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Strafzumessung III: Verschlechterungsverbot, oder: Geltung auch für Einzelstrafen/Einziehungsentscheidung

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Und die dritte Entscheidung des Tages, der BGH, Beschl. v. 22.10.2019 – 1 StR 434/19 – hat auch mit Strafzumessung zu tun. In ihm geht es um eine Verletzung des Verschlechterungsverbotes (§§ 331, 358 StPO).

Das LG hatte den Angeklagten in einem ersten Rechtsgang wegen sieben Fällen der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem hatte es sichergestelltes Bargeld und den Wert von Taterträgen eingezogen. Dieses Urteil hat der BGH auf Revision des Angeklagten mit den zugehörigen Feststellungen in drei Fällen im Schuldspruch, im gesamten Strafausspruch sowie in den gesamtschuldnerischen Einziehungsanordnungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen (Beschl. v. 20.09.2018 – 1 StR 316/18). Im zweiten Rechtsgang hat das LG dann eine Tat nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und den Angeklagten über den rechtskräftigen Schuldspruch hinaus wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen verurteilt. Zudem hat es alle Einzelstrafen neu zugemessen, eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten gebildet und die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet.

Dagegen die (erneute) Revision des Angeklagten, die einen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) hatte:

„1. Das Landgericht hat gegen das Verschlechterungsverbot verstoßen, indem es im Fall D.II. der Urteilsgründe (vormals Fall B.7.) eine Einzelstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verhängt hat. Im ersten Rechtsgang hatte die Strafkammer für diese Tat eine Einzelstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten festgesetzt. Das Verschlechterungsverbot gilt auch für die Einzelstrafen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2002 – 1 StR 313/02 Rn. 21, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 12; KK-Paul, 8. Aufl., § 331 Rn. 3 mwN). Daher war – wie auch vom Generalbundesanwalt beantragt – der Strafausspruch im Fall D.II. der Urteilsgründe aufzuheben. Der Senat hat die Freiheitsstrafe indes nicht auf das gesetzliche Mindestmaß von einem Jahr (§ 29a Abs. 1 BtMG), sondern entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf zwei Jahre und sechs Monate herabgesetzt. Denn das Landgericht hätte ohne den Rechtsfehler nicht auf eine niedrigere als die in dem früheren Urteil verhängte Einzelstrafe erkannt.

Um jede Beschwer des Angeklagten auszuschließen, hat der Senat die vom Landgericht verhängte Gesamtfreiheitsstrafe um das geminderte Maß der Einzelstrafe, also um drei Monate herabgesetzt (vgl. zu dieser Verfahrensweise BGH, Beschluss vom 10. Mai 2001 – 4 StR 113/01 Rn. 4).

2. Das Landgericht hat mit seiner Einziehungsentscheidung ebenso wenig das Verschlechterungsverbot beachtet.

a) Das erste Tatgericht hatte 44.295 Euro Bargeld sowie dem Wert nach 63.205 Euro als Taterträge eingezogen. Den Gesamtbetrag in Höhe von 107.500 Euro hat das Landgericht zwar formal unterschritten, indem es allein die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 68.000 Euro angeordnet hat. Diese Anordnung verstößt hier aber gleichwohl gegen § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO, auch wenn bei der Prüfung eine Gesamtschau der jeweils verhängten Rechtsfolgen geboten ist (vgl. zu Letzterem BGH, Beschluss vom 11. November 1970 – 4 StR 66/70, BGHSt 24, 11, 14; KK-Paul, 8. Aufl., § 331 Rn. 4; LR/Gössel, StPO, 26. Aufl., § 331 Rn. 32). Der Angeklagte und die mit ihm als Gesamtschuldnerin haftende Nichtrevidentin D. hatten in der ersten Hauptverhandlung auf die Herausgabe des Bargelds verzichtet. Dessen Einziehung im früheren Urteil nach § 73 Abs. 1 StGB war daher zumindest entbehrlich (vgl. näher BGH, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 3 StR 307/18, BGHSt 63, 314 Rn. 6 ff.; Beschluss vom 20. März 2019 – 3 StR 67/19 Rn. 6 ff. mwN). Infolge ihres unwiderruflichen Verzichts erhalten der Angeklagte und die Nichtrevidentin D. das Bargeld – mag es den neuen Feststellungen zufolge auch nicht durch die angeklagten Taten erlangt sein – nicht zurück (vgl. auch UA S. 34 f.). Die wirtschaftliche Belastung verbleibt ihnen also selbst ohne förmliche Einziehung des Bargelds. Deren Anordnung im früheren Urteil ist deshalb beim Vergleich der Rechtsfolgen hinwegzudenken. Maßgeblich ist allein die ursprünglich geringere Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c Satz 1 StGB; vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 – 1 StR 591/18 Rn. 13).

