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Corona I: Bestimmung des Erlangten für Arrest, oder: Arrestanordnung gegen Michael Ballweg?

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Und dann geht es in die 6. KW/2024 mit zwei Entscheidungen zu den Nachwirkungen von Corona. Nicht gesundheitlich, sondern rechtlich.

Zunächst stelle ich den OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.01.2024 – 1 Ws 181/23 – vor. Er dürfte den „Querdenker-Chef“ Michael Ballweg betreffen. Nein, es ist nicht die Entscheidung betreffend die Eröffnung des Hauptverfahrens/Zulassung der Anklage, der OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.01.2023 – 1 Ws 177/23 – über den ja nach seinem Erlass an mehreren Stellen berichtet worden ist. Ich hatte dazu beim OLG wegen einer möglichen Veröffentlichung angefragt. Aber man gibt unter Hinweis auf § 353d StGB die Entscheidung nicht frei, was ich nachvollziehen kann, bin ja schließlich „gebranntes Kind“.

Aber: Man hat den am selben Tag erlassenen Beschlss in 1 Ws 181/23 veröffentlicht (was ich dann nicht so ganz nachvollziehen kann). Der betrifft die Frage einer Arrestes in der Sache. Den hat das OLG angeordnet, was m.E. auf der Grundlage der Eröffnung des Hauptverfahrens nur konsequent ist.

Das OLG führt insofern aus:

„Aufgrund der durchgeführten Ermittlungen besteht (weiter) Tatverdacht u.a. dahingehend, dass sich der Angeklagte als „Kopf“ der von ihm im Zuge der Proteste gegen Beschränkungen im Rahmen der Bekämpfung der Corona-Pandemie ins Leben gerufenen Querdenken 711-Kampagne spätestens im Mai 2020 dazu entschloss, seine durch vorgängige Protestmaßnahmen gewonnene Popularität auch für private Zwecke zu nutzen und sich insbesondere zu seinen Gunsten durch die Spendenbereitschaft seiner Anhänger Einnahmen von einiger Dauer und einigem Umfang zur Bestreitung seines Lebensunterhalts und zur Mehrung seines Vermögens zu verschaffen. Durch Umsetzung dieses Plans hat er von hiernach vereinnahmten Geldern lediglich eine Teilsumme für Querdenken 711 verwendet und sich dadurch u.a. wegen versuchten Betruges in einem besonders schweren Fall in 9.450 tateinheitlichen Fällen strafbar gemacht1.

II.

Bei diesen (Tat-)Verdachtsmomenten besteht Grund zu der Annahme, dass die Voraussetzungen für die Einziehung gemäß §§ 73 ff. StGB im Hinblick auf den Schuldner vorliegen (§ 111e Abs. 1 StPO). Der Senat hat die mit Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 6. Oktober 2023 abgelehnte Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich des in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 20. März 2023 erhobenen Tatvorwurfs des versuchten Betruges aufgehoben, die bezeichnete Anklage auch insoweit zugelassen und das Hauptverfahren vor der 10. Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart eröffnet.

 

Vor diesem Hintergrund ist bei Inblicknahme der gegebenen Sachlage erwartbar, dass gegen den Angeklagten die gerichtliche Anordnung einer Einziehung nach §§ 73 ff. StGB ergehen wird. Der Angeklagte hat naheliegend annehmbar durch eine rechtswidrige Tat i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB etwas, nämlich Gelder, erlangt. Die Einziehung dieses Tatertrags ist nicht möglich (§ 73c Satz 1 StGB), nachdem die vereinnahmten Gelder mit sonstigen „Guthaben“ des Angeklagten vermischt bzw. von ihm weiterverfügt wurden. Klarstellend ist weiter Folgendes zu bemerken:

Maßgebende Regel für die Bestimmung des Erlangten i.S.v. § 73 StGB ist das sogenannte Bruttoprinzip. Erlangt ist hiernach jede Bereicherung, die aufgrund der jeweils in Rede Straftat eingetreten ist, namentlich die Tatbeute. Der konkrete Umfang und Wert des Erlangten einschließlich abzuziehender Aufwendungen können geschätzt werden (§ 73d Abs. 2 StGB).

1. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind bei der aktuell gegebenen Aktenlage unter Berücksichtigung der Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen in der Anklageschrift und den von der Verteidigung zuletzt mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2023 angebrachten Erwägungen belastbar tatbedingte Vereinnahmungen des Angeklagten in Höhe von € 1.269.902,58 gegeben2 . Geht man zu dessen Gunsten weiter davon aus, dass sich die Annahme der Staatsanwaltschaft, wonach der Angeklagte einen Betrag von € 843.111,68 für Querdenken 711 „getätigt“ hat, bestätigen lässt, bleibt dieser Betrag entsprechend der in § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB getroffenen Regelung bei der zu einem späteren Zeitpunkt anstehenden Entscheidung über die Einziehung von Taterträgen außer Betracht. Vor diesem Hintergrund bringt der Senat eine entsprechende Summe bereits jetzt im Hinblick auf die gebotene Sicherungsanordnung in Abzug.

2. Überdies ist die gegen die pp. GmbH ergangene Arrestanordnung zu beachten. Um eine Doppel-Inanspruchnahme des Angeklagten zu vermeiden, sind daher von dem Betrag, der sich nach Vornahme des unter II. Ziff. 1 beschriebenen Subtraktionsverfahrens errechnet, weitere € 131.000 abzuziehen.

3. Der hiernach verbleibende Geldbetrag ist sodann unter Berücksichtigung des – ursprünglich in der Härteklausel des § 73c StGB a.F. kodifizierten und als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips weiterhin gültigen – Übermaßverbots sowie jedenfalls bis zum Abschluss der anstehenden Hauptverhandlung und dem Ergebnis der im Zuge dessen durchgeführten Beweiserhebungen einzukalkulierenden Unwägbarkeiten und nicht fernliegend erwartbaren gerichtlichen Einstellungsentscheidungen im Hinblick auf weniger strafwürdig erscheinende Fälle mit kleineren Geldbeträgen um einen angemessenen Sicherheitsabschlag, den der Senat auf etwa 30% bemisst, noch weiter auf € 200.000 zu verringern.

Die Anordnung eines entsprechenden Vermögensarrestes ist vor dem Hintergrund des bezeichneten Vorgehens und finanziellen Gebarens des Angeklagten geboten, da sonst zu befürchten ist, dass eine spätere Vollstreckung des staatlichen Anspruchs auf Einziehung des Wertes des Tatertrages wesentlich erschwert wenn nicht vereitelt würde. Auch bei Vornahme der erforderlichen Gesamtschau ist die Anordnung in der nunmehr fixierten Größenordnung nicht unverhältnismäßig.

Fußnoten
1)Wegen Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Anklageschrift vom 20.03.2023 Bezug genommen.
2) Soweit in der Anklageschrift anknüpfend hieran Bareinzahlungen „weiterer (…) Beträge“ auf das „Querdenken-Konto“ in Höhe von € 204.815,95 thematisiert werden, ist ein kausaler Zusammenhang mit den in Rede stehenden Betrugstaten derzeit nicht ersichtlich.“

StGB I: Eine Karikatur mit Hakenkreuz auf Twitter, oder: Kunstfreiheit oder Meinungsäußerung

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Und dann heute wieder drei Entscheidungen aus der Kiste: „Materielles Recht“, also StGB.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 29.11.2023 – 202 StRR 88/23. Der äußert sich mal wieder/noch einmal zur Strafbarkeit nach § 86a StGB wegen Verwendens einer ein Hakenkreuz enthaltenden Karikatur auf Twitter.

Das AG hat den Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen schuldig gesprochen, aber von der Verhängung einer Strafe abgesehen. Auf die hiergegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Berufung, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war, hat das LG das erstinstanzliche Urteil dahin abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist. Die Berufung des Angeklagten wurde als unbegründet verworfen. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Seine Revision hatte keinen Erfolg.

