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Corona I: Durchsuchung beim „Querdenker-Lehrer“, oder: Man hätte ja auch mal fragen können

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Und dann heute drei Entscheidungen, die mit dem zweiten Sonderthema der letzten Zeit zu tun haben. Corona. Allerdings werden derzeit kaum noch Entscheidungen zur Verstößen gegen die Corona-VO veröffentlicht, sondern mehr Entscheidungen zu anderen Fragen, die zumindest ihren Ausgang in der Pandemie und deren Auswirkungen haben. Und davon habe ich hier auch noch drei, die ich heute vorstelle.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 15.11.2023 – 1 BvR 52/23. Gegenstand des Verfahrens ist ein Durchsuchungsbeschluss des AG Heilbronn

Der Beschwerdeführer ist verbeamteter Lehrer im Schuldienst des Landes Baden-Württemberg. Die StA führte gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beleidigung. Sie warf ihm vor, am 19.06.2021 als Teilnehmer einer Kundgebung von sogenannten Querdenkern zwei dort eingesetzte Polizeibeamte als „Scheißkerle“ und „Prügelbullen“ bezeichnet zu haben. In der nach Gewährung von Akteneinsicht mit Schreiben vom 19.11.2021 durch seinen Verteidiger abgegebenen Stellungnahme beantragte dieser die Einstellung des Verfahrens. Es fehle an einem hinreichenden Tatverdacht. In Rahmen der Stellungnahme teilte der Verteidiger u.a. auch mit, der Beschwerdeführer sei „Beamter im aktiven Dienst“.

Nach Eingang der Stellungnahme beantragte die StA beim AG den Erlass einer Durchsuchungsanordnung zur Ermittlung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers. Das AG ordnete daraufhin die Durchsuchung u.a. der Person und der Wohnung des Beschwerdeführers an. Der Beschwerdeführer habe mit einer empfindlichen Geldstrafe zu rechnen. Die Durchsuchung sei zur Ermittlung der Tagessatzhöhe erforderlich, da der Beschwerdeführer keine Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht habe. Die Maßnahme stehe in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts.

Der Beschluss wurde am 14.01.2022 vollzogen. Nachdem dem Beschwerdeführer von dem den Einsatz leitenden Polizeibeamten „die weitere Vorgehensweise“ erklärt worden war, gewährte er den Beamten Eintritt in seine Wohnung. Unter deren Aufsicht suchte er seine drei jüngsten Bezügemitteilungen sowie eine Einkommensteuererklärung heraus und händigte diese den Beamten aus. Weitere Durchsuchungsmaßnahmen wurden daraufhin nicht mehr durchgeführt.

Rechtsmittel gegen den Durchsuchungsbeschluss und die – maßnahme blieben beim AG und LG erfolglos. Im Verfahren ist dann vom AG auf Antrag der StA ein Strafbefehl erlassen worden, gegen den Einspruch eingelegt wurde, In der Hauptverhandlung ist dann das Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt worden.

Der Beschwerdeführer hat sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss gewendet und eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 13, Art. 103 Abs. 1 und 2 GG. § 102 StPO gerügt. Er hat insbesondere geltend gemacht, dass die Durchsuchungsanordnung jedenfalls unverhältnismäßig gewesen sei. Als mildere Mittel gegenüber einer Durchsuchung wären Anfragen bei der Besoldungsstelle, beim Beschwerdeführer oder bei dessen Verteidiger in Betracht gekommen.

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg:

„2. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig erhoben ist, ist sie auch begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG.

a) Zwar war die Durchsuchung entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich seine Einkommensverhältnisse ermittelt werden sollten. Nach § 1603 Satz 1 StPO haben sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft – unabhängig davon, ob der Erlass eines Strafbefehls beantragt oder Anklage erhoben werden soll – auch auf Umstände zu erstrecken, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind; dazu zählen – worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist – nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe. Durchsuchungen bei Beschuldigten nach § 102 StPO zur Ermittlung dieser Umstände sind verfassungsrechtlich daher nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 1994 – 2 BvR 983/94 u.a. -, Rn. 12 f.).

b) Allerdings war die Anordnung der Durchsuchung hier unverhältnismäßig.

aa) Eine Durchsuchung greift in die durch Art. 131 GG grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre schwerwiegend ein (vgl. BVerfGE 42, 212 <219>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>). Dem erheblichen Eingriff entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Durchsuchung muss mit Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 96, 44 <51>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Januar 2016 – 2 BvR 1361/13 -, Rn. 12; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. April 2023 – 2 BvR 1844/21 -, Rn. 46). Dabei ist es grundsätzlich Sache der ermittelnden Behörden, über die Zweckmäßigkeit und die Reihenfolge vorzunehmender Ermittlungshandlungen zu befinden. Ein Grundrechtseingriff ist aber jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn naheliegende grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen ohne greifbare Gründe unterbleiben oder zurückgestellt werden und die vorgenommene Maßnahme außer Verhältnis zur Stärke des in diesem Verfahrensabschnitt vorliegenden Tatverdachts (vgl. BVerfGK 11, 88 <92>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2018 – 2 BvR 2993/14 -, Rn. 25) oder zur Schwere der Straftat steht.

