Heute hier dann ein OWi-Tag.
Zunächst stelle ich den OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.02.2025 – 1 ORbs 284/24 – vor. Er hat eine Drogenfahrt zum Gegenstand. Im Verfahren ist u.a. gestritten worden über die Frage, ob der Betroffene ausreichend belehrt worden ist und ob, weil das unterblieben ist, ein Beweisverwertungsverbot besteht. Das OLG sagt: Nein, und zwar:
„b) Die Rüge eines bestehenden Beweisverwertungsverbots aufgrund unterbliebener bzw. unvollständiger Beschuldigtenbelehrung gemäß § 46 Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 136, 163a StPO verhilft der Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg.
aa) Vor Durchführung des Drogenschnelltests (sog. Drug Wipe Test) bedurfte es keiner Belehrung des Betroffenen. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht Beschuldigter im Sinne der genannten Vorschriften.
Gemäß §§ 136, 163a StPO ist der Beschuldigte zu belehren; die Vorschrift findet über § 46 Abs. 1 OWiG auf das Ordnungswidrigkeitenverfahren Anwendung. Ob die zu vernehmende Person Beschuldigter ist, unterliegt der pflichtgemäßen Beurteilung des Vernehmungsbeamten (BGHSt 51, 367, 371; BGH NJW 2019, 2627, 2630; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, zu § 163a, Rz. 4a). Hierfür sind hinreichend gesicherte Erkenntnisse hinsichtlich der Tat und des Täters erforderlich (BGH NJW 2019.2627, 2630; BGH NStZ 2008, 48; BGH NStZ-RR 2012, 49; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.). Eine Pflicht zur Belehrung besteht, sobald die Ermittlungsbehörde eine Maßnahme trifft, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild darauf abzielt, den Vernommenen als Täter einer Straftat zu überführen (BGH NStZ 2015, 291). Dabei beurteilt sich die Manifestation des Verfolgungswillens danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, insbesondere in der Wahrnehmung des Betroffenen darstellt (BGH NStZ 2023, 686; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.). Die Grenzen des Beurteilungsspielraums sind überschritten, wenn trotz starken Tatverdachts willkürlich die Beschuldigtenrechte umgangen werden (BGH NJW 2019, 26327, 2630). Der anzulegende Willkürmaßstab ist objektiv zu bestimmen, ein bewusst auf Umgehung der Beschuldigtenrechte gerichtetes Verhalten des Vernehmungsbeamten ist nicht erforderlich (BGH NJW 2019, 2627, 2630).
Ein in diesem Sinne zur Belehrung des Betroffenen verpflichtender starker Tatverdacht bestand zum Zeitpunkt der Durchführung des Drogenschnelltests nicht. Ausweislich der im Hauptverhandlungsprotokoll niedergelegten Aussage des Vernehmungsbeamten Polizeikommissar pp. (Name) war der Betroffene stark nervös und wies starkes Lidflattern auf. Das konnte aus Sicht des Beamten auch andere Gründe haben als den Konsum von Drogen. Um dies zu klären, wurde der Schnelltest durchgeführt. Damit wurde eine Vorermittlung durchgeführt zur Klärung der Frage, ob der Betroffene zu beschuldigten war oder nicht. Dass dieser zuvor nicht über seine Rechte als Beschuldigter belehrt wurde, erweist sich sonach nicht als rechtswidrig.
bb) Die Situation änderte sich mit dem positiven Schnelltest. Angesichts dieses Ergebnisses musste der Zeuge pp. (Name) den Betroffenen nunmehr als Beschuldigten belehren, und zwar gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 136 Abs. 1 S. 2 StPO auch über sein Recht, einen Verteidiger zu konsultieren. Letzteres hat der Zeuge nach dem Vortrag der Rechtsbeschwerdebegründung, der durch das Hauptverhandlungsprotokoll gestützt wird, unterlassen. Daraus folgt grundsätzlich ein Verwertungsverbot (BGHSt 47, 172; OLG Hamm NStZ-RR 2006, 47) mit der Folge, dass das Ergebnis der Blutprobenanalyse vorliegend wohl nicht zum Nachteil des Betroffenen zu Beweiszwecken herangezogen werden konnte.
