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Das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens, oder: Ein Überblick – 10 Punkte

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Am 13.12.2019 ist das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019“ (vgl. BGBl I, S. 2121) in Kraft getreten. Dieses hat sich vor allem die Verfahrensbeschleunigung auf die Fahnen geschrieben; ich hatte darüber ja hier auch berichtet.

Heute will ich in einem Überblick noch einmal kurz die wichtigsten Änderungen der „Modernisierung“ – auf ein solches Etikett kann man wohl nur kommen, wenn man in einem Minsterium sitzt – vorstellen.. Geändert hat sich Folgendes:

1. Erweiterung der Aufzeichnung der Vernehmung von Zeugen in Bild und Ton (§ 58a StPO)

Bislang sah die StPO in § 58a Abs. 1 StPO nur bei bestimmten schweren Straftaten (vgl. § 255a Abs. 2 StPO) die audiovisuelle der richterlichen Vernehmung von Kindern und Jugendlichen im Ermittlungsverfahren vor. Das ist in § 58a Abs. 1 Satz 2 StPO erweitert worden auf erwachsene Opfer von Sexualstraftaten, und zwar zwingend immer dann, wenn so schutzwürdige Interessen besser gewahrt werden können und der Betroffene damit einverstanden ist.

2. Erweiterung der Möglichkeiten der DNA-Analyse

In der Vergangenheit durfte im Rahmen eine sog. DNA-Analyse (§ 81e StPO) nur der genetische Fingerabdruck, die Abstammung und das Geschlecht bestimmt und die gewonnenen Daten mit Vergleichsmaterial abgeglichen werden. Das ist in § 81e Abs. 2 Satz 1 StPO erweitert worden. Es dürfen jetzt DNA-Spuren untersucht werden, um Rückschlüsse auf Hautfarbe, Augenfarbe, Haarfarbe und Alter der gesuchten Person ziehen zu können. Dadurch solle ein mutmaßlicher Täter leichter identifiziert werden können.

3. Erweiterung der Telekommunikationsüberwachung auf den sog. Wohnungseinbruchdiebstahl (§§ 100a Abs. 1 StPO; 244 Abs.- 4 StGB)

Bisher war eine Telefonüberwachung nur in den Fällen des Bandendiebstahls (§ 244a Abs. 1 Nr. 2 StGB) und der schweren Bandendiebstahls nach § 244a StGB zulässig (§ 100a Abs. 1 Nr. 2 j StPO a.F.), also bei (potentieller) Tatbegehung durch Einbrecherbanden möglich. Das ist erweitert worden auf die Fälle des Wohnungseinbruchsdiebstahls in Privatwohnungen (§ 244 Abs. 4 StGB). Diese Erweiterung des Katalogs des § 100a Abs. Nr. 2 StPO gilt nicht nur für die „normale“ Telefonüberwachung, sondern auch für die sog. Quellen-TKÜ (§ 100a Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO bzw. für den sog. IMSI-Catcher (§ 100i StPO), so dass ggf. auch Nachrichten über MessengerDienste direkt auf dem Handy mitgelesen werden können.

4. Vorabentscheidungsverfahren über Besetzungsrügen (§§ 222a, 22b StPO)

Das Verfahren betreffend Besetzungsrügen (§§ 222a, 222b StPO) ist verschärft worden. Das LG/OLG muss die Besetzungsmitteilung jetzt förmlich an den Verteidiger zustellen. Der muss dann seinen Einwand, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt, innerhalb einer Woche erhoben werden. Sieht das LG/OLG die Besetzungsrüge als nicht begründet an, ist in § 222b Abs. 3 StPO ein Vorabentscheidungsverfahren eingeführt worden. Über die Besetzungsrüge entscheidet nun – „vorab“ das OLG bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem LG bzw. der BGH bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem OLG. Diese Entscheidung ist abschließend. Wird die Besetzungsrüge nicht erhoben, ist der Angeklagte in der Revision mit Besetzungsfragen – mit Ausnahme der in § 338 Nr. 1 StPO genannten Fälle – präkludiert. Durch diese Änderungen, die insbesondere den auswärtigen Verteidiger wegen der kurzen Wochenfrist unter erheblichen Zeitdruck setzen, will man erreichen, dass nicht erst im Revisionsverfahren über die Rechtmäßigkeit der Besetzung des Gerichts entschieden und ein Urteil ggf. wegen falscher Besetzung aufgehoben wird.