Der damit verbundene Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot entfällt nicht durch dem Vollstreckungsverfahren vorbehaltene Anordnungen (vgl. LR/Gössel, StPO, 26. Aufl., § 331 Rn. 36), wie sie hier nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO in Betracht kommen.

b) Der Betrag, den das erste Tatgericht als den Wert von Taterträgen eingezogen hatte (63.205 Euro), ist zudem um weitere 30.000 Euro zu mindern. Ein solcher Abzug entspricht dem damals festgestellten Wert der Taterträge im aufgehobenen Fall B.6. der ersten Urteilsgründe. Diese Tat hat das Landgericht nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Insoweit war eine Einziehung im hiesigen Verfahren nicht mehr möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2018 – 1 StR 326/18 Rn. 7) und ist auch nicht erfolgt (§ 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO; UA S. 35). Der nach § 358 Abs. 2 StPO zulässige Einziehungsbetrag bei den verbliebenen Taten, an denen das – tatbezogene (vgl. LR/Gössel, StPO, 26. Aufl., § 358 Rn. 11 mwN) – Verschlechterungsverbot zu messen ist, verringert sich indes um jene 30.000 Euro, die im ersten Rechtsgang noch auf die eingestellte Tat entfallen waren. Dafür spricht auch, dass insoweit die selbständige Einziehung vorgesehen ist, die einem etwaigen eigenen Verfahren vorbehalten ist (§ 76a Abs. 3 StGB, § 435 StPO). Diese Regelungen schränken das Verschlechterungsverbot nicht etwa ihrerseits ein (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2019 – 5 StR 387/18, BGHSt 64, 48 Rn. 18 ff. mwN).

c) Der Senat hat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO den Einziehungsausspruch auf den zulässigen Höchstbetrag von 33.205 Euro reduziert. Eine solche Korrektur ist auch bei der Nichtrevidentin D. veranlasst. Sie ist ebenso wie der Angeklagte von dem Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot betroffen, der in den Anwendungsbereich von § 357 Satz 1 StPO fällt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2000 – 2 StR 171/00 Rn. 7 mwN).“

EV III: (Keine) Akteneinsicht für Nebenklägerin, oder: Aussage-gegen-Aussage-Konstellation

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Und die dritte Entscheidung, der OLG Celle, Beschl. v. 13.08.2019 – 3 Ws 243/19, den mir der Kollege Lorenzen aus Bremen gesandt hat, behandelt eine Problematik, die in der Praxis immer wieder eine (große) Rolle spielt, nämlich: Akteneinsicht für Nebenkläger und/oder deren Versagung, vor allem in den Fällen der Aussage-gegen-Aussage Konstellation..

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern. Hier hatte die Vertreterin der Nebenklägerin Beschwerde gegen eine Entscheidung der Vorsitzenden der Jugendschutzkammer, mit welcher ihr Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht nach Maßgabe von § 406e Abs. 2 StPO mit der Begründung versagt worden war, die Akteneinsicht gefährde vor dem Hintergrund der jedenfalls in einzelnen Fällen vorliegenden Aussagegegen-Aussage-Konstellation den Untersuchungszweck und sei zum Vermeiden einer Beeinflussung von Zeugen daher geboten.

Das OLG hat die Entscheidung der Vorsitzenden der Jugendschutzkammer bestätigt:

„Die Entscheidung der Vorsitzenden der Jugendschutzkammer, der Nebenklägerin Akteneinsicht zu versagen, ist nicht zu beanstanden. Nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO kann die Akteneinsicht versagt werden, soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint. Nach überwiegender Auffassung ist dies insbesondere der Fall, wenn durch die Aktenkenntnis eines resp. einer Verletzten etwa bei Vorliegen einer Aussagegegen-Aussage-Konstellation eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung zu besorgen ist (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 62. Aufl., § 406e Rn. 12 m.w.N.). Die Entscheidung, ob Akteneinsicht verweigert wird, soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint, erfolgt hierbei im pflichtgemäßen Ermessen, wobei der Gesetzgeber dem für die Entscheidung Zuständigen einen weiten Entscheidungsspielraum eröffnet hat (BGH HRRS 2005, Nr. 367) und es hierbei bereits genügen kann, dass nur schwache Anhaltspunkte für eine mögliche Gefährdung vorliegen (LR-Hilger, StPO 26. Aufl., § 406e Rn. 12 m.w.N.). Bei Vorliegen einer Aussagegegen-Aussage-Konstellation kann das Ermessen des Gerichts bereits auf Null reduziert sein (OLG Hamburg NStZ 2015,105 mit zust. Anmerkung von Radtke, NStZ 2015, 108; KK-StPO-Zabek, 8. Aufl., § 406e StPO Rn. 7). Die Gründe der angefochtenen Entscheidung zeigen, dass die Vorsitzende sich des anzulegenden Beurteilungsmaßstabs bewusst war und dass sie sich hierbei innerhalb des ihr zustehenden, weiten Ermessens- und Entscheidungsspielraums bewegt hat. Dass die Entscheidung der Vorsitzenden eher knapp begründet ist, könnte seine Rechtfertigung in der Regelung des § 406e Abs. 4 Satz 5 StPO finden.