bb) Die Anordnung der Durchsuchung war danach unangemessen. Den Ermittlungsbehörden standen naheliegende und grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung, die ohne greifbare Gründe unterblieben sind. Ob diese hier ebenso wirksam gewesen wären wie eine Wohnungsdurchsuchung, also mildere Mittel im technischen Sinne dargestellt hätten (vgl. dazu BVerfGE 126, 112 <144 f.>; 155, 238 <280 Rn. 105>; stRspr), kann im Streitfall dahinstehen. Denn angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung beim Beschwerdeführer jedenfalls außer Verhältnis zur Schwere der hier verfolgten Straftat.

(1) Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer insoweit freiwillige Angaben verweigert hätte und seine Befragung daher aussichtslos gewesen wäre, lagen nicht vor. Zwar hatte sich der Beschwerdeführer im Rahmen der ihm von der Staatsanwaltschaft nach § 163a Abs. 1 Satz 2 StPO eingeräumten Möglichkeit, sich zu dem Tatvorwurf schriftlich zu äußern, darauf beschränkt, das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts zu bestreiten. Allein daraus konnte jedoch nicht geschlossen werden, dass er auf konkrete Nachfrage hin freiwillige Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen verweigert hätte, denn Angaben dazu waren zu diesem Zeitpunkt aus seiner Sicht nicht veranlasst gewesen und mussten dem Ziel seiner ersten Einlassung, eine Verfahrenseinstellung zu erreichen, widersprechen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlusts, die nur durch eine Wohnungsdurchsuchung hätte abgewendet werden können, bestand nicht.

Eine Nachfrage beim Beschwerdeführer hätte daher im Streitfall aus der ex ante-Perspektive mit einer realistischen Wahrscheinlichkeit zu den auch mittels einer Wohnungsdurchsuchung zu erlangenden Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen geführt. Im Hinblick auf diese insofern naheliegende und gegenüber einer Wohnungsdurchsuchung grundrechtsschonende Ermittlungsmaßnahme stellt sich die Durchsuchungsanordnung daher jedenfalls angesichts der geringen Schwere der vorgeworfenen Straftat als unangemessen dar.

(2) Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen (vgl. dazu Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 160 Rn. 18; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, § 40 Rn. 16 <1. Mai 2023>). Nachdem der Wohnort des Beschwerdeführers bekannt war und dieser sich dahingehend eingelassen hatte, er sei „Beamter im aktiven Dienst“, wäre dessen Besoldungsstelle unschwer in Erfahrung zu bringen gewesen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juni 2015 – 2 BvR 67/15 -, Rn. 23). Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften eines Beschuldigten zu erlangen. § 40 Abs. 3 StGB erfordert aber – zumal in Fällen der kleineren Kriminalität (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juni 2015 – 2 BvR 67/15 -, Rn. 22) – auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 1994 – 2 BvR 983/94 u.a. -, Rn. 3 und 13), wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2017 – 1 StR 147/17 -, Rn. 10 ff.). Hinzu kommt, dass es sich bei der Festlegung der Tagessatzhöhe um einen wertenden Akt richterlicher Strafzumessung handelt, der dem Tatrichter Ermessensspielräume hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Faktoren belässt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2017 – 1 StR 147/17 -, Rn. 7). Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur dann verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 30. Januar 2007 – 1 Ws 15/07 u.a. -, Rn. 8; Thüringer OLG, Beschluss vom 12. Februar 2009 – 1 Ss 160/08 -, Rn. 15; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 23. November 2009 – 1 Ss 104/09 -, Rn. 15).