Das LG hatte folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

„Am 23.06.2022 entdeckte der Angeklagte, der Mitglied der AfD ist, auf seinem Twitter-Account einen Beitrag eines anderen Twitter-Nutzers mit einem Bild. Diesen „Tweet“ mit dem Bild teilte der Angeklagte auf seinem Twitter-Account mit seinerzeit ca. 13.000 „Followern“. Das Bild zeigt die realistische Zeichnung des Körpers einer Frau, die ein blaues Kleid mit EU-Flagge auf dem Bauch trägt. Das Kleid wird nach oben geweht, so dass das rote Innenfutter mit einem Hakenkreuz in einem weißen Kreis auf Höhe des Oberschenkels deutlich erkennbar ist. Über dem Bild ist der Kommentar „Bin mal auf den shitstorm gespannt…“ zu lesen.2

Wie gesagt, auch das BayObLG ist der Auffassung, dass ein Verstoß gegen § 86a StGB vorliegt. Hier die Leitsätze zu der recht umfangreiche begründeten Entscheidung:

    1. Das „Teilen“ einer Abbildung mit einem Hakenkreuz, das dem Angeklagten von einem Dritten auf seinem Twitter-Account eingestellt wurde, mit seinen ca. 13.000 „Followern“ stellt ein öffentliches Verwenden des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation dar.
    2. Eine auf Grund des Schutzzwecks des § 86a Abs. 1 StGB erforderliche Einschränkung des Tatbestands ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich auf Anhieb aus der Abbildung in eindeutiger und offenkundiger Weise die Gegnerschaft des Angeklagten zur NS-Ideologie ergibt.
    3. Eine Verhaltensweise dient der staatsbürgerlichen Aufklärung im Sinne des § 86 Abs. 4 i.V.m. § 86a Abs. 3 StGB, wenn es um die Vermittlung von Wissen zur Anregung der politischen Willensbildung geht.
    4. Ein Ausschluss der Strafbarkeit wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen aufgrund der Kunstfreiheit (§ 86 Abs. 4 i.V.m. § 86a Abs. 3 StGB) kommt nur dann in Betracht, wenn das Handeln des Angeklagten dem Werkbereich oder dem Wirkbereich künstlerischen Schaffens unterfällt, was dann nicht der Fall ist, wenn er weder Hersteller des Werks ist noch von diesem mit der Verbreitung betraut wurde.
    5. Die Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG wird durch § 86a StGB als allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG eingeschränkt. Der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit wird dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass durch die teleologische Reduktion des Straftatbestands Fälle, in denen die Gegnerschaft des Handelnden zu der verfassungswidrigen Organisation zweifelsfrei und auf Anhieb ersichtlich wird, von der Strafbarkeit ausgenommen werden.

Corona II: Mitfahrt eines Beschäftigten im Firmen-Kfz, oder: Gilt/galt die Maskenpflicht an der Arbeitsstätte?

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Und im zweiten Posting dann der BayObLG, Beschl. v. 18.12.2023 – 201 ObOWi 1077/23 – zur Frage eines Verstoßes gegen pandemiebedingte Maskenpflicht an der Arbeitsstätte wegen bloßer Mitfahrt eines Beschäftigten in Firmenfahrzeug.

Das AG hat den den Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit des Verstoßes gegen die Maskenpflicht gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV zu einer Geldbuße von 250 EUR verurteilt.

Nach den Feststellungen des AG befand sich der Betroffene, der Malermeister ist, am 07.12.2020 mit weiteren fünf Personen in einem Transporter auf dem Weg zu einer Baustelle in Neumarkt in der Oberpfalz. Der Mindestabstand von 1,5 Metern im Fahrzeug wurde nicht eingehalten, keiner der Insassen trug einen Mund-Nasen-Schutz. Das AG hat in rechtlicher Hinsicht ausgeführt, dass auch ein Firmenfahrzeug, das von den Mitarbeitern genutzt wird, als Arbeitsplatz i.S.v. § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV anzusehen sei. Der Betroffene habe vorsätzlich gehandelt, weil er gewusst habe, dass er keinen Mund-Nasen-Schutz trage und dies auch nicht beabsichtigte. Er habe deshalb vorsätzlich gegen die Maskenpflicht nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV verstoßen.

Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die Erfolg hatte. Das BayObLG legt – wie gewohnt 🙂 – umfangreich das, warum wegen der bloßen Mitfahrt eines Beschäftigten in einem Firmenfahrzeug kein Verstoß gegen die pandemiebedingte Maskenpflicht an der Arbeitsstätte vorliegt. Insoweit beschränke ich mich hier wegen des Umfangs der Begründung auf die Leitsätze der Entscheidung, die lauten:

    1. Die Maskenpflicht am Arbeitsplatz bzw. an der Arbeitsstätte dient dem Arbeitsschutz. Deshalb sind die Begriffe der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes in der 9. BayIfSMV entsprechend der Begrifflichkeit im Arbeitsschutzgesetz und der Arbeitsstättenverordnung zu verstehen.
    2. Ein Firmenfahrzeug, das von Mitarbeitern für die Fahrt zu einer Baustelle genutzt wird, ist nicht als Arbeitsplatz oder Arbeitsstätte i.S.v. § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV anzusehen. Eine weitergehende Auslegung überschreitet die Grenze des möglichen Wortsinns und widerspricht den Begriffsdefinitionen aus arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen.

Die Begründung dann bitte im Volltext selbt lesen.

Aber: Frei gesprochen hat das BayObLG nicht, sondern zurückverwiesen. Begründung:

„3. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts kommt somit kein Verstoß gegen § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV in Betracht, wohl aber ein Verstoß gegen die in § 3 Abs. 1 Nr. 2 der 9. BayIfSMV angeordnete Kontaktbeschränkung. Danach war der gemeinsame Aufenthalt im öffentlichen Raum, in privat genutzten Räumen und auf privat genutzten Grundstücken nur gestattet mit den Angehörigen des eigenen Hausstands sowie zusätzlich den Angehörigen eines weiteren Hausstands, solange dabei eine Gesamtzahl von insgesamt höchstens fünf Personen nicht überschritten wird. Dies gilt nach § 3 Abs. 3 der 9. BayIfSMV nicht für berufliche und dienstliche Tätigkeiten, bei denen ein Zusammenwirken mehrerer Personen zwingend erforderlich ist.

Da sich hier nach den Feststellungen sechs Personen im Fahrzeug aufhielten, kommt eine Ordnungswidrigkeit nach § 29 Nr. 1 der 9. BayIfSMV in Betracht.

a) Hinsichtlich der möglichen Verwirklichung des Tatbestandes des Verstoßes gegen die Kontaktbeschränkung erweisen sich die Urteilsfeststellungen aber als lückenhaft (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO, sodass dem Senat keine eigene Entscheidung möglich ist.

Zum einen gilt die Kontaktbeschränkung nicht für berufliche und dienstliche Tätigkeiten, bei denen ein Zusammenwirken mehrerer Personen zwingend erforderlich ist. In dem Urteil sind keine Feststellungen zu der Art der in Aussicht genommenen Tätigkeit und der Notwendigkeit der gemeinsamen Fahrt enthalten.

Zum anderen ergibt sich aus dem Urteil (konsequenterweise) auch nichts Tragfähiges zum subjektiven Tatbestand des Betroffenen bezüglich der Kontaktbeschränkung.

b) Da die Fahrt am 07.12.2020 erfolgte, ist im Falle des fahrlässigen Verstoßes gegen § 3 Abs. 1 Nr. 2 der 9. BayIfSMV die Tat bereits verjährt. Am 07.12.2020 waren vorsätzliche Ordnungswidrigkeiten nach § 73 Abs. 2 IfSG a.F. mit einer Geldbuße bis zu 25.000 Euro bedroht, sodass die fahrlässige Ordnungswidrigkeit nach § 73 Abs. 2 IfSG a.F., § 17 Abs. 2 OWiG mit Geldbuße bis zu 12.500 EUR bedroht war. Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 OWiG zwei Jahre. Eine Anhörung (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG) erfolgte am 07.12.2020, der Bußgeldbescheid (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG) wurde erst am 12.12.2022 und damit nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist erlassen.