Im Hinblick auf die Möglichkeit einer nur teilweisen Akteneinsicht hat die Vorsitzende im Rahmen ihrer Nichtabhilfeentscheidung zutreffend darauf hingewiesen, dass die vier mutmaßlich Geschädigten nach Aktenlage in Kontakt stehen und sich miteinander austauschen. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Zuschrift ausgeführt, dass auch eine Einsicht nur in bestimmte teile der Akten, die den Untersuchungszweck nicht gefährden würde, wegen der fehlenden Bereitschaft der Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zur Abgabe einer Versicherung, mit der Beschwerdeführerin den Akteninhalt nicht zu erörtern, weder möglich noch in praktischer Hinsicht durchführbar sei. Dieser Einschätzung schließt der Senat sich an.“

Das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens, oder: Ein Überblick – 10 Punkte

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Am 13.12.2019 ist das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019“ (vgl. BGBl I, S. 2121) in Kraft getreten. Dieses hat sich vor allem die Verfahrensbeschleunigung auf die Fahnen geschrieben; ich hatte darüber ja hier auch berichtet.

Heute will ich in einem Überblick noch einmal kurz die wichtigsten Änderungen der „Modernisierung“ – auf ein solches Etikett kann man wohl nur kommen, wenn man in einem Minsterium sitzt – vorstellen.. Geändert hat sich Folgendes:

1. Erweiterung der Aufzeichnung der Vernehmung von Zeugen in Bild und Ton (§ 58a StPO)

Bislang sah die StPO in § 58a Abs. 1 StPO nur bei bestimmten schweren Straftaten (vgl. § 255a Abs. 2 StPO) die audiovisuelle der richterlichen Vernehmung von Kindern und Jugendlichen im Ermittlungsverfahren vor. Das ist in § 58a Abs. 1 Satz 2 StPO erweitert worden auf erwachsene Opfer von Sexualstraftaten, und zwar zwingend immer dann, wenn so schutzwürdige Interessen besser gewahrt werden können und der Betroffene damit einverstanden ist.

2. Erweiterung der Möglichkeiten der DNA-Analyse

In der Vergangenheit durfte im Rahmen eine sog. DNA-Analyse (§ 81e StPO) nur der genetische Fingerabdruck, die Abstammung und das Geschlecht bestimmt und die gewonnenen Daten mit Vergleichsmaterial abgeglichen werden. Das ist in § 81e Abs. 2 Satz 1 StPO erweitert worden. Es dürfen jetzt DNA-Spuren untersucht werden, um Rückschlüsse auf Hautfarbe, Augenfarbe, Haarfarbe und Alter der gesuchten Person ziehen zu können. Dadurch solle ein mutmaßlicher Täter leichter identifiziert werden können.

3. Erweiterung der Telekommunikationsüberwachung auf den sog. Wohnungseinbruchdiebstahl (§§ 100a Abs. 1 StPO; 244 Abs.- 4 StGB)

Bisher war eine Telefonüberwachung nur in den Fällen des Bandendiebstahls (§ 244a Abs. 1 Nr. 2 StGB) und der schweren Bandendiebstahls nach § 244a StGB zulässig (§ 100a Abs. 1 Nr. 2 j StPO a.F.), also bei (potentieller) Tatbegehung durch Einbrecherbanden möglich. Das ist erweitert worden auf die Fälle des Wohnungseinbruchsdiebstahls in Privatwohnungen (§ 244 Abs. 4 StGB). Diese Erweiterung des Katalogs des § 100a Abs. Nr. 2 StPO gilt nicht nur für die „normale“ Telefonüberwachung, sondern auch für die sog. Quellen-TKÜ (§ 100a Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO bzw. für den sog. IMSI-Catcher (§ 100i StPO), so dass ggf. auch Nachrichten über MessengerDienste direkt auf dem Handy mitgelesen werden können.

