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Strafzumessung III: Verschlechterungsverbot, oder: Geltung auch für Einzelstrafen/Einziehungsentscheidung

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Und die dritte Entscheidung des Tages, der BGH, Beschl. v. 22.10.2019 – 1 StR 434/19 – hat auch mit Strafzumessung zu tun. In ihm geht es um eine Verletzung des Verschlechterungsverbotes (§§ 331, 358 StPO).

Das LG hatte den Angeklagten in einem ersten Rechtsgang wegen sieben Fällen der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem hatte es sichergestelltes Bargeld und den Wert von Taterträgen eingezogen. Dieses Urteil hat der BGH auf Revision des Angeklagten mit den zugehörigen Feststellungen in drei Fällen im Schuldspruch, im gesamten Strafausspruch sowie in den gesamtschuldnerischen Einziehungsanordnungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen (Beschl. v. 20.09.2018 – 1 StR 316/18). Im zweiten Rechtsgang hat das LG dann eine Tat nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und den Angeklagten über den rechtskräftigen Schuldspruch hinaus wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen verurteilt. Zudem hat es alle Einzelstrafen neu zugemessen, eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten gebildet und die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet.

Dagegen die (erneute) Revision des Angeklagten, die einen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) hatte:

„1. Das Landgericht hat gegen das Verschlechterungsverbot verstoßen, indem es im Fall D.II. der Urteilsgründe (vormals Fall B.7.) eine Einzelstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verhängt hat. Im ersten Rechtsgang hatte die Strafkammer für diese Tat eine Einzelstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten festgesetzt. Das Verschlechterungsverbot gilt auch für die Einzelstrafen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2002 – 1 StR 313/02 Rn. 21, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 12; KK-Paul, 8. Aufl., § 331 Rn. 3 mwN). Daher war – wie auch vom Generalbundesanwalt beantragt – der Strafausspruch im Fall D.II. der Urteilsgründe aufzuheben. Der Senat hat die Freiheitsstrafe indes nicht auf das gesetzliche Mindestmaß von einem Jahr (§ 29a Abs. 1 BtMG), sondern entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf zwei Jahre und sechs Monate herabgesetzt. Denn das Landgericht hätte ohne den Rechtsfehler nicht auf eine niedrigere als die in dem früheren Urteil verhängte Einzelstrafe erkannt.

Um jede Beschwer des Angeklagten auszuschließen, hat der Senat die vom Landgericht verhängte Gesamtfreiheitsstrafe um das geminderte Maß der Einzelstrafe, also um drei Monate herabgesetzt (vgl. zu dieser Verfahrensweise BGH, Beschluss vom 10. Mai 2001 – 4 StR 113/01 Rn. 4).

2. Das Landgericht hat mit seiner Einziehungsentscheidung ebenso wenig das Verschlechterungsverbot beachtet.

a) Das erste Tatgericht hatte 44.295 Euro Bargeld sowie dem Wert nach 63.205 Euro als Taterträge eingezogen. Den Gesamtbetrag in Höhe von 107.500 Euro hat das Landgericht zwar formal unterschritten, indem es allein die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 68.000 Euro angeordnet hat. Diese Anordnung verstößt hier aber gleichwohl gegen § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO, auch wenn bei der Prüfung eine Gesamtschau der jeweils verhängten Rechtsfolgen geboten ist (vgl. zu Letzterem BGH, Beschluss vom 11. November 1970 – 4 StR 66/70, BGHSt 24, 11, 14; KK-Paul, 8. Aufl., § 331 Rn. 4; LR/Gössel, StPO, 26. Aufl., § 331 Rn. 32). Der Angeklagte und die mit ihm als Gesamtschuldnerin haftende Nichtrevidentin D. hatten in der ersten Hauptverhandlung auf die Herausgabe des Bargelds verzichtet. Dessen Einziehung im früheren Urteil nach § 73 Abs. 1 StGB war daher zumindest entbehrlich (vgl. näher BGH, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 3 StR 307/18, BGHSt 63, 314 Rn. 6 ff.; Beschluss vom 20. März 2019 – 3 StR 67/19 Rn. 6 ff. mwN). Infolge ihres unwiderruflichen Verzichts erhalten der Angeklagte und die Nichtrevidentin D. das Bargeld – mag es den neuen Feststellungen zufolge auch nicht durch die angeklagten Taten erlangt sein – nicht zurück (vgl. auch UA S. 34 f.). Die wirtschaftliche Belastung verbleibt ihnen also selbst ohne förmliche Einziehung des Bargelds. Deren Anordnung im früheren Urteil ist deshalb beim Vergleich der Rechtsfolgen hinwegzudenken. Maßgeblich ist allein die ursprünglich geringere Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c Satz 1 StGB; vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 – 1 StR 591/18 Rn. 13).