Zwar zieht nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot aufgrund einer Abwägung der namentlich im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen verfassungsrechtlichen Gebote und Ziele zu treffen (BGH, Beschluss vom 12. Januar 1996, 5 StR 756/94, Rz. 17, Juris). Ein Verwertungsverbot liegt nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten zu sichern. Die Möglichkeit, sich eines Verteidigers oder Beistands zu bedienen, gehört zu den wichtigsten Rechten des Beschuldigten (BGH a. a. O.; BGHSt 38, 372, 374).
cc) Gleichwohl bleibt der Verfahrensrüge der Erfolg versagt, weil der Betroffene der Verwertung der Blutprobe in der Hauptverhandlung vom 29. Juli 2024 nicht widersprochen hat. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO (hier in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG) löst kein Verwertungsverbot aus, wenn der verteidigte Angeklagte einer Verwertung des unter Verstoß gegen diese Bestimmung gewonnenen Beweismittels bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt nicht widersprochen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 1996, 5 StR 756/94, Rz. 19 f., Juris; BGHSt 38, 214, 225 f.; BGHSt 39, 349, 352).
So liegt der Fall hier. Durch das Hauptverhandlungsprotokoll ist aufgrund dessen aus § 274 StPO folgender Beweiskraft bewiesen, dass der Betroffene der Verwertung der Blutprobe nicht widersprochen hat. Aus dem oben wiedergegebenen Wortlaut ergibt sich, dass der Betroffene allein der Einführung des Beweismittels im Wege des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO widersprochen hat, nicht aber der Beweisverwertung an sich. Hierfür liefert das Hauptverhandlungsprotokoll vollen Beweis.
Gemäß § 274 Abs. 1 S. 1 StPO ist die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, zu denen der Widerspruch zählt, nur durch das Protokoll beweisbar. Die Vorschrift normiert eine gesetzliche Beweisregel, nach der dem Protokoll eine ausschließliche Beweiskraft zukommt (Meyer-Goßner a. a. O., zu § 274, Rz. 3). Durch andere Beweismittel kann das Protokoll grundsätzlich nicht ergänzt, ersetzt oder widerlegt werden (BGHSt 2, 125, 126; BGH NStZ 1993, 51). Mängel im Protokoll führen nur dann zum Verlust seiner absoluten Beweiskraft, wenn es lückenhaft, unklar, widersprüchlich oder sonst auslegungsbedürftig ist (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Rz. 5 und 17). In Fällen der Auslegungsbedürftigkeit erfolgt die Klarstellung im Wege der Auslegung des gesamten, als Einheit zu betrachtenden Protokolls, gegebenenfalls in Verbindung mit der freien Beweiswürdigung und den Mitteln des Freibeweises, zu denen der gesamte Akteninhalt zählt (BGH NStZ-RR 2003, 5).
Vorliegend ist das Protokoll indessen nicht auslegungsbedürftig, sondern eindeutig. Es legt nach seinem klaren Wortlaut „Nach Widerspruch zum Selbstleseverfahren pp. “ einen Widerspruch des Betroffenen hinsichtlich des Weges dar, vermittels dessen die Blutprobe in die Beweisaufnahme eingeführt werden sollte, namentlich gegen das Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO, nicht aber einen Widerspruch gegen die Beweiserhebung und –verwertung an sich. Der Schriftsatz des Verteidigers vom 25. Juni 2024, in dem zu einem Beweisverwertungsverbot mangels zureichender Beschuldigtenbelehrung ausgeführt wurde, ist ausweislich des Protokolls in der Hauptverhandlung nicht in Bezug genommen worden. Auch dafür bietet das Protokoll vollen (negativen) Beweis.
Eine Protokollberichtigung hat der Betroffene nicht beantragt.“
Also: Ja, aber 🙂 . Als Verteidiger muss mal also darauf achten, dass explizit der Beweiserhebung und – verwertung widersprochen wird.
Ich stehe gerade auf dem Schlauch. Warum auch der Beweiserhebung? Der Widerspruch der Verwertung ist doch bis zum Zeitpunkt des § 257 Abs. 2 StPO ausreichend. Wenn das nicht erfolgt, dann ist wie hier verwertbar. Aber woraus ergibt sich, dass ebenfalls auch der Erhebung widersprochen werden muss?