Das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens, oder: Ein Überblick – 10 Punkte

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Am 13.12.2019 ist das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019“ (vgl. BGBl I, S. 2121) in Kraft getreten. Dieses hat sich vor allem die Verfahrensbeschleunigung auf die Fahnen geschrieben; ich hatte darüber ja hier auch berichtet.

Heute will ich in einem Überblick noch einmal kurz die wichtigsten Änderungen der „Modernisierung“ – auf ein solches Etikett kann man wohl nur kommen, wenn man in einem Minsterium sitzt – vorstellen.. Geändert hat sich Folgendes:

1. Erweiterung der Aufzeichnung der Vernehmung von Zeugen in Bild und Ton (§ 58a StPO)

Bislang sah die StPO in § 58a Abs. 1 StPO nur bei bestimmten schweren Straftaten (vgl. § 255a Abs. 2 StPO) die audiovisuelle der richterlichen Vernehmung von Kindern und Jugendlichen im Ermittlungsverfahren vor. Das ist in § 58a Abs. 1 Satz 2 StPO erweitert worden auf erwachsene Opfer von Sexualstraftaten, und zwar zwingend immer dann, wenn so schutzwürdige Interessen besser gewahrt werden können und der Betroffene damit einverstanden ist.

2. Erweiterung der Möglichkeiten der DNA-Analyse

In der Vergangenheit durfte im Rahmen eine sog. DNA-Analyse (§ 81e StPO) nur der genetische Fingerabdruck, die Abstammung und das Geschlecht bestimmt und die gewonnenen Daten mit Vergleichsmaterial abgeglichen werden. Das ist in § 81e Abs. 2 Satz 1 StPO erweitert worden. Es dürfen jetzt DNA-Spuren untersucht werden, um Rückschlüsse auf Hautfarbe, Augenfarbe, Haarfarbe und Alter der gesuchten Person ziehen zu können. Dadurch solle ein mutmaßlicher Täter leichter identifiziert werden können.

3. Erweiterung der Telekommunikationsüberwachung auf den sog. Wohnungseinbruchdiebstahl (§§ 100a Abs. 1 StPO; 244 Abs.- 4 StGB)

Bisher war eine Telefonüberwachung nur in den Fällen des Bandendiebstahls (§ 244a Abs. 1 Nr. 2 StGB) und der schweren Bandendiebstahls nach § 244a StGB zulässig (§ 100a Abs. 1 Nr. 2 j StPO a.F.), also bei (potentieller) Tatbegehung durch Einbrecherbanden möglich. Das ist erweitert worden auf die Fälle des Wohnungseinbruchsdiebstahls in Privatwohnungen (§ 244 Abs. 4 StGB). Diese Erweiterung des Katalogs des § 100a Abs. Nr. 2 StPO gilt nicht nur für die „normale“ Telefonüberwachung, sondern auch für die sog. Quellen-TKÜ (§ 100a Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO bzw. für den sog. IMSI-Catcher (§ 100i StPO), so dass ggf. auch Nachrichten über MessengerDienste direkt auf dem Handy mitgelesen werden können.

4. Vorabentscheidungsverfahren über Besetzungsrügen (§§ 222a, 22b StPO)

Das Verfahren betreffend Besetzungsrügen (§§ 222a, 222b StPO) ist verschärft worden. Das LG/OLG muss die Besetzungsmitteilung jetzt förmlich an den Verteidiger zustellen. Der muss dann seinen Einwand, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt, innerhalb einer Woche erhoben werden. Sieht das LG/OLG die Besetzungsrüge als nicht begründet an, ist in § 222b Abs. 3 StPO ein Vorabentscheidungsverfahren eingeführt worden. Über die Besetzungsrüge entscheidet nun – „vorab“ das OLG bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem LG bzw. der BGH bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem OLG. Diese Entscheidung ist abschließend. Wird die Besetzungsrüge nicht erhoben, ist der Angeklagte in der Revision mit Besetzungsfragen – mit Ausnahme der in § 338 Nr. 1 StPO genannten Fälle – präkludiert. Durch diese Änderungen, die insbesondere den auswärtigen Verteidiger wegen der kurzen Wochenfrist unter erheblichen Zeitdruck setzen, will man erreichen, dass nicht erst im Revisionsverfahren über die Rechtmäßigkeit der Besetzung des Gerichts entschieden und ein Urteil ggf. wegen falscher Besetzung aufgehoben wird.

5. Verschärfungen im Befangenheitsrecht (§§ 26 ff. StPO)

Das Ablehnungsverfahren ist an zwei Stellen verschärft worden:

Befangenheitsanträge müssen in Zukunft nach Möglichkeit schon vor der Hauptverhandlung geklärt werden. Der Verteidiger ist nämlich verpflichtet, einen Befangenheitsantrag jetzt „unverzüglich“ zu stellen, sobald ihm die Besetzung des Gerichts und Gründe für eine mögliche Befangenheit eines Richters bekannt sind (§ 25 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 StPO).

Wird ein Richter während der Hauptverhandlung abgelehnt , kann der abgelehnte Richter die Hauptverhandlung zunächst fortsetzen bzw. weiter an ihr teilnehmen. Das war früher in der Regel nicht möglich. Über den Befangenheitsantrag muss jetzt auch erst innerhalb von zwei Wochen entschieden werden. Nur wenn der Antrag Erfolg hat, muss der entsprechende Teil der Hauptverhandlung wiederholt werden.

6. Änderungen im Beweisantragrecht (§ 244 StPO)

Im Beweisantragsrecht sind folgende Änderungen vorgenommen worden:

In § 244 Abs. 3 StPO Satz 1 StPO ist jetzt in der StPO ausdrücklich geregelt, was unter einem Beweisantrag zu verstehen ist: Es muss sich um das ernsthafte Verlangen handeln, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft zu erheben. Zudem muss dem Antrag zu entnehmen sein, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll.

Die Ablehnungsgründe sind in § 244 Abs. 3 Satz 2 und 3 neu gefasst, inhaltlich aber weitgehend unverändert geblieben. Der Ablehnungsgrund der Prozessverschleppung ist allerdings entfallen.

Dafür ist in § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO nun vorgesehen, dass es dann, wenn der Vorsitzende den Eindruck hat, dass die beantragte Beweiserhebung nur zur Verschleppung des Verfahrens dient, das Beweisersuchen ohne förmlichen Gerichtsbeschluss abgelehnt werden kann. Ein förmlicher Beschluss ist dann nicht erforderlich.

7. Unterbrechung der Hauptverhandlung wegen Mutterschutz und Elternzeit

Neu ist, dass in § 229 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StPO, die Hauptverhandlung auch dann unterbrochen werden kann, wenn eine Richterin wegen Mutterschutz oder ein Richter wegen Elternzeit ausfällt. Damit will man verhindern, dass Verfahren wegen Mutterschutzes oder Elternzeit „platzen“. Insgesamt können Verfahren nun für höchstens drei Monate und zehn Tage unterbrochen werden.

8. Vorführung von Bild-Ton-Aufnahmen (§ 255a StPO)

Die vernehmungsersetzende Vorführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen (§ 58a StPO) in der Hauptverhandlung ist in Zukunft in bestimmten Fällen nur noch zulässig, wenn der Zeuge, dessen Vernehmung in Bild und Ton aufgezeichnet worden ist, nicht unmittelbar nach der aufgezeichneten Vernehmung der vernehmungsersetzenden Vorführung dieser Aufzeichnung in der Hauptverhandlung widersprochen hat. Über diesen Widerspruch muss der Zeuge bei der Vernehmung im Ermittlungsverfahren belehrt worden sein.

9. Verbot der Gesichtsverhüllung (§ 176 Abs. 2 GVG)

In § 176 Abs. 2 GVG ist jetzt ausdrücklich bestimmt, dass Angeklagte, Zeugen und andere an der Verhandlung beteiligte Personen ihr Gesicht nicht – auch nicht teilweise – verhüllen dürfen. Es dürfen also keine Burka und/oder keine Niqab getragen werden. Der Vorsitzende Richter kann allerdings nach § 176 Abs. 2 Satz 2 GVG Ausnahmen zulassen, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist. § 68 Abs. 3 Satz 3 StPO sieht eine gesetzliche Ausnahme vom Verhüllungsverbot für Zeugen vor, die besonders gefährdet sind. Auch verdeckte Ermittler dürfen (weiterhin) ihr Gesicht verhüllen, um ihre Identität zu verbergen.

9. Änderungen im Nebenklagerecht (§§ 397a, 397b StPO)

In § 397a Abs. 1 Nr. 1 StPO ist der Katalog der Straftaten zur privilegierten Bestellung eines Beistandes auf die besonders schweren Fälle eines Vergehens nach § 177 Abs. 6 StGB erweitert werden. Dies betrifft insbesondere Opfer von Vergewaltigungen, welche nur einen der Grundtatbestände der § 177 Abs. 1 und 2 StGB erfüllen. Der Gesetzgeber begründet diese mit einer Verbesserung der Rechtslage und einer Anpassung an die Interessen der Opfer jeder Form von Vergewaltigung.

Außerdem hat man in § 397b StPO die Möglichkeit für das Gericht eingeführt, dass jetzt einer Gruppe von Nebenklägern ein gemeinsamer Rechtsanwalt beigeordnet werden kann. Voraussetzung ist, dass die Nebenkläger „gleichgelagerte Interessen“ verfolgen. Das wird z.B. der Fall sein, wenn es um die gemeinsamen Angehörigen eines Opfers handelt. Diese Neuregelung geht zurück auf die Erfahrungen, die man in der Vergangenheit in der Praxis mit Verfahren gemacht hat, in denen viele Nebenkläger beteiligt waren, wie z.B. das sog. NSU-Verfahren in München oder das Verfahren zur Loveparade.

10. Einführung eines Gerichtsdolmetschergesetzes

Schließlich ist ein bundesweit geltendes Gerichtsdolmetschergesetz eingeführt worden, mit dem man u.a. einheitliche Standards für die Beeidigung von Gerichtsdolmetschern geschaffen hat.

So viel zu den Änderungen in einem kurzen Überblick. Wer mehr zu dem Ganzen lesen möchte und auch erste Hinweise für das Verfahren sehen will, dem <<Werbemodus an>> empfehle ich mein Ebook „Modernisierung des Strafverfahrens? Die Änderungen in der StPO 2019 – ein erster Überblick – und Synopse altes/neues Recht der Pflichtverteidigung„. Das Werk“ hat 130 Seiten und steht als PDF zur Verfügung. Die Bestellung geht ganz einfach und schnell. Einfach eben hier den „Bestellbutton“ anklicken und dann kommt das PDF sehr schnell. Allerdings nicht kostenlos, sondern mit Rechnung 🙂 . Preis nur 25 €. <<Werbemodus aus>>.

Hinweis:

Auf dejure sind leider noch nicht die Aktualisierungen/Änderungen eingearbeitet, so dass die Verlinkungen (via PlugIn) in dem Blogbeitrag noch auf die alten Gesetzesfassungen verweisen. Also entweder das BGBl nehmen oder die Gesetzes-Seiten des BMJV zugreifen.

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