…..“

Nun ja, kann man machen. Aber m.E. schreit die Sache nach mehr als drei Jahren aber mehr nach § 47 Abs. 2 OWiG als nach einer erneuten Hauptverhandlung.

Corona I: Ausbleiben in Berufungs-HV „wegen Corona“, oder: Darlegung der genügenden Entschuldigung

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Heute zum Wochenstart mal wieder drei Entscheidungen aus der Katergorie „Corona/Covid-19“. Alle drei kommen vom BayObLG, zwei sind schon etwas älter.

Ich starte dann mit den schon etwas älteren Entscheidungen, und zwar hier mit dem BayObLG, Beschl. v. 28.06.2023 – 206 StRR 174/23 – zum Ausbleiben des Angeklagten im Berufungshauptverhandlungstermin wegen geltend gemachter coronabedingter Verhandlungsunfähigkeit

Das AH hatte den Angeklagten am 12.10.2022 wegen Beihilfe zum Betrug „in einem besonders schweren Fall“  verurteilt. Die Berufung des Angeklagten hat das LG verworfen, weil der ordnungsgemäß geladene Angeklagte im Verhandlungstermin am 14.02.2023 nicht erschienen sei, obwohl ihm die Folgen eines unentschuldigten Fernbleibens mit der Ladung mitgeteilt worden seien. Allein die Übersendung einer Bescheinigung über das Vorliegen eines positiven SARS-CoV-2 Antigentests genüge ohne weitere Informationen darüber, warum der Angeklagte am Erscheinen im Hauptverhandlungstermin gehindert sei, denen das Gericht nachgehen könne, nicht.

Dagegen die Revision des Angeklagten, die beim BayObLG keinen Erfolg hatte:

„Das Rechtsmittel ist unbegründet, weil das Fernbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 14. Februar 2023 allein durch die kommentarlose Vorlage der Bescheinigung über einen positiven Antigentest auf das Vorliegen einer SARS-CoV-2 Infektion nicht genügend entschuldigt war.

Insoweit kann auf die erschöpfenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 30. Mai 2023 Bezug genommen werden. Ergänzend bemerkt der Senat auch im Hinblick auf seinen Beschluss vom 25. Oktober 2022, 206 StRR 286/22, BeckRS 2022, 30918, dass zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung, die hier am 14. Februar 2023 stattfand, im Gegensatz zu dem mit Beschluss vom 25. Oktober 2022 entschiedenen Fall, in dem am 28. Juni 2022 die Hauptverhandlung im Berufungsverfahren stattgefunden hatte, die Quarantänepflicht nach der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 12. April 2022 (BayMBl. 2022 Nr. 225 vom 12. April 2022) nicht mehr galt. Am 14. Februar 2022 galt die Allgemeinverfügung zu Schutzmaßnahmen bei positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Personen (AV Corona-Schutzmaßnahmen) gemäß Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 15. November 2022 (BayMBl. 2022 Nr. 631 vom 15. November 2022), deren Gültigkeit durch Allgemeinverfügung vom 20. Januar 2023 bis zum 28. Februar 2023 verlängert worden ist (BayMBl. 2023 Nr. 46 vom 25. Januar 2023). In der Bekanntmachung vom 15. November 2022 war in Nr. 2.1 für positiv getestete Personen unverzüglich nach Kenntniserlangung vom positiven Testergebnis Maskenpflicht nach Nr. 3 außerhalb der eigenen Wohnung für mindestens fünf Tage nach dem Erstnachweis des Erregers angeordnet, aber keine Quarantänepflicht.

Die Feststellungen des Landgerichts belegen schlüssig, dass das Nichterscheinen des Angeklagten zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwerfungsurteils nicht ausreichend entschuldigt war. Die Gründe lassen erkennen, dass der Angeklagte lediglich die Bescheinigung über einen positiven Antigentest übersandt hatte, ohne hierzu weitere Informationen zu erteilen (UA Seite 2). Die Gründe teilen zwar weder mit, wer das Testergebnis übersandt hat, noch wann dies geschehen war. Dies wirkt sich im Ergebnis jedoch nicht aus, denn aus der bloßen Mitteilung des positiven Testergebnisses ergibt sich – wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt – noch keine genügende Entschuldigung des Nichterscheinens im Sinne des § 329 Abs. 1 StPO. Es ist nicht erkennbar, dass nach Art und konkreten Auswirkungen der Erkrankung eine Beteiligung des Angeklagten an der Hauptverhandlung unzumutbar gewesen sei.

