Archiv für den Monat: Februar 2024

Pflichti I: Auswechseln des „Pflichti“ in der Revision, oder: Begründung des Antrags und Verfahren

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann heute mal wieder eine Tag mit Pflichtverteidigungsentscheidungen. So ganz viele sind es aber nicht, immerhin aber insgesamt fünf Stück.

Ich beginne hier mit zwei Entscheidungen zur Auswechselung des Pflichtverteidigers, und zwar:

Zu den Fragen der Auswechselung hat noch einmal der BGH im BGH, Beschl. v. 15.01.2024 – 2 StR 124/23 – Stellung genommen. Das LG hat die Angeklagte u.a. wegen Brandstiftung verurteilt. Der im Ermittlungsverfahren bestellte Pflichtverteidiger der Angeklagten hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt und das Rechtsmittel mit Verfahrensbeanstandungen und der allgemeinen Sachrüge begründet. dann ist um die Formwirksamkeit gestritten worden (dazu der BGH, Beschl. v. 01.08.2023 – 2 StR 124/23). Der BGH hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision gewährt. Der Beschluss ist dem Verteidiger am 13.09.2023 zugestellt worden.

Mit Schreiben vom 22.07.2023 hat die Angeklagte vorgetragen, „sie vertraue ihrem Verteidiger nicht mehr. Sie habe die Revisionsbegründungsschrift erst zwei Tage vor dem Abgabetermin zur Ansicht erhalten, ein vom Landgericht vernommener Zeuge und „eigentliche[r] Täter S. aber schon vierzehn Tage“ vor ihr. S. habe ihrem Verteidiger „am ersten Gerichtstag […] einen gut gefüllten Briefumschlag im Gerichtssaal übergeben“ wollen. Ihr Verteidiger habe erwidert, er solle „den Brief doch bitte an die Kanzlei senden“. Die Revisionsbegründungsschrift des Verteidigers beanstande „nur das zur Gefälligkeit erstellte Brandschutzgutachten […], obwohl das ganze Urteil nur aus Mutmaßungen und Spekulationen“ bestehe. Ein anderer „Strafanwalt“ habe ihr erklärt, „[s]eine Revisionsbegründung auf dieses Urteil wäre dreißig[-] bis vierzigseitig ausgefallen“. Damit konfrontiert habe ihr Verteidiger erklärt, dafür habe er als Pflichtverteidiger keine Zeit. Mit weiterem Schreiben vom 2. September 2023 hat die Angeklagte geäußert, das Vertrauensverhältnis zu ihrem Verteidiger sei „zerstört“. Sie hat gebeten, den Verteidiger „aus dem Verfahren zu entbinden“ und ihr einen „renommierten Anwalt aus L. “ beizuordnen.“ Mit Schreiben vom 30.11.2023 hat sie diese Bitte schließlich dahin präzisiert, sie beantrage nunmehr, ihr Rechtsanwalt L. aus L. beizuordnen.

Der Verteidiger der Angeklagten ist den gegen ihn erhobenen Vorwürfen entgegengetreten. Der BGH hat den Antrag abgelehnt:

„Der Antrag ist unbegründet, da die Voraussetzungen für einen Pflichtverteidigerwechsel gemäß § 143a Abs. 3 und 2 StPO nicht vorliegen.

1. § 143a Abs. 3 StPO, der eine vereinfachte Regelung für den Pflichtverteidigerwechsel im Revisionsverfahren trifft, greift nicht ein. Die Angeklagte hat den Antrag auf Verteidigerwechsel weder bei dem Gericht gestellt, dessen Urteil angefochten ist, § 143a Abs. 3 Satz 2 StPO, noch hat sie innerhalb der Wochenfrist des § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO den neu zu bestellenden Verteidiger bezeichnet (vgl. BT-Drucks. 19/13829 S. 49; LR-StPO/Jahn, 27. Aufl., § 143a Rn. 42).

2. Die Voraussetzungen für einen Wechsel des Pflichtverteidigers gemäß § 143a Abs. 2 StPO liegen ebenfalls nicht vor.

Eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zum bisherigen Pflichtverteidiger, § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Fall 1 StPO, ist nicht glaubhaft gemacht. Den von der Angeklagten erhobenen Vorwürfen ist der Verteidiger entgegengetreten. Sonstige Belege für die Behauptungen der Angeklagten sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar.

Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, der einer angemessenen Verteidigung der Angeklagten entgegenstünde und einen Wechsel in der Person des Pflichtverteidigers geböte, § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Fall 2 StPO. Eine angemessene Verteidigung der Angeklagten ist gewährleistet. Der Verteidiger hat auf den Formfehler bei der Übersendung der Revisionsschrift innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist reagiert. Ein über die Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 7 StPO hinausgehender Nachteil ist der Angeklagten durch die ursprüngliche Versäumung der Einlegungsfrist nicht entstanden.“

Und die zweite Entscheidung zu der Problematik „Auswechselung“ kommt vom KG. Das hat im KG, Beschl. v.13.12.2023 – 2 Ws 146/23 – auch noch einmal zu den Voraussetzungen Stellung genommen. Die Entscheidung stelle ich aber hier nur mit den Leitsätzen vor, das das KG die Fragen bereits (mehrfach) entschieden hat(te), und zwar:

1. Die Bezeichnung eines neuen Verteidigers ist Voraussetzung für einen Verteidigerwechsels nach § 143a Abs. 3 StPO (vgl. KG, Beschl. v. 09.052023 – 4 Ws 23/23).
2. Die pauschale Begründung des Entpflichtungsantrags eines Beschuldigten mit der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses und bereits zuvor unternommenen Versuchen der Entpflichtung des Verteidigers ist nicht geeignet, einen Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO zu rechtfertigen. Voraussetzung der Annahme eines wichtigen Grundes für die Ersetzung des Pflichtverteidigers ist vielmehr, dass konkrete Tatsachen vorgetragen und gegebenenfalls nachgewiesen werden, aus denen sich ergibt, dass eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliegt und daher zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann.

 

Verkehr III: Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Nicht mehr nach (mehr) als 6 Monaten

Bild von xaviandrew auf Pixabay

Und im dritten Posting dann noch eine Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach unerlaubtem Entfernen vom Unfallort. Hier aber keine speziellle „§-142-er-Problematik“, sondern eine allgemeine Verhältnismäßigkeitsfrage,

In dem Verfahren wird dem Angeklagten mit der Anklage vom 19.05.2023 eine am 26.10.2022 begangene fahrlässige Körperverletzung im Straßenverkehr und anschließendes unerlaubtes Entfernen zur Last geleg. Die StA hat erstmals mit der Anklage Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gestellt.

Den hat das AG dann jetzt mit AG Bautzen, Beschl. v. 25.01.2024 – 40 Ds 620 Js 31577/22 – zugleich mit der Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt:

„Der Antrag der Staatsanwaltschaft Görlitz auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis war abzulehnen. Die Vorschrift des § 111a StPO bietet im Wege einer vorläufigen Maßnahme die Möglichkeit, die Allgemeinheit vor den Gefahren durch ungeeignete Kraftfahrer bereits vor einer Endentscheidung zu schützen. Zwar steht einer entsprechenden Beschlussfassung des Ge¬richts nicht im Wege, dass die Staatsanwaltschaft die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erst längere Zeit nach Tatbegehung beantragt hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 65. A, 111a, RZ 1, 3).

In dem hier vorliegenden Fall ist der Antrag auf vorläufige Entziehung erst 6 Monate nach dem Unfallereignis beantragt worden. Seit dem Unfall am 26.10.2022 sind keine weiteren verkehrs-rechtsrelevanten Vorkommnisse verursacht durch den Angeklagten bekannt geworden. Der Angeklagte ist Berufskraftfahrer und auf die Fahrerlaubnis angewiesen. Für eine vorläufige Entziehung ist daher kein Raum (Beschluss LG Görlitz 3 Qs 162/23).

Nach allem war der Antrag daher – zum derzeitigen Zeitpunkt – abzulehnen.“

Verkehr II: Grenze für den „bedeutenden Schaden“ oder: LG Bielefeld hebt auf 1.800 EUR an

Bild von ElisaRiva auf Pixabay

Und dann etwas zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort bzw. zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB und der Frage: Wann hat man es mit einem „bedeutenden Schaden“ im Sinn dieser Vorschrift zu tun? Da geht es ja fröhlich hin und her in der Rechtsprechnung. Das LG Bielefeld hat daran jetzt teilgenommen und mit dem LG Bielefeld, Beschl. v. 02.02.2024 – 10 Qs 51/24 – den „Grenzwert“ auf 1.800 EUR angehoben:

„2. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen erweist sich die Beschuldigte jedoch nicht als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB.

Das Regelbeispiel ist nicht verwirklicht. Danach ist von der Ungeeignetheit eines Täters zum Führen eines Kraftfahrzeugs auszugehen, wenn dieser sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, obwohl er weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist.

