Und heute dann am RVG-Tag zwei LG-Entscheidungen, beide äußern sich zur Bemessung der Rahmengebühren im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren. Das ist ja ein Bereich, in dem die LG gern wortreich zur Sache Stellung nehmen, häufig allerdings falsch. In der hier zunächst vorgestellten Entscheidung LG Duisburg, Beschl. v. 04.02.2025 – 69 Qs 48/24 – geht es aber noch so einigermaßen.
Folgender Sachverhalt: Gegen den Betroffenen war wegen einer innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung ein Bußgeldbescheid über 115,00 EUR ergangen. Außerdem drohte die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister.
Mit Schriftsatz vom 22.08.2023 hat der Verteidiger des Betroffenen seine Bestellung angezeigt, Einspruch eingelegt, Akteneinsicht sowie die Einstellung des Verfahrens beantragt. Nachdem eine Begründung des Einspruchs nicht erfolgte, ist das Verfahren an das AG abgegeben worden. Dort nahm der Verteidiger für den Betroffenen unter dem 16.11.2023 Stellung. Er wies insbesondere, darauf hin, dass das verwendete Messgerät nicht in standardisierter Weise, eingesetzt worden sei. Mit Schriftsatz vom 07.02.2024 regte der Verteidiger an, die Hauptverhandlung auszusetzen. Das AG hat mit Schreiben vom 08.02.2024 dann die Staatsanwaltschaft um Mitteilung gebeten, ob einer Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG zugestimmt werde; es nahm Bezug auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 16.11.2023. Nach Zustimmung der Staatsanwaltschaft hat das AG das Verfahren am 12.04.2024 nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Staatskasse auferlegt.
Der Verteidiger hat die Festsetzung der Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen beantragt. Er hat die Festsetzung der Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG, der Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG, der Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG und der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG nebst Auslagenpauschalen Nr. 7002 VV RVG beantragt. Geltend gemacht worden sind jeweils die Mittelgebühren. Zur Begründung verwies es darauf, dass der Betroffene niedergelassener Zahnarzt mit eigener Praxis und dringend auf die Fahrmöglichkeit angewiesen sei. Seine Praxis sei 70 km entfernt von seinem Wohnort. Ob in der eigenen oder in einer Gemeinschaftspraxis, im Schnitt erreiche der monatliche Verdienst selbständiger Zahnärzte in Deutschland über 20.000,00 EUR brutto. Der durchschnittliche Reinertrag einer Zahnarztpraxis in Deutschland liege laut dem Statistischen Bundesamt bei etwa 281.000 EUR/Jahr. Der Betroffene fahre ein Oberklassefahrzeug der Marke Tesla. Das Einkommen sei daher deutlich überdurchschnittlich. Zudem sei der Betroffene Jäger mit Jagd- und Waffenschein. Die regelmäßige Zuverlässigkeitsprüfung vertrage sich nicht mit Eintragungen im Fahreignungsregister. Die Verteidigung gegen standardisierte Messverfahren sei besonders schwierig und selten erfolgreich. Die Verteidigung habe hier sachverständige Tätigkeit leisten müssen.
Das AG hat die zu erstattenden notwendigen Auslagen abweichend festgesetzt. Es hat für die Grundgebühr gemäß Nr. 5100 VV RVG nur 66,00 EUR, für die Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG ebenfalls nur 66,00 EUR und für die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG nur 99,00 EUR festgesetzt.
Dagegen hat der Verteidiger sofortige Beschwerde eingelegt und darauf hingewiesen, dass das Mandat wegen der Besonderheiten beim Betroffenen auch erheblichen Besprechungsbedarf erfordert habe und gerade nicht ein einmaliges vermeintlich kurzes Gespräch. Viele Betroffene, so auch gerade hier; hätten ein Interesse an Erläuterung des. Ablaufs eines solchen Verfahrens, der Möglichkeiten, der Strategie, der Erläuterung, warum es sich gerade bei Handlasermessungen lohne, es auf eine Verhandlung mit Beweisaufnahme ankommen zu lassen. Dazu hätten hier mehrere ausführliche Telefonate stattgefunden. Die Besprechungen und der Erstkontakt seien telefonisch oder per E-Mail erfolgt. Da der Betroffene keine Rechtschutzversicherung gehabt habe, sei ein überdurchschnittlicher Beratungsaufwand erforderlich gewesen, weil hier eine ausführliche Darlegung der Höhe und Struktur der anfallenden Gebühren und das Gebührenregime des RVG habe erläutert werden müssen. Außerdem habe ein Telefonat stattgefunden, da der Betroffene um genaue Darlegung gebeten habe, wie der Verteidiger die Aussichten einschätze und was es mit dem Gerätetest auf sich habe. Der Verteidiger habe u.a. die Ausgestaltung des Bußgeldverfahrens sowie die Rechtsmittelmöglichkeiten erläutert. Mit „15 Minuten Monolog“ sei dies nicht getan gewesen. Nach der Ladung habe ein weiteres Telefonat über die Möglichkeiten der Entbindung vom persönlichen Erscheinen stattgefunden. Der Betroffene sei zudem wegen seiner Eigenschaft als Jäger besorgt gewesen.
Das Rechtsmittel des Verteidigers hatte Erfolg. Das LG führt – ich sage ja: wortreich 🙂 – aus:
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Bei den Rahmengebühren bestimmt sich nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG die im Einzelfall festzusetzende Vergütung nach Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der. Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber, seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie den sonstigen Gesamtumständen des Falls. Die in Teil 5 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG. vorgesehenen Gebührenrahmen stellen den Rahmen für die Vergütung der Bearbeitung sämtlicher Bußgeldsachen dar. Dabei erfasst die „Rahmenmittelgebühr“ nach der Gesetzeslage den durchschnittlichen Fall. Was ein durchschnittlicher Fall ist, ist jeweils nach den Gesamtumständen und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls festzustellen. Auch bei Verkehrsordnungswidrigkeiten kann nicht in sämtlichen Fällen von vorneherein schematisch davon ausgegangen werden, dass ein unterdurchschnittlicher Fall vorliegt.
Zwar wird in einfach gelagerten Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten eine Festsetzung der anwaltlichen Vergütungsansprüche im unteren Drittel des zur Verfügung stehenden Gebührenrahmens erfolgen, wenn unter strikter Beachtung der Umstände des Einzelfalls und unter Zugrundelegung der Gebührenbemessungskriterien aus § 14 RVG davon auszugehen ist, dass insgesamt eine Angelegenheit von unterdurchschnittlicher Bedeutung vorliegt. Dies wird in einfach gelagerten Verfahren der Regelfall sein.
Bei der Beurteilung, ob ein „durchschnittlicher Fall“ vorliegt, ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen sowie eine Gesamtabwägung vorzunehmen: Wenn sämtliche der gemäß § 14 Abs. 1. Satz 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände, also insbesondere der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers, als durchschnittlich einzuordnen sind, gilt damit die Mittelgebühr. Sie ist aber wegen der vorzunehmenden Gesamtabwägung auch anzusetzen, wenn erhöhende und vermindernde Bemessungskriterien etwa gleichgewichtig sind oder wenn ein Bestimmungsmerkmal ein solches Übergewicht erhält, dass dadurch das geringere Gewicht einzelner oder mehrerer anderer Merkmale kompensiert wird.
Die im vorliegenden Kostenfestsetzungsantrag durch den Beschwerdeführer vorgenommene Bestimmung der Gebühren in Höhe der jeweiligen Mittelgebühr bewegt sich im Hinblick auf die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG noch innerhalb der zuzubilligenden Toleranzgrenze von 20 % und ist daher gegenüber der Staatskasse verbindlich:
1. Grundgebühr gemäß Nr: 5100 VV RVG
Die Gebühr entsteht für sämtliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Rahmen der erstmaligen Einarbeitung in den Rechtsfall und hat einen Gebührenrahmen von 33,00 € bis 187,00 €. Durch sie wird- lediglich die erste Entgegennähme der Information und Sichtung des Sachverhalts und Verfahrensstoffes vergütet. Hiervon ist auch ein etwaiges erstes Mandantengespräch umfasst.
Zutreffend ist, dass die Kammer vielfach entschieden hat, dass Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten, die auf einem Geschwindigkeitsverstoß beruhen, wegen ihrer statistischen Häufigkeit in der Regel routinemäßig und ohne, wesentlichen Zeitaufwand vom Rechtsanwalt bearbeitet werden. Berücksichtigt man, dass der Gebührenrahmen alle Arten von Ordnungswidrigkeiten, also auch solche aus den Bereichen des Bau-, Gewerbe-, Umwelt- oder Steuerrechts, die häufig mit Bußgeldern im oberen Bereich des Bußgeldrahmens geahndet werden und oft mit rechtlichen Schwierigkeiten und/oder umfangreicher Sachaufklärung verbunden sind, erfasst, ist der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit in Verkehrsordnungswidrigkeiten in de( Regel als unterdurchschnittlich anzusehen.
Die Kammer vertritt – in ihrer ständigen Rechtsprechung – die Auffassung, dass allein der Umstand, dass für die verfahrensgegenständliche Verkehrsordnungswidrigkeit die Eintragung eines oder mehrere Punkte im Punktesystem vorgesehen ist, nicht per se die besondere Bedeutung des Verfahrens für den Betroffenen, begründet, sondern nur dann, wenn mit dem/den anzuordnenden Punkt/en unmittelbare Auswirkungen auf den Bestand der Fahrerlaubnis des Betroffenen verbunden sind. Bei der Bedeutung der Sache für den Betroffenen war jedoch neben den verkehrsrechtlichen Konsequenzen auch noch von Bedeutung, ob die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit Auswirkungen auf seine Zuverlässigkeit im Sinne von § 5 Absatz 2 WaffG und § 17 BJagdG haben, sodass im vorliegenden Einzelfall im Vergleich zu anderen Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten — die Bedeutung der Angelegenheit dadurch größer war. Bei Zugrundelegung dieses weiteren Umstandes dürfte die Festsetzung des Verteidigers noch nicht unbillig sein.