5. Verschärfungen im Befangenheitsrecht (§§ 26 ff. StPO)

Das Ablehnungsverfahren ist an zwei Stellen verschärft worden:

Befangenheitsanträge müssen in Zukunft nach Möglichkeit schon vor der Hauptverhandlung geklärt werden. Der Verteidiger ist nämlich verpflichtet, einen Befangenheitsantrag jetzt „unverzüglich“ zu stellen, sobald ihm die Besetzung des Gerichts und Gründe für eine mögliche Befangenheit eines Richters bekannt sind (§ 25 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 StPO).

Wird ein Richter während der Hauptverhandlung abgelehnt , kann der abgelehnte Richter die Hauptverhandlung zunächst fortsetzen bzw. weiter an ihr teilnehmen. Das war früher in der Regel nicht möglich. Über den Befangenheitsantrag muss jetzt auch erst innerhalb von zwei Wochen entschieden werden. Nur wenn der Antrag Erfolg hat, muss der entsprechende Teil der Hauptverhandlung wiederholt werden.

6. Änderungen im Beweisantragrecht (§ 244 StPO)

Im Beweisantragsrecht sind folgende Änderungen vorgenommen worden:

In § 244 Abs. 3 StPO Satz 1 StPO ist jetzt in der StPO ausdrücklich geregelt, was unter einem Beweisantrag zu verstehen ist: Es muss sich um das ernsthafte Verlangen handeln, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft zu erheben. Zudem muss dem Antrag zu entnehmen sein, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll.

Die Ablehnungsgründe sind in § 244 Abs. 3 Satz 2 und 3 neu gefasst, inhaltlich aber weitgehend unverändert geblieben. Der Ablehnungsgrund der Prozessverschleppung ist allerdings entfallen.

Dafür ist in § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO nun vorgesehen, dass es dann, wenn der Vorsitzende den Eindruck hat, dass die beantragte Beweiserhebung nur zur Verschleppung des Verfahrens dient, das Beweisersuchen ohne förmlichen Gerichtsbeschluss abgelehnt werden kann. Ein förmlicher Beschluss ist dann nicht erforderlich.

7. Unterbrechung der Hauptverhandlung wegen Mutterschutz und Elternzeit

Neu ist, dass in § 229 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StPO, die Hauptverhandlung auch dann unterbrochen werden kann, wenn eine Richterin wegen Mutterschutz oder ein Richter wegen Elternzeit ausfällt. Damit will man verhindern, dass Verfahren wegen Mutterschutzes oder Elternzeit „platzen“. Insgesamt können Verfahren nun für höchstens drei Monate und zehn Tage unterbrochen werden.

8. Vorführung von Bild-Ton-Aufnahmen (§ 255a StPO)

Die vernehmungsersetzende Vorführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen (§ 58a StPO) in der Hauptverhandlung ist in Zukunft in bestimmten Fällen nur noch zulässig, wenn der Zeuge, dessen Vernehmung in Bild und Ton aufgezeichnet worden ist, nicht unmittelbar nach der aufgezeichneten Vernehmung der vernehmungsersetzenden Vorführung dieser Aufzeichnung in der Hauptverhandlung widersprochen hat. Über diesen Widerspruch muss der Zeuge bei der Vernehmung im Ermittlungsverfahren belehrt worden sein.

9. Verbot der Gesichtsverhüllung (§ 176 Abs. 2 GVG)

In § 176 Abs. 2 GVG ist jetzt ausdrücklich bestimmt, dass Angeklagte, Zeugen und andere an der Verhandlung beteiligte Personen ihr Gesicht nicht – auch nicht teilweise – verhüllen dürfen. Es dürfen also keine Burka und/oder keine Niqab getragen werden. Der Vorsitzende Richter kann allerdings nach § 176 Abs. 2 Satz 2 GVG Ausnahmen zulassen, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist. § 68 Abs. 3 Satz 3 StPO sieht eine gesetzliche Ausnahme vom Verhüllungsverbot für Zeugen vor, die besonders gefährdet sind. Auch verdeckte Ermittler dürfen (weiterhin) ihr Gesicht verhüllen, um ihre Identität zu verbergen.