4. Vorabentscheidungsverfahren über Besetzungsrügen (§§ 222a, 22b StPO)

Das Verfahren betreffend Besetzungsrügen (§§ 222a, 222b StPO) ist verschärft worden. Das LG/OLG muss die Besetzungsmitteilung jetzt förmlich an den Verteidiger zustellen. Der muss dann seinen Einwand, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt, innerhalb einer Woche erhoben werden. Sieht das LG/OLG die Besetzungsrüge als nicht begründet an, ist in § 222b Abs. 3 StPO ein Vorabentscheidungsverfahren eingeführt worden. Über die Besetzungsrüge entscheidet nun – „vorab“ das OLG bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem LG bzw. der BGH bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem OLG. Diese Entscheidung ist abschließend. Wird die Besetzungsrüge nicht erhoben, ist der Angeklagte in der Revision mit Besetzungsfragen – mit Ausnahme der in § 338 Nr. 1 StPO genannten Fälle – präkludiert. Durch diese Änderungen, die insbesondere den auswärtigen Verteidiger wegen der kurzen Wochenfrist unter erheblichen Zeitdruck setzen, will man erreichen, dass nicht erst im Revisionsverfahren über die Rechtmäßigkeit der Besetzung des Gerichts entschieden und ein Urteil ggf. wegen falscher Besetzung aufgehoben wird.

5. Verschärfungen im Befangenheitsrecht (§§ 26 ff. StPO)

Das Ablehnungsverfahren ist an zwei Stellen verschärft worden:

Befangenheitsanträge müssen in Zukunft nach Möglichkeit schon vor der Hauptverhandlung geklärt werden. Der Verteidiger ist nämlich verpflichtet, einen Befangenheitsantrag jetzt „unverzüglich“ zu stellen, sobald ihm die Besetzung des Gerichts und Gründe für eine mögliche Befangenheit eines Richters bekannt sind (§ 25 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 StPO).

Wird ein Richter während der Hauptverhandlung abgelehnt , kann der abgelehnte Richter die Hauptverhandlung zunächst fortsetzen bzw. weiter an ihr teilnehmen. Das war früher in der Regel nicht möglich. Über den Befangenheitsantrag muss jetzt auch erst innerhalb von zwei Wochen entschieden werden. Nur wenn der Antrag Erfolg hat, muss der entsprechende Teil der Hauptverhandlung wiederholt werden.

6. Änderungen im Beweisantragrecht (§ 244 StPO)

Im Beweisantragsrecht sind folgende Änderungen vorgenommen worden:

In § 244 Abs. 3 StPO Satz 1 StPO ist jetzt in der StPO ausdrücklich geregelt, was unter einem Beweisantrag zu verstehen ist: Es muss sich um das ernsthafte Verlangen handeln, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft zu erheben. Zudem muss dem Antrag zu entnehmen sein, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll.

Die Ablehnungsgründe sind in § 244 Abs. 3 Satz 2 und 3 neu gefasst, inhaltlich aber weitgehend unverändert geblieben. Der Ablehnungsgrund der Prozessverschleppung ist allerdings entfallen.

Dafür ist in § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO nun vorgesehen, dass es dann, wenn der Vorsitzende den Eindruck hat, dass die beantragte Beweiserhebung nur zur Verschleppung des Verfahrens dient, das Beweisersuchen ohne förmlichen Gerichtsbeschluss abgelehnt werden kann. Ein förmlicher Beschluss ist dann nicht erforderlich.

7. Unterbrechung der Hauptverhandlung wegen Mutterschutz und Elternzeit

Neu ist, dass in § 229 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StPO, die Hauptverhandlung auch dann unterbrochen werden kann, wenn eine Richterin wegen Mutterschutz oder ein Richter wegen Elternzeit ausfällt. Damit will man verhindern, dass Verfahren wegen Mutterschutzes oder Elternzeit „platzen“. Insgesamt können Verfahren nun für höchstens drei Monate und zehn Tage unterbrochen werden.

8. Vorführung von Bild-Ton-Aufnahmen (§ 255a StPO)

Die vernehmungsersetzende Vorführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen (§ 58a StPO) in der Hauptverhandlung ist in Zukunft in bestimmten Fällen nur noch zulässig, wenn der Zeuge, dessen Vernehmung in Bild und Ton aufgezeichnet worden ist, nicht unmittelbar nach der aufgezeichneten Vernehmung der vernehmungsersetzenden Vorführung dieser Aufzeichnung in der Hauptverhandlung widersprochen hat. Über diesen Widerspruch muss der Zeuge bei der Vernehmung im Ermittlungsverfahren belehrt worden sein.