Hätten sich Staatsanwaltschaft und Amtsgericht mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, hätten darüber hinaus durch eine Anfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin-Abfrage) aber auch die Bankkonten und Bankdepots in Erfahrung gebracht werden können, bezüglich derer der Beschwerdeführer wirtschaftlich Berechtigter ist (vgl. § 24c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Kreditwesengesetz). Durch Anfragen bei den entsprechenden Banken und Instituten hätten Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers angefordert werden können. Auch insoweit hätte es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung im Grundsatz um eine grundrechtsschonende Maßnahme gehandelt. Zwar stellen eine BaFin-Abfrage und anschließende Bankanfragen angesichts des Umfangs der damit verbundenen Erhebung gegebenenfalls auch sensibler Daten einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar (vgl. BVerfGE 118, 168 <185 f.>). Bankanfragen werden dennoch meist weniger grundrechtsintensiv als die Anordnung einer einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstellenden Wohnungsdurchsuchung sein (zur Verhältnismäßigkeit einer BaFin-Abfrage zur Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse auch beim Verdacht nur geringfügiger Straftaten vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Februar 2015 – 4 Ws 19/15 -, Rn. 8 und 11; Sackreuther, in: BeckOK StPO, § 160 Rn. 20 <1. April 2023>).“

Wenn man es liest, mag man es nicht glauben. Bei einem Beamten wird zur Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse die Durchsuchung angeordnet? Und das, obwohl man ja nun wohl gerade bei einem Beamten durch die einfache Einsicht in Besoldungstabellen, die frei zugänglich sind, das Monatseinkommen ohne weiteres ermitteln kann? Auf die Idee kommt die StA nicht, das AG auch nicht und das LG macht sich offenbar insoweit auch keine Gedanken. Selbst der GBA sieht bei einem verbeamteten Lehrer diese Möglichkeit nicht bzw. nur eingeschränkt. Daher muss es dann das BVerfG richten und den beteiligten Stellen erklären, wie man die wirtschaftlichen Verhältnisse aufklärt bzw. hätte aufklären können und müssen. Wie gesagt: Nur schwer verständlich.

Ich vermute einen ganz anderen Grund, nämlich die Durchsuchung als Retourkutsche für den offenbar der „Querdenker-Szene“ angehörenden oder mit ihr sympathisierenden Lehrer. Aber: So kann man doch nicht mit diesen Leuten umgehen. Das ist/war doch nur Wasser auf deren Mühlen. Unfassbar.

OWi I: Befreiung von Maskenpflicht zu Corona-Zeiten, oder: Anforderungen an das ärztliche Attest

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Und heute dann OWi-Entscheidunge, aber mal kein Verkehrsrecht sondern andere Bereiche.

Ich beginne mit dem OLG Celle, Beschl. v. 17.10.2023 – 2 ORbs 278/23. Das OLG arbeitet ind em Beschluss noch ein wenig die Corona-Zeit auf.

Das AG hat den Betroffenen wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen eine vollziehbare Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (hier: Maskenpflicht bei öffentlichen Veranstaltungen) zu einer Geldbuße von 100,- € verurteilt. Nach den Feststellungen des Urteils nahm der Betroffene am 28.02.2022 in B. an einer angemeldeten Versammlung zum Thema „Spaziergang für das Ende aller Corona-Maßnahmen, Freiheit und Selbstbestimmung “ unter freiem Himmel teil, zu deren Beginn die Demonstrationsteilnehmer einschließlich des Betroffenen von den eingesetzten Polizeikräften auf die bestehende Maskenpflicht hingewiesen worden seien. Sodann habe der Betroffene während der gesamten Versammlung bewusst auf das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes verzichtet und mehrfach eine Trillerpfeife verwendet. Ein von dem Betroffenen in der Hauptverhandlung vorgelegtes ärztliches Attest vom 14.01.2022 mit dem Inhalt „Aus psychischen Gründen kann o.g. Person keinen MNB tragen“ erfüllte aus Sicht des Amtsgerichts nicht die an ein ärztliches Attest zu stellenden Mindestanforderungen, sodass der Betroffene nicht nach § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung von der Maskenpflicht befreit gewesen sei, weil eine als Ausnahme geltende Beeinträchtigung oder Vorerkrankung weder am Vorfallstag noch in der Hauptverhandlung glaubhaft gemacht worden sei. Das vorgelegte Dokument enthalte weder eine Diagnose, noch gebe es andere Hinweise auf die Art der Erkrankung und auf den Grund, warum diese dem Tragen einer Schutzmaske entgegenstehen soll.

Zum Tatzeitpunkt galt die Niedersächsische Verordnung über Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 und dessen Varianten (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 23. Februar 2022.