Der damit verbundene Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot entfällt nicht durch dem Vollstreckungsverfahren vorbehaltene Anordnungen (vgl. LR/Gössel, StPO, 26. Aufl., § 331 Rn. 36), wie sie hier nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO in Betracht kommen.

b) Der Betrag, den das erste Tatgericht als den Wert von Taterträgen eingezogen hatte (63.205 Euro), ist zudem um weitere 30.000 Euro zu mindern. Ein solcher Abzug entspricht dem damals festgestellten Wert der Taterträge im aufgehobenen Fall B.6. der ersten Urteilsgründe. Diese Tat hat das Landgericht nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Insoweit war eine Einziehung im hiesigen Verfahren nicht mehr möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2018 – 1 StR 326/18 Rn. 7) und ist auch nicht erfolgt (§ 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO; UA S. 35). Der nach § 358 Abs. 2 StPO zulässige Einziehungsbetrag bei den verbliebenen Taten, an denen das – tatbezogene (vgl. LR/Gössel, StPO, 26. Aufl., § 358 Rn. 11 mwN) – Verschlechterungsverbot zu messen ist, verringert sich indes um jene 30.000 Euro, die im ersten Rechtsgang noch auf die eingestellte Tat entfallen waren. Dafür spricht auch, dass insoweit die selbständige Einziehung vorgesehen ist, die einem etwaigen eigenen Verfahren vorbehalten ist (§ 76a Abs. 3 StGB, § 435 StPO). Diese Regelungen schränken das Verschlechterungsverbot nicht etwa ihrerseits ein (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2019 – 5 StR 387/18, BGHSt 64, 48 Rn. 18 ff. mwN).

c) Der Senat hat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO den Einziehungsausspruch auf den zulässigen Höchstbetrag von 33.205 Euro reduziert. Eine solche Korrektur ist auch bei der Nichtrevidentin D. veranlasst. Sie ist ebenso wie der Angeklagte von dem Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot betroffen, der in den Anwendungsbereich von § 357 Satz 1 StPO fällt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2000 – 2 StR 171/00 Rn. 7 mwN).“

Einziehung, oder: Eine „vergessene“ Einziehungsentscheidung kann nicht nachgeholt werden

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Und aus dem Reservoir der Entscheidungen zu Einziehungsfragen dann als zweite Montagsentscheidung der AG Dortmund, Beschl. v. 22.02.2019 – 767 Ls-800 Js 380/18-66/18.  Der lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Staatsanwaltschaft hatte den Angeklagten mit Anklageschrift vom 19.09.2018 angeklagt, am 08.04.2018 Dortmund mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben. Dabei war eine Einziehungsentscheidung beantragt worden hinsichtlich sichergestellter Betäubungsmittel nebst Verpackungsmaterialien. Im Anschluss kam es zu einer Eröffnung des Verfahrens und zu einer Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Eine Einziehungsentscheidung erfolgte ausweislich der Gründe des Urteils deshalb nicht, weil der Angeklagte sich mit einer außergerichtlichen Einziehung der genannten Gegenstände einverstanden erklärt hatte.

Mit Antrag vom 03.01.2019 beantragte die Staatsanwaltschaft dann im selbstständigen Einziehungsverfahren nach § 435 StPO eine Nachholung einer Einziehung von 1.883 €, die zu Beginn des Ermittlungsverfahrens bei dem Beschuldigten sichergestellt worden waren und hinsichtlich derer der Beschuldigte angegeben hatte, dass es sich um Gewinne aus Drogenverkäufen gehandelt habe.

Das AG hat den Antrag zurückgewiesen.

„Ein Verfahren gemäß § 435 StPO wurde bereits nicht zulässig beantragt. Vielmehr ist ein solches selbstständiges Einziehungsverfahren mit einer gesonderten Antragsschrift  einzuleiten, die hinsichtlich ihrer formellen Anforderungen im Großen und Ganzen einer Anklageschrift angenähert ist, vergleiche § 435 Abs. 2 StPO. Hieran fehlt es im vorliegenden Falle. Vielmehr lag eine einfache Übersendungsverfügung vor. Im Übrigen betrifft das Verfahren nach § 435 StPO materiell-rechtlich die selbständige Einziehung nach §  76a StGB. Voraussetzung der Anwendung dieser Norm ist wiederum in Abs. 1 die  Nichtverfolgung oder Nichtverurteilung oder in Abs. 2 die Verjährung. Keines von beidem liegt hier vor. Es liegt auch keine Einstellung bzw. Absehen von Strafe nach § 76a Abs. 3 StGB vor.

Ebenso wenig liegt ein Fall eines weiterzuführenden Einziehungsverfahren nach Abtrennung, §§ 422, 423 StPO, vor. Eine solche Abtrennung hat weder im sonstigen Verfahren, noch in der Hauptverhandlung stattgefunden und zwar auch nicht konkludent.

Schließlich liegt auch kein Fall einer nachträglichen Entscheidung nach § 462 Abs. 1 S. 2 StPO vor und zwar auch nicht durch analoge Anwendung dieser Vorschrift. Dieser Vorschrift knüpft materiell-rechtlich an § 76 StGB an und an die Frage, ob die angeordnete Einziehung unzureichend oder nicht ausführbar ist. Ein solcher Fall liegt dann nicht vor, wenn die Einziehung komplett unterblieben ist und im Urteilstenor wie hier gar nicht anklingt. Dies gilt umso mehr, als auch in den Entscheidungsgründen im vorliegenden Falle der nach Ansicht der Staatsanwaltschaft einzuziehende Betrag von 1883 € keinen Widerhall gefunden hat. Schließlich ist darauf zu verweisen, dass auch in der Anklageschrift keinerlei Hinweis dahingehend vorhanden ist, dass auch ein Geldbetrag eingezogen werden sollte.

Schließlich wird darauf hingewiesen, dass auch der Bundesgerichtshof in einem Fall aus der Übergangszeit  vom alten zum neuen Vermögensabschöpfungsrecht eine nachträgliche Anordnung für nicht möglich gehalten hat, vergleiche BGH, Urteil vom 29.03.2018 – 4 StR 568 / 17.“