9. Verbot der Gesichtsverhüllung (§ 176 Abs. 2 GVG)

In § 176 Abs. 2 GVG ist jetzt ausdrücklich bestimmt, dass Angeklagte, Zeugen und andere an der Verhandlung beteiligte Personen ihr Gesicht nicht – auch nicht teilweise – verhüllen dürfen. Es dürfen also keine Burka und/oder keine Niqab getragen werden. Der Vorsitzende Richter kann allerdings nach § 176 Abs. 2 Satz 2 GVG Ausnahmen zulassen, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist. § 68 Abs. 3 Satz 3 StPO sieht eine gesetzliche Ausnahme vom Verhüllungsverbot für Zeugen vor, die besonders gefährdet sind. Auch verdeckte Ermittler dürfen (weiterhin) ihr Gesicht verhüllen, um ihre Identität zu verbergen.

9. Änderungen im Nebenklagerecht (§§ 397a, 397b StPO)

In § 397a Abs. 1 Nr. 1 StPO ist der Katalog der Straftaten zur privilegierten Bestellung eines Beistandes auf die besonders schweren Fälle eines Vergehens nach § 177 Abs. 6 StGB erweitert werden. Dies betrifft insbesondere Opfer von Vergewaltigungen, welche nur einen der Grundtatbestände der § 177 Abs. 1 und 2 StGB erfüllen. Der Gesetzgeber begründet diese mit einer Verbesserung der Rechtslage und einer Anpassung an die Interessen der Opfer jeder Form von Vergewaltigung.

Außerdem hat man in § 397b StPO die Möglichkeit für das Gericht eingeführt, dass jetzt einer Gruppe von Nebenklägern ein gemeinsamer Rechtsanwalt beigeordnet werden kann. Voraussetzung ist, dass die Nebenkläger „gleichgelagerte Interessen“ verfolgen. Das wird z.B. der Fall sein, wenn es um die gemeinsamen Angehörigen eines Opfers handelt. Diese Neuregelung geht zurück auf die Erfahrungen, die man in der Vergangenheit in der Praxis mit Verfahren gemacht hat, in denen viele Nebenkläger beteiligt waren, wie z.B. das sog. NSU-Verfahren in München oder das Verfahren zur Loveparade.

10. Einführung eines Gerichtsdolmetschergesetzes

Schließlich ist ein bundesweit geltendes Gerichtsdolmetschergesetz eingeführt worden, mit dem man u.a. einheitliche Standards für die Beeidigung von Gerichtsdolmetschern geschaffen hat.

So viel zu den Änderungen in einem kurzen Überblick. Wer mehr zu dem Ganzen lesen möchte und auch erste Hinweise für das Verfahren sehen will, dem <<Werbemodus an>> empfehle ich mein Ebook „Modernisierung des Strafverfahrens? Die Änderungen in der StPO 2019 – ein erster Überblick – und Synopse altes/neues Recht der Pflichtverteidigung„. Das Werk“ hat 130 Seiten und steht als PDF zur Verfügung. Die Bestellung geht ganz einfach und schnell. Einfach eben hier den „Bestellbutton“ anklicken und dann kommt das PDF sehr schnell. Allerdings nicht kostenlos, sondern mit Rechnung 🙂 . Preis nur 25 €. <<Werbemodus aus>>.

Hinweis:

Auf dejure sind leider noch nicht die Aktualisierungen/Änderungen eingearbeitet, so dass die Verlinkungen (via PlugIn) in dem Blogbeitrag noch auf die alten Gesetzesfassungen verweisen. Also entweder das BGBl nehmen oder die Gesetzes-Seiten des BMJV zugreifen.

StPO III: Abschiebung nach Einlegung der Revision, oder: Verfahrenshindernis?

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Die dritte Entscheidung kommt dann mit dem BGH, Beschl. v. 09.07.2019 – 3 StR 155/19 – vom 3. Strafsenat des BGH.

Das LG hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu Freiheitsstrafe verurteilt. Er hat mit seiner Revision ein Prozesshindernis geltend gemacht, und zwar, dass er nach Einlegung der Revision und vor Zustellung des angefochtenen Urteils aus der Untersuchungshaft heraus in den Libanon abgeschoben worden sei.

Das hat beim BGH „nichts gebracht“:

„1. Anders als die Revision meint, begründet es kein – dauerndes oder vorübergehendes – Prozesshindernis im Sinne von § 206a Abs. 1 bzw. § 205 Satz 1 StPO, dass der Angeklagte nach Einlegung der Revision und vor Zustellung des angefochtenen Urteils aus der Untersuchungshaft heraus in den Libanon abgeschoben worden ist.

a) Hat ein Angeklagter einen Verteidiger, so hindert seine Abschiebung den Fortgang des Revisionsverfahrens im Grundsatz – wie auch hier – nicht (zur Überstellung eines Angeklagten aufgrund Rückführungsverlangens eines anderen Staates vor der Revisionshauptverhandlung s. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 1986 – 2 StR 588/86, BGHR GG Art. 25 Restitutionsanspruch 1; vom 18. Februar 1987 – 2 StR 588/86, juris Rn. 4; die Verfassungskonformität dieser Entscheidungen bestätigend BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1994 – 2 BvR 435/87, NJW 1995, 651; zur freiwilligen Ausreise ins Ausland vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13. Oktober 2011 – 31 Ss 42/11, juris Rn. 5). Die zwangsweise Rückführung des Angeklagten gebietet weder mit Blick auf das Prinzip des fairen Verfahrens nach § 6 Abs. 1 MRK noch auf das Recht auf Verteidigung gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK für sich gesehen die Einstellung des Verfahrens.