9. Änderungen im Nebenklagerecht (§§ 397a, 397b StPO)

In § 397a Abs. 1 Nr. 1 StPO ist der Katalog der Straftaten zur privilegierten Bestellung eines Beistandes auf die besonders schweren Fälle eines Vergehens nach § 177 Abs. 6 StGB erweitert werden. Dies betrifft insbesondere Opfer von Vergewaltigungen, welche nur einen der Grundtatbestände der § 177 Abs. 1 und 2 StGB erfüllen. Der Gesetzgeber begründet diese mit einer Verbesserung der Rechtslage und einer Anpassung an die Interessen der Opfer jeder Form von Vergewaltigung.

Außerdem hat man in § 397b StPO die Möglichkeit für das Gericht eingeführt, dass jetzt einer Gruppe von Nebenklägern ein gemeinsamer Rechtsanwalt beigeordnet werden kann. Voraussetzung ist, dass die Nebenkläger „gleichgelagerte Interessen“ verfolgen. Das wird z.B. der Fall sein, wenn es um die gemeinsamen Angehörigen eines Opfers handelt. Diese Neuregelung geht zurück auf die Erfahrungen, die man in der Vergangenheit in der Praxis mit Verfahren gemacht hat, in denen viele Nebenkläger beteiligt waren, wie z.B. das sog. NSU-Verfahren in München oder das Verfahren zur Loveparade.

10. Einführung eines Gerichtsdolmetschergesetzes

Schließlich ist ein bundesweit geltendes Gerichtsdolmetschergesetz eingeführt worden, mit dem man u.a. einheitliche Standards für die Beeidigung von Gerichtsdolmetschern geschaffen hat.

So viel zu den Änderungen in einem kurzen Überblick. Wer mehr zu dem Ganzen lesen möchte und auch erste Hinweise für das Verfahren sehen will, dem <<Werbemodus an>> empfehle ich mein Ebook „Modernisierung des Strafverfahrens? Die Änderungen in der StPO 2019 – ein erster Überblick – und Synopse altes/neues Recht der Pflichtverteidigung„. Das Werk“ hat 130 Seiten und steht als PDF zur Verfügung. Die Bestellung geht ganz einfach und schnell. Einfach eben hier den „Bestellbutton“ anklicken und dann kommt das PDF sehr schnell. Allerdings nicht kostenlos, sondern mit Rechnung 🙂 . Preis nur 25 €. <<Werbemodus aus>>.

Hinweis:

Auf dejure sind leider noch nicht die Aktualisierungen/Änderungen eingearbeitet, so dass die Verlinkungen (via PlugIn) in dem Blogbeitrag noch auf die alten Gesetzesfassungen verweisen. Also entweder das BGBl nehmen oder die Gesetzes-Seiten des BMJV zugreifen.

Sie haben es getan II, oder: Wenn das Strafverfahren „effektiver und praxistauglicher“ werden soll

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Ich hatte ja gestern bereits über den vergangenen Donnerstag im Bundestag berichtet (vgl. hier: Sie haben es getan, oder: Wenn Heiko Maas es beim Fahrverbot besser weiß). Da ging es um die m.E. „durchgepeitschte/durchgedrückte“ Reform des § 44 StGB. Aber damit nicht genug. Heiko Maas und seinen Vasallen reicht nicht ein Denkmal, nein, es müssen mehrere sein. Und so hat man dann auch – wie nicht anders zu erwarten – das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ beschlossen.

Dazu vorab: Wer mich kennt, kennt den Spruch/die Aussage: Wenn ein Gesetz schon die Worte „effektiv und praxistauglich“ im Namen trägt, dann verheißt es nichts Gutes. Denn die Steigerung – schamhaft „Ausgestaltung“ genannt – geht m.E. immer zu Lasten des Angeklagten und des Verteidigers. „Die anderen“ bestimmen, was – für sie – „praxistauglich und effektiv“ ist. Und das ist meist gepaart mit dem Abbau von Angeklagtenrechte.