2. Verfahrensgebühr (Verwaltungsbehörde) gemäß Nr. 5103 VV RVG
Die Gebühr nach Nr. 5103 VV RVG entsteht für sämtliche Tätigkeiten des Verteidigers vor der Verwaltungsbehörde und hat einen Gebührenrahmen von 33,00 € bis 319,00 €.
Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, dass in diesem Stadium zumindest zwei ausführliche Beratungen stattgefunden hätten, die jedenfalls mit einem „15 Minuten Monolog“, nicht erledigt gewesen seien. Zwar hat der Beschwerdeführer keine konkrete. Minutenanzahl nennen können, jedoch hat er Angaben zu dem Beratungsinhalt gemacht, die es der Kammer erlaubt haben, sich einen Eindruck vom Umfang der Mandantengespräche zu machen. In einem telefonischen Beratungsgespräch sei eine ausführliche Darlegung der Höhe und Struktur der anfallenden Gebühren und das Gebührenregime des RVG erläutert worden. Zudem habe er erläutert, dass in vielen Fällen auch bei einer Verfahrenseinstellung keine Kostenerstattung erfolge. In diesem Verfahrensabschnitt hat ein weiteres Beratungsgespräch stattgefunden, da der Betroffene um genaue Darlegung bat, wie der Beschwerdeführer die Aussichten einschätze und was es mit dem Gerätetest auf sich habe. Neben der Bedeutung der Sache für den Betroffenen (s.o.) ist die erfolgte Festsetzung noch nicht unbillig.
3. Verfahrensgebühr (Amtsgericht) gemäß Nr. 5109 VV RVG
Durch die Verfahrensgebühr nach Nr. 5109 VV RVG werden sämtliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts vor dem Amtsgericht abgegolten, soweit hierfür keine gesonderten Gebühren vorgesehen sind. Sie hat einen Gebührenrahmen von 33,00 bis 319,00 €.
Der Umfang (der zeitliche Aufwand) und die Schwierigkeit (die Intensität der Arbeit) der anwaltlichen Tätigkeit wären vorliegend als noch durchschnittlich zu bewerten. Nach der Ladung hat zwischen dem Beschwerdeführer und dem Betroffenen ein weiteres Telefonat über die Möglichkeiten der Entbindung vom persönlichen Erscheinen stattgefunden. Der Betroffene sei wegen seiner Eigenschaft als Jäger besorgt gewesen. Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung hat der Beschwerdeführer den Schriftsatz vom 16.11.2023 gefertigt und dazu eine Rechtsprechungsrecherche durchgeführt. Zudem hat ein Telefonat mit dem Vorsitzenden stattgefunden. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer zu prüfen hatte, ob und welche Auswirkungen die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit auf die Zuverlässigkeit des Betroffenen im Sinne von § 5 Absatz 2 WaffG und § 17 BJagdG hatte. All diese Tätigkeiten berechtigen dazu, bereits von-einer durchschnittlichen Angelegenheit zu sprechen.“
Anzumerken ist:
Alles in allem ist gegen das Ergebnis – für alle Gebühren Mittelgebühren – nichts einzuwenden, zumal man auch nicht übersehen darf, welchen Aufwand der Verteidiger im Kostenfestsetzungsverfahren hat betreiben müssen. Unklar bleibt allerdings – jedenfalls für mich – von welchem grundsätzlichen Ansatz das LG nun in Bußgeldverfahren ausgeht. Will man wirklich in der Regel die Rahmengebühren nur im unteren Drittel des Rahmenbereichs bemessen? Das wäre m.E. verfehlt und würde in vielen Fällen die oft gerade in Bußgeldverfahren umfangreichen Tätigkeiten der Verteidiger für schwierige Mandanten nicht angemessen honorieren. Unklar bleibt der Ansatz des LG hier für mich deshalb, weil das LG andererseits an mehreren Stellen die Bedeutung der Umstände des Einzelfalls betont, auf die es maßgeblich ankommen soll. Das wäre dann allerdings zutreffend und würde der wohl überwiegenden Meinung der Rechtsprechung in dieser Frage entsprechen.
Im Übrigen: Das hier die Mittelgebühren angemessen waren, lag m.E. auf der Hand. Das ergab sich allein schon daraus, dass zumindest alles Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zumindest durchschnittlich waren. Die Vermögensverhältnisse des Betroffenen, zu den das LG nicht näher ausführt, waren sicherlich sogar überdurchschnittlich. Von daher war der Ansatz von nur 66 EUR für die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG und die Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG und von 99 EUR für die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG durch das AG mehr als unangemessen.