Die grundsätzliche Ablehnung eines solchen Prozesshindernisses folgt aus dem Wesen der Revision als eines auf Rechtsprüfung beschränkten Rechtsmittels, dem die gesetzliche Ausgestaltung des Revisionsverfahrens Rechnung trägt, und steht in Einklang mit der Rechtsprechung zur Verfahrensvoraussetzung der Verhandlungsfähigkeit in der Revisionsinstanz.

aa) Zwischen dem Tat- und dem Revisionsgericht besteht eine prinzipielle Aufgabenteilung dergestalt, dass dem Tatgericht die Aufklärung und Feststellung des ihm durch die Anklage unterbreiteten Sachverhalts sowie die Rechtsanwendung hierauf einschließlich der Festsetzung gerechter Rechtsfolgen obliegt, während das Revisionsgericht zu überprüfen hat, ob das angefochtene tatrichterliche Urteil aus sich heraus Rechtsfehler enthält und in gesetzmäßiger Weise zustande gekommen ist.

Dementsprechend kann in der Hauptverhandlung vor dem Tatgericht die Einlassung des Angeklagten wesentliche Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein. Er kann selbst Anträge stellen und Zeugen befragen. Er wird vor Entscheidungen des Gerichts neben seinem Verteidiger angehört. Diese Rechte geben dem Angeklagten die Möglichkeit, das Verfahren unabhängig von seinem Verteidiger mitzugestalten und sich so zu verteidigen. Demgegenüber finden im Revisionsverfahren Erörterungen tatsächlicher Art im Allgemeinen nicht statt. Die Möglichkeiten des Angeklagten, dieses Verfahren mitzugestalten, sind gering. Selbst kann der Angeklagte das Rechtsmittel lediglich einlegen und zurücknehmen. Schon die Bestimmung des Umfangs der Anfechtung kann der Angeklagte nur durch seinen Verteidiger (oder zu Protokoll der Geschäftsstelle) vornehmen (§ 344 Abs. 1 StPO). Dasselbe gilt für die nach § 344 Abs. 2 StPO erforderliche Begründung der Revision. In der Revisionshauptverhandlung hat der auf freiem Fuß befindliche Angeklagte das Recht auf Anwesenheit und auf Gewährung des letzten Worts. Freilich kann er dabei für das Revisionsverfahren maßgebliche Erklärungen gemäß § 344 StPO, die nach § 345 StPO nur befristet angebracht werden können und der dort genannten Form bedürfen, nicht wirksam abgeben (s. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 8. Februar 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 16, 18 f.). Der nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte kann seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht nicht erzwingen; die Entscheidung darüber steht vielmehr in dessen Ermessen (§ 350 Abs. 2 Satz 3 StPO). Dies ist wegen der skizzierten Ausgestaltung des Revisionsverfahrens unbedenklich, wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und dieser in der Hauptverhandlung anwesend ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 1995 – 5 StR 434/94, aaO, S. 19).

bb) In Anbetracht dessen ist etwa auch für die Verfahrensvoraussetzung der Verhandlungsfähigkeit anerkannt, dass es im Revisionsverfahren für die Wahrung der Verteidigungsinteressen des Angeklagten ausreichend ist, wenn er die Fähigkeit hatte, über die Einlegung des Rechtsmittels verantwortlich zu entscheiden, und wenigstens zeitweilig zu einer Grundübereinkunft mit seinem Verteidiger über Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels in der Lage ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 16, 19; vom 21. Dezember 2016 – 4 StR 527/16, NStZ 2017, 490; Urteil vom 4. Juli 2018 – 5 StR 46/18, NStZ-RR 2018, 320, 321; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit s. BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1995 – 2 BvR 345/95, NJW 1995, 1951, 1952).

