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Corona II: Vorlage gefälschter COVID-19-Impfzertifikate, oder: (Allgemeine) Anforderungen an Beweiswürdigung

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Und als zweite (Aufarbeitungs)Entscheidung dann der BayObLG, Beschl. v. 30.05.2023 – 202 StRR 29/23. Das BayObLG nimmt Stellung zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung bei einer Verurteilung wegen Urkundenfälschung durch Vorlage gefälschter COVID-19 – Impfzertifikate. Die Ausführungen sind auch allgemein interessant.

Das AG hat die Angeklagte wegen Urkundenfälschung (Tatzeit: 29.11.2021) zu einer Geldstrafe  Euro verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Angeklagten hat das LG als unbegründet verworfen. Dagegen die Revision der Angeklagten, die Erfolg hatte:

„Die zulässige Revision ist weitgehend begründet und führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang. Die Überzeugung der Berufungskammer hinsichtlich der den Schuldspruch wegen Urkundenfälschung tragenden Feststellungen werden von den im Urteil mitgeteilten Beweistatsachen und der aus diesen gezogenen Folgerungen und dem Beweisergebnis nicht getragen.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Am Montag, den 29.11.2021 legte die Angeklagte in der A-Apotheke in Aschaffenburg einem/r dortigen Mitarbeiter/in einen auf ihren Namen lautenden angeblichen Impfausweis vor, in welchem sich eine gefälschte Dokumentation über zwei Schutzimpfungen gegen Covid-19 befand. Als angebliches Datum der Impfungen war der 11.10.2021 und der 15.11.2021 eingetragen. In der Rubrik ‚Handelsname und Chargennummer des Impfstoffes (Vignette)‘ befand sich jeweils ein Aufkleber mit dem angegebenen Impfstoff ‚Comirnaty®‘ und die Chargennummer ‚EX3599‘ (11.10.2021) bzw. ‚1D014A‘ (15.11.2021). In der Spalte ‚Art des Impfstoffs (z.B. mRNA, Vektor etc.)‘ war jeweils ‚mRNA‘ eingetragen. In der Rubrik ‚Unterschrift und Stempel des Arztes‘ befand sich jeweils der vorgebliche Arztstempel Dr. med. S. T., B.-Straße 22, Frankfurt a. Main‘ und die angebliche jeweilige Unterschrift des genannten Arztes. Bei dem von ihr in der Apotheke vorgelegten Impfpass handelte es sich – wie die Angeklagte wusste – um eine Totalfälschung. Der angebliche Aussteller der Impfbescheinigung, der Arzt Dr. med. S. T., hatte diese in Wahrheit nicht ausgestellt. Die Angeklagte war in dessen Arztpraxis nicht gegen Covid -19 geimpft worden. Durch die Vorlage des gefälschten Impfnachweises wollte die Angeklagte den/die Apothekenmitarbeiter/in über die angeblich durch den genannten Arzt dokumentierten, tatsächlich jedoch nicht durchgeführten und nicht von dem genannten Arzt bescheinigten Schutzimpfungen gegen Covid-19 täuschen, um ein digitales Impfzertifikat zu erlangen. Der/die Apothekenmitarbeiter/in schöpfte jedoch Verdacht, dass es sich bei dem von der Angeklagten vorgelegten angeblichen Impfausweis – der wie ein echter Impfausweis aussah – um eine Fälschung handelte und stellte kein digitales lmpfzertifikat aus.

2. Die Beweiswürdigung ist in entscheidenden Punkten rechtsfehlerhaft.

a) Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die Prüfung durch das Revisionsgericht ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht nur der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder überhöhte Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt wurden oder sich auf nichtexistierende Erfahrungssätze stützt (st.Rspr., vgl. zuletzt nur BGH, Urt. v. 23.03.2023 – 3 StR 277/22; 16.03.2023 – 4 StR 252/22; Beschl. v. 02.03.2023 – 2 StR 119/22, jew. bei juris; BayObLG, Urt. v. 16.12.2022 – 202 StRR 110/22 bei juris; 16.07.2021 – 202 StRR 59/21 = OLGSt StGB § 306 Nr 2; Beschl. v. 07.06.2022 – 202 ObOWi 678/22 = VerkMitt 2022, Nr 46 = NStZ-RR 2022, 318; 03.02.2022 – 202 StRR 11/22 = NStZ-RR 2022, 119, jew. m.w.N.).

b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Feststellungen zur inhaltlichen Unrichtigkeit des Impfausweises und zur Ausstellereigenschaft jedoch nicht gerecht. Die diesbezüglichen Ausführungen sind in mehrfacher Hinsicht lückenhaft.

aa) Die Berufungskammer stützt ihre Überzeugung zur Unrichtigkeit des Impfausweises im Wesentlichen darauf, dass nach den polizeilichen Ermittlungen das Verfallsdatum der Impfstoffe im ausgewiesenen Zeitpunkt der (angeblichen) Impfung jeweils bereits abgelaufen war, die Angeklagte bei dem Arzt, der nach dem Inhalt des Impfausweises die Impfung durchgeführt haben soll, nicht Patientin war und die Arztpraxis zu dem (angeblichen) Datum der zweiten Impfung geschlossen gewesen sei, was für sich genommen aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden wäre, weil die gezogenen Schlüsse nur möglich, nicht aber zwingend sein müssen (vgl. nur BayObLG, Beschl. v. 07.06.2022 – 202 ObOWi 678/22 a.a.O.). Allerdings leitet die Berufungskammer die entsprechenden Indizien ausschließlich aus der Verlesung eines polizeilichen Ermittlungsberichts her, ohne dass die Berufungskammer sich von deren Richtigkeit überzeugt hat. Es wird aufgrund der Urteilsgründe bereits nicht ersichtlich, wie die Ermittlungsbeamten zu diesen Ergebnissen gelangt sind, ob sie etwa auf der Befragung von Zeugen oder auf sonstigen Ermittlungshandlungen beruhen, sodass dem Revisionsgericht insgesamt die Nachprüfung verwehrt bleibt, ob die Beweiswürdigung, die nicht etwa der Ermittlungsbehörde, sondern dem Tatgericht obliegt, auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht (vgl. hierzu zuletzt BGH, Beschl. v. 20.12.2022 – 2 StR 232/21 bei juris = BeckRS 2022, 46863).

bb) Ungeachtet dessen konnten der oder die Beamten, die den in der Hauptverhandlung verlesenen Ermittlungsbericht gefertigt haben, ohnehin nur Zeugen vom Hörensagen sein, weil auszuschließen ist, dass sie die von der Berufungskammer zugrunde gelegten Indizien aufgrund eigener Wahrnehmung festgestellt haben, es vielmehr naheliegt, dass die Erkenntnisse aufgrund der Befragung von Beweispersonen erlangt wurden. Zwar verbietet die Strafprozessordnung nicht von vornherein die Verwertung derartiger Angaben. Allerdings kann nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Feststellung nur dann auf solche Angaben gestützt werden, wenn sie durch andere gewichtige Gesichtspunkte bestätigt werden (st.Rspr., vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 06.12.2022 – 4 StR 412/22 bei juris = BeckRS 2022, 45562; 24.02.2021 – 1 StR 489/20 bei juris = BeckRS 2021, 8266; 16.12.2020 – 4 StR 297/20 bei juris = NStZ-RR 2021, 78 = BGHR BtMG § 30 Abs 1 Nr 1 Beihilfe 1 = BeckRS 2020, 38057). Hierzu verhält sich das Berufungsurteil indes nicht. Es ist schon nicht erkennbar, ob und gegebenenfalls auf wessen Angaben die Ermittlungsergebnisse beruhen und warum die Auskunftsperson glaubhaft über die festgestellten Umstände berichten konnte. Indizien, die die Angaben stützen können, werden ebenfalls nicht mitgeteilt.

cc) Überdies wird die vom Landgericht zugrunde gelegte Feststellung, dass es sich bei den Eintragungen in dem Impfausweis über die Impfung gegen das SARS-CoV-2-Virus um eine Totalfälschung handelt, nicht beweiswürdigend belegt. Das Landgericht hat offensichtlich aus der inhaltlichen Unrichtigkeit der Eintragungen im Impfausweis ohne weiteres darauf geschlossen, dass sie nicht vom angeblichen Aussteller, also dem Arzt, stammen. Es hat damit der Überzeugungsbildung aber einen Erfahrungssatz zugrunde gelegt, den es nicht gibt (vgl. hierzu zuletzt BayObLG, Beschl. v. 03.02.2022 – 202 StRR 11/22 = NStZ-RR 2022, 119 = BeckRS 2022, 3282). Die Berufungskammer hat von vornherein ausgeblendet, dass gegebenenfalls der Arzt die nicht erfolgten Impfungen tatsächlich bescheinigt haben könnte. Diese Möglichkeit, die nach den Erfahrungen mit Blick auf zu Unrecht von Ärzten ausgestellte Atteste im Zusammenhang mit Befreiungen von der Verpflichtung zur Tragung eines Mund-Nasen-Schutzes keineswegs von vornherein fern liegt, zieht die Berufungskammer gar nicht in Erwägung.“

Corona I: Volksverhetzung und Corona-Impfpflicht, oder: Verharmlosen der NS-Verbrechen

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In die 30. KW. starte ich dann mit zwei Entscheidungen zu Corona/Covid-19. Beides sind „Aufarbeitungsentscheidungen“. Sie behandeln Fragen, zu den ich hier schon verschiedentlich Entscheidungen eingestellt habe.

Ich beginne mit dem KG, Urt. v. 13.02.2023 – (2) 121 Ss 140/22 (44/22) – zur Frage der Volksverhetzung durch Verharmlosen der NS-Verbrechen im Zusammenhang mit der Corona-Impfpflicht.

Das AG hatte den Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 StGB) freigesprochen, weil es die Eignung der Tat-handlung des Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht verneint hat. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft (Sprung-)Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Die Revision hatte Erfolg.

Das AG hatte folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

„Am 13.04.2021 befand sich der zu diesem Zeitpunkt 52 Jahre alte und in Oldenburg lebende Angeklagte mit Bekannten in Berlin, um an der angemeldeten Versammlung „Nein zum lfsG 28b“ im Bereich des Regierungsviertels teilzunehmen. Der Angeklagte und seine Begleiter erreichten den Versammlungsort allerdings erst am frühen Mittag, als die Versammlung bereits beendet war. Bei sich führte der Angeklagte insgesamt 17 Sticker in der Größe 11 × 7,5 cm, auf denen auf weißem Grund der in einen schwarzen Torbogen eingebrachte Schriftzug „IMPFUNG MACHT FREI“ zu sehen ist. Einen dieser Sticker klebte der Angeklagte im Bereich der …-Allee / Ecke …allee in … Berlin gegen 12:35 Uhr auf einen dort aufgestellten gläsernen Informationskasten. Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass der Schriftzug angelehnt war an den Spruch „Arbeit macht frei“, welcher während der NS-Zeit als Torbogenaufschrift an mehre-ren nationalsozialistischen Konzentrationslagern angebracht war, unter ande-rem auch in dem Lagerkomplex Auschwitz. Der Aufkleber ließ sich rückstands-los wieder entfernen.

Das KG sieht die Rechtsfrage anders als das AG und hat aufgehoben und zurückverwiesen. Nach seiner Auffassung hat das AG nicht genügende Feststellungen zu der Frage getroffen, um die Frage beurteilen zu können, ob eine Eignung der geschilderten Handlung des Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens zu Recht verneint worden ist:

„aa) Die Eignung zur Friedensstörung ist ein Tatbestandsmerkmal des § 130 Abs. 3 StGB, das zusätzlich zu der Äußerung hinzutreten muss und zu dem der Tatrichter die erforderlichen Feststellungen zu treffen hat (vgl. KG, Beschluss vom 30. Juli 2020 – [5] 161 Ss 74/20 [31/20] –, juris). Tatbestandlicher Erfolg ist die konkrete Eignung, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern oder das psychische Klima aufzuhetzen (vgl. Fischer, a. a. O., § 130 Rn. 13a m. w. N.). Dabei kommt es auf eine Gesamtwürdigung von Art, Inhalt, Form und Umfeld der Äußerung an (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 8. März 2021 – Ss 72/2020 [2/21] –, juris Rn. 23).

bb) Gemessen daran erweisen sich die von dem Amtsgericht getroffenen Feststellungen als lückenhaft.

(1) Dabei ist es allerdings entgegen der Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft noch nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht weder maßgeblich auf die Stimmungslage in der Bevölkerung noch auf die politische Situation zur Tatzeit abgestellt und insoweit auch keine Feststellungen getroffen hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, bei der hier in Rede stehenden Tatbestandsvariante des Verharmlosens einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art eigens festzustellen und nicht wie bei den anderen Varianten des Billigens oder Leugnens indiziert (vgl. BVerfG NJW 2018, 2861, 2862). Dem Begriff des öffentlichen Friedens ist da-nach im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG ein eingegrenztes Verständnis zugrunde zu le-gen, wobei der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ ebenso wenig ein Eingriffsgrund ist wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechts-bewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte (vgl. BVerfG, a. a. O.).  Äußerungen sind vielmehr erst geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, wenn sie ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgut-gefährdende Handlungen hin angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (vgl. BVerfG, a. a. O.).

Nach diesen Grundsätzen könnte die Berücksichtigung der Stimmungslage in der Bevölkerung und der politischen Situation zur Tatzeit lediglich dazu führen, in der Handlung des Angeklagten einen weiteren Beitrag zur Vergiftung des politischen Klimas zu sehen, nicht aber dazu, ihr einen unfriedlichen Charakter zu verleihen (vgl. OLG Saarbrücken, a. a. O.). Soweit dagegen in der Rechtsprechung teilweise (vgl. LG Aachen, Beschluss vom 18. August 2022 – 60 Qs 16/22 –, juris Rn. 46; LG Berlin, Beschluss vom 16. August 2022 – 544 Qs 72/22 –; LG Würzburg, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 1 Qs 80/22 –, juris Rn. 17; LG Köln, Beschluss vom 4. April 2022 – 113 Qs 6/22 –) vertreten wird, dass diese Umstände auch bei der Tatbestandsvariante des Verharmlosens maßgeblich in die Gesamtwürdigung einzustellen sind, vermag der Senat dem angesichts der aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu folgen.

(2) Das Amtsgericht hat es jedoch unterlassen, neben Art, Inhalt und Form auch im ausreichenden Maße das Umfeld der Äußerung des Angeklagten festzustellen.

So lassen sich dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend die örtlichen Gegebenheiten entnehmen, obwohl sich entsprechende Feststellungen insbesondere angesichts des Ortes der zuvor beendeten Versammlung im Bereich des Regierungsviertels aufgedrängt hätten. Es fehlen unter dem Aspekt der Herabsetzung von Hemm-schwellen vor allem Feststellungen dazu, ob sich der gläserne Informationskasten bereits innerhalb des befriedeten Bannkreises der Gesetzgebungsorgane des Bun-des und der Länder (§ 16 VersG) befand. Ferner verhält sich das angefochtene Urteil auch nicht dazu, inwieweit es in unmittelbarer Nähe des Tatorts Denkmäler oder Bauwerke gab, die – wie etwa Synagogen – im Hinblick auf den Schutzbereich des § 130 Abs. 3 StGB besonders sensibel sind (siehe auch § 15 Abs. 2 VersG).

Auch fehlen Feststellungen dazu, für welchen Personenkreis der Aufkleber auf dem nach den Urteilsgründen für Dritte ungehindert wahrnehmbaren gläsernen Informationskasten im konkreten Fall erkennbar war bzw. welche Personen bereits von ihm Kenntnis genommen haben (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020 – 205 StRR 240/20 –, juris). Insoweit hätte es ferner unter dem Aspekt der aggressiven Emotionalisierung auch Feststellungen dazu bedurft, ob es sich bei etwaigen umstehenden Personen um unbeteiligte Passanten oder etwa um ehemalige Demonstrationsteilnehmer handelte, die durch den Inhalt des Aufklebers hätten aufgewiegelt werden können. In diesem Fall wären auch Feststellungen zum Ablauf und zur „Friedlichkeit“ der zuvor beendeten Versammlung und zum diesbezüglichen Vorstellungsbild des Angeklagten zu treffen gewesen…..“

Den Rest der Entscheidung des KG dann bitte selbst lesen.

StGB II: Polizei-SS-Vergleich als Bildmontage bei FB, oder: Verfassungswidrige Kennzeichen/Beleidigung

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Und als zweite Entscheidung im heutigen Kontext dann das OLG Hamm, Urt. v. 27.06.2023 – 4 ORs 46/23.

Das AG hat den Angeklagten wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Tateinheit mit Beleidigung verurteilt.  Die gegen dieses Urteil form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat das LG mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte wegen Verstoßes gegen das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie verurteilt worden ist.

Zur Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte veröffentlichte am 19.11.2020 gegen 20:24 Uhr in A auf seiner öffentlich einsehbaren Facebook-Seite eine Bildmontage, um seiner kritischen Meinung gegenüber der Corona-Politik der Bundesrepublik Ausdruck zu verleihen. Diese Bildmontage ist überschrieben mit „…“wes Brot ich ess, des Lied ich sing“, war so, ist so, und bleibt auch so! … Ich führe nur [es folgt die Bildmontage, Anm. des Unterzeichners] Befehle aus“. Außerdem beinhaltet dieser Post zwischen den Worten „Ich führe nur“ und „Befehle aus“ eine Bildmontage, welche halbseitig ein Foto des SS-Obersturmbandführers J. H. in Uniform, mit „Totenkopfemblem“ an der Mütze und mit der „Doppel -Siegrune“ auf dem Kragen und auf der anderen Seite den uniformierten Adhäsionskläger und Zeugen Polizeihauptmeister B. zeigt. Der Angeklagte, der diese Fotomontage aus dem Internet entnommen hat, hat dabei die naheliegende Möglichkeit erkannt, dass der Zeuge B. keine Einwilligung zur Verwendung seines Bildnisses erteilt hat und nahm dies jedenfalls billigend in Kauf.

Nachdem dem Angeklagten bekannt wurde, dass gegen ihn strafrechtliche Ermittlungen wegen dieses Posts geführt werden, hat er den Post am 14.10.2021 gelöscht und ein Entschuldigungsschreiben auf seiner Facebookseite veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: „Das in diesem Beitrag von mir geteilte Bild (aus Unkenntnis der Rechtslage), verstößt gegen den § 86a StGB […] Bedauerlicherweise wurde es von Facebook gelöscht, daher entferne ich es heute am 14. Oktober 2021 selber“. („Auslassungen“ durch den Unterzeichner).“

Dagegen die Revision der StA und auch des Angeklagten. Nur die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

Das OLG führt zum Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a 1 Nr. 1 StGB aus:

„a) Das Landgericht hat zu Unrecht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a 1 Nr. 1 StGB verneint.

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei der auf dem Kragen des halbseitig abgebildeten SS-Obersturmbandführers J. H. befindlichen Sig-Rune in ihrer doppelten Darstellung um ein Kennzeichen im Sinne des § 86a StGB (vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil v. 12. September 2005 – 1 Ss 58/05; OLG Bamberg, Urteil v. 18. September 2007 – 2 Ss 43/07; Paffgen/Klesczewski in NK-StGB, 6. Aufl. 2023, StGB, § 86a, Rn. 10). Dieser Doppel Sig-Rune hat sich die „Schutzstaffel“ (SS) der NSDAP bedient und sie verkörpert die Zugehörigkeit zu dieser Organisation.

Auch bei dem auf der Mütze des SS-Obersturmbandführers J. H. befindlichen Totenkopf handelt es sich um ein Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Sinne des § 86a StGB. Mit seinem stark ausgeprägten Kiefer mit zwei vollständig großen Zahnreihen sowie den Schädelöffnungen im Bereich der Augen und der Nase stellt er das spezifische Totenkopfsymbol, das Uniformabzeichen der SS-Verbände der NSDAP und damit ein verfassungswidriges Kennzeichen dar (vgl. OLG Jena, Urteil v. 1. Juni 2006 – 1 Ss 79/06 in BeckRS 2006, 9085).

Durch das „Posten“ auf seinem Facebook-Profil, das nach den – nicht zu beanstandenden – Feststellungen des Landgerichts öffentlich und für jedermann einsehbar war, hat der Angeklagte dieses Bild wissentlich und willentlich für eine nicht überschaubare Anzahl von Personen wahrnehmbar gemacht und somit im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB verwendet.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts unterfällt die verwendete Fotomontage auch dem Schutzzweck des § 86a StGB. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs richtet sich die Vorschrift des § 86a StGB gegen eine Wiederbelebung verfassungswidriger Organisationen und der von ihnen verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist. Es soll bereits jeder Anschein vermieden werden, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es eine rechtsstaatswidrige politische Entwicklung in dem Sinne, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen in der durch das Kennzeichen symbolisierten Richtung geduldet werden (vgl. BGH, Urteil v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06 in NJW 2007,1602). § 86a StGB soll auch verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (BGH, a.a.O.).

Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die weite Fassung des § 86a StGB eine Restriktion des Tatbestands in der Weise erfordert, dass solche Handlungen, die dem Schutzzweck der Norm eindeutig nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken, nicht dem objektiven Tatbestand unterfallen (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2008 – 3 StR 164/08; BGH, Urteil v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06, zitiert nach juris). Dies ist für Fälle anerkannt, in denen das Kennzeichen in einer Weise dargestellt wird, die offenkundig gerade zum Zweck der Kritik an der verbotenen Vereinigung oder der ihr zu Grunde liegenden Ideologie eingesetzt (vgl. BGH, Urteil v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06, zitiert nach juris) oder erkennbar verzerrt, etwa parodistisch verwendet wird (vgl. BGH, Urteil v. 14. Februar 1973 – 3 StR 3/72 in NJW 1973, 766 f.). Mit dieser Rechtsprechung wird einerseits dem Anliegen, verbotene Kennzeichen grundsätzlich aus dem Bild des politischen Lebens zu verbannen, andererseits den hohen Anforderungen, die das Grundrecht der freien Meinungsäußerung an die Beurteilung solcher kritischen Sachverhalte stellt, Rechnung getragen (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2008 – 3 StR 164/08 in NStZ 2009, 88 ff.).

Unter Zugrundelegung dessen handelt es sich vorliegend nicht um einen Ausnahmefall der zulässigen Verwendung verbotener Kennzeichen.

Aus Sicht eines objektiven Betrachters ist die Fotomontage in Form einer halbseitigen Abbildung des Adhäsionsklägers in Uniform und einer halbseitigen Abbildung des SS-Obersturmbandführers J. H. mit der Überschrift „Ich führe nur Befehle aus“ als Protest gegen das polizeiliche Handeln zu verstehen. Durch die Zusammenfügung der beiden Fotos zu einem Foto wird zum Ausdruck gebracht, dass das Handeln der heutigen Polizei an die Methoden der SS erinnere und das Vorgehen der Polizei mit den Methoden des NS-Staats vergleichbar sei.

Zweck der Fotomontage war eine Kritik an der Polizei. Es ging demnach nicht um eine Kritik an der verbotenen Vereinigung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sollen jedoch nur solche Handlungen nicht vom Tatbestand des § 86a StGB erfasst werden, in denen das Kennzeichen offenkundig gerade zum Zweck der Kritik an der verbotenen Vereinigung oder der ihr zu Grunde liegenden Ideologie eingesetzt wird. Dies ist – wie ausgeführt – vorliegend nicht der Fall.

Zudem wird durch den Vergleich der heutigen Polizei mit der SS das von der SS begangene Unrecht relativiert, weil Organisation und Handlungen der Polizei in keiner Weise mit denjenigen des verbrecherischen Nazi-Regimes und insbesondere auch der SS vergleichbar sind. Das Handeln der SS, welches untrennbar mit der Massenvernichtung von Juden verbunden ist, wird durch den Vergleich mit dem Handeln der Polizei verharmlost und das von der SS begangene schwerste Unrecht in keiner Weise als solches anerkannt.

Da vorliegend keine der von dem Bundesgerichtshof entwickelten Fallgruppen der Tatbestandsrestriktion eingreift, ist der Tatbestand des § 86a StGB erfüllt. Die vorliegende Verwendung der Kennzeichnung ist gerade das, was die Vorschrift des § 86a StGB verhindern soll, denn sie soll einer Gewöhnung an bestimmte Kennzeichen zuvorkommen, indem diese aus allen Kommunikationsmitteln verbannt werden (sogenanntes „kommunikatives Tabu“).“

Das OLG hat auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB bejaht. Insoweit und wegen der Revision des Angeklagten verweise ich auf den Volltext.

Corona II: Vorlage eines gefälschten Impfpasses, oder: Was ist für „Urkundenfälschung“ festzustellen?

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In der zweiten Entscheidung, dem  BayObLG, Beschl. v.  31.05.2023 – 207 StRR 294/22 – geht es nicht um eine materiellen Frage, sondern um die Frage nach dem erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen.

Das AG hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung („Gebrauchen einer unechten Urkunde“) verurteilt Nach den dort getroffenen Feststellungen habe der Angeklagte am 26.10.2021 in einer Apotheke einen, wie er wusste, manipulierten Impfpass vorgelegt, aus welchem hervorging, dass er vollständig gegen das SARS-COV2-Virus geimpft sei. Tatsächlich sei der Angeklagte, wie er wusste, nicht mit den angegebenen Impfstoffen geimpft gewesen. Durch die Vorlage habe er ein digitales Impfzertifikat erhalten wollen. In den Urteilsgründen ist weiter ausgeführt, dass der Impfpass mit enthaltenem Stempel der Arztpraxis und Unterschrift zusammen mit den eingeklebten C.-Aufklebern eine unechte (zusammengesetzte) Urkunde darstelle, die der Angeklagte durch deren Vorlage in der Apotheke auch gebraucht habe.

Gegen die Verurteilung hat der Angeklagte (Sprung-)Revision eingelegt, u. a. mit dem Ziel des Freispruchs. Das BayObLG hat wegen nicht ausreichender Feststellungen aufgehoben:

„1. Das zulässige Rechtsmittel hat einen mindestens vorläufigen Erfolg, weil die getroffenen Feststellungen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Urkundenfälschung nach § 267 StGB entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft nicht tragen (§ 349 Abs. 4 StPO).

a) Zwar wurde die Anwendung des 267 StGB zur Tatzeit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht durch §§ 277, 279 StGB a. F. gesperrt (BGH, Urteil vom 10.11.2022, 5 StR 283/22, BeckRS 2022, 31209, dort Rdn. 34 ff.).

b) Das Urteil leidet jedoch an durchgreifenden Darstellungsmängeln, weil die Feststellungen des Amtsgerichts lückenhaft und unklar sind und damit dem Senat bereits nicht die revisionsgerichtliche Überprüfung ermöglichen, ob der Angeklagte – wie vom Amtsgericht angenommen – den Tatbestand der Urkundenfälschung in der Tatmodalität des Gebrauchmachens von einer unechten oder verfälschten Urkunde i.S.v. 267 Abs. 1 3. Alt. StGB erfüllt hat (vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt BayObLG, Beschluss vom 22.07.2022, 202 StRR 71/22, zitiert nach juris, m. w. N.).

aa) Nach 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen, mitteilen, in dem die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies muss in einer geschlossenen Darstellung aller äußeren und jeweils im Zusammenhang damit auch der dazugehörigen inneren Tatsachen in so vollständiger Weise geschehen, dass in den konkret angeführten Tatsachen der gesetzliche Tatbestand erkannt werden kann; denn nur dann kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge prüfen, ob bei der rechtlichen Würdigung eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, vgl. zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 08.03.2022, 1 StR 483/21, zitiert nach juris, dort Rdn. 6).

bb) Die Urteilsfeststellungen des Amtsgerichts belegen bereits nicht, ob es sich bei dem gegenständlichen Impfpass überhaupt um eine Urkunde im Sinne des 267 Abs. 1 StGB handelte. Eine Urkunde setzt das Vorhandensein einer verkörperten Gedankenerklärung voraus, die zum Beweis bestimmt und geeignet ist und einen Aussteller erkennen lässt (vgl. Fischer, StGB, 70. Aufl., § 267 Rdn. 3 m. w. N.). Keines dieser Merkmale kann den Urteilsgründen zuverlässig entnommen werden. Der Impfpass und die Eintragungen darin werden anlässlich der Feststellung des strafbaren Sachverhalts überhaupt nicht und auch später nur unzureichend beschrieben. Das tatrichterliche Urteil stellt nicht fest, welchen Inhalt die offenbar in den Impfausweis eingeklebten Impfnachweise im Einzelnen hatten und wer im Zusammenhang mit der angeblichen Impfung der Aussteller der Impfbescheinigung ist.

cc) Es kann nach diesen Feststellungen auch nicht beurteilt werden, ob der Angeklagte mit der Vorlage des Impfpasses von einer unechten oder verfälschten Urkunde Gebrauch gemacht hat.

Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der in ihr als Aussteller bezeichnet ist. Entscheidendes Kriterium für die Unechtheit ist die Identitätstäuschung: Über die Person des wirklichen Ausstellers wird ein Irrtum erregt; der rechtsgeschäftliche Verkehr wird auf einen Aussteller hingewiesen, der in Wirklichkeit nicht hinter der in der Urkunde verkörperten Erklärung steht. Nicht tatbestandsmäßig ist dagegen die Namenstäuschung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Aussteller nur über seinen Namen täuscht, nicht aber über seine Identität (BGH, Beschluss vom 19.11.2020, 2 StR 358/20, zitiert nach juris, dort Rdn. 18). Nachdem das Amtsgericht aber schon nicht mitteilt, wer nach den Eintragungen im Impfpass der Aussteller ist, unterbleiben auch die gebotenen Feststellungen dazu, ob nicht gegebenenfalls die Urkunde von dem Aussteller, sollte ein solcher ersichtlich sein, tatsächlich erstellt wurde. Eine Beweiswürdigung zu dieser für die rechtliche Einstufung der Urkunde als unecht maßgeblichen Frage findet schon gar nicht statt. Denn sollte ein aus dem Impfpass ersichtlicher Aussteller die Eintragung vorgenommen haben, würde es sich um eine echte Urkunde handeln, deren Gebrauch nicht nach § 267 Abs. 1 3. Alt. StGB strafbar wäre. Auch ist auf dieser Grundlage nicht ausgeschlossen, dass nur eine (nicht strafbare) „schriftliche Lüge“ vorliegt (vgl. zu solchen Konstellationen Senat, Beschluss vom 22.05.2023, 207 StRR 239/22).

Den Ausführungen des Amtsgerichts kann schließlich auch nicht sicher entnommen werden, ob eine unechte Urkunde vorlag oder es sich um eine Verfälschung einer ursprünglich echten Urkunde handelte. Eine Verfälschung liegt in der inhaltlichen Veränderung der gedanklichen Erklärung einer ursprünglich echten Urkunde (vgl. BGH, Beschluss vom 21.09.1999, 4 StR 71/99, zitiert nach juris, dort Rdn. 19), was nur dann der Fall sein kann, wenn die Urkunde von dem aus ihr hervorgehenden Aussteller stammte; eine solche käme etwa in Betracht, wenn in einen „echten“ Impfpass zusätzliche Impfungen eingetragen werden.“

Corona I: Maskenbefreiungsattest ohne Untersuchung, oder: „Generelle Vorbehalte“ reichen nicht

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Und in die neue Woche geht es dann mit zwei Entscheidungen zu Corona. Es handelt sich um „Aufarbeitungsentscheidungen“. Beide stammen vom BayObLG.

Zunächst hier der BayObLG, Beschl. v. 05.06.2023 – 206 StRR 76/23. Auszugehen war im Wesentlichen von folgenden Feststellungen.

Der Angeklagte, selbständiger Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, der eine gynäkologische Praxis betriebt, steht den Infektionsschutzmaßnahmen, die sowohl von Seiten des Bundes als auch des Landes Bayern aufgrund der seit Anfang 2020 bestehenden Pandemie erlassen wurden, kritisch gegenüber. Ab Juni 2020 begann der Angeklagte, sogenannte Maskenbefreiungsatteste auszustellen. Ihm kam es bei der Ausstellung einer ärztlichen Bescheinigung nicht darauf an, dass der um ein Attest nachsuchende Patient unter aktuellen Beschwerden aufgrund des Tragens einer Infektionsschutz-Maske litt. Er vertrat die Ansicht, dass das Tragen einer Schutzmaske generell als gesundheitsgefährdend einzuschätzen sei. Auf einen persönlichen Kontakt mit den Antragstellern oder eine medizinische Untersuchung vor Ausstellung des Attestes kam es dem Angeklagten nicht an. Er erteilte sowohl Atteste nach einem persönlichen Gespräch als auch auf telefonische Anfrage und auf schriftliche Anfragen (einschließlich per E-Mail). Insgesamt stellte der Angeklagte (im Zeitraum von Juni 2020 bis 16.12.2020) 1096 Maskenbefreiungsatteste aus. Neben seinem Namen, seiner beruflichen Qualifikation sowie Name und Geburtsdatum des Patienten enthielten die Atteste den Text, dass die jeweilige Person „aus schwerwiegenden med. Gründen von der Gesichtsmaskenpflicht befreit“ sei, alternativ, dass es für den Patienten „aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar“ sei, eine Mund-Nasenbedeckung bzw. eine sog. Alltagsmaske oder ein Faceshield zu tragen. Teilweise enthielten die Atteste Diagnosen mit den üblichen medizinischen Kürzeln. Teilweise fanden sich noch Ausführungen über die Drittwirkung von Grundrechten, die die Patienten zur Teilnahme an gesellschaftlichem Leben berechtigen würden. Des Weiteren fanden sich Ausführungen zu Art. 3 des Grundgesetzes. Einen Hinweis darauf, dass das Attest ohne persönliche Untersuchung ausgestellt worden war, enthielt keines der Atteste.

Verurteilt worden ist der Angeklagte vom AG und dann auch vom LG wegen Ausstellens von unrichtigen Gesundheitszeugnissen (§ 278 StGB). Dagegen die Revision, die zum Teil Erfolg. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den velinkten Volltext. Hier sollen die Leitsätze reichen, und zwar:

    1. Ärztliche Atteste sind gem. § 278 StGB unrichtig, wenn sie ohne persönliche Untersuchung ausgestellt werden, obwohl keine besonderen Umstände vorliegen, die dies ausnahmsweise rechtfertigen könnten.
    2. Eine ärztliche Bescheinigung, die während der Covid 19-Pandemie zu dem Zweck der Glaubhaftmachung ausgestellt wurde, der betreffenden Person sei das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar, ist unrichtig, wenn sie sich nicht auf durch eine Untersuchung festgestellte individuelle gesundheitliche Besonderheiten, sondern lediglich auf generelle Vorbehalte gegen das Tragen von Gesichtsmasken stützte.
    3. Wird die Strafbarkeit wegen Ausstellens eines unrichtigen Maskenbefreiungsattestes zum Gebrauch bei einer Behörde nach § 278 StGB a.F. damit begründet, das Attest sei zur Vorlage bei einer Schulbehörde während der Covid-19 Pandemie gedacht gewesen, um von der in der Schule bestehenden Pflicht zum Tragen von Masken befreit zu werden, bedarf es der Feststellung, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung des Attestes eine Maskenpflicht auf dem Schulgelände bestand oder mit der Anordnung einer solchen gerechnet wurde.