der weiteren Beschwerde oder bei der Berufungskammer.

Wiederholungsgefahr – wann? Bei 1.000 € oder mehr oder immer?

© Andy Dean - Fotolia.com

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Der (subsidiäre) Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist in der Praxis unbeliebt, wird von den Gerichten aber „gern“ genommen. Daher heute mal ein Posting zu zwei Entscheidungen zur Frage, wann eine erhebliche Straftat im Sinne des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO vorliegt. Gegensätzlicher kann man die Rechtsfrage kaum beantworten, als es einerseits das OLG Celle im OLG Celle, Beschl v. 19.12.2013 – 1 Ws 561/13, bzw. andererseits das LG Bremen im LG Bremen, Beschl. v. 27.02.2012 – 41 Qs 275/12 (350 Js 9657/12), der mir erst jetzt übersandt worden ist, tun.

Es geht um die Frage: Ist ein Einbruchdiebstahl (§ 243 StGB) eine erhebliche Tat, ggf. immer oder ggf. unter welchen Voraussetzungen?

Dazu sagt das OLG Celle:

„1. Zwar wird von der Rechtsprechung zu weiten Teilen angenommen, die Erheblichkeit im Sinne des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO fehle bei einer Schadenssumme von weniger als 2.000 Euro (so etwa OLG Sachsen-Anhalt, StV 2012, 353; OLG Hamm, StV 2011, 291;  ThürOLG StV 2009, 251; OLG Oldenburg, StV 2005, 618; a.A.: KG OLGSt StPO § 112a Nr. 4). Dies gilt aber nicht stets und auch nicht uneingeschränkt. Die Höhe des durch die Tat entstandenen bzw. zu befürchtenden Schadens ist zwar ein wesentliches, indessen lediglich eines von mehreren in Betracht kommenden Kriterien für die Würdigung, ob eine Tat erheblich in diesem Sinne ist (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juni 2013 ? 1 Ws 218/13). Den maßgeblichen Entscheidungen lagen Straftaten des Betrugs oder des Diebstahls nach § 243 StGB zugrunde. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist indessen ein Wohnungseinbruchdiebstahl nach Maßgabe von § 244 StGB, bei dem ein die Rechtsordnung in erheblichem Maße beeinträchtigendes Geschehen sich nicht allein am Wert des schließlich erlangten Diebesgutes bemisst. Denn zum einen hängt es letztlich vom Zufall und von den konkreten, im Vornherein indessen nicht absehbaren Umständen ab, wie hoch die Beute schließlich ausfällt, und zum anderen tritt in nicht unbedeutendem Maße hinzu, dass die Rechtsordnung zumindest aus Sicht der betroffenen Be- und auch Anwohner bei unbefugtem Einsteigen in einen Wohnraum – vor allem auch psychisch – in ganz erheblicher Weise beeinträchtigt wird. Der Wert des erlangten Diebesgutes ist nach aller kriminologischer Erfahrung hierbei regelmäßig nachrangig. Derartige Taten sind sowohl vom Unrechtsgehalt als auch von der aufgewendeten kriminellen Energie mit sonstigen Vermögenstaten nicht zu vergleichen. Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und deren „Gefühl der Geborgenheit im Recht“ (Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 56. Aufl. § 112a Rn. 9) werden gerade bei Serieneinbruchstaten ungleich mehr beeinträchtigt. Demnach sind Amts- und Landgericht auch vor dem Hintergrund, dass die Vorschrift des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als vorbeugende Schutzmaßnahme eher restriktiv auszulegen ist (BVerfGE 19, 342), völlig zutreffend von der Erheblichkeit im Sinne von § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO ausgegangen. Hinzu kommt, dass der Angeschuldigte bei früheren bzw. weiteren Taten des Wohnungseinbruchs Diebesgut auch im Wert von jeweils deutlich mehr als 2.000 Euro erbeutet hatte. Dass das Urteil vom 12. November 2013 nicht rechtskräftig ist, steht dem bei der Prüfung von Untersuchungshaft nicht entgegen. Die Besorgnis weiterer erheblicher Taten steht hiernach nicht in Frage.

Demgegenüber das LG Bremen:

c) Die am 05.05.2012 ab 21.19 Uhr in der in Bremerhaven begangene Tat zu Lasten des Geschädigter pp, derer der Beschuldigte dringend tatverdächtig ist, ist keine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Tat gemäß § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO. Da die Katalogtaten nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO von generell schwerwiegender Natur sind, können nur Taten überdurchschnittlichen Schweregrades und Unrechtsgehaltes bzw. solche, die mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen, als Anlasstaten in Betracht kommen (OLG Jena StV 2009, 251). Maßgeblich für die Beurteilung sind insbesondere Art und Umfang des jeweiligen angerichteten Schadens (BVerfG, NJW 1973, 1363). Dabei ist jede der wiederholt begangenen Taten separat zu betrachten (OLG Hamm StV 2011, 291 m.w.N.). Ein Schaden von bis zu 1.000,- wird dabei noch nicht als überdurchschnittlich schwer eingestuft (OLG Jena StV 2009, 251; OLG Hamm StV 2011, 291; OLG Frankfurt StV 2010, 583). Bei der Tat wurde keine Beute erlangt, der durch die Sachbeschädigungen eingetretene Schaden erreicht 1.000,- realistischerweise nicht. Mangels überdurchschnittlichen Schadens ist eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung nicht gegeben. Daran ändert sich auch nicht dadurch etwas, dass die Tat von einer Bande begangen wurde, die in Verdacht steht, in und um Bremerhaven vergleichbare Taten begangen zu haben.