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OWi III: Fehlerhafte Zustellung führt zum Verjährungseintritt, oder: Erneut falsche Auslagenentscheidung

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Und dann noch eine – schon etwas ältere – Entscheidung, ebenfalls zur Verjährung, und zwar das AG Karlsruhe, Urt. v. 25.08.2023 – 6 OWi 260 Js 8092/23. Das AG hat in dem Urteil das Verfahren nach § 206a StPO eingestellt.

„Dem Verfahren liegt ein Rotlichtverstoß am 11.09.2022 um 132 Uhr in Karlsruhe auf der B 10 auf Höhe der Keßlerstraße in Richtung Kriegsstraße mit dem Pkw mit amtlichem Kennzeichen
zugrunde.Am 04.10.2022 übersandte die Bußgeldbehörde ein Informationsschreiben an die Betroffene unter der Anschrift Rue pp 28, Frankreich (As. 31). Nachdem dieses Informationsschreiben nicht als unzustellbar zurückgekommen und auch keine Antwort darauf eingegangen war, erließ die Bußgeldbehörde am 17.10.2022 einen Bußgeldbescheid gegen die Betroffene (As. 43), den sie an dieselbe Anschrift übersandte. Der Bußgeldbescheid kam weder als unzustellbar zurück, noch ging bis heute eine Zustellungsurkunde ein.

Mit Schreiben vom 27.10.2022 bestellte sich der Verteidiger der Betroffenen, legte gegen einen möglicherweise bereits erlassenen Bußgeldbescheid Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht (As. 53). Eine Verteidigervollmacht war dem Schreiben nicht beigefügt und ist bis heute nicht zur Akte gelangt. Am 08.11.2022 wurde dem Verteidiger der Betroffenen Akteneinsicht durch über-sendung der Akte gewährt (As. 57) und am 14.11.2022 vom Verteidiger zurückgesandt (As. 67).

Die Bußgeldbehörde hat daraufhin als Zustellungsdatum des Bußgeldbescheids den 27.10.2022 vermerkt, da davon ausgegangen wurde, dass die Betroffene spätestens an dem Tag, als sich ein Verteidiger für sie bestellte. Kenntnis vorn Bußgeldbescheid erlangt haben müsste.

Mit Schriftsatz vorn 16.06.2023 (As. 233) beantragt der Verteidiger die Einstellung des Verfahrens mit der Begründung, dass Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Er trägt vor, dass die Betroffene tatsächlich nicht in der Rue pp. 28, sondern in der Hausnummer 26 wohne, was auch durch eine entsprechende Meldebestätigung (As. 241) belegt wird. Eine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides an die Betroffene sei daher nie erfolgt. Diese habe ihn allein aufgrund des Informationsschreibens vorn 04.10.2022, das ihr von einer Nachbarin ausgehändigt worden sei, beauftragt, von einem Bußgeldbescheid habe sie keine Kenntnis erlangt.

II.

Das Verfahren war gemäß § 206a Abs 1 StPO einzustellen, da Verfolgungsverjährung eingetreten ist.

Nach § 26 Abs. 3 StVG beträgt die Verjährungsfrist für Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Abs. 1 StVG drei Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid erlassen ist noch öffentliche Klage erhoben worden ist, danach sechs Monate.

Die Ordnungswidrigkeit datiert vom 11.09.2022. Eine erste Unterbrechung der Verfolgungsverjährung erfolgte am 04.10.2022 durch Übersendung des Informationsschreibens an die Betroffene an die Anschrift Rue pp. 28, pp. Frankreich. Gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG wird die Verjährung unterbrochen durch die erste Vernehmung des Betroffenen, die Bekanntgabe. dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, oder die Anordnung der Vernehmung oder Bekanntgabe_ Die Versendung des Anhörungsbogens ist hierfür ausreichend (vgl. BeckOK OWiG/Gertler, 39. Ed. 1.7 2023, OWiG § 33 Rn. 47). Unerheblich ist, dass die Betroffene nie in der Hausnummer 28, sondern in der Hausnummer 26 wohnte, da zum einen die Bußgeldbehörde hierbei nicht missbräuchlich gehandelt hat (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, OWiG § 33 Rn. 23) und zum anderen, da die Betroffene selbst eingeräumt hat, dass ihr das In-formationsschreiben von einer Nachbarin ausgehändigt wurde (As. 233).

