Archiv der Kategorie: Gebührenrecht

OWi III: Fehlerhafte Zustellung führt zum Verjährungseintritt, oder: Erneut falsche Auslagenentscheidung

Bild von Capri23auto auf Pixabay

Und dann noch eine – schon etwas ältere – Entscheidung, ebenfalls zur Verjährung, und zwar das AG Karlsruhe, Urt. v. 25.08.2023 – 6 OWi 260 Js 8092/23. Das AG hat in dem Urteil das Verfahren nach § 206a StPO eingestellt.

„Dem Verfahren liegt ein Rotlichtverstoß am 11.09.2022 um 132 Uhr in Karlsruhe auf der B 10 auf Höhe der Keßlerstraße in Richtung Kriegsstraße mit dem Pkw mit amtlichem Kennzeichen
zugrunde.Am 04.10.2022 übersandte die Bußgeldbehörde ein Informationsschreiben an die Betroffene unter der Anschrift Rue pp 28, Frankreich (As. 31). Nachdem dieses Informationsschreiben nicht als unzustellbar zurückgekommen und auch keine Antwort darauf eingegangen war, erließ die Bußgeldbehörde am 17.10.2022 einen Bußgeldbescheid gegen die Betroffene (As. 43), den sie an dieselbe Anschrift übersandte. Der Bußgeldbescheid kam weder als unzustellbar zurück, noch ging bis heute eine Zustellungsurkunde ein.

Mit Schreiben vom 27.10.2022 bestellte sich der Verteidiger der Betroffenen, legte gegen einen möglicherweise bereits erlassenen Bußgeldbescheid Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht (As. 53). Eine Verteidigervollmacht war dem Schreiben nicht beigefügt und ist bis heute nicht zur Akte gelangt. Am 08.11.2022 wurde dem Verteidiger der Betroffenen Akteneinsicht durch über-sendung der Akte gewährt (As. 57) und am 14.11.2022 vom Verteidiger zurückgesandt (As. 67).

Die Bußgeldbehörde hat daraufhin als Zustellungsdatum des Bußgeldbescheids den 27.10.2022 vermerkt, da davon ausgegangen wurde, dass die Betroffene spätestens an dem Tag, als sich ein Verteidiger für sie bestellte. Kenntnis vorn Bußgeldbescheid erlangt haben müsste.

Mit Schriftsatz vorn 16.06.2023 (As. 233) beantragt der Verteidiger die Einstellung des Verfahrens mit der Begründung, dass Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Er trägt vor, dass die Betroffene tatsächlich nicht in der Rue pp. 28, sondern in der Hausnummer 26 wohne, was auch durch eine entsprechende Meldebestätigung (As. 241) belegt wird. Eine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides an die Betroffene sei daher nie erfolgt. Diese habe ihn allein aufgrund des Informationsschreibens vorn 04.10.2022, das ihr von einer Nachbarin ausgehändigt worden sei, beauftragt, von einem Bußgeldbescheid habe sie keine Kenntnis erlangt.

II.

Das Verfahren war gemäß § 206a Abs 1 StPO einzustellen, da Verfolgungsverjährung eingetreten ist.

Nach § 26 Abs. 3 StVG beträgt die Verjährungsfrist für Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Abs. 1 StVG drei Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid erlassen ist noch öffentliche Klage erhoben worden ist, danach sechs Monate.

Die Ordnungswidrigkeit datiert vom 11.09.2022. Eine erste Unterbrechung der Verfolgungsverjährung erfolgte am 04.10.2022 durch Übersendung des Informationsschreibens an die Betroffene an die Anschrift Rue pp. 28, pp. Frankreich. Gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG wird die Verjährung unterbrochen durch die erste Vernehmung des Betroffenen, die Bekanntgabe. dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, oder die Anordnung der Vernehmung oder Bekanntgabe_ Die Versendung des Anhörungsbogens ist hierfür ausreichend (vgl. BeckOK OWiG/Gertler, 39. Ed. 1.7 2023, OWiG § 33 Rn. 47). Unerheblich ist, dass die Betroffene nie in der Hausnummer 28, sondern in der Hausnummer 26 wohnte, da zum einen die Bußgeldbehörde hierbei nicht missbräuchlich gehandelt hat (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, OWiG § 33 Rn. 23) und zum anderen, da die Betroffene selbst eingeräumt hat, dass ihr das In-formationsschreiben von einer Nachbarin ausgehändigt wurde (As. 233).

Eine weitere Verjährungunterbrechung insbesondere durch Erlass des Bußgeldbescheides oder dessen Zustellung nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG ist nicht erfolgt. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Bußgeldbescheid der Betroffenen zur Kenntnis gelangt ist. Die Betroffene war unter der Hausnummer, an welche der Bußgeldbescheid versandt wurde, nachweislich der Meldebescheinigung (As. 241) nicht wohnhaft. Eine Zustellungsurkunde ist nie zur Akte gelangt. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Betroffenen alle Post von ihren Nachbarn weitergereicht wurde, nur weil sie das Informationsschreiben erreicht hat. Eine Terminsladung kam beispielsweise als unzustellbar zurück (As. 227). Es kann auch nicht – wie es aber die Bußgeldbehörde vermerkte – ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Bußgeldbescheid die Betroffene spätestens am 27.10.2022 erreicht haben muss. weil an diesem Tag ein Verteidiger sich für die Betroffene gegenüber der Bußgeldbehörde bestellt hat. In dem Verteidigerschreiben wird ausdrücklich nur gegen einen möglicherweise bereits ergangenen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Es ist damit ebenso möglich, dass die Betroffene den Verteidiger bereits aufgrund des erhaltenen Informationsschreibens beauftragt hat. Ein Rückschluss darauf, dass die Betroffene auch der Bußgeldbescheid erreicht haben muss, kann nicht gezogen werden.

Schließlich ist auch keine Heilung der Zustellung durch die Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger erfolgt. Zwar erfolgte die Gewährung der Akteneinsicht an den Verteidiger mit Über-sendung der Akte am 08.11.2022 und Rücksendung am 14.11.2022 vor Eintritt der Verfolgungs-verjährung und kann grundsätzlich – wie auch von der Staatsanwaltschaft eingewandt (As. 245) ¬eine zunächst unwirksame Zustellung heilen (vgl. OLG Hamm BeckRS 2017, 122300, BeckOK OWiG/Gertler, 39. Ed. 1.7.2023, OWiG § 33 Rn. 118). Im dem Fall des OLG Hamm war der Verteidiger jedoch Empfangsberechtigter und die Bußgeldbehörde hatte einen erkennbaren Zustellungswillen, den Bußgeldbescheid an den Verteidiger als Empfangsberechtigten zuzustellen. In hiesigem Verfahren ist aber gerade keine Vollmacht des Verteidigers zu den Akten gelangt – weder eine Zustellungsvollmacht noch eine sonstige Vertretungsvollmacht. Die Bußgeldbehörde wollte auch nicht an den Verteidiger. sondern an die Betroffene selbst zustellen. Für diesen Fall ist nach ganz überwiegender Rechtsprechung eine Heilung der Zustellung nicht anzunehmen (vgl. OLG Celle. Beschluss vom 30. 8. 2011 – 311 SsRs 126/11, NZV 2012, 45, beck-online; OLG Stuttgart, Beschl. v. 10. 10. 2013 – 4 a Ss 428/13, NZV 2014, 186, beck-online). Insbesondere hat das OLG Karlsruhe ausdrücklich entschieden, dass eine Heilung der Zustellung dann nicht erfolgen kann, wenn der Verteidiger nicht bevollmächtigt ist, Zustellungen für den Betroffenen entgegenzunehmen (vgl. OLG Karlsruhe Beschl. v. 29.10.2020 – 2 Rb 35 Ss 618/20, BeckRS 2020. 34187, beck-online).

Da die Gewährung von Akteneinsicht an den nicht bevollmächtigten Verteidiger die fehlende Zu-stellung an die Betroffene damit nicht heilen konnte, hat der Erlass des Bußgeldbescheides man-gels wirksamer Zustellung die Verjährung nicht unterbrochen. Einzige Verjährungsunterbrechung war daher die Übersendung des Informationsschreibens an die Betroffene am 04.10.2022, weshalb zum 04.01.2023 Verjährung eingetreten ist.“

Soweit so gut, so richtig. Aber dann die Auslagenentscheidung. Das AG hat entschieden, dass die Betroffene ihre notwendigen Auslagen selbst zu tragen hat, und hat das wie folgt begründet: „Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls wird daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.“ Das reicht m.E. nicht nur nicht, sondern ist falsch. Dazu verweise ich auf die Anmerkung zum im AG Augsburg, Beschl. v. 26.07.2024 – 45 OWi 605 Js 107352/24  (vgl. dazu OWi II: Einstellung in der HV wegen Verjährung, oder: Auslagenentscheidung man wieder nicht begründet). Der Fehler liegt/lag doch nicht bei der Betroffenen.

OWi I: Keine Begründung der Auslagenentscheidung, oder: Weiß man es nicht oder man will nicht?

Smiley

Und dann geht es heute weiter mit Entscheidungen betreffend das Bußgeldverfahren.

Hier habe ich zunächst den BVerfG, Beschl. v. 27.09.2024 – 2 BvR 375/24 – noch einmal/mal wieder – leider – zur Frage der Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren.

Gegen den Beschwerdeführer war ein Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsüberschreitung ergangen. Nach fristgerecht eingelegtem Einspruch setzte das AG Hauptverhandlungstermin fest, zu dem es das persönliche Erscheinen des Be-schwerdeführers anordnete. Zu dem Termin erschien der Beschwerdeführer in Begleitung sei-nes Verteidigers. Zur Sache befragt gab der Verteidiger eine Erklärung ab, wonach der Be-schwerdeführer nicht der Fahrer sei. Daraufhin verkündete das Amtsgericht folgenden Be-schluss: „Das Verfahren wird gemäß § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Staatskasse eingestellt. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse nicht.“ Gründe enthielt der Beschluss nicht.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Beschluss des AG „(sofortige) Beschwerde“, zudem beantragte er beim AG mit gesondertem Schreiben „sowohl im Wege der Gegenvorstellung, als auch im Wege der Anhörungsrüge“ die Aufhebung des Beschlusses, jedenfalls auch die not-wendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Das AG verwarf die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung als unzulässig. Eine Begründung erfolgte nicht. Seine Beschwerde begründe-te der Betroffene unter Verweis auf den Beschluss des BVerfG v. 13.10.2015 (2 BvR 2436/14, NJW 2016, 861) dahingehend, dass hier die Beschwerde nach Ablehnung der Anhörungsrüge statthaft sei und zum Rechtsweg gehöre, der vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zu erschöpfen sei. Das LG verwarf die sofortige Beschwerde als unzulässig. Zur Begründung führ-te es aus, dass nach § 464 Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 StPO eine gerichtliche Entscheidung über die Kosten und notwendigen Auslagen nicht anfechtbar sei, wenn eine Anfechtung der Hauptent-scheidung nicht statthaft sei. § 47 Abs. 2 Satz 3 OWiG schließe die Anfechtbarkeit des Einstel-lungsbeschlusses ausdrücklich aus. Im Übrigen sei die Kosten- und Auslagenentscheidung auch nicht auf eine Gegenvorstellung hin abänderbar. Die Verfassungsbeschwerde des Betroffenen hatte Erfolg.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde als zulässig angesehen – zur Rechtswegerschöpfung bitte selbst lesen und führt dann zur Begründetheit u.a. aus:

„….

2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Das Amtsgericht hat mit der angegriffenen Auslagenentscheidung gegen Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung als Willkürverbot verstoßen.

a) Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür zuständigen Gerichte und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen; ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt nur in seltenen Ausnahmefällen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; stRspr). Ein Richterspruch verstößt nicht schon dann gegen das Verbot objektiver Willkür, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muss, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 <51>), etwa wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>; 112, 185 <216>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Mai 2024 – 2 BvR 1457/23 -, Rn. 11).

Dieser aus Art. 3 Abs. 1 GG gewonnene materiell-verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab verlangt mit Rücksicht auf die Bindung des Richters an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) eine Begründung auch letztinstanzlicher Entscheidungen jedenfalls dann und insoweit, als von dem eindeutigen Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen werden soll und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den den Beteiligten bekannten und für sie ohne Weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falles ergibt (vgl. BVerfGE 71, 122 <136>). Dabei kann von einer willkürlichen Missdeutung des Inhalts einer Norm nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 <279>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>; stRspr).

b) Nach diesen Maßstäben verletzt die angegriffene Auslagenentscheidung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.

aa) Gemäß § 467 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG hat die nach Einstellung eines Bußgeldverfahrens zu treffende Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich dahingehend auszufallen, dass diese zulasten der Staatskasse gehen. Zwar kann oder muss hiervon in einigen gesetzlich geregelten Fällen abgesehen werden (§ 109a Abs. 2 OWiG, § 467 Abs. 2 bis 4 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG). Der Entscheidung des Amtsgerichts vom 7. September 2023 über die notwendigen Auslagen lässt sich jedoch nicht einmal im Ansatz entnehmen, aus welchem Grunde diese dem Beschwerdeführer auferlegt wurden. Sie enthält keinerlei Erwägungen, die ein Abweichen von der Regelung des § 467 Abs. 1 StPO rechtfertigen oder auch nur nachvollziehbar machen könnten. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich das Amtsgericht und in der Folge auch das Landgericht insoweit von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen.

bb) Die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 109a Abs. 2 OWiG waren hier nicht gegeben, denn dem Beschwerdeführer sind ersichtlich keine vermeidbaren Auslagen dadurch entstanden, dass er entlastende tatsächliche Umstände (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 2013 – 2 BvR 864/12 -, Rn. 23 m.w.N.) nicht rechtzeitig vorgebracht hatte. Der Beschwerdeführer als Betroffener eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens war nicht verpflichtet, auf den Anhörungsbogen, sollte dieser dem Beschwerdeführer überhaupt zugegangen sein, Angaben zu machen und den aus seiner Sicht tatsächlichen Fahrer der Ordnungswidrigkeit zu benennen.

cc) Nach der Bestimmung des § 467 Abs. 4 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG kann ein Gericht davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es das Verfahren nach einer Vorschrift einstellt, die dies – wie § 47 Abs. 2 OWiG – nach seinem Ermessen zulässt. Dabei darf auf die Stärke des Tatverdachts abgestellt, aber ohne prozessordnungsgemäße Feststellung keine Schuldzuweisung vorgenommen werden (vgl. BVerfGE 82, 106 <117>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2015 – 2 BvR 2436/14 -, Rn. 31).

Das Amtsgericht hat seine Auslagenentscheidung weder im Beschluss vom 7. September 2023 begründet, noch die fehlende Begründung in seiner Entscheidung über die Gegenvorstellung und Anhörungsrüge des Beschwerdeführers vom 15. September 2023 nachgeholt. Das Fehlen der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung kann dazu führen, dass ein Verfassungsverstoß nicht auszuschließen und die Entscheidung deshalb aufzuheben ist, weil erhebliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. BVerfGE 55, 205 <206>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Februar 1993 – 2 BvR 251/93 -, juris, Rn. 4; Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 2008 – 2 BvR 378/05 -, Rn. 33 und vom 13. Oktober 2015 – 2 BvR 2436/14 -, Rn. 32).

Solche nicht auszuräumenden Zweifel drängen sich hier auf. Da die angegriffenen Beschlüsse vom 7. und 15. September 2023 – ungeachtet der vom Beschwerdeführer rechtlich und tatsächlich in Abrede gestellten Verdachtslage – keine Hinweise auf die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte für eine vom Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO abweichende Kostentragung gemäß § 467 Abs. 4 StPO enthalten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht sich insoweit von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen und deshalb das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist.“ung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).“

Dem ist nichts hinzuzufügen, das haben wir in letzter Zeit immer wieder lesen müssen, hier dann eben noch einmal vom BVerfG. Ich frage mich allerdings, warum AG an der Stelle nicht vernünftig arbeiten und begründen. Entweder weiß man nicht, was gefordert wird, oder man will nicht. Beides ist gleich schlimm.

 

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Ist der „flüchtige“ Mandant „nicht auf freiem Fuß“?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

Am Freitag hatte ich gefragt: Ich habe da mal eine Frage: Ist der „flüchtige“ Mandant „nicht auf freiem Fuß“?

Ich hatte auf die Frage dem befreundeten Kollegen folgende Antwort gegeben:

„Moin,

zu der Frage gibt es keine Rechtsprechung.

Aber ich meine, dass die Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG da vom Wortlaut nicht passt. Er ist ja frei :-).

Aber wie immer: Nur ein Versuch macht kluch.“

Als ich jetzt diesen Beitrag vorbereitet habe, bin ich im RVG-Kommentar bei Vorbem. 4 VV noch einmal auf die Passage zum „offenen Vollzug“ gestoßen. Da heißt es:

„Der Zuschlag fällt auch dann an, wenn sich der Beschuldigte/Mandant im sog. offenen Vollzug befindet (KG, StraFo 2007, 483 = AGS 2007, 619 = RVGreport 2007, 462 = StRR 2007, 359 = JurBüro 2007, 644; OLG Jena, AGS 2009, 385 = NStZ-RR 2009, 224 [Ls.]; [inzidenter] OLG Stuttgart, AGS 2010, 429 = RVGreport 2010, 388; LG Aachen/AG Aachen, AGS 2007, 242 = RVGreport 2007, 463 = StRR 2007, 40; Burhoff, AGS 2023, 147; Gerold/Schmidt/Burhoff, VV Vorb. 4 Rn 46; AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV Vorb. 4 Rn 50; a.A., aber unzutreffend AG Osnabrück, AGS 2006, 232). Auch dann liegen nämlich grds. Erschwernisse vor, da auch dieser Mandant sich z.B. nicht ungehindert zum Verteidiger begeben kann.“

Im Hinblick darauf kann man es ja mal versuchen. Ich rechne allerdings nicht damit, dass der Kollege Erfolg haben wird. Aber bei Gericht und auf hoher See weiß man ja nie…. 🙂

 

Ich habe da mal eine Frage: Ist der „flüchtige“ Mandant „nicht auf freiem Fuß“?

© AllebaziB – Fotolia

Und dann noch die Gebührenfrage, heute zum Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG. Und zwar:

„Hallo Detlef,

mir wurde ein Angeklagter beigeordnet, der sich in anderer Sache in Strafhaft im offenen Vollzug befand und geflüchtet ist. Die Flucht bestand schon im Zeitpunkt meiner Beiordnung. Vorher war in der Sache nicht tätig (außer dass ich ggü. einem anfragenden Kollegen erklärt hatte, dass ich das Mandat gerne übernehmen könne und den Mandanten auch kurzfristig besuchen würde – der Kollege hatte mich dann wohl direkt beim LG als neuen Verteidiger vorgeschlagen).

Ich hatte mit dem Mandanten bisher auch keinen Kontakt (ich gehe davon aus, dass er nicht einmal von meiner Beiordnung weiß).

Gilt der flüchtige Häftling als „nicht auf freiem Fuß“ (Begriff ist ja weit auszulegen) oder fällt der Haftzuschlag hier nicht an?

Bin in Gerold/Schmidt und auch in Deinem RVG-Kommentar leider jeweils nicht fündig geworden.“

Widersprüchliche Angaben des Mandanten zu viel Geld, oder: Auswirkungen auf den abrechenbaren Aufwand

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Im zweiten „Gebühren-Posting“ geht es dann heute auch um die Abrechnung eines Zeithonorars aus einer Vergütungsvereinbarung. Es handelt sich um das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 0. 7.10.2024 – 2 U 86/23. Das OLG befasst sich in der umfangreich begründeten Entscheidung u.a. mit dem Rückzahlungsanspruch eines Mandanten aus einer Vergütungsvereinbarung und in dem Zusammenhang mit der Höhe der anwaltlichen Gebühren.

In der Sache geht es in etwa um Folgendes: Der Kläger macht aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung Rückzahlungsansprüche von Anwaltshonoraren geltend, die die beklagte Rechtsanwaltskanzlei eingezogen hat und deren Begründetheit der Kläger in Abrede stellt. Gegen den Kläger waren Verfahren im Zusammenhang mit zollrechtlichen und strafrechtlichen Vorwürfen eingeleitet worden, nachdem das Zollfahndungsamt an einem Flughafen in seinem Gepäck Bargeld in kleiner Stückelung im Gesamtwert von 394.050,00 EUR aufgefunden und nach § 12a Abs. 7 ZollVG zur Durchführung eines Clearingverfahrens sichergestellt hatte, weil die Behörde davon ausging, es bestehe ein Anfangsverdacht, dass das sichergestellte Geld zum Zwecke der Geldwäsche in das Ausland habe transferiert werden sollen und deshalb der Einziehung nach §§ 73 ff. StGB unterliegen könnte. Zur Herkunft des Geldes hatte ein zunächst vom Kläger beauftragter Rechtsanwalt RA1 in dessen Namen eine Stellungnahme über die Herkunft der in der Tasche sichergestellten 394.050,00 EUR abgegeben, wonach diese Summe nach den Angaben des Mandanten aus einer schenkweise erfolgten Überweisung seiner Mutter herrühren sollten.

Der Kläger beauftragte dann die Beklagte/Rechtsanwalt RA2 am 09.12.2020 mit der Vertretung seiner rechtlichen Interessen, unterzeichnete eine „Mandatsbedingungen“ überschriebene Vereinbarung, ein SEPA -Lastschriftmandat und schloss mit der Beklagten eine Vergütungsvereinbarung. Unter anderem wurde ein Stundenhonorar von 400,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer einschließlich einer so genannten Mindestpauschale i.H.v. 2.000,00 EUR zuzüglich gesetzlicher Umsatzsteuer vereinbart. Mit Schreiben vom 23.12.2020 nahm Rechtanwalt RA2 Bezug auf ein Akteneinsichtsgesuch vom 15.12.2020, ging auf das Ereignis am Flughafen ein und gab eine Stellungnahme über Hintergründe und die Herkunft des Geldes ab, korrigierte ein auf einem sprachlichen Missverständnis beruhende Unrichtigkeit in dem Schreiben von Rechtsanwalt RA1, erläuterte die angebliche Herkunft des Geldes genauer, berief sich im Zusammenhang mit der subjektiven Tatseite auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Klägers, dem die Notwendigkeit, eine größere Menge Bargeld, der die Grenze von 10.000 EUR überschreite, zu deklarieren, nicht bekannt gewesen sei. Durch Beschluss vom 18.03.2021 ordnete das AG – Ermittlungsrichter – gemäß §§ 111b, 111c, 111j StPO die Beschlagnahme der Geldscheine mit der Begründung an, das Verhalten des Beschuldigten sei auf eine gezielte Verschleierung des Besitzes und der beabsichtigten Verbringung des Bargeldes ins Ausland angelegt gewesen, die nach der kriminalistischen Erfahrung für den Transfer inkriminierter Gelder geradezu typisch sei, so dass die gesetzlichen Voraussetzungen einer Beschlagnahmeanordnung bei dieser Sachlage erfüllt seien.

Mit Schreiben vom 21.4.2021 kündigte ein neuer Klägervertreter das Mandatsverhältnis im Hinblick auf die strafrechtliche Angelegenheit, forderte die Beklagte auf, die vereinnahmten Vorschüsse ordnungsgemäß abzurechnen oder zurückzuerstatten und setzte hierfür eine Frist bis zum 30.4.2021. Durch Verfügung vom 21.11.2021 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren des gegen den Kläger wegen Verdachts der Geldwäsche allerdings ein.

Es geht dann jetzt um die Abrechnung und die Höhe/Anzahl der geltend gemachten Stunden. Das OLG nimmt im Einzelnen zur Wirksamkeit der Vergütungsvereinbarung und dann zur Berechtigung der von dem Rechtsanwalt angesetzten Stunden Stellung. Insoweit bitte ich weitgehend selbst lesen. Ich will hier aus Platzgründen nur eine Passage herausgreifen, in der es um den abrechenbaren Aufwand einesVerteidigers bei widersprüchlichen Angaben des Mandanten geht:

„Zu 1.): Hinsichtlich der Tätigkeit gemäß Position 1.) für den 14.12.2020, hat das Landgericht von geltend gemachten und vom Kläger bestrittenen 5:50 h für die dort beschriebenen Tätigkeiten insgesamt 0:40h und 0:30 h mit der Begründung für bewiesen angesehen, die Tätigkeit sei zwar bestätigt, allerdings nicht genau genug beschrieben worden, welche Recherchemaßnahmen erforderlich gewesen seien. Bewiesen sei lediglich, das Durchsehen von insgesamt 15-35 Seiten Unterlagen, was zu einem Mindestaufwand auf 45 Minuten führe zuzüglich der Einarbeitung in die Rechtslage.

Die hiergegen erhobenen Einwände der Beklagten greifen durch. Soweit die Beklagte dargelegt hat, es habe sich um zollrechtliche Fragen und der sich daraus ergebende Probleme für die Mandanten und den Ablauf des Verfahrens, ist dies aufgrund der besonderen Umstände des Sachverhaltes und des Akteninhaltes belegt.

Vorliegend war zunächst die zollrechtliche Besonderheit zu berücksichtigen, dass es ursprünglich um ein – aufgrund neuer europarechtlicher Vorschriften -sog. „Clearing-Verfahren“ ging, im Zusammenhang mit dem Verbot, nicht deklarierte Bargeldsummen von über 10.000 € über die Grenze zu bringen.

Belegt ist indes auch der vom Beklagten dargelegte Umstand, besondere Schwierigkeiten hätten sich aus dem Vortrag des Klägers ergeben, dessen unklare Ausführungen im Termin zur Eingangsberatung mit den Unterlagen erst einmal hätten in Einklang gebracht werden müssen. Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass der Kläger unterschiedliche, teilweise nicht nachvollziehbare und von der Behörde als unglaubhaft angesehene Angaben gemacht hatte. Dies hatte zur Folge, dass es nicht mehr um die bloße Herkunftsklärung im Zusammenhang mit zollrechtlichen Ausfuhrbestimmungen, sondern wegen der widersprüchlichen Angaben und Unklarheiten zu Anfangsermittlungen wegen des Verdachts der Geldwäsche kam. Der zuvor vom Kläger beauftragte Rechtsanwalt RA1 hatte Angaben gemacht, die später korrigiert werden mussten, wobei auch der Beklagtenvertreter an späterer Stelle erläutern musste, dass es sich bei einem bestimmten Teil der Einlassung um ein sprachliches Missverständnis gehandelt habe.

Der Anwalt darf nicht jede Darstellung des Mandanten ungeprüft als Einlassung weitergeben, um im Hinblick auf seine Pflicht zur effektiven Vertretung die Position des Mandanten nicht durch abwegige und widersprüchliche Einlassungen zu verschlechtern. Dabei hat die Einhaltung der die in § 43a BRAO geregelten Berufspflichten zu beachten. § 43a Abs. 3 S. 2 BRAO schreibt vor, dass der Rechtsanwalt sich bei seiner Berufsausübung der bewussten Verbreitung von Unwahrheiten zu enthalten hat. Dies gebietet besondere Sorgfalt. Zugleich muss der zur effektiven Interessenvertretung verpflichtete Rechtsanwalt darauf achten, dass seine Tätigkeit weder als Beihilfe zur Strafvereitelung gemäß §§ 258, 27 StGB noch als Begünstigung gemäß § 257 BGB oder einer Hilfeleistung en dazu (§§ 257,27 StGB) eingestuft werden könnte. All dies gebietet besondere Sorgfalt und erheblichen Aufwand, je nach der Art des Verhaltens des Mandanten. Dies nimmt erhebliche Zeit in Anspruch. Jedes Wort muss abgewogen werden. Die Akte muss mehrfach gelesen werden, gegebenenfalls muss hin und her geblättert werden. Mithin ist plausibel und glaubhaft, soweit der Beklagtenvertreter in diesem Zusammenhang erläutert hat, die Durchsicht der Akte sei vor dem Hintergrund der bisherigen Sachverhaltsdarstellung besonders kritisch vorzunehmen gewesen.

Der Einwand des Klägers, die Akten hätten sich zum Zeitpunkt der Einsicht aus einer Vielzahl von im Ergebnis bedeutungslos und Verfügungen zusammengesetzt, trifft zu. Hieraus folgt allerdings nicht, dass sich vermeintlich und unwichtige Teile des Akteninhaltes sich notwendig auf die Dauer des Aktenstudiums auswirken muss. Denn erst die genaue Durchsicht der Akte und die Erfassung des Sachverhaltes im Detail ermöglicht die Entscheidung welche Teile der Akte wichtig und welche unwichtig sind.

Handelt es sich um eine ihrem Aufbau und Struktur im Vergleich zu üblichen Behördenakten, insbesondere Gerichtsakten auch für den erfahrenen Rechtsanwalt um Akten mit besonderer Struktur und ungewöhnlichem Inhalt, so wirkt sich dies auch auf die Dauer der erforderlichen Durchsicht aus. Gleiches gilt für die vom Landgericht zugemessene Dauer für die Einarbeitung in die fremde, zollrechtliche Rechtsmaterie.

Insgesamt hält der Senat daher eine Dauer von 04:30 h für angemessen.“