In dem „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ hat man das dann gleich noch gepaart mit dem Abbau von Bürgerrechten, indem die Überwachungsmöglichkeiten des Staates massiv ausgeweitet worden sind. Da hat man dann mal eben in die Beschlussempfehlung an den Bundestag aus dem Rechtsausschuss – datiert auf den 20.06.2017, also zwei Tage vor der Bundestagssitzung – einen „Überraschungsangriff“ auf Grundrechte geführt, indem man nun die Überwachung eines „informationstechnischen System“ ermöglicht. Stichwort: Onlinedurchsuchung, Quellen-TKÜ oder plakativer: Überwachung von WhatsApp. Mit der Begründung „Terrorabwehr“ kann man das alles machen und hat es nun (endlich) getan. Versucht worden ist es (teilweise) schon häufiger. Das BVerfG hatte aber Grenzen gesetzt.

Man kann jetzt nicht hier zu allen Einzelheiten der kommenden Änderungen Stellung nehmen. Das würde den Rahmen sprengen – die Beschlussvorlage in der BT-Drucksache 18/12785 ist 53 Seiten lang. Die Fachzeitschriften der nächsten Monate werden voll von Beiträgen sein, also hat insoweit das Ganze dann doch etwas Positives, nämlich ein Existenzsicherungsprogramm für Verlage und Autoren. Auf ein parr Punkte will ich dann aber doch kurz in einem Überblick hinweisen:

  • Teilweise Änderung des Ablehungsverfahrens in §§ 26 ff. StPO: Hinausschieben des Zeitpunkt, bis zu dem über einen Ablehungsantrag entschieden werden muss,
  • Wegfall des Richtervorbeahlt in § 81a Abs. 2 StPO für Blutentnahmen in Verfahren betreffend § 315 a Abs. 1 Nr. 1, 315 c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 und 3, 316 StGB: Endlich haben es die Länder geschafft und endlich ist – so die Gesetzesbegründung – die Polizei mit der StA gleichrangig gestellt. Für mich eine völlig überflüssige Regleung, die man hätte vermeiden können, wenn die Länder genügend Personal eingestellt hätte. So greift man in den Richtervorbehalt ein. Die Büchse der Pandora ist geöffnet.
  • Anpassung des § 81e StPO an die geltende Rechtsprechung,
  • Änderung der Überwachung der Telekommunikation – Stichwort: Online-Durchsuchung, Quellen-TKÜ – in den §§ 100a ff. StPO,
  • In § 136 StPO Ausweitung/Einführung der Aufzeichnung der Vernehmung des Beschuldigten in Bild und Ton in bestimmten Fällen (su.a. Tötungsdelikt, Beschuldigter unter 18 Jahre),
  • Nach § 141 Abs 3 Satz 3 StPO ggf. Bestellung eines Pflichtverteidigers bei einer richterlichen Vernehmung – seht, seht: Ausweitung der Beschuldigtenrechte,
  • § 153a StPO. Jetzt auch im Revisionsverfahren zulässig/möglich,
  • § 163 Abs. 3 – 7 StPO. Einführung der Verpflichtung von Zeugen, „auf Ladung vir Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zurgunde liegt.“ Alles ohne Einschränkungen. Übrigens schöne Formulierung:  „und zur Sache auszusagen“, nicht dass die Ermittlungspersonen/die Polizei auf die Idee kommt, bei der Vernehmung gebe es kein Zeugnisverweigerungsrecht mehr. Die Ladungen kann ich mir vorstellen: „Sie sind verpflichtet,….“. Und die Belehrungen kann ich mir auch ausmalen…
  • In § 213 StPO ggf. Abstimmung des äußeren Ablaufs der Hauptverhandlung.
  • In § 243 Abs. 5 Satz 2 StPO Einführung des vielfach bereits praktizierten Opening-Statement, also Ausbau der Beschuldigtenrechte (?),
  • In § 244 Abs. 6 StPO: Nach Abschluss der Beweisaufnahme Fristsetzung zum Stellen von Beweisanträgen,
  • In § 256 StPO Ausweitung der Verlesungsmöglichkeiten für ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
  • Teilweise Übernahme der Rechtsprechung zu § 265 Abs. 2 StPO,
  • In § 374 Abs. 1 Nr. 5 StPO wird die Nötigung nebenklagefähig; das musste unbedingt sein?
  • In § 464b Verlängerung der Frist zur Einlegung der Kostenbschwerde auf zwei Wochen.