b) Im Fall der Abschiebung ist ein Prozesshindernis zwar ausnahmsweise in Betracht zu ziehen, falls es dem Angeklagten tatsächlich nicht möglich ist, mit seinem Verteidiger in Verbindung zu treten. Da sich ein Angeklagter zu diesem Zweck moderner Kommunikationsmittel bedienen kann, wird mit der Abschiebung jedoch selten die Vereitelung einer Kontaktaufnahme einhergehen (aA – ohne nähere Begründung – OLG Brandenburg, Beschluss vom 26. Mai 2004 – 2 Ws 97/04, NStZ-RR 2005, 49 f.). Im zu beurteilenden Fall besteht hierfür keinerlei Anhalt. Gerade der Vortrag des Verteidigers zu Einzelheiten der Abschiebung spricht, ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, für eine solche Kommunikationsmöglichkeit. Denn seine diesbezüglichen Kenntnisse beruhen naheliegenderweise darauf, dass der Angeklagte dem Verteidiger oder seiner in Deutschland lebenden Familie, noch bevor dieser die Revisionsbegründungsschrift verfasst hat, Informationen über seine zwangsweise Rückführung in den Libanon erteilt hatte.

c) Daraus, dass einem abgeschobenen Angeklagten versagt ist, selbst die Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle zu erklären, ergibt sich nichts anderes. Trotz eines solchen Mangels bei der persönlichen Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte (zum Anspruch des verteidigten Angeklagten auf Protokollerklärung s. LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 345 Rn. 16; BeckOK StPO/Wiedner, § 345 Rn. 36) sind diese ausreichend gewahrt, wenn er einen Verteidiger hat, zumal dieser – anders als gewöhnlich der Angeklagte – rechtskundig ist.

Im zu beurteilenden Fall kommt hinzu, dass der im Revisionsverfahren tätige Verteidiger dem Angeklagten bereits im Ermittlungsverfahren beigeordnet worden war und an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. Welchen revisionsrechtlich erheblichen Informationsvorsprung der Angeklagte ihm gegenüber gehabt haben könnte, der persönliche Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle als erfolgversprechender hätte erscheinen lassen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch in anderem Zusammenhang gilt, dass die Beiordnung eines Verteidigers geeignet ist, erkennbare Mängel bei der persönlichen Wahrnehmung der Verteidigungsrechte zu kompensieren (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2017 – StB 2/17, BGHR GVG § 184 Gerichtssprache 1 Rn. 10; ferner MüKoStPO/Wenske, § 205 Rn. 34).“

 

Bewährung III: Widerruf der Bewährung, oder: Kein Kontakt zum Bewährungshelfer

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In der letzten Entscheidung, die ich vorstelle, dem OLG Koblenz, Beschl. v. 09.07.2019 – 4 Ws 407/19 – geht es um einen Bewährungswiderruf wegen Weisungsverstosses (§ 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB).

Der Verurteilte ist wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzt worden ist, verurteilt worden. Der Verurteilte wurde angewiesen, jeden Wohnsitzwechsel unaufgefordert mitzuteilen, darüber hinaus wurde ihm auferlegt, binnen 6 Monaten nach Rechtskraft des Urteils 100 Stunden gemeinnützige Arbeit nach Weisung des Bewährungshelfers abzuleisten.

Der Verurteilte befand sich vom 09.08.2018 bis Anfang September 2018 in stationärer Behandlung in der Fachklinik Alzey. Grund war eine drogeninduzierte Psychose, die der Verurteilte darauf zurückführte, dass er etwa im April 2018 begonnen habe, Crack zu rauchen.

Bis zum 30.10.2018 nahm der Verurteilte aufgrund dieses Umstands lediglich zwei Termine bei seiner Bewährungshelferin wahr, Anlässlich des letzten Gesprächstermins teilte der Verurteilte der Bewährungshelferin mit, dass er im Oktober einen Besuch bei seiner an einem Hirntumor erkrankten Mutter in Italien plane. Die Ehefrau des Verurteilten erklärte gegenüber der Bewährungshelferin am 19.11.2018, dass der Verurteilte sich in Italien aufhalte und in den nächsten Tagen wieder nach Deutschland zurückkehre. Es wurde vereinbart, dass der Verurteilte sich umgehend bei der Bewährungshelferin melden werde. Dies geschah jedoch nicht. Einladungen zu Gesprächsterminen nahm der Verurteilte nicht wahr. Nachdem er seitens des LG mit Schreiben vom 22.01.2019 erfolglos aufgefordert worden war, Nachweise über die Erfüllung der Arbeitsauflagen zu erbringen und die Bewährungshelferin mit Schreiben vom 01.03.2019 mitgeteilt hatte, dass der Verurteilte keinen Kontakt zu ihr aufgenommen habe, bestimmte die Kammer Termin zur Anhörung des Verurteilten auf den 08.04.2019. Der Verteidiger des Angeklagten, den dieser vom Anhörungstermin unterrichtet hatte, teilte unter dem 22.03.2019 mit, dass der Verurteilte in Italien seinen Pass verloren habe und daher nicht erscheinen könne. Eine Glaubhaftmachung erfolgte trotz Aufforderung durch das LG nicht. Im Anhörungstermin erschien der Verurteilte nicht. Mit Beschluss vom 08.04. 2019 widerrief das Landgericht die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung, da der Verurteilte die ihm erteilte Auflage nicht erfüllt habe und darüber hinaus im Hinblick auf den Crackkonsum des Verurteilten der Abbruch des Kontakts zur Bewährungshelferin Anlass zu der Besorgnis gebe, dass der Verurteilte erneut Straftaten begehen werde.

Das OLG hat auf die Beschwerde aufgehoben:

„…Widerrufsgründe liegen nicht vor.

1. Der Angeklagte hat nicht dadurch gröblich und beharrlich gegen ihm erteilte Auflagen verstoßen, § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB, weil er die ihm erteilte Arbeitsauflage nicht innerhalb der ihm vom Gericht gesetzten Frist erfüllt hat. Denn es ist bereits nicht ersichtlich, dass er innerhalb dieser Frist von 6 Monaten nach Rechtskraft entsprechende Weisungen seiner Bewährungshelferin erhalten hätte. Eine andere Frist hat das Landgericht nicht gesetzt, so dass der Verurteilte davon ausgehen konnte, die Auflage (nunmehr) bis zum Ablauf der Bewährungszeit erfüllen zu können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. September 2015 – 2 BvR 2343/14 -, juris).

2. Auch ein Widerruf gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Alt. StGB kommt nicht in Betracht. Dieser setzt voraus, dass der Verurteilte sich beharrlich der Aufsicht und Leitung seines Bewährungshelfers entzieht. Erforderlich ist darüber hinaus, dass deshalb Anlass zu der Besorgnis besteht, er werde erneut Straftaten begehen, denn der Widerruf dient nicht der Ahndung nachlässigen und weisungswidrigen Verhaltens im Bewährungsverfahren (st. Rspr.). Der Verstoß muss somit durch Art, Gewicht oder Häufigkeit Anlass zur Neubewertung der ursprünglich positiven Sozialprognose geben: Das Gericht hat insoweit unter Würdigung der Verstöße in ihrer konkreten Bedeutung und unter Berücksichtigung des gesamten Verhaltens des Verurteilten während der Bewährungszeit eine erneute Prognose zu stellen. Nur wenn die Verstöße zu krimineller Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten so in Beziehung stehen, dass hierdurch weitere Straftaten zu befürchten sind, kommt ein hierauf gestützter Widerruf in Betracht (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2007 – 2 BvR 1046/07 -, juris Rn. 19; OLG Hamm, Beschluss vom 26. März 2013 – III-1 Ws 124/13 -, juris). Der Verstoß gegen Weisungen für sich allein trägt eine negative Prognose daher nicht. Der weisungswidrige Abbruch des Kontakts zum Bewährungshelfer lässt nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf eine kriminelle Prognose zu; erforderlich sind vielmehr stets weitere konkrete und objektivierbare Anhaltspunkte dafür, der Verurteilte werde weitere Straftaten begehen (BVerfG a.a.O.).

Solche konkreten Anhaltspunkte sind vorliegend nicht zu erkennen. Der Verurteilte ist nach den Feststellungen des Urteils vom 19. April 2018 strafrechtlich sonst nicht in Erscheinung getreten. Zwar hat er, wie er gegenüber der Bewährungshelferin eingeräumt hat, etwa Ende April 2018 begonnen, Crack zu rauchen. Nachdem der Verurteilte sich wegen einer drogeninduzierten Psychose in stationärer Behandlung befand, den Aufenthalt in Alzey als sehr positiv beschrieb und sich sichtlich beeindruckt von den Auswirkungen des Crackrauchens zeigte, vermag der Senat jedoch auch unter Berücksichtigung des mehrmonatigen Drogenmissbrauchs nicht zu erkennen, dass der Verurteilte durch den Kontaktabbruch Anlass zu der Besorgnis böte, dass er erneut Straftaten begehen werde. Dies gilt umso mehr, als der Verurteilte sich seit Anfang Juni wieder in Deutschland aufhält, Kontakt mit seiner Bewährungshelferin aufgenommen und sich mittlerweile bei der Stadtverwaltung vorgestellt hat, bei der er die Arbeitsstunden ableisten soll.

Der Senat weist den Verurteilten aber darauf hin, dass der Erfolg seines Rechtsmittels für ihn kein Freibrief ist. Er hat vielmehr den ihm erteilten Weisungen und Ladungen der Strafkammer nachzukommen, andernfalls er wiederum mit einem Widerrufsverfahren rechnen muss.