Eine weitere Verjährungunterbrechung insbesondere durch Erlass des Bußgeldbescheides oder dessen Zustellung nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG ist nicht erfolgt. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Bußgeldbescheid der Betroffenen zur Kenntnis gelangt ist. Die Betroffene war unter der Hausnummer, an welche der Bußgeldbescheid versandt wurde, nachweislich der Meldebescheinigung (As. 241) nicht wohnhaft. Eine Zustellungsurkunde ist nie zur Akte gelangt. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Betroffenen alle Post von ihren Nachbarn weitergereicht wurde, nur weil sie das Informationsschreiben erreicht hat. Eine Terminsladung kam beispielsweise als unzustellbar zurück (As. 227). Es kann auch nicht – wie es aber die Bußgeldbehörde vermerkte – ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Bußgeldbescheid die Betroffene spätestens am 27.10.2022 erreicht haben muss. weil an diesem Tag ein Verteidiger sich für die Betroffene gegenüber der Bußgeldbehörde bestellt hat. In dem Verteidigerschreiben wird ausdrücklich nur gegen einen möglicherweise bereits ergangenen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Es ist damit ebenso möglich, dass die Betroffene den Verteidiger bereits aufgrund des erhaltenen Informationsschreibens beauftragt hat. Ein Rückschluss darauf, dass die Betroffene auch der Bußgeldbescheid erreicht haben muss, kann nicht gezogen werden.

Schließlich ist auch keine Heilung der Zustellung durch die Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger erfolgt. Zwar erfolgte die Gewährung der Akteneinsicht an den Verteidiger mit Über-sendung der Akte am 08.11.2022 und Rücksendung am 14.11.2022 vor Eintritt der Verfolgungs-verjährung und kann grundsätzlich – wie auch von der Staatsanwaltschaft eingewandt (As. 245) ¬eine zunächst unwirksame Zustellung heilen (vgl. OLG Hamm BeckRS 2017, 122300, BeckOK OWiG/Gertler, 39. Ed. 1.7.2023, OWiG § 33 Rn. 118). Im dem Fall des OLG Hamm war der Verteidiger jedoch Empfangsberechtigter und die Bußgeldbehörde hatte einen erkennbaren Zustellungswillen, den Bußgeldbescheid an den Verteidiger als Empfangsberechtigten zuzustellen. In hiesigem Verfahren ist aber gerade keine Vollmacht des Verteidigers zu den Akten gelangt – weder eine Zustellungsvollmacht noch eine sonstige Vertretungsvollmacht. Die Bußgeldbehörde wollte auch nicht an den Verteidiger. sondern an die Betroffene selbst zustellen. Für diesen Fall ist nach ganz überwiegender Rechtsprechung eine Heilung der Zustellung nicht anzunehmen (vgl. OLG Celle. Beschluss vom 30. 8. 2011 – 311 SsRs 126/11, NZV 2012, 45, beck-online; OLG Stuttgart, Beschl. v. 10. 10. 2013 – 4 a Ss 428/13, NZV 2014, 186, beck-online). Insbesondere hat das OLG Karlsruhe ausdrücklich entschieden, dass eine Heilung der Zustellung dann nicht erfolgen kann, wenn der Verteidiger nicht bevollmächtigt ist, Zustellungen für den Betroffenen entgegenzunehmen (vgl. OLG Karlsruhe Beschl. v. 29.10.2020 – 2 Rb 35 Ss 618/20, BeckRS 2020. 34187, beck-online).

Da die Gewährung von Akteneinsicht an den nicht bevollmächtigten Verteidiger die fehlende Zu-stellung an die Betroffene damit nicht heilen konnte, hat der Erlass des Bußgeldbescheides man-gels wirksamer Zustellung die Verjährung nicht unterbrochen. Einzige Verjährungsunterbrechung war daher die Übersendung des Informationsschreibens an die Betroffene am 04.10.2022, weshalb zum 04.01.2023 Verjährung eingetreten ist.“

Soweit so gut, so richtig. Aber dann die Auslagenentscheidung. Das AG hat entschieden, dass die Betroffene ihre notwendigen Auslagen selbst zu tragen hat, und hat das wie folgt begründet: „Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls wird daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.“ Das reicht m.E. nicht nur nicht, sondern ist falsch. Dazu verweise ich auf die Anmerkung zum im AG Augsburg, Beschl. v. 26.07.2024 – 45 OWi 605 Js 107352/24  (vgl. dazu OWi II: Einstellung in der HV wegen Verjährung, oder: Auslagenentscheidung man wieder nicht begründet). Der Fehler liegt/lag doch nicht bei der Betroffenen.

OWi I: Keine Begründung der Auslagenentscheidung, oder: Weiß man es nicht oder man will nicht?

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Und dann geht es heute weiter mit Entscheidungen betreffend das Bußgeldverfahren.

Hier habe ich zunächst den BVerfG, Beschl. v. 27.09.2024 – 2 BvR 375/24 – noch einmal/mal wieder – leider – zur Frage der Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren.

Gegen den Beschwerdeführer war ein Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsüberschreitung ergangen. Nach fristgerecht eingelegtem Einspruch setzte das AG Hauptverhandlungstermin fest, zu dem es das persönliche Erscheinen des Be-schwerdeführers anordnete. Zu dem Termin erschien der Beschwerdeführer in Begleitung sei-nes Verteidigers. Zur Sache befragt gab der Verteidiger eine Erklärung ab, wonach der Be-schwerdeführer nicht der Fahrer sei. Daraufhin verkündete das Amtsgericht folgenden Be-schluss: „Das Verfahren wird gemäß § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Staatskasse eingestellt. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse nicht.“ Gründe enthielt der Beschluss nicht.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Beschluss des AG „(sofortige) Beschwerde“, zudem beantragte er beim AG mit gesondertem Schreiben „sowohl im Wege der Gegenvorstellung, als auch im Wege der Anhörungsrüge“ die Aufhebung des Beschlusses, jedenfalls auch die not-wendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Das AG verwarf die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung als unzulässig. Eine Begründung erfolgte nicht. Seine Beschwerde begründe-te der Betroffene unter Verweis auf den Beschluss des BVerfG v. 13.10.2015 (2 BvR 2436/14, NJW 2016, 861) dahingehend, dass hier die Beschwerde nach Ablehnung der Anhörungsrüge statthaft sei und zum Rechtsweg gehöre, der vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zu erschöpfen sei. Das LG verwarf die sofortige Beschwerde als unzulässig. Zur Begründung führ-te es aus, dass nach § 464 Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 StPO eine gerichtliche Entscheidung über die Kosten und notwendigen Auslagen nicht anfechtbar sei, wenn eine Anfechtung der Hauptent-scheidung nicht statthaft sei. § 47 Abs. 2 Satz 3 OWiG schließe die Anfechtbarkeit des Einstel-lungsbeschlusses ausdrücklich aus. Im Übrigen sei die Kosten- und Auslagenentscheidung auch nicht auf eine Gegenvorstellung hin abänderbar. Die Verfassungsbeschwerde des Betroffenen hatte Erfolg.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde als zulässig angesehen – zur Rechtswegerschöpfung bitte selbst lesen und führt dann zur Begründetheit u.a. aus:

„….

2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Das Amtsgericht hat mit der angegriffenen Auslagenentscheidung gegen Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung als Willkürverbot verstoßen.

a) Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür zuständigen Gerichte und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen; ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt nur in seltenen Ausnahmefällen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; stRspr). Ein Richterspruch verstößt nicht schon dann gegen das Verbot objektiver Willkür, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muss, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 <51>), etwa wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>; 112, 185 <216>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Mai 2024 – 2 BvR 1457/23 -, Rn. 11).

Dieser aus Art. 3 Abs. 1 GG gewonnene materiell-verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab verlangt mit Rücksicht auf die Bindung des Richters an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) eine Begründung auch letztinstanzlicher Entscheidungen jedenfalls dann und insoweit, als von dem eindeutigen Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen werden soll und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den den Beteiligten bekannten und für sie ohne Weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falles ergibt (vgl. BVerfGE 71, 122 <136>). Dabei kann von einer willkürlichen Missdeutung des Inhalts einer Norm nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 <279>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>; stRspr).

b) Nach diesen Maßstäben verletzt die angegriffene Auslagenentscheidung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.

aa) Gemäß § 467 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG hat die nach Einstellung eines Bußgeldverfahrens zu treffende Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich dahingehend auszufallen, dass diese zulasten der Staatskasse gehen. Zwar kann oder muss hiervon in einigen gesetzlich geregelten Fällen abgesehen werden (§ 109a Abs. 2 OWiG, § 467 Abs. 2 bis 4 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG). Der Entscheidung des Amtsgerichts vom 7. September 2023 über die notwendigen Auslagen lässt sich jedoch nicht einmal im Ansatz entnehmen, aus welchem Grunde diese dem Beschwerdeführer auferlegt wurden. Sie enthält keinerlei Erwägungen, die ein Abweichen von der Regelung des § 467 Abs. 1 StPO rechtfertigen oder auch nur nachvollziehbar machen könnten. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich das Amtsgericht und in der Folge auch das Landgericht insoweit von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen.

bb) Die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 109a Abs. 2 OWiG waren hier nicht gegeben, denn dem Beschwerdeführer sind ersichtlich keine vermeidbaren Auslagen dadurch entstanden, dass er entlastende tatsächliche Umstände (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 2013 – 2 BvR 864/12 -, Rn. 23 m.w.N.) nicht rechtzeitig vorgebracht hatte. Der Beschwerdeführer als Betroffener eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens war nicht verpflichtet, auf den Anhörungsbogen, sollte dieser dem Beschwerdeführer überhaupt zugegangen sein, Angaben zu machen und den aus seiner Sicht tatsächlichen Fahrer der Ordnungswidrigkeit zu benennen.

cc) Nach der Bestimmung des § 467 Abs. 4 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG kann ein Gericht davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es das Verfahren nach einer Vorschrift einstellt, die dies – wie § 47 Abs. 2 OWiG – nach seinem Ermessen zulässt. Dabei darf auf die Stärke des Tatverdachts abgestellt, aber ohne prozessordnungsgemäße Feststellung keine Schuldzuweisung vorgenommen werden (vgl. BVerfGE 82, 106 <117>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2015 – 2 BvR 2436/14 -, Rn. 31).

Das Amtsgericht hat seine Auslagenentscheidung weder im Beschluss vom 7. September 2023 begründet, noch die fehlende Begründung in seiner Entscheidung über die Gegenvorstellung und Anhörungsrüge des Beschwerdeführers vom 15. September 2023 nachgeholt. Das Fehlen der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung kann dazu führen, dass ein Verfassungsverstoß nicht auszuschließen und die Entscheidung deshalb aufzuheben ist, weil erhebliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. BVerfGE 55, 205 <206>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Februar 1993 – 2 BvR 251/93 -, juris, Rn. 4; Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 2008 – 2 BvR 378/05 -, Rn. 33 und vom 13. Oktober 2015 – 2 BvR 2436/14 -, Rn. 32).

Solche nicht auszuräumenden Zweifel drängen sich hier auf. Da die angegriffenen Beschlüsse vom 7. und 15. September 2023 – ungeachtet der vom Beschwerdeführer rechtlich und tatsächlich in Abrede gestellten Verdachtslage – keine Hinweise auf die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte für eine vom Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO abweichende Kostentragung gemäß § 467 Abs. 4 StPO enthalten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht sich insoweit von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen und deshalb das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist.“ung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).“

Dem ist nichts hinzuzufügen, das haben wir in letzter Zeit immer wieder lesen müssen, hier dann eben noch einmal vom BVerfG. Ich frage mich allerdings, warum AG an der Stelle nicht vernünftig arbeiten und begründen. Entweder weiß man nicht, was gefordert wird, oder man will nicht. Beides ist gleich schlimm.

 

Auslagen für Ausdruck des digitalen Datenträgers II?, oder: Ausnahmsweise ja zur Dokumentenpauschale

Heute morgen hatte ich den OLG Nürnberg, Beschl. v. 25.09.2024 – Ws 649/24 – zum Ausdruck eines digitalen Datenträgers vorgestellt. Das OLG hatte den Anfall der Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG verneint. Hier habe ich nun den LG Köln, Beschl. v. 24.10.2024 – 104 Ks 76/23 -, derden Anfall der Dokumentenpauschale in Sonderfällen bejaht, und zwar:

„Der Rechtsanwältin steht nach RVG-VV-7000 die abgesetzte Dokumentenpauschale für Ausdrucke aus der elektronischen Gerichtsakte von 410,45 Euro zu, nämlich im Ermittlungsverfahren 50 Ausdrucke zu je 0,50 Euro und 926 Ausdrucke zu je 0,15 Euro sowie im Hauptverfahren 50 Ausdrucke zu je 0,50 Euro, 1.317 Ausdrucke zu je 0,15 Euro und 24 Farbausdrucke zu je 1,00 Euro. Hinzu kommt nach RVG-VV-7008 die anteilige Umsatzsteuer von 77,99 Euro. Daraus ergibt sich der erstattungsfähige Gesamtbetrag von 488,44 Euro.

Nach RVG-VV-7000 1a) fällt die Pauschale für die Herstellung und Überlassung von Dokumenten für Kopien und Ausdrucke aus Behörden- und Gerichtsakten nur an, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Dabei ist grundsätzlich ein objektiver Maßstab anzulegen (vgl. Schneider/Volpert/Fölsch/Stollenwerk, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage, RVG VV 7000, Rn. 10). Wird der Rechtsanwältin – wie hier – die komplette Verfahrensakte in digitalisierter Form zum weiteren Verbleib überlassen, sind Kosten für Ausdrucke daraus nach RVG-VV-7000 1a) vom Grundsatz her keine erforderlichen Auslagen im Sinne von §?46 Abs.?1 RVG (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.04.2018, 2 Ws 1/18, JurBüro 2018, 352). Von diesem Grundsatz sind jedoch Ausnahmen möglich, deren Voraussetzungen in der Kommentarliteratur umstritten sind (vgl. Schneider/Volpert/Fölsch/Stollenwerk, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage, RVG VV 7000, Rn. 10; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 26. Aufl., RVG VV 7000, Rn. 62; Toussaint/Schmitt/Lang-Lendorff, 54. Aufl., RVG VV 7000 Rn. 10; Ahlmann/Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/Ahlmann, 11. Aufl., RVG VV 7000, Rn. 8; HK-RVG/Ludwig Kroiß, 8. Aufl., RVG VV 7000 Rn. 5; jeweils m.w.N.).

Auf die Einzelheiten dieses Meinungsstreits kommt es jedoch nicht an, weil der vorliegende Fall exemplarisch dafür ist, dass Ausdrucke aus der elektronischen Gerichtsakte zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten waren: Die Akte bestand aus über 2.000 Blatt Hauptakten nebst Beweismittelheften und ganz überwiegend aus Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten; allein der Nebenkläger ist vor der Hauptverhandlung mehr als fünfmal, teilweise sehr umfangreich, vernommen worden; die Akte war äußerst unübersichtlich strukturiert; die erinnerungsführende Rechtsanwältin hat seit dem Ermittlungsverfahren wiederholt aktenkundige Aussagen von Zeugen und Beschuldigten synoptisch nebeneinander gestellt. Dazu war es erforderlich, Ausdrucke der zahlreichen aktenkundigen Aussagen von Zeugen und Beschuldigten ausgedruckt nebeneinanderzulegen und abzugleichen. Außerdem war es angesichts der Vielzahl wiederholter Vernehmungen für die Hauptverhandlung erforderlich, jeweils Ausdrucke aller aktenkundigen Aussagen eines Zeugen zu verwenden. Aus diesen Gründen des Einzelfalls war ausnahmsweise ein vollständiger Ausdruck der elektronischen Gerichtsakte zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache im Sinne von RVG-VV-7000 1a) geboten.

Ob die Ausdrucke aus der elektronischen Gerichtsakte daneben auch zur Unterrichtung des Auftraggebers notwendig waren (RVG-VV-7000 1c), kann dahinstehen.“

Auslagen für Ausdruck des digitalen Datenträgers I?, oder: Die Dokumentenpauschale gibt es nicht

entnommen wikimedia.org

Und dann auf in den RVG-Tag, heute mit zwei Entscheidungen zu Auslagen.

Zunächst kommt hier der OLG Nürnberg, Beschl. v. 25.09.2024 – Ws 649/24 – zur Frage, ob bei dem Ausdruck eines digitalen Datenträgers die Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG anfällt. Das OLG sagt: Nein und begründet das wie folgt:

„3. Die Beschwerde richtet sich nur dagegen, dass dem Erinnerungsführer eine Dokumentenpauschale aus § 46 RVG i.V.m. Nr. 7000 Ziffer 1 lit. a VV RVG in Höhe von 1.298,70 € für 6.774 Seiten selbst gefertigter Kopien zugesprochen wurden. Die Beschwerde hat in der Sache auch Erfolg. Der Pflichtverteidiger hat keinen Anspruch auf Festsetzung der für das Ausdrucken der vollständigen Akte im Umfang von 6.774 Seiten von den ihm dauerhaft überlassenen Datenträgern entstandenen Gebühren und Auslagen in Höhe von 1.298,70 €, da der Ausdruck zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht geboten war.

a) Der Ausdruck einer in digitalisierter Form (hier auf mehreren CD-Rom) gespeicherten Gerichtsakte fällt unter den Gebührentatbestand der Nr. 7000 Ziff. 1 lit. a VV RVG (Ahlmann, in Riedel/Sußbauer RVG 10. Aufl. VV 7000 Rn. 5). Danach entsteht eine Dokumentenpauschale für Kopien und Ausdrucke aus Gerichtsakten, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war.

Die Frage, ob die Ausdrucke (entsprechendes gilt für die Kopien aus einer Gerichtsakte) zur sachgerechten Bearbeitung erforderlich waren, beurteilt sich im Einzelfall nach dem objektiven Standpunkt eines vernünftigen sachkundigen Dritten (Hartmann, Kostengesetze 44. Aufl. RVG 7000 VV Rdn. 6; Ahlmann, in Riedel/Sußbauer RVG 10. Aufl. VV 7000 Rn. 8). Dies ist aus der Sicht zu beurteilen, die ein verständiger und durchschnittlich erfahrener Prozessbevollmächtigter (oder Verteidiger) haben kann, wenn er sich mit der betreffenden Gerichtsakte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen eigenen Bearbeitung der Sache auftreten können (vgl. BGH NJW 2005, 2317 f.). Es ist also ein objektivierter Maßstab zu Grunde zu legen; auf die subjektive Sicht des Rechtsanwalts kommt es nicht an (Ahlmann a.a.O. VV 7000 Rn. 8). Gleichwohl steht auch dem gerichtlich bestellten bzw. beigeordneten Rechtsanwalt ein weiter Ermessensspielraum zu (vgl. OLG Celle, NJW 2012, 1671; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 29.03.2012 – 2 Ws 49/12, JurionRS 2012, 14204; OLG Köln, NStZ-RR 2012, 392). Allerdings muss der Anwalt das ihm eingeräumte Ermessen auch ausüben (OLG Koblenz, Beschluss vom 16.11.2009 – 2 Ws 526/09, JurionRS 2009, 36455; OLG Köln, NStZ-RR 2012, 392).

b) Der Senat folgt nunmehr der Auffassung (vgl. OLG Frankfurt a.?M., Beschluss vom 03.04.2018, 2 Ws 1/18, OLG Rostock, Beschluss vom 04.08.2024, 20 Ws 193/14), dass bei Überlassung von auf digitalen Datenträgern gespeicherten Akten deren Ausdruck ohne Vorliegen besonderer Umstände grundsätzlich nicht mit der Dokumentenpauschale vergütet werden kann (unter Aufgabe der im Beschluss vom 30.05.2017, 2 Ws 98/17, BeckRS 2017, 120492 vertretenen gegenteiligen Meinung).

aa) Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung besteht für eine sachgemäße Bearbeitung einer Rechtssache grundsätzlich kein Erfordernis, eine in elektronischer Form vorhandene Akte auszudrucken.

In Zivil- und Familiensachen ist im Freistaat Bayern und vielen anderen Bundesländern die elektronische Gerichtsakte bereits seit längerem eingeführt. In Strafsachen können die Akten gemäß § 32 Abs. 1 S. 1 StPO elektronisch geführt werden; ab 01.01.2026 ist dies verpflichtend. Bei einigen Staatsanwaltschaften und Gerichten im Freistaat Bayern laufen Pilotprojekte und die Regeleinführung der elektronischen Gerichtsakte bei den Bayerischen Gerichten hat begonnen. Hieraus ergibt sich, dass der Umgang mit elektronischen Akten mittlerweile Alltag im gerichtlichen und anwaltlichen Berufsleben geworden ist, so dass es für eine sachgemäße Bearbeitung einer Rechtssache durch einen Rechtsanwalt grundsätzlich nicht mehr erforderlich ist, eine in elektronischer Form vorhandene Akte auszudrucken. Dass die elektronische Aktenführung für Rechtsanwälte nicht verpflichtend ist, ändert daran nichts.

Ob die Akten, wie im vorliegenden Fall, auf einem elektronischen Speichermedium (etwa CD-ROM) zum dauernden Verbleib oder durch die Möglich zum Download und lokaler Speicherung auf einem Speichermedium des Rechtsanwalts zur Verfügung gestellt werden und ihm damit jederzeit und an jedem Ort ein vollständiger Zugriff auf die Akten möglich ist, ist dabei unerheblich.

bb) Aus den vom Verteidiger zur Begründung des Aktenausdrucks vorgetragenen Umstände ergibt sich nicht, dass im vorliegenden Einzelfall ein vollständiger oder teilweiser Ausdruck der Akten erforderlich war.

(1) Den Rechtsanwalt, der die elektronische Akte ausdruckt, trifft eine besondere Begründungs- und Darlegungslast, warum dies zusätzlich zu der zur Verfügung gestellten digitalisierten Akte, die eine sachgerechte Bearbeitung bereits ermöglicht, notwendig war, wenn er die zusätzlichen Ausdrucke ersetzt verlangt (OLG Frankfurt a.?M., Beschluss vom 03.04.2018, 2 Ws 1/18, OLG Rostock, Beschluss vom 04.08.2024, 20 Ws 193/14). Da die elektronische Aktenbearbeitung mittlerweile zum Alltag gehört und damit ein gezielter Zugriff auf bestimmte Informationen gerade bei umfangreichem Verfahrensstoff erheblich erleichtert wird, ist es dem Verteidiger zuzumuten, sich zunächst mit Hilfe der elektronischen Akte in den Sachverhalt einzuarbeiten und erst auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob und wenn ja in welchem Umfang ein Aktenausdruck aus besonderen Gründen für die weitere Verteidigung zusätzlich in Papierform benötigt werden.

(2) Der Einwand des Verteidigers, nicht über einen Laptop zu verfügen, greift nicht durch. Die fehlende Ausstattung des Verteidigers mit einem Laptop stellt keinen tragfähigen Grund für den Ausdruck der Akte dar (Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Nr. 7000 VV Rn. 97 m.w.N.). Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind gemäß § 5 BORA verpflichtet, die für ihre Berufsausübung erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen vorzuhalten, wozu mittlerweile auch die technische Ausstattung zur Bearbeitung elektronischer Akten gehört.

(3) Auch dass es ein Rechtsanwalt als praktikabler oder einfacher empfindet, bei der Besprechung mit seinem Mandanten Anmerkungen auf den Papierausdrucken anbringen zu können, stellt aus Sicht eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Verteidigers keinen Grund dar, der den Ausdruck der Akte erforderlich macht. Zum einen ist auch in einem elektronischen Dokument das Anfertigen von Anmerkungen möglich. Zum anderen kann der Verteidiger bei Besprechungen gleichwohl Anmerkungen in Papierform erstellen und sich die dazugehörige Blattzahl der Akte vermerken. Sollte im Einzelfall der Ausdruck einzelner Aktenteile, etwa von Protokollen von Zeugenaussagen, erforderlich sein, rechtfertigt dies jedenfalls nicht den Ausdruck der gesamten Akte mit über 7.000 Seiten. Gründe dafür, dass der Ausdruck einzelner Aktenteile erforderlich war, hat der Verteidiger nicht vorgebracht, so dass auch eine teilweise Kostenerstattung nicht in Betracht kommt.

(4) Der Ausdruck der dem Verteidiger überlassenen elektronischen Akte stellt auch aus Gründen der Waffengleichheit keine zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache grundsätzlich erforderliche Aufwendung dar. Die Arbeit mit einer Papierakte ist der mit einer elektronischen Akte nicht überlegen. Vielmehr können die elektronische Suchfunktion oder das Anbringen von elektronischen Lesezeichen die Aktenarbeit gerade in umfangreichen Verfahren vereinfachen.“

Das ist sicherlich ein Punkt, an dem der Gesetzgeber mal etwas tun müsste. Aber er hat es im KostRÄndG 2021 nicht getan, für das KostRÄndG 2025 ware auch nichts vorgesehen. Und was danach kommt: Wer weiß das im Moment?

Ich habe da mal eine Frage: Wo muss ich Festsetzung meiner Gebühren beantragen?

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Und dann noch die Frage zum RVG, und zwar:

Ich bin vom AG für einen Termin zur Haftbefehlseröffnung als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Die Eröffnung hat hier bei unserem AG stattgefunden, das Verfahren wird wird aber bei einem anderem Amtsgericht geführt werden.

Ich bin mir nun nicht sicher, wo ich die Festsetzung meiner Gebühren beantragen muss. Müsste ich nicht hier bei unserem AG abrechnen, bei dem der Termin stattgefunden hat.