Entgegen der Annahme des Amtsgerichts ist kein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB entstanden.

a) Zwar hat die Beschwerdekammer des hiesigen Landgerichts in Überstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang einen bedeutenden Fremdschaden ab einer Wertgrenze von 1.500,00 Euro angenommen. In diesem Licht steht auch die zuletzt geänderte Rechtsprechung des OLG Hamm. Mit Beschluss vom 05.04.2022 (5 RVs 31/22) hat das Oberlandesgericht bekräftigt, dass die Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB im Hinblick auf die allgemeine Preissteigerung nunmehr jedenfalls nicht unter 1.500 Euro liegt. Aus dieser Formulierung wird indes schon deutlich, dass der unterste Rahmen nicht zwingend bei 1.500 Euro liegt, sondern lediglich unterhalb dessen liegende Schadensbeträge jedenfalls keinen bedeutenden Schaden darstellen (LG Bochum, B. v. 06.12.2022, Az. 1 Qs 59/22).

Bei der Beurteilung eines Schadens als bedeutend im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist – neben anderen Faktoren – im Wesentlichen auch die fortschreitende Entwicklung der Reparaturkosten und der Einkommen zu berücksichtigen (vgl. BGH, B. v. 28.09.2010, Az. 4 StR 245/10; LG Nürnberg-Fürth, B. v. 15.01.2020, Az. 5 Qs 4/20; LG Hamburg, B. v. 09.08.2023, Az. 612 Qs 75/23; LG Oldenburg, B. v. 12.01.2023, Az. 3 Qs 425/22;). Sie hat sich gerade in den letzten Jahren bedeutend aufgrund der aufkommenden Inflation nachhaltig verändert (vgl. eingehend LG Dresden, B. v. 15.09.2023, Az. 17 Qs 66/23). Bereits aus diesem Grunde erscheint eine Anhebung der Wertgrenze mittlerweile angebracht. Zudem ist die Wertgrenze bereits schon deshalb nicht zu niedrig zu bemessen, weil sonst die Relation zu den anderen Merkmalen „Tötung oder nicht unerhebliche Verletzung eines Menschen“ nicht gewahrt wäre (Valerius, in: LK-StGB, 13. A. [2020], § 69 Rn. 130; Heintschel-Heinegg/Huber, in MüKo-StGB, 4. A. [2020], § 69 Rn. 72).

Ausgehend davon hat sich die Kammer darauf verständigt, den Wert, ab welchem ein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB anzunehmen ist, auf 1.800,00 Euro anzuheben. Diese moderate Erhöhung trägt der allgemeinen Preissteigerung Rechnung und setzt die Merkmale „Tötung oder nicht unerhebliche Verletzung eines Menschen“ und „bedeutender Schaden“ in ein dem Ziel des Regelbeispiels entsprechendes Verhältnis.

Es bleibt aber zu berücksichtigen, dass auch ein Schaden unterhalb der Wertgrenze zu einer Maßregel nach § 69 führen kann, wenn der Tatrichter nach der stets erforderlichen einzelfallbezogenen Prognoseentscheidung diese Rechtsfolge für geboten erachtet (OLG Stuttgart, U. v. 27.04.2018, Az. 2 Rv 33 Ss 959/17).

b) Aufgrund dieser Überlegungen ist die Wertgrenze eines bedeutenden Schadens im vorliegendem Fall nicht überschritten worden. Die Kalkulation der Reparaturkosten durch die VW-Fachwerkstatt C. in A. vom 03.07.2023 zeigte für den Fahrzeughalter Herrn D. einen Betrag von 1.675,38 Euro (vgl. Bl. 50 ff. d.A.) auf, bleibt somit derzeit also unter dem Schwellenbetrag.“

So weit, so gut. Das LG führt dann noch aus:

„3. Ob das Alter oder der Gesundheitszustand zum Tatzeitpunkt zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis führen werden, ist dagegen derzeit offen. Ob sie die Ungeeignetheit nach § 69 Abs. 1 StGB belegen, muss der möglichen Beweisaufnahme vorbehalten bleiben.

Bei der Tat ist zumindest nach derzeitigem Stand der Ermittlungen kein Verhalten der Beschuldigten zutage getreten, dass deutliche, der Geeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs entgegenstehende gesundheitliche oder charakterliche Mängel aufzeigt. Zwar ergeben sich aus der Beschwerdebegründung der Beschuldigten selbst Anhaltspunkte dafür, dass die Begehung der ihr vorgeworfenen Tat auf einen gesundheitlichen Mangel zurückzuführen ist. Eine ausreichend hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich ein möglicher gesundheitlicher Mangel auf die künftige Eignung des Beschuldigten zum Führen von Kraftfahrzeugen auswirkt, besteht nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen jedoch nicht. Entsprechende Feststellungen bleiben dem Tatrichter vorbehalten.“

Nun ja, da würde ich dann aber doch sagen: „Schuster bleib bei deinen Leisten“. Den mit der Problematik zusammenhängenden Fragen nimmt sich dann vielleicht doch besser das Straßenverkehrsamt an.