Das also als kleiner Überblick. Die ein oder andere Änderung wird uns sicherlich noch länger beschäftigen. Und ich wage die Voraussage: Das wird hier Grenzen setzen. Das letzte Wort zu Online-Durchsuchung usw. ist sicherlich nicht gesprochen. Das fällt nicht in Berlin, sondern in Karlsruhe.

„Reformen“ als Beschäftigungsprogramm für Verteidiger, oder: Er hat es getan

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Die Legislaturperiode neigt sich dem Ende zu. Das ist immer die Zeit, zu der dann noch mehr oder weniger sinnvolle Gesetzesvorhaben schnell in den Bundestag eingebracht und – in meinen Augen – durchgepeischt werden. Das geschieht m.E. in der Hoffnung, dass die juristische Öffentlichkeit nicht so genau hinschaut, wenn es schnell geht, und: Schwups ist das neue Gesetz/die Neuregelung da und keiner hat es so richtig gemerkt. Das Letzte gilt für zwei Gesetzesvorhaben, die jetzt noch im Bundestag abschließend beraten werden müssen und wohl auch noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden sollen, nicht ganz, da darüber schon viel diskutiert worden ist. Aber: Auch sie werden durchgepeitscht.

Das ist einmal die Reform (?) der StPO durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ (BT-Drs. 18/11277). Mir sträuben sich die Nackenhaare, wenn ich das lese – „effektiv“ und „praxistauglich“ bedeutet in meinen Augen nämlich meist das Drehen an Verfahrensschrauben, und zwar i.d.R. zu Lasten des Angeklagten. Und was dahintersteht sieht man, wenn man in die Gesetzesbegründung schaut. Es geht darum, angesichts der hohen Belastung der Strafgerichte „eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann“. Ziel soll die Entlastung der Gerichte und Staatsanwaltschaften bei Wahrung und teilweiser Stärkung der Rechte von Beschuldigten sein. Das sehe ich so nicht, denn letztlich macht man nur neue Felder auf, auf denen es Streit geben wird (zu dem Ganzen dann auch schon hier: StPO-Reform: Da ist der Regierungsentwurf, oder: Was man dann doch (lieber) geändert hat).

Das zweite Gesetzesvorhaben ist das „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes,der Strafprozessordnung und weiterer Gesetz“ (vgl. BT-Drs. 18/11272). Der Entwurf enthält die in meinen Augen „unselige“ Änderung des § 81a Abs. 2 StPO durch den Wegfall des Richtervorbehalts für die Blutentnahme bei den Verkehrsdelikten und die Einführung des Fahrverbots (§ 44 StGB) als Nebenstrafe nicht nur bei Verkehrsdelikten. Beides m.E. unnötig wie ein Kropf, aber im ersten Fall sind es wohl die Länder, die es wollen – Stichwort: Personalknappheit – und im zweiten Fall der „Bundesheiko“, der sich an der Stelle offenbar ein (weiteres) Denkmal setzen will. Was bei diesem Teil des Entwurfes besonders ärgert und auffällt: Die Änderung wird durchgepeischt gegen die Stimmen der versammelten Literatur und des 55. VGT. Der Minister weiß es eben besser, oder: Er hat es getan. Und Streit um die Auslegung der Neuregelung ist vorprogrammiert, wenn man die Regelung der Zuständigkeiten sieht. Wer denn nun? Staatsanwalt vorrangig vor der Polizei oder gleichrangig. Die Länder schreien in ihrer Stellungnahme schon. Das hatten wir übrigens alles schon mal bei dem Gesetzesentwurf zu der Frage, der 2010 von Niedersachsen in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden ist. M.E. ein „Putsch im Strafverfahren“ 🙂

In meinen Augen ist zumindest das zweite Vorhaben ein Arbeitsbeschaffungsprogramm/Beschäftigungsprogramm für Verteidiger. Denn, wenn nun alle Angeklagten ggf. mit einem Fahrverbot nach § 44 StGB rechnen müssen, dann wird der Kampf in den Hauptverhandlungen zunehmen und auch die Zahl der Rechtsmittel. So viel also zur Entlastung der Justiz. Oder: Mit der einen Hand gegeben – siehe BT-Drs. 18/11277 -, mit der anderen Hand genommen BT-Drs. 18/11272. Dazu passt dann, dass sich schon die ersten Verteidiger in offenen Briefen bei der Politik bedanken (siehe hier der Kollege Lanz „Das Fahrverbot als allgemeine Nebenstrafe – Ein „Dankschreiben“ an die Bundesregierung„.

Beide Gesetzesvorgaben standen übrigens gestern schon auf der Agenda des Bundestages für die 1. Lesung, und zwar zu später Stunde. Ob tatsächlich gelesen worden ist? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nicht, denn es sollte gegen 00.00 Uhr gelesen werden. Nun ja, was man im Bundestag so lesen/beraten nennt. Wahrscheinlich hat man die Reden wieder als Anlage zu Protokoll gegeben, wie man das ja gerne tut. Ist aber auch nicht schlimm. Denn viel Vernünftiges wird man zu den beiden Vorhaben kaum sagen können.

Es bleibt nur die Hoffnung, dass der Rechtsausschuss vielleicht noch etwas richtet. Groß ist die Hoffnung aber nicht.

StPO-Reform: Da ist der Referentenentwurf – Bauplan für ein Denkmal der Effektivität?

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Zuletzt hatte ich im März im Zusammenhang mit dem 40 StV über die (geplante) StPO-Reform berichet (vgl. dazu Kommt eine StPO-Reform oder vielleicht doch nur ein „Reförmchen“?. Damals gab es den Rohentwurf eines Referententwurfs. Jetzt sind wir einen Schritt weiter, aus dem Rohentwurf ist dann ein Referentenentwurf geworden, der inzwischen auf der Homepage des BMJV steht (vgl. hier). Nun nehmen die Dinge/die Reform (?) ihren weiteren Lauf.

Es soll also ein „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ kommen, das zahlreiche Regelungen enthält, „die unter Wahrung der Rechte aller Verfahrensbeteiligten der Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung dienen“. Und dazu wird unter „Lösung“ angeführt:

  • einzelfallbezogene Erscheinenspflicht von Zeugen bei der Ploizei
  • Änderungen im Befangenheitsrecht,
  • Fristsetzung im Beweisantragsrecht,
  • verstärkter Einsatz von audiovisuellen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren,
  • eine verstärkte kommunikative und transparente Verfahrensführung u.a., um „durch Stärkung der Beschuldigtenrechte in einigen Bereichen späteren Streitigkeiten in der Hauptverhandlung vorzubeugen.

Nun ja, ich habe den Entwurf noch nicht im Einzelnen gelesen. Aber man weiß ja, was das BMJV unter „effektiv“ versteht. Ob es die Effektivität steigert, wenn der Vorsitzende bei Hauptverhandlungen, die länger als 3 Tage dauern, den Ablauf vorab mit den Beteiligten erörtern soll? Dasselbe gilt für das „Opening statement“?  Sicherlich zu begrüßen ist, dass der Beschuldigte nun endlich ein eigenes Antragsrecht hinsichtlich der Bestellung eines Pflichtverteidigers erhält.

Man muss wegen der Einzelheiten mal schauen. Und man muss auch mal schauen, wie schnell es jetzt geht oder auch nicht. Jedenfalls ist der derzeitige BMJV ja bestrebt, sich Denkmäler zu bauen. Ob dieses eins wird?

Ach so: Die Reaktion beim DAV? Durchwachsen.

Der 40. StV-Tag: Kommt eine StPO-Reform oder vielleicht doch nur ein „Reförmchen“?

20160228_124322Am vergangenen Wochenende hat vom 04. – 06.03.2016 der 40. Strafverteidigertag in Frankfurt statt gefunden, an dem ich auch (mal wieder) teilgenommen habe. Nachdem ich am Freitag über dessen Programm berichtet habe (vgl.Hier geht es zum 40. StV-Tag, oder: „Ich bin 40 – Bitte helfen Sie mir über die Strasse!“…..), heute dann hier die Ergebnisse/ein kleiner Rückblick.

Vorab: Für mich steht bei solchen Veranstaltungen immer mehr das Wiedersehen mit Kollegen und/Autoren der Handbücher oder des StRR im Vordergrund. Das hat jedenfalls gut geklappt. Einige habe ich getroffen und man hat sich mal wieder – über Email – hinaus austauschen können. Und: Es hat am Freitagabend einen sehr schönen Eröffnungsvortrag der Kollegen Scherzberg gegeben zum Thema: „Vom (unmöglichen) Zustand der Strafverteidigung„.

Zu den Ergebnissen. Nun, ich war in der AG 1 -StPO-Reform. Mich interessiert schon, was da nun kommt und vor allem, wann es kommt. Ein wenig überrascht war ich über die in meinen Augen doch sehr dünne Besetzung der Zuhörerbänke in dieser AG. Ich hatte  gedacht/damit gerechnet, dass sich mehr Kollegen für die Fragen der StPO-Reform interessieren. Ist bzw. war aber leider nicht so.

Zur Sache habe ich nicht so ganz viel Neues erfahren. Die Ministerialdirektorin Marie Luise Graf-Schlickert hat über den „Rohentwurf eines Referentenentwurfs“ berichtet – für mich ist das so wie „Wir planen, schwanger zu werden“….- und dabei natürlich auch die immer wieder kehrenden Vokablen von „Effektivität“, „praxistauglicher“, „schneller/beschleunigt“ usw., aber alles natürlich „unter Wahrung der Rechte des Beschuldigten“ benutzt. Ich habe da so meine Bedenken, denn m.E. sind schon bei den letzten „Reformen“ der StPO die Rechte des Angeklagten nicht unbedingt „gewahrt“ worden. Und wenn man so sieht und liest, was die Expertenkommission sich vorstellt, dann fragt man sich schon, ob nicht ggf. dann doch auf dem Altar der Effektivität das ein oder andere Recht des Beschuldigten geopfert werden wird.

Und diese Befürchtung klingt das auch in den Ergebnissen der AG 1 an, die wie folgt formuliert sind:

„AG 1: StPO-Reform

Die Hauptverhandlung im reformierten Inquisitionsverfahren der StPO ist geprägt durch einen prozessstrukturierten Antagonismus zwischen Gericht und Angeklagtem. Dieser resultiert aus der Kenntnis der Ermittlungsakten, deren Schwerpunkt in der Verdachtsbegründung und Verdachtsbestätigung  zu Lasten des Beschuldigten liegt. Die auf dem Akteninhalt beruhende Eröffnungsentscheidung führt zu einem Inertia-Effekt, der noch durch den Schulterschluss mit der Staatsanwaltschaft verstärkt wird. Das einseitig zum Nachteil des Angeklagten geprägte Hauptverfahren erfährt eine weitere Zuspitzung, wenn das Gericht erwägt, mit dem Angeklagten die Möglichkeit einer Verständigung zu erörtern oder sogar den Verfahrensbeteiligten einen Ver­ständigungsvorschlag zu unterbreiten.

Unter diesen Umständen lassen sich die Verteidigungsdefizite des Angeklagten in der Hauptverhandlung kaum noch kompensieren. Selbst bei einem robusten Beweisantragsrecht und weiteren Verfahrensrechten ist es kaum noch möglich, die weit vorangeschrittene Überzeugungsbildung auf Seiten des Gerichts durch neue Tatsachen oder Infragestellung der in der Hauptverhandlung reproduzierten Akteninhalte nachhaltig zu beeinflussen.

Abhilfe können nur erweiterte Partizipations- und Interventionsmöglichkeiten des (verteidigten) Beschuldigten im Ermittlungsverfahren schaffen. An dieser Vorgabe müssen sich die Vorschläge der Expertenkommission zur Reform des Strafprozesses messen lassen.

Die Vorschläge zur Begründung, Erweiterung bzw. Stärkung des Anwesenheits- und Fragerechts der Verteidigung bei Beschuldigtenvernehmungen bzw. einzelnen Beweiserhebungen gehen zwar in die richtige Richtung, greifen aber noch zu kurz.

Eine Option, den Verteidiger noch stärker an den Ermittlungen teilhaben zu lassen, wird allerdings aus Zeit- und Kostengründen nicht immer wahrgenommen werden können. Aus diesem Grunde bedarf es zumindest einer audiovisuellen Dokumentation von Beschuldigten- und wesentlichen Zeugenvernehmungen.

Nicht Gegenstand der Beratungen und Empfehlungen der Expertenkommission war/ist die Eröffnung eines eigenen Initiativrechts der Verteidigung zum Zwecke der Ermittlung von zu Gunsten des Beschuldigten sprechenden Tatsachen. Erforderlich ist hier ein durchsetzbares Recht auf Beantragung von Entlastungsbeweisen. Dies muss gekoppelt sein an die obligatorische Anwesenheit des Verteidigers bei der betreffenden Beweiserhebung. Alternativ wäre darüber nachzudenken, dem Verteidiger das Recht einzuräumen, Zeugen und Sachverständige zu befragen und zu diesem Zweck zum Erscheinen zu verpflichten.
Regelungsbedürftig erscheint auch die Sicherung und Auswertung digitaler Daten sowie die Übernahme interner Ermittlungen des Arbeitgebers in das Ermittlungsverfahren. Dieser Transfer sollte nur mit Zustimmung des Betroffenen zulässig sein.

Schon die vorstehend angesprochenen Punkte machen die verstärkte Mitwirkung des Ver­teidigers im Ermittlungsverfahren erforderlich. Hiervon sind insbeson­dere solche Beschuldigte betroffen, die finanziell nicht in der Lage sind, einen Wahlverteidiger zu beauftragen. Aus diesem Grunde müssen die Möglichkeiten der Pflichtverteidigerbeiordnung erweitert und der maßgebliche Zeitpunkt vorverlegt werden (schon jetzt muss § 136 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 163a Abs. 4 S. 2 StPO mit Leben erfüllt werden). Insbesondere bei einer Festnahme des Beschuldigten gem.  § 127 Abs. 2 StPO bedarf es der unverzüglichen Beiordnung eines Verteidigers. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen bedürfen auch der Mitwirkung der Anwaltschaft.
Dem Beschuldigten sollte vor Abschluss der Ermittlungen abschließendes rechtliches Gehör gewährt werden, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren nicht gem. § 170 Abs. 2 StPO einstellt.“

M.E. kommt man übrigens allein mit einer „verstärkten Mitwirkung des Verteidigers“ im Ermittlungsverfahren – nicht weiter – ich höre schon das „Geschrei“ aus den Bundesländern: „Noch mehr Pflichtverteidiger? Wir haben kein Geld.“ Dieser „verstärkten Mitwirkung“ muss man m.E. flankierende Maßnahmen zur Seite stellen, und zwar in Form von (Beweis)Verwertungsverboten. Denn sonst nutzt es alles nichts, oder: Was nutzt mir ein Recht, dessen Verletzung sanktionslos bleibt. Aber dazu wird es im Zweifel nicht kommen.

Kommen wird die StPO-Reform aber, davon wird man ausgehen müssen. Der BMJV Maas wird sich das Denkmal setzen wollen. Allerdings: In meinen Augen ist die Zeit knapp, es sei denn man „peitscht“ die Reform durchs Parlament. Geplant ist so Frau Graf-Schlickert: Eine Befassung der Regierung und ein Regierungsentwurf in diesem Sommer 2016 – parlamentarische Beratungen dann bis Anfang 2017 – und dann Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode und anschließend Inkrafttreten. In meinen Augen recht ambitioniert. Und alles hängt natürlich auch davon ab, ob die Länder mitmachen. Die Bayern – wer sonst – haben ja schon gerufen: Thema verfehlt. Nicht, dass hinterher nur die Abschaffung des § 81a Abs. 2 StPO in seiner jetztigen Form und die Einführung der Anwesenheitspflicht bei polizeilichen Vernehmungen übrig bleiben. Das wäre dann aber kein Denkmal für den BMJV, sondern nur ein „Reförmchen“.

Zu den übrigen Eregbnissen des 40. StV-Tages dann hier.