Die rechtliche Prüfung des Revisionsgerichts erstreckt sich auch darauf, ob das Berufungsgericht auf der Grundlage der festgestellten Umstände die Pflicht zu weiterer Sachaufklärung im Wege des Freibeweises gehabt hätte (BGH Beschluss vom 11. April 1979, 2 StR 306/78, NJW 1979, 2319, 2320; vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 12. September 2000, 5 StRR 259/00, juris Rn. 9). Besondere, schon aus den Feststellungen selbst ersichtliche Anhaltspunkte für ein solches Defizit liegen nicht vor. Es ist in den Urteilsgründen ausdrücklich festgestellt, dass nur das Testergebnis mitgeteilt worden war, also weder ein ärztliches Attest vorlag noch sonst ein Arzt mitgeteilt war. Ein Rechtsfehler, der darin liegen könnte, dass eine Nachfrage des Vorsitzenden bei dem betreffenden Arzt unterblieben ist, um von diesem eine Erläuterung der Krankheitssymptome zu erhalten, lässt sich aus den Urteilsgründen nicht ersehen.“

Zur Berufungsverwerfung hatte das BayObLG auch bereits im BayObLG, Beschl. v. 25.10.2022 – 206 StRR 286/22 – Stellung genommen, der folgende Leitsätze hat:

1. Macht der Angeklagte geltend, er habe einen Selbsttest auf eine Infektion mit dem Corona-Virus durchgeführt, der ein positives Ergebnis erbracht habe, ist dies wegen der bei Richtigkeit der Behauptung nicht auszuschließenden Infektionsgefahren für die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit regelmäßig auch dann als ausreichende Entschuldigung für sein Fernbleiben anzusehen, wenn er keine körperlichen Symptome aufweist, die seine Verhandlungsunfähigkeit begründen würden.
2. Bloße Zweifel an der Richtigkeit eines schlüssig vorgebrachten Entschuldigungsgrundes rechtfertigen die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht; ihnen hat das Gericht im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht nachzugehen. Eine Mitwirkungspflicht obliegt dem Angeklagten insoweit nicht. Kommt er der Aufforderung des Gerichts zur Vorlage eines Testergebnisses einer Schnellteststelle nicht nach, ist dies allein zur Begründung einer Verwerfung des Rechtsmittels nicht geeignet. Ist das Gericht davon überzeugt, dass der das Fernbleiben in der Hauptverhandlung ausreichend begründende Entschuldigungsgrund nur vorgeschoben ist, sind die tragenden Gründen hierfür im Urteil nachvollziehbar darzulegen.

Corona III: „Ungeimpft“ auf dem „gelben Judenstern, oder: Vollsverhetzung? Es kommt darauf an.

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Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen zur Frage der Volksverhetzung (§ 130 StGB) durch Verwendung des sog. (gelben)  Judensterns mit der Aufschrift „ungeimpft“. Ich stelle hier aber, da es zu der Problematik ja schon einiges an Rechtsprechung gibt, nur die Leitsätze vor, und zwar:

Es ist im Wege der Auslegung durch den Tatrichter festzustellen, ob sich die Verwendung eines sog. Judensterns mit der Aufschrift „Ungeimpft“ in sozialen Medien über die Gleichstellung der für Ungeimpfte mit den Maß-nahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie einhergehenden Einschränkungen mit den durch die nationalsozialistische „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 1. September 1941 verbundenen Beschränkungen hinaus auch als Verharmlosung des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermordes i.S.d. § 6 VStGB darstellt.

Zur Frage der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB, wenn im sozialen Netzwerk Facebook Profilbild eine Abbildung eines gelben Davidsterns, in dessen Mitte der Schriftzug „UNGEIMPFT“ steht sowie am oberen und unteren Bildrand der Zusatz: „Wieder soweit?“, verwendet wird.