Verkehr I: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, oder: Verkehrsfeindlicher Eingriff des Bei-/Mitfahrers

Bild von Peter H auf Pixabay

Und heute dann – seit längerem mal wieder – verkehrsrechtliche Entscheidungen.

Zunächst kommt hier etwas vom BGH zum gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315 StGB).

Das LGhat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das LG folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Im Verlauf des Tatabends tauschten der Angeklagte und der Geschädigte im Rahmen zwischen ihnen bestehender Streitigkeiten massive Beschimpfungen aus. U.a. versandte der Angeklagte eine Sprachnachricht an den Geschädigten mit dem Wortlaut: „Ich weiß, dass du nicht mehr leben willst, dabei werde ich dir helfen“. Zu dem in der Folge verabredeten Treffpunkt in der B. Innenstadt fuhren der Angeklagte und sein Bruder mit einem Pkw, der auf die Lebensgefährtin des Angeklagten zugelassen war. Der Angeklagte befand sich auf der Rücksitzbank des Fahrzeugs und dirigierte seinen Bruder, der das Fahrzeug führte, zu dem Aufenthaltsort des Geschädigten.

In Ausführung des zuvor an diesem Abend mit dem Angeklagten gefassten Tatplans, den Geschädigten zu töten, beschleunigte der Bruder des Angeklagten das Fahrzeug, als sie den Geschädigten auf dem Bürgersteig vor einem Gebäude entdeckten. Der Bruder des Angeklagten fuhr sodann mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 bis 25 km/h in der Absicht auf den Geschädigten zu, diesen mit dem Fahrzeug zu erfassen bzw. gegen die nahegelegene Hauswand zu quetschen. Der Angeklagte und sein Bruder erkannten, dass der Geschädigte dabei möglicherweise tödliche Verletzungen erleiden könnte; sie nahmen dies jedoch mindestens billigend in Kauf. Der Geschädigte konnte auf die Motorhaube des Pkw springen und sich abrollen; er blieb unverletzt und ergriff die Flucht.

Das LG hat den Angeklagten wegen seines erheblichen Tatinteresses und seines Tatbeitrages (Zur-Verfügung-Stellen des Fahrzeugs; Weitergabe des Standorts des Geschädigten an seinen Bruder; Anwesenheit im Fahrzeug) als Mittäter sowohl des versuchten Tötungsdelikts als auch des schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr angesehen. Die dagegen gerichtete Revision hatte keinen Erfolg, der BGH hat sie im BGH, Beschl. v. 15.08.2023 – 4 StR 227/23 – verworfen:

„Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Auch die Verurteilung wegen des tateinheitlichen schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a) StGB hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Dabei ist die Strafkammer in rechtlicher Hinsicht zutreffend davon ausgegangen, dass auch im Falle eines sog. verkehrsfeindlichen Inneneingriffs ein mittäterschaftliches Handeln im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB in Betracht kommen kann.

1. Ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 StGB liegt vor, wenn durch eine der in den Nummern 1 bis 3 genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist und sich diese abstrakte Gefahrenlage zu einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert verdichtet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2017 – 4 StR 581/16 Rn. 3, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02 Rn. 17). Dabei kann § 315b Abs. 1 StGB auch mittels eines Kraftfahrzeugs im Rahmen von Verkehrsvorgängen im fließenden Verkehr verwirklicht werden (sog. Inneneingriff). Dies setzt aber voraus, dass das Fahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig eingesetzt wird und der Täter das Fahrzeug mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz – etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug – missbraucht. Erst dann liegt eine über den Tatbestand der Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c StGB hinausgehende und davon abzugrenzende verkehrsatypische „Pervertierung“ eines Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB vor (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 237; Beschluss vom 6. Juni 2023 ? 4 StR 70/23 Rn. 10 mwN).

2. Ein verkehrsfeindlicher Inneneingriff kann auch durch einen Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs in Mittäterschaft begangen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2013 – 4 StR 145/13 Rn. 8 f. zu § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB; siehe auch OLG Hamm, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 RVs 159/16, NStZ-RR 2017, 224). § 315b Abs. 1 StGB stellt kein eigