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Zur Wirksamkeit einer Zeithonorarvereinbarung, oder: Zwischenrechnungen und unzulässige Kombi-VV

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Heute am Gebührenfreitag stelle ich zunächst eine BGH-Entscheidung zur Vergütungsvereinbarung vor. Das BGH, Urt. v. 12.09.2024 – IX 65/23 – hängt leider schon länger in meinem Blogordner. Ich habe es bisher aber immer übersehen (wie kann man nur den BGH übersehen? 🙂 ).

In der Sache geht es um die Gebührenklage eines Rechtsanwalts auf Zahlung von Gebühren aus verschiedenen Mandaten im Erb- und Familienrecht. Insgesamt ist eine Vergütung von ca. 132.000 EUR eingeklagt worden. Im Wege der Aufrechnung bzw. Hilfswiderklage verlangte der Mandant 52.000 EUR Anwaltshonorar zurück, weil nach seiner Auffassung die zugrunde liegende Vergütungsvereinbarung unwirksam sei.

Der Rechtsanwalt hat in den Mandaten formularmäßig eine Vereinbarung verwendet, in der durch eine Kombination aus Stundensätzen und gesetzlicher Vergütung abrechnet. Zudem hatte er eine Auslagenpauschale, eine Einigungs- sowie eine Erfolgsgebühr vorgesehen.

Das LG hatte der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das OLG hat die Klage in Höhe von rund 92.000 EUR nebst Zinsen abgewiesen und eine Hilfsaufrechnung in Höhe von rund 3.400 EUR als gegeben erachtet. Der BGH hat auf die Berufungen beider Parteien das Urteil aufgehoben und an das OLG zurück verweisen.

Ich will hier jetzt nicht die gesamte Begründung einstellen, sondern verweise auf die u.a. Leitsätze. Der BGH hat vor die Kombination des an sich zulässigen Stundensatzes mit einer Erhöhungsregelung sowie mit Einigungs- und Erfolgsgebühren beanstandet, das sei intransparent nach § 307 BGB. Das führte zur Unwirksamkeit der gesamten Gebührenvereinbarung, sodass nunmehr nach dem RVG abgerechnet werden müsse.

Die Leitsätze lauten:

1. Eine formularmäßig getroffene anwaltliche Zeithonorarabrede ist auch im Rechtsverkehr mit Verbrauchern nicht allein deshalb unwirksam, weil der Rechtsanwalt weder dem Mandanten vor Vertragsschluss zur Abschätzung der Größenordnung der Gesamtvergütung geeignete Informationen erteilt noch sich dazu verpflichtet hat, ihm während des laufenden Mandats in angemessenen Zeitabständen Zwischenrechnungen zu erteilen oder Aufstellungen zu übermitteln, welche die bis dahin aufgewandte Bearbeitungszeit ausweisen.

2. Ist eine formularmäßig getroffene anwaltliche Vergütungsvereinbarung aus AGB-rechtlichen Gründen insgesamt unwirksam, richten sich die Honoraransprüche des Rechtsanwalts nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

Die Entscheidung sollte man als Rechtsanwalt lesen. Und zwar vor allem auch deshalb, weil sich der BGH mit dem EuGH, Urt. v. 12.01.2023 – C-395/21 befasst. Der hatte ja in ähnlichen Fällen Zwischenabrechnungen für erforderlich gehalten, damit der Mandant immer informiert ist,  welche Gebühren bisher angefallen sind. Das sieht der BGH weniger streng.

Nach Auffassung des BGH kann man aber die Bestimmung zur Erhöhung des Stundensatzes, zur Auslagenpauschale, zur Einigung- und zur Befriedigungsgebühr sowie die Streit- und Anerkenntnisklausel jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern nicht kombinieren.

StGB I: Betrugstaten in Form „Falscher Polizeibeamter, oder: Geldwäsche oder (Banden)Hehlerei?

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Heute ist dann mal Zeit für StGB-Entscheidungen.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem BGH, Beschl. v. 14.05.2024 – 3 StR 88/24 – zur Frage des Vorliegens von Hehlerei (§ 259 StGB) und Geldwäsche (§ 261a StGB) bei Entlohnung des Täters aus der Tatbeute in den Betrugstatenfällen „falscher Polizeibeamter“.

Dazu folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs und nach Zurückverweisung durch den BGH (BGH, Beschl. v. 02.11.2022 – 3 StR 12/22, NStZ-RR 2023, 49) im zweiten Rechtsgang wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei verurteilt. Nach den Feststellungen des LG schloss sich der Angeklagte einer Gruppierung an, die Betrugstaten nach dem modus operandi „Falscher Polizeibeamter“ beging. In der Türkei befindliche Anrufer („Keiler“) nahmen telefonisch Kontakt mit älteren Personen in Deutschland auf, wobei den Opfern mittels „Caller-ID-Spoofing“ als Telefonnummer des Anrufers die Notrufnummer der Polizei (110) angezeigt wurde. Die An­gerufenen sollten ihre zu Hause befindlichen Bargeldbestände und Wertsachen zusammentragen und Bargeld von ihren Bankkonten abheben und die Vermögenswerte, um diese zu sichern, zur zeitweiligen Aufbewahrung Poli­zeibeamten übergeben, die sie zu Hause aufsuchen würden (sog. Abholer). Anschließend übergaben die „Abholer“ die erlangte Beute an „Logistiker“, denen es oblag, die „Abholer“ aus der Tatbeute zu entlohnen und die erlangten Vermögenswerte nach Abzug eines weiteren Beuteanteils für die „Logistiker“ an die Hintermänner in der Türkei zu transferieren. Der Angeklagte übernahm in dem hochgradig organisiert und arbeitsteilig agierenden Personenzusammenschluss als „Logistiker“ fortlaufend die eng begrenzte Auf­gabe, „Abholer“ nach der Beuteerlangung aus dieser zu entlohnen. Nach einer Tat mit einer Beute von mindestens 315.000 EUR deponierte der Angeklagte eine Tasche mit den erlangten Gegenständen zur Abholung durch andere Bandenmitglieder. Drei Tage später übergab der Angeklagte auftragsgemäß Bargeld in Höhe von 1.000 EUR, das er zuvor erhalten hatte und das der Tatbeute entstammte, als Entlohnung der „Abholer“ an einen von ihnen. Auf die erneute Revision des Angeklagten hat der BGH mit Beschl. v. 14.05.2024 – 3 StR 88/24 – das Urteil aufgehoben bei Aufrechterhaltung der Feststellungen. Er führt u.a. aus:

„1. Die rechtliche Einordnung des Tathandelns des Angeklagten – der Entlohnung der „Abholer“ – als gewerbsmäßige Bandenhehlerei gemäß § 260a Abs. 1 StGB geht fehl. Denn der Tatbestand der Hehlerei ( § 259 Abs. 1 StGB ) ist nicht erfüllt; das Agieren des Angeklagten lässt sich unter keine der dort aufgeführten Handlungsvarianten subsumieren.

Der Angeklagte verschaffte sich die 1.000 € nicht, weil er das Geld nicht zur eigenen Verfügung erhielt, sondern mit der Maßgabe, damit die „Abholer“ zu entlohnen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. März 2022 – 3 StR 456/21 ,wistra 2022, 380Rn. 9; vom 31. Oktober 2018 – 2 StR 281/18 , BGHSt 63, 228 Rn. 13 ). Eine „Drittverschaffung“ liegt schon deshalb nicht vor, weil die „Abholer“, denen der Angeklagte die 1.000 € zukommen ließ, zugleich Vortäter, also Täter der (Vor-) Tat waren, aus der das Geld stammte. Ein Vortäter ist aber nicht Dritter im Sinne des § 259 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. März 2022 – 3 StR 456/21 ,wistra 2022, 380Rn. 7 ff.; vom 22. August 2019 – 1 StR 205/19 , NStZ-RR 2019, 379, 380). Die Handlungsvariante des „Absetzens“ (beziehungsweise der Absatzhilfe) ist nicht erfüllt, weil es bei dem Zurückreichen von Tatbeute an den Vortäter an der insofern erforderlichen entgeltlichen wirtschaftlichen Verwertung des Erlangten fehlt und zudem auch bei dieser Tatvariante der Empfänger der Sache ein Dritter sein muss (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. März 2022 – 3 StR 456/21 ,wistra 2022, 380Rn. 6; vom 31. Oktober 2018 – 2 StR 281/18 , BGHSt 63, 228 Rn. 18 ).

Dieser Rechtsfehler bedingt die erneute Urteilsaufhebung, soweit der Angeklagte im Fall II. 6. der Gründe des Urteils vom 20. August 2021 verurteilt worden ist. Dies zieht die Aufhebung der Aussprüche über die Gesamtstrafe und die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach sich. Die ergänzend im zweiten Rechtsgang getroffenen Feststellungen haben dagegen Bestand ( § 353 Abs. 2 StPO ), weil sie von dem Rechtsmangel nicht betroffen sind.

2. Die Sache bedarf mithin im aufgezeigten Umfang neuer Verhandlung und Entscheidung. Hierzu bemerkt der Senat:

a) Das neue Tatgericht wird eine mögliche Strafbarkeit des Angeklagten durch seine Tätigkeit bei der Entlohnung der „Abholer“ wegen Geldwäsche gemäß § 261 StGB zu prüfen haben (vgl. zur Geldwäschestrafbarkeit in Fallkonstellationen wie der vorliegenden BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2023 – 5 StR 418/23 , juris Rn. 5 ff.; Urteil vom 2. Juni 2021 – 3 StR 21/21 ,wistra 2021, 441Rn. 47; zu einer Strafbarkeit wegen Begünstigung nach § 257 StGB s. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2024 – 5 StR 93/23 , NZWiSt 2024, 148 Rn. 13 ff.). Im Hinblick auf das Revisionsvorbringen des Angeklagten ist anzumerken, dass es für eine Strafbarkeit wegen Geldwäsche nicht darauf ankommt, ob die vom Angeklagten an die „Abholer“ gezahlten 1.000 € gegenständlich aus der Tatbeute stammten (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2024 – 3 StR 457/23 , NStZ-RR 2024, 147, 148; Urteil vom 10. August 2023 – 3 StR 412/22 , NZWiSt 2024, 187 Rn. 63 mwN).

Ob angesichts der Tatzeit (10. September 2017) die Tatzeitfassung des § 261 StGB aF oder – gemäß § 2 Abs. 3 StGB – die gegenwärtige Gesetzesfassung einschlägig ist, hängt von einem als Strafzumessungsakt dem Tatgericht obliegenden konkreten Gesamtvergleich im Einzelfall ab (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2017 – 4 StR 366/16 , NStZ-RR 2017, 240, 241 f.; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 354a StPO Rn. 11): Sollte das neue Tatgericht – naheliegend – eine Geldwäschehandlung und angesichts der Gewerbsmäßigkeit des Agierens des Angeklagten einen besonders schweren Fall der Geldwäsche ( § 261 Abs. 4 StGB aF; § 261 Abs. 5 StGB nF) bejahen, wäre im Hinblick auf die identischen Strafrahmen und die täterfreundlichere Regelung zur Einziehung in § 261 Abs. 7 StGB aF (gegenüber § 261 Abs. 10 Satz 2 StGB nF) das Tatzeitrecht maßgeblich (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2023 – 3 StR 412/22 , NZWiSt 2024, 187 Rn. 85; Beschlüsse vom 3. Mai 2023 – 3 StR 81/23 ,wistra 2023, 378Rn. 4 mwN; vom 7. Februar 2023 – 3 StR 459/22 , juris Rn. 4 mwN). Bei einer Bestrafung aus dem Grundtatbestand wäre wegen des niedrigeren Strafrahmens die aktuelle Gesetzesfassung die mildere und damit gemäß § 2 Abs. 3 StGB relevante (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2023 – 5 StR 418/23 , juris Rn. 5 f.; Urteil vom 10. August 2023 – 3 StR 412/22 , NZWiSt 2024, 187 Rn. 70; Urteil vom 8. August 2022 – 5 StR 372/21 , BGHSt 67, 130 Rn. 13 f., 24 ff. ).

b) Bei Bejahung einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen Geldwäsche wird von der anzuwendenden Gesetzesfassung abhängen, ob im dritten Rechtsgang erneut die Einziehung des Wertes von Taterträgen bezüglich der vom Angeklagten erlangten und an die „Abholer“ weitergereichten 1.000 € anzuordnen sein wird. Denn bei dem Geld handelte es sich mit Blick auf den Geldwäschetatbestand um ein Tatobjekt im Sinne des § 74 Abs. 2 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Februar 2024 – 5 StR 93/23 , NZWiSt 2024, 148 Rn. 5; vom 3. Mai 2023 – 3 StR 81/23 ,wistra 2023, 378Rn. 4 f.). Wertersatzeinziehung nach § 74c StGB schiede aus, weil der Angeklagte kein Eigentum an dem Geld erlangte. Denn das Betrugsopfer händigte dieses dem „Abholer“ als vermeintlichem Polizeibeamten nur zur Verwahrung aus, blieb also Eigentümer (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Februar 2024 – 5 StR 93/23 , NZWiSt 2024, 148 Rn. 6; vom 3. Mai 2023 – 3 StR 81/23 ,wistra 2023, 378Rn. 5; vom 7. Februar 2023 – 3 StR 459/22 , juris Rn. 5 f.). Die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 , § 73c Satz 1 StGB im Hinblick auf die vom Angeklagten weitergereichten 1.000 € ungeachtet der Qualifikation des Geldes als Tatobjekt wäre wegen der Sonderregelung des § 261 Abs. 10 StGB nF nur statthaft bei Anwendung der aktuellen Gesetzesfassung des § 261 StGB , also bei einer Bestrafung aus dem Grundtatbestand des § 261 Abs. 1 StGB nF (vgl. BGH, Urteile vom 10. August 2023 – 3 StR 412/22 , NZWiSt 2024, 187 Rn. 86; vom 7. Februar 2023 – 3 StR 459/22 , juris Rn. 7; vom 8. August 2022 – 5 StR 372/21 , BGHSt 67, 130 Rn. 22 ff. ).“

WE I: Elektronische Führung des Fristenkalenders, oder: Wie muss man diesen Kalender kontrollieren?

In die neue 47.KW, die hoffentlich etwas weniger dramatisch wird als die 46. KW., starte ich mit zweit Entscheidungen zur Wiedereinsetzung.

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Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 26.09.2024 – III ZB 82/23. Der stammt zwar, wie man sieht, aus dem Zivilrecht, die angesprochenen Fragen können aber auch, wenn es um die Zurechnung eines Verschulden des Rechtsanwalts geht, z.B. beim Nebenklägervertreter, auch im Strafverfahren Bedeutung haben.

Geäußert hat sich der BGK zur Kontrolle des Fristenkalenders bei einer elektronischen Kalenderführung, und zwar wie folgt:

„1. Wie die Rechtsbeschwerde nicht verkennt, darf die Verwendung einer elektronischen Kalenderführung keine hinter der manuellen Führung zurückbleibende Überprüfungssicherheit bieten. Bei der Eingabe von Fristen in den elektronischen Fristenkalender bestehen spezifische Fehlermöglichkeiten, insbesondere auch bei der Datenverarbeitung (Senat, Beschluss vom 28. Februar 2019 – III ZB 96/18, NJW 2019, 1456 Rn. 13 mwN). Es bedarf daher auch bei einer elektronischen Kalenderführung einer Kontrolle des Fristenkalenders, um Datenverarbeitungsfehler des eingesetzten Programms sowie Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig erkennen und beseitigen zu können (vgl. Senat aaO; BGH, Beschluss vom 2. Februar 2021 – X ZB 2/20, NJW-RR 2021, 444 Rn. 8).

2.    Danach ist die von der Rechtsbeschwerde als grundsätzlich angesehene Frage, ob eine hinreichende Fristenkontrolle durch den Rechtsanwalt bereits dadurch sichergestellt ist, dass eine auf dem Markt als erprobt und zuverlässig angesehene Kanzleisoftware verwendet und die Eingabe der fristrelevanten Daten in die Fristerfassungsmaske (sowie deren abschließende Bestätigung) geschultem und zuverlässigem Personal überlassen wird, das sie nach dem „Vier-Augen-Prinzip“ vorzunehmen hat, zum Nachteil der Klägerin bereits geklärt. Die Rechtsbeschwerde sieht selbst, dass hierdurch der in Rede stehende Verarbeitungsfehler nicht erkannt werden kann. Ihre Auffassung, ein Rechtsanwalt dürfe die Korrektheit der Datenverarbeitung ohne weiteren Kontrollschritt voraussetzen (Rechtsbeschwerdebegründung S. 12), ist mit der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu vereinbaren. Dabei bedarf es weiterhin keiner Entscheidung, wie diese Kontrolle im Einzelnen zu erfolgen hat, insbesondere ob es eines Kontrollausdrucks in Papierform bedarf (vgl. BGH aaO Rn. 10). Denn die Klägerin hat vorgetragen, es sei überhaupt keine Kontrolle des Ergebnisses der Datenverarbeitung in Bezug auf die richtige Zuordnung zu dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt vorgenommen worden. Soweit sie geltend macht, eine weitergehende Kontrolle sei nicht zumutbar, ergibt sich unter anderem aus dem vorgelegten Ausdruck der „Termine zur Akte“ (Anlage BJ 6), dass der für die Fristversäumung ursächliche Datenverarbeitungsfehler – die falsche Zuordnung des Sachbearbeiters – sich nicht nur im Fristenkalender ausgewirkt hat, sondern auch in der Aufstellung der Termine in der elektronischen Akte abgebildet und daher ohne weiteres erkennbar war.

Da das Berufungsgericht diese Grundsätze zutreffend angewandt hat, bedarf es auch keiner Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung.“

StPO II: Versuch der Protokollberichtigung misslungen, oder: Hatte Angeklagte noch einmal das letzte Wort?

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Als zweite Entscheidung dann der BGH, Beschl. v. 14.08.2024 – 5 StR 206/24 -, der (auch) mit dem Dauerbrenner „letztes Wort“ zu tun. Das LG hat den Angeklagten wegen Totschlags verurteilt.

Der Angeklagte macht mit seiner Revision geltend, dass das Schwurgericht, nachdem es vor Urteilsverkündung erneut in die Beweisaufnahme eingetreten war, ihm unter Verstoß gegen § 258 Abs. 2 StPO nicht erneut das letzte Wort gewährt. In der Hauptverhandlung hatten nach Schluss der Beweisaufnahme die Vertreterin der Staatsanwaltschaft sowie der Verteidiger ihre Schlussanträge gestellt. Der Angeklagte hatte das letzte Wort. Nach Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Urteilsberatung trat die Strafkammer erneut in die Beweisaufnahme ein. Auf Frage des Vorsitzenden gab der Angeklagte dort eine Erklärung ab, wonach er auf die Herausgabe mehrerer sichergestellter Gegenstände verzichte. Sodann erhielten die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger erneut das Wort; erstere hielt an ihrem gestellten Antrag fest, letzterer bezog sich auf seinen schon gehaltenen Schlussvortrag. Danach verkündete die Strafkammer ihr Urteil, ohne dass dem Angeklagten erneut das letzte Wort erteilt worden wäre.

Um das Letzte: „ohne dass dem Angeklagten erneut das letzte Wort erteilt worden wäre“ ist gestritten worden. Das Schwurgericht hat versucht, das Protokoll zu berichtigen. Aber: Soll ich sagen: Aller Anfang ist schwer? Egal, jedenfalls hat das nicht geklappt. Dazu der BGH:

„b) Nach Eingang der Revisionsbegründung, mit der unter Vortrag des vorgenannten Verfahrensablaufs die Verletzung von § 258 Abs. 2 StPO gerügt worden war, fanden folgende weitere Verfahrensschritte statt:

Es wurde ein vom Vorsitzenden der Strafkammer und der Protokollführerin unterzeichneter Vermerk zur Akte genommen, wonach das Protokoll der Hauptverhandlung vom 22. Dezember 2023 dahingehend berichtigt werde, dass an näher bezeichneter Stelle folgende Sätze einzufügen seien: „Der Angeklagte erhielt das Wort. Der Angeklagte hatte das letzte Wort.“ In einem weiteren Vermerk in der zugehörigen Verfügung wurde ausgeführt, dass sich „die Unterzeichner“ des Protokolls sicher seien, dass dem Angeklagten das letzte Wort nochmals erteilt worden sei; in der tagesaktuellen Mitschrift der Berichterstatterin sei dies sogar ausdrücklich aufgeführt. Diese Verfügung wurde allein vom Vorsitzenden unterschrieben. Die Protokollführerin erklärte in einer dienstlichen Stellungnahme, dass dem Angeklagten das letzte Wort erteilt worden sei. In ihrer Revisionsgegenerklärung trat die Staatsanwaltschaft der „Auffassung der Unterzeichner“ des Protokolls bei und führte zur Begründung aus, dass bei unterbliebener Gewährung des letzten Wortes die Sitzungsvertreterin auf das Versäumnis hingewiesen hätte, was aber nicht geschehen sei.

Durch den Generalbundesanwalt wurden die Akten im Revisionsverfahren zur Durchführung eines Protokollberichtigungsverfahrens an das Landgericht zurückgegeben. Dabei wurde auf die hierfür in der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen vom 23. April 2007 (GSSt 1/06, BGHSt 51, 298) formulierten Grundsätze hingewiesen.

Der Vorsitzende der Strafkammer gab daraufhin erneut eine dienstliche Stellungnahme ab, in welcher er seine frühere Äußerung um den Hinweis ergänzte, dass sich die Erteilung des letzten Wortes auch aus der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft ergebe, welche von der Sitzungsvertreterin gefertigt worden sei. Zur beabsichtigten Protokollberichtigung erhielten der Verteidiger und der Angeklagte Gelegenheit zur Stellungnahme. Ersterer trat der Berichtigung entgegen, wobei er insbesondere darauf verwies, dass kein Verfahrensbeteiligter eine konkrete Erinnerung an die erneute Erteilung des letzten Wortes bekundet habe und auch der Inhalt der entsprechenden Ausführungen des Angeklagten nicht geschildert worden sei. Sodann verfügte der Vorsitzende erneut die genannte Protokollberichtigung, wobei er die bisherige Begründung wiederholte und um einen Satz ergänzte, wonach der Verteidiger nicht im Einzelnen dargelegt habe, weshalb er sich sicher sei, dass das ursprüngliche Protokoll richtig sei. Auch diese Verfügung wurde nur durch ihn unterschrieben. Die Protokollberichtigung wurde durch ihn und die Protokollführerin unterzeichnet.

c) Die zulässig erhobene Rüge ist begründet. Durch das Protokoll der Hauptverhandlung, welches keine erneute Erteilung des letzten Wortes verzeichnet, wird der Verstoß des Landgerichts gegen § 258 Abs. 2 StPO bewiesen (negative Beweiskraft, § 274 StPO). Zu der durch den Vorsitzenden der Strafkammer intendierten Berichtigung des Protokolls ist es – auch wenn Verteidiger und Angeklagter nunmehr zur beabsichtigten Änderung angehört wurden – nicht gekommen, weil die für eine solche Maßnahme bestehenden weiteren Anforderungen nicht erfüllt worden sind. Eine nachträgliche Protokollberichtigung, mit der zum Nachteil des Beschwerdeführers einer bereits ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengrundlage entzogen wird („Rügeverkümmerung“), setzt sichere Erinnerung beider Urkundspersonen voraus. Nehmen sie gemeinsam eine Protokollberichtigung vor, so haben sie ihre Entscheidung mit Gründen zu versehen. Darin sind die Tatsachen anzugeben, welche die Erinnerung der Urkundspersonen belegen. Die Gründe der Berichtigungsentscheidung unterliegen im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der Überprüfung durch das Revisionsgericht (BGH, Beschluss vom 23. April 2007 – GSSt 1/06, BGHSt 51, 298).

Vorliegend verhält sich die Entscheidungsbegründung jedoch ebenso wenig wie die vorangegangenen dienstlichen Erklärungen dazu, auf welche Umstände die Urkundspersonen ihre sichere Erinnerung gründen. Dabei kann dahinstehen, ob hierfür – wie seitens des Vorsitzenden geschehen – genügen kann, allein auf indizielles Verhalten anderer Verfahrensbeteiligter zu verweisen (Mitschrift der Beisitzerin, Unterlassen einer Intervention durch die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft). Denn jedenfalls ist für die Protokollführerin nicht ersichtlich, woran sie ihre sichere Erinnerung an die Gewährung des letzten Wortes festmacht.

Zudem ist nicht erkennbar, dass die Begründung der Berichtigungsentscheidung durch beide Urkundspersonen verantwortet worden wäre. Enthalten ist eine solche nur in der zugehörigen Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer, der diese allein unterschrieben hat. Zwar hat die auch für das Protokoll tätig gewesene Urkundsbeamtin die dort verfügten Maßnahmen abgezeichnet, damit aber nur deren Abarbeitung dokumentiert. Dagegen hat sie hierdurch nicht zum Ausdruck gebracht, dass sie sich die Begründung – auch in Ansehung der Einwände des Verteidigers – als Protokollführerin inhaltlich zu eigen gemacht hätte (vgl. zur Notwendigkeit der Mitwirkung der protokollführenden Person BGH, Urteil vom 12. Mai 2022 – 4 StR 197/21, NStZ-RR 2022, 286; Beschluss vom 27. April 2021 – 2 StR 1/21, NStZ-RR 2021, 254).

2. Das Urteil beruht im Schuldspruch nicht auf dem Verfahrensverstoß. Insoweit kann der Senat ausschließen, dass eine erneute Erteilung des letzten Wortes Auswirkungen auf den Schuldspruch gehabt hätte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. August 2022 – 5 StR 101/22; vom 11. Mai 2017 – 1 StR 35/17, NStZ 2018, 290, 291). Dies folgt nicht allein aus dem Umstand, dass der Angeklagte unmittelbar vor dem thematisch wie zeitlich eng begrenzten Wiedereintritt in die Beweisaufnahme sein letztes Wort bereits wahrgenommen hatte, sondern vor allem daraus, dass sich das Landgericht auf eine dichte Beweislage sowie auf die Einlassung des Angeklagten stützen konnte, mit der dieser sich zwar teils auf Erinnerungslücken berufen, jedoch an keiner Stelle entgegen der Feststellungen geäußert hat.

Der aufgezeigte Rechtsfehler führt jedoch zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch samt den zugehörigen Feststellungen, da der Angeklagte bei erneuter Erteilung des letzten Wortes möglicherweise Ausführungen gemacht hätte, die die Sanktionsentscheidung hätten beeinflussen können.“

StPO I: Beginn der 2-wöchigen Urteilsverkündungsfrist, oder: Das letzte Wort schließt die Hauptverhandlung

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Und auf geht es. Heute mit StPO-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 30.09.2024 – 1 StR 334/24 – zum Schluss der Hauptverhandlung. Ergangen ist die Entscheidung in einem Verfahren, in dem der Angeklagte wegen Mordes verurteilt worden ist. Mit seiner Verfahrensrüge hatte der Angeklagte geltend gemacht, die Zweiwochenfrist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO – die sog. Urteilsverkündungsfrist – sei überschritten worden. Ohne Erfolg:

„Die Verfahrensrüge ist bereits deswegen unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil der Angeklagte den Inhalt des vorletzten Verhandlungstages (17. November 2023) nicht vollständig mitteilt. Daraus hätte sich ergeben, dass der Vorsitzende dem Angeklagten am 17. November 2023 noch nicht das letzte Wort (§ 258 Abs. 2 zweiter Halbsatz, Abs. 3 StPO) gewährt hatte. Solange war die Verhandlung aber noch nicht im Sinne des § 268 Abs. 3 Satz 1 StPO geschlossen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2014 – 3 StR 130/14 Rn. 2 f.; vom 12. März 2014 – 1 StR 605/13 Rn. 6 und vom 20. Juni 2007 – 1 StR 58/07 Rn. 2 f.; Urteile vom 30. Mai 2007 – 2 StR 22/07, BGHR StPO § 268 Abs. 3 Verkündung 5 Rn. 3 und vom 12. November 1986 – 3 StR 260/86 Rn. 13); damit galt die Dreiwochenfrist des § 229 Abs. 1 StPO.“