Das OLG hat die Verordnung als wirksam angesehen. Es hat das Urteil aber aufgehoben, weil das AG die Anforderungen an das Attest überspannt habe.

ich stelle hier, weil die Problematik ja nicht mehr so ganz aktuell istt, nur die Leitsätze des OLG ein. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext der umfangreich begründeten Entscheidung:

    1. Zur Glaubhaftmachung der Unzumutbarkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung nach § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 23. Februar 2022 bedarf es nicht der Vorlage eines qualifizierten ärztlichen Attests.
    2. Die Glaubhaftmachung durch ein ärztliches Attest oder eine vergleichbare amtliche Bescheinigung hat schon zur Gewährleistung eines effektiven Gesundheitsschutzes bereits zum Zeitpunkt der behördlichen Kontrolle an Ort und Stelle des Vorfalls zu erfolgen und nicht erst in einer späteren Hauptverhandlung in dem nachgelagerten Bußgeldverfahren.
    3. Die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Ordnungswidrigkeitentatbestandes waren aufgrund des im Februar und März 2022 besonders hohen und stagnierenden Infektionsgeschehens mit einem Höchststand an Neuinfektionen während der gesamten COVID-19-Pandemie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Niedersächsischen Corona-Verordnung in der Fassung vom 23. Februar 2022 noch deutlich reduziert, sodass § 21 der Verordnung trotz seiner Ausgestaltung als Blankettvorschrift noch als materiell rechtmäßig anzusehen ist.

Corona II: „Sie hätten Hitler…. auch großgemacht“, oder: Strafbare Beleidigung?

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Die zweite Entscheidung kommt auch vom BayObLG. In ihr nimmt das BayObLG noch einmal zum Erfordernis einer Abwägung bei der Prüfung einer Meinungsäußerung unter dem Gesichtspunkt der Beleidigung Stellung.

AG und LG haben die Angeklagte wegen Beleidigung verurteilt. Die hatte sich in einer Email  an den Geschädigten wie folgt geäußert:

„Eine bodenlose Unverschämtheit was sie da vom Stapel lassen! Ich bin überzeugt sie hätten Hitler damals auch großgemacht! Ich hoffe Ihre Praxis geht pleite! Was sie da betreiben ist höchst asozial und gefährlich für eine demokratische Gesellschaft! Dass sie sich nicht schämen! Pfui Deiwel“.

Dieser Email der Angeklagten vorausgegangen war ein Bericht über den Geschädigten in der Zeitung „Bild am Sonntag“ vom 01.08.2021 voraus, in dem dieser mitteilte, dass er als praktischer Arzt keine Impfverweigerer mehr behandele. Wer sich nicht (gegen Corona) impfen lassen wolle und seine Praxis betrete, gefährde sein Personal und seine Patienten. Weiter wird er dort wie folgt zitiert: „Die Impfung ist eine Bürgerpflicht. (…) Verweigerer sind unsolidarisch und feige. Sie schädigen andere gesundheitlich und wirtschaftlich.“

AG und LG haben die Angeklagte wegen Beleidigung (§ 185 StGB) verurteilt und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 193 stGB verneint. Die dagegen eingelegte Revision hatte mit der Sachrüge mit dem BayObLG, Beschl. v. 15.05.2023 – 207 StRR 128/23 – Erfolg:

„1. In Fällen ehrenrühriger Werturteile wie vorliegend wird § 193 StGB letztlich von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG konsumiert, an diesem ist die Meinungsäußerung im Ergebnis zu messen (vgl. Hilgendorf in. Leipziger Kommentar zum StGB (LK-StGB), 13. Aufl., § 193 Rdn. 4). Allerdings gewährleistet Art. 5 Abs. 2 GG auch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nur in den Schranken der allgemeinen Gesetze, zu denen auch die Strafgesetze gehören. Die Strafvorschrift des § 185 StGB muss somit im Licht der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden, sog. „Wechselwirkung“ (vgl. LK-StGB-Hilgendorf aaO § 193 Rdn. 4f. m. w. N.; BayObLG, Beschlüsse vom 19.07.1994, 2St RR 89/94, zitiert nach juris). Nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz ist eine umfassende und einzelfallbezogene Güter- und Pflichtenabwägung vorzunehmen (LK-StGB-Hilgendorf aaO § 193 Rdn. 6; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 193 Rdn. 9, je m. w. N.). Diese Abwägung ist eine reine Rechtsfrage, so dass sie bei ausreichender Tatsachengrundlage auch vom Revisionsgericht vorzunehmen ist (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2014, 1 Ss 599/13, zitiert nach juris, Rdn. 21; OLG Celle, Urteil vom 27.03.2015, 31 Ss 9/15, zitiert nach juris, Rdn. 35; OLG München, Beschluss vom 31.05.2017, 5 OLG 13 Ss 81/17, zitiert nach juris, Rdn. 11).

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälernden Gehalts einer Äußerung. Die strafrechtliche Sanktionierung knüpft an diese dementsprechend in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallenden und als Werturteil zu qualifizierende Äußerungen an und greift damit in die Meinungsfreiheit des Äußernden ein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020, 1 BvR 2397/19, NJW 2020, 2622ff., Rdn. 12 m. w. N.). Im Normalfall erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung für eine strafrechtliche Sanktionierung einer Aussage nach der Ermittlung des Sinns dieser Aussage eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, welche der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (BVerfG aaO Rdn. 15 m. w. N.). Es bedarf einer umfassenden Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falles und der Situation, in der die Äußerung erfolgte (BVerfG, Beschluss vom 19.05. 2020, 1 BvR 2459/19, NJW 2020, 2629ff. Rdn. 18). Eine Abwägung ist nur in den Fällen der Schmähkritik, der Formalbeleidigung und dann entbehrlich, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde darstellt (BVerfG aaO Rdn. 17 m. w. N.). Von einem die Abwägung entbehrlich machenden Ausnahmetatbestand (Schmähkritik, Formalbeleidigung, Angriff auf die Menschenwürde) kann nur ausgegangen werden, wenn eine in den Urteilsgründen darzulegende Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falles ergibt, dass ein mit der inkriminierten Äußerung verfolgtes sachliches Anliegen entweder nicht existiert oder so vollständig in den Hintergrund tritt, dass sich die Äußerung in einer persönlichen Kränkung erschöpft, bzw. die verwendete Beschimpfung das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts verlässt und unabhängig von den Umständen grundsätzlich nicht mit der Meinungsfreiheit legitimierbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.05.2020, 1 BvR 2397/19 aaO Rdn. 23). Auch insoweit gilt daher, dass sich die Strafbarkeit einer Äußerung nicht allein aus deren Wortlaut erschließt, sondern die Feststellung deren Anlasses und der näheren Umstände erfordert.

3. Da der Schutzumfang des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG von der näheren Qualifizierung des Sinngehalts einer Aussage (s. bereits oben) abhängt, muss sich für das Revisionsgericht aus den Feststellungen des Tatrichters auch dieser ergeben. Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG Vorgaben abgeleitet, die schon im erforderlichen Ermittlungsvorgang gelten und damit rechtliche Maßstäbe für die tatrichterliche Sachverhaltsfeststellung enthalten. Ihre Einhaltung zu überprüfen ist Teil der revisionsgerichtlichen Kontrolle. So verstößt eine strafgerichtliche Verurteilung wegen einer Äußerung schon dann gegen Art. 5 Abs. 1 GG, wenn diese den Sinn, den das Gericht ihr entnommen und der Verurteilung zugrunde gelegt hat, nicht besitzt oder wenn bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne dass andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 26.06.1990, 1 BvR 1165/89, zitiert nach juris). Dabei haben die Gerichte insbesondere ausgehend vom Wortlaut auch den Kontext und die sonstigen Begleitumstände der Äußerung zu beachten (siehe z.B. BVerfG, NJW-RR 2017, 1001, Rdn. 17). Maßstab der Sinnermittlung ist der Horizont eines verständigen Dritten (vgl. z. B. BayObLG, NJW 2005, 1291, Rdn. 21, m. w. N. zur Rechtsprechung des BVerfG; Fischer aaO § 185 StGB Rdn. 8 m. w. N.).

4. Auf dieser Grundlage hat das Landgericht die erforderliche Abwägung rechtsfehlerhaft vorgenommen und die Reichweite des Art. 5 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verkannt.

Die inkriminierte Äußerung der Angeklagten ist – anders als das Landgericht meint – keineswegs zwingend als Schmähkritik auszulegen, bei der die Diffamierung des Geschädigten, die ihn in „eine Reihe mit Massenmördern, Rassisten und Antisemiten“ stellen würde, im Vordergrund steht. Vielmehr ist die vom Landgericht ohne Begründung als „fernliegend“ bezeichnete Auslegung der Äußerung, wonach sich diese auf Personen bezieht, die in den Jahren vor 1933 „Hitler groß gemacht“ haben, ohne selbst Nationalsozialisten zu sein, schon deshalb mindestens nicht auszuschließen, weil die Angeklagte im übernächsten Satz derselben Nachricht an den Geschädigten schrieb, was der Zeuge da betreibe, sei „höchst gefährlich für eine demokratische Gesellschaft“. Es gibt eine Vielzahl von Ursachen, die Hitler und die NSDAP in den Jahren vor der „Machtergreifung“ „groß gemacht“ haben, ohne dass den seinerzeitigen politischen Akteuren damit durchgehend unterstellt werden kann, sie hätten willentlich die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten befördert. In dieser letztgenannten Deutung wäre die Äußerung der Angeklagten offensichtlich vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt, weil sie sich unmittelbar auf die (von der Angeklagten als ungerechtfertigt und gesellschaftsspaltend empfundenen) Aussagen des Geschädigten beziehen, Impfverweigerer seien „unsolidarisch und feige“ und würden andere gesundheitlich und wirtschaftlich schädigen (vgl. auch LK-StGB-Hilgendorf aaO § 193 Rdn. 7 „reaktive Verknüpfung“).“

Corona I: Maskenpflicht bei der Kfz-Zulassungsstelle, oder: Kfz-Zulassungsstelle ist kein „Dienstleistungsbetrieb“

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Zum Wochenstart heute dann mal wieder ein bisschen was zu Corona (und Drumherum). Mit der rechtlichen Aufarbeitung haben wir sicherlich noch länger zu tun.

Ich stelle zunächst den BayObLG, Beschl. v. 12.07.2023 – 201 ObOWi 521/23 – vor. Er behandelt noch einmal eine Problemati in Zusammenhang mit der Maskenpflicht. Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässig begangenen Verstoßes gegen die Maskenpflicht verurteilt. Dazu hat das AG folgende Feststellungen getroffen:

„Am 31.07.2020 gegen 10:45 Uhr suchte der Betroffene die Kfz-Zulassungsstelle des Landratsamts A. auf, um ein Fahrzeug umzumelden. Er trug zunächst eine Mund-Nasen-Maske, nahm diese aber in der Folgezeit ab und setzte sie trotz mehrfacher Aufforderungen eines Security-Mitarbeiters nicht mehr auf. Der Betroffene hätte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen, dass er zum Tragen der Maske verpflichtet war.

Das Amtsgericht ist der Auffassung, dass es sich bei der Kfz-Zulassungsstelle des Landratsamts um einen Dienstleistungsbetrieb mit Kundenverkehr i.S.d. § 12 Abs. 2 der 6. BayIfSMV gehandelt habe, in welchem für den Betroffenen als Kunden gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der 6. BaylfSMV Maskenpflicht gegolten habe. Der Betroffene habe daher nach § 22 Nr. 4 der 6. BaylfSMV i.V.m. § 73 Abs. 1 Nr. 24 IfSG jedenfalls fahrlässig eine Ordnungswidrigkeit begangen.“

Das sieht das BayObLG anders, die Rechtsbeschwerde hatte also Erfolg:

„2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Betroffene hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklicht.

Nach §§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2, 22 Nr. 4 der zu diesem Zeitpunkt geltenden 6. BayIfSMV i.V.m. § 73 Abs. 1 Nr. 24 IfSG handelte ordnungswidrig, wer in Dienstleistungsbetrieben mit Kundenverkehr, sofern nicht die Art der Dienstleistung die Maskenpflicht nicht zuließ, als Kunde gegen die Maskenpflicht verstieß.

Bei einer Kfz-Zulassungsstelle des Landratsamts handelt es sich nicht um einen Dienstleistungsbetrieb mit Kundenverkehr und bei dem Betroffenen nicht um einen Kunden i.S.d. vorgenannten Vorschriften. Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob bei der Subsumtion einer staatlichen Kfz-Zulassungsstelle unter den Begriff des Dienstleistungsbetriebs der Wortsinn der Norm, welche die Grenze ihrer Auslegung bildet (vgl. hierzu BayObLG DAR 2022, 156 = NStZ 2022, 495), überschritten ist. Die dahingehende Subsumtion widerspricht zum einen der obergerichtlichen verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung zum Begriff des Dienstleistungsbetriebs. Außerdem sprechen systematische Erwägungen dafür, dass staatliche Behörden nicht vom Begriff des Dienstleistungsbetriebs erfasst werden sollten.

a) Wie das Amtsgericht im Ausgangspunkt zutreffend feststellt, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Begriff des Dienstleistungsbetriebes im Rahmen der insoweit wortgleichen 4. BayIfSMV zwar weit verstanden und darunter sämtliche Einrichtungen mit Kundenkontakt gefasst, welche gegen Entgelt immaterielle Leistungen erbringen (BayVGH, Beschl. v. 29.05.2020 – 20 NE 20.953 bei juris [Rn. 33]). Auch der Senat hat keinen Anlass, von dieser Definition abzurücken.

b) Das Amtsgericht hat jedoch die Kfz-Zulassungsstelle eines Landratsamts rechtsfehlerhaft unter die vorgenannte Definition des Begriffs des Dienstleistungsbetriebs subsumiert, und dabei die erforderliche Abgrenzung des Begriffs des Dienstleistungsbetriebs von dem einer Behörde missachtet. Zwar handelt es sich bei der Kfz-Zulassungsstelle unzweifelhaft um eine Einrichtung mit Außenkontakt, welche immaterielle Leistungen erbringt. Die entsprechenden Leistungen werden jedoch – ungeachtet eventuell zu entrichtender Gebühren – nicht ‚gegen Entgelt‘ im Sinne der Definition eines Dienstleistungsbetriebs erbracht.

Bei einem Landratsamt handelt es sich vielmehr um ein in das Gefüge der öffentlichen Verwaltung eingeordnetes Organ der Staatsgewalt mit der Aufgabe, unter öffentlicher Autorität nach eigener Entschließung für Staatszwecke tätig zu werden. Eine solche Stelle nimmt Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr (Art. 1 Abs. 2 BayVwVfG) und unterfällt somit dem Behördenbegriff im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGHZ 25, 185, 188; BVerfGE 10, 20, 48; Fischer StGB 70. Aufl. 2023 § 11 Rn. 29). Sie unterscheidet sich daher fundamental von einer Einrichtung, deren Zweck auf die Erwirtschaftung einer Gegenleistung ausgerichtet und deren Existenz von einer solchen abhängig ist.

Der Begriff des Entgelts bezeichnet nach allgemeiner Rechtsauffassung die in einem Vertrag vereinbarte Gegenleistung, die mit der von der Gegenseite zu erbringenden Leistung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma) steht (vgl. nur BGH NJW 1980, 2133; Grüneberg/Bearbeiter? BGB 83. Aufl. vor § 311 Rn. 8; Becker in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, 4. Aufl., § 309 Rn. 7).

Der Betroffene, der auf dem Landratsamt vorstellig wurde, wollte mit diesem keinen privatrechtlichen Vertrag über die Ummeldung seines Fahrzeugs schließen, sondern seinen rechtlichen Verpflichtungen als Halter eines Kraftfahrzeugs nachkommen, da Änderungen von Fahrzeug- oder Halterdaten nach § 13 FVZ der Verwaltungsbehörde mitzuteilen sind, und das Unterlassen entsprechender Angaben nach § 48 Nr. 12 FZV ordnungswidrig ist. Gegebenenfalls von ihm zu zahlende Gebühren für die Ummeldung seines Kraftfahrzeugs wären auch keine Gegenleistung für das Tätigwerden der Verwaltungsbehörde gewesen. Gebühren sind vielmehr öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer, öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken (BVerfGE 50, 217, 226 m.w.N.). Eine etwaige Gebührenpflicht des Betroffenen stellte sich daher für ihn als die Auferlegung einer einseitigen hoheitlichen Maßnahme dar, nicht jedoch als vertragliche Gegenleistung im Sinne der obergerichtlichen Rechtsprechung.

c) Es besteht auch kein Anhaltspunkt, dass der Verordnungsgeber mit der Schaffung des § 12 Abs. 2 der 6. BayIfSMV eine Verwaltungsbehörde als Unterfall eines Dienstleistungsbetriebs gesehen hat und sie den für einen Dienstleistungsbetrieb geltenden Regelungen unterwerfen wollte.

aa) Angesichts der peniblen Ausdifferenzierung der infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen für verschiedenste Bereiche des öffentlichen Lebens kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber das für das Funktionieren des öffentlichen Lebens zentrale Gebiet der öffentlichen Staatsverwaltung als Wirtschaftsleben verstanden hat und die Verwaltungsbehörden lediglich als Unterfall des Dienstleistungsbetriebs hatte regeln wollen. Der Verordnungsgeber hat die Vorschrift des § 12 Abs. 2 der 6. BayIfSMV über Dienstleistungsbetriebe mit Kundenverkehr zwischen Regelungen für Betriebe des Groß- und Einzelhandels mit Kundenverkehr (§ 12 Abs. 1 der 6. BayIfSMV) und den Bestimmungen für Arzt- und Zahnarztpraxen (§ 12 Abs. 3 der 6. BayIfSMV) platziert. Außerdem befindet sich die Vorschrift des § 12 der 6. BayIfSMV unter dem Oberbegriff „Teil 4 Wirtschaftsleben“, in dem weiter die Gastronomie (§ 13 der 6. BayIfSMV) und die Beherbergung (§ 14 der 6. BayIfSMV) geregelt werden. Unabhängig von dem Umstand, dass hoheitliches Verwaltungshandeln allein schon sprachlich nicht unter den Oberbegriff „Wirtschaftsleben“ subsumiert werden kann, ist den sonst unter diesem Begriff erfassten Einrichtungen gemeinsam, dass es sich um solche handelt, in welchen sich typischerweise Personen zur Erbringung einer Leistung zum Zwecke und mit dem Ziel der Erlangung einer Gegenleistung treffen. Es wäre in diesem Zusammenhang im höchsten Maße systemwidrig, wenn der Verordnungsgeber hoheitliches Handeln, das sich, wie ausgeführt, inhaltlich von synallagmatischen Geschäftsbeziehungen unterscheidet, im Rahmen ausschließlich solcher Geschäftsbeziehungen erfasst hätte.

bb) Angesichts des für die Existenz des Staates in seiner Gesamtheit unerlässlichen Funktionierens seiner Verwaltung liegt es ganz im Gegenteil nahe, dass der Verordnungsgeber den Umgang seiner Bürger mit der staatlichen Verwaltung bewusst (noch) nicht durch bußgeldbewehrte Einschränkungen pauschal reglementieren wollte. Mitarbeiter und Besucher staatlicher Behörden waren dem Infektionsrisiko durch das Coronavirus deswegen nicht schutzlos ausgeliefert, weil die Leiter der staatlichen Behörden kraft ihres Hausrechtes und unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse vor Ort jederzeit die Möglichkeit hatten, den Zugang zu ihren Einrichtungen zu reglementieren. Mit einer Bußgeldbewehrung musste dies nicht zwingend einhergehen. Dieses Ergebnis wird zumindest indiziell dadurch gestützt, dass der Verordnungsgeber in § 24 Abs. 1 Nr. 1 der ab 02.11.2020 geltenden 8. BayIfSMV eine weitergehende bußgeldbewehrte Maskenpflicht auf den Begegnungs- und Verkehrsflächen von öffentlichen Gebäuden oder öffentlich zugänglichen Gebäuden geschaffen hat, für die in dieser Verordnung ansonsten keine besonderen Regelungen vorgesehen waren. Für eine solche Regelung wäre kein oder kaum ein Anwendungsbereich verblieben, wenn Gebäude der öffentlichen Verwaltung bereits von dem im inhaltlich unverändert übernommenen § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 der 8. BayIfSMV genannten Begriff des Dienstleistungsbetriebs umfasst gewesen wären.“

Corona II: Judenstern mit Aufschrift „nicht geimpft“, oder: Keine Volksverhetzung

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Und als zweite Entscheidung zum „Corona-Komplex“ dann noch das OLG Braunschweig, Urt. v. 07.09.2023 – 1 ORs 10/23 – ebenfalls zur Volksverhetzung (§ 130 StGB).

Das AG hatte den Angeklagten mit Urteil v. 01.08.August 2022 von dem Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 3 StGB) freigesprochen. Das Amtsgericht hatte folgende Feststellungen getroffen:

„„Der Angeklagte postete am 18.11.2020 willentlich auf seinem Facebook-Profil unter dem Nutzernamen …. eine Abbildung mit einem gelbfarbenen sechseckigen Stern mit der Aufschrift „NICHT GEIMPFT“ auf hellblauem rechteckigen Hintergrund, der wiederum auf einem schwarzen Hintergrund mit der Überschrift „beginnen“ abgebildet war. Der Angeklagte war zuvor über die Internetsuchpräsenz Google auf die dort aufzufindende verfahrensgegenständliche Abbildung, die als Aufdruck für T-Shirts angeboten wurde, aufmerksam geworden und lud sie anschließend als Beitrag auf seinem Facebook-Profil hoch. Der Angeklagte wollte durch den Beitrag auf seinem Facebook-Profil auf sich aufmerksam machen und sich selbst und seine durch die zur Tatzeit geltenden Beschränkungen durch die Landesverordnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie geprägte Lebenssituation darstellen, obwohl ihm die Bedeutung des sogenannten „Judensterns“ aus dem Geschichtsunterricht bekannt war.

Im Nachgang zur Tat erhielt der Angeklagte ihn anfeindende Reaktionen über die Plattform Facebook, in denen er teilweise auch als „Nazi“ betitelt wurde. Der Angeklagte löschte den Beitrag mit dem „Judenstern“ kurze Zeit nach seiner verantwortlichen Vernehmung bei der Polizei am 18.08.2021. Im weiteren Verlauf wurde der Facebook-Auftritt des Angeklagten durch die Plattformbetreiber gesperrt.“

Dagegen die (Sprung)Revision der StA, die keinen Erfolg hatte. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze des OLG ein und verweise wegen der Begründung auf den Volltext:

1. Die Verwendung des „Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes „Jude“ durch die Wörter „nicht geimpft“ erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB nicht, da die Verpflichtung der Juden zum Tragen des Judensterns, die durch die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 1. September 1941 eingeführt wurde, für sich genommen noch keinen Völkermord im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB darstellt; die Kennzeichnung einer Gruppe ist juristisch von der „auf körperliche Zerstörung gerichteten lebensgefährlichen Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen“ zu trennen.

2. Die bloße Verwendung des „Ungeimpft-Sternes“ in einem – ggf. auch öffentlich zugänglichen – Facebook-Profil erfüllt ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB, da es an der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens fehlt.

3. Anschluss: KG, Urt. v. 11.05.2023 – (4) 121 Ss 124/22 (164/22); KG, Beschl. v. 13.02.2023 – (2) 121 Ss 140/22 (44/22); OLG Saarbrücken, Urt. v. 8.3.2021 – Ss 72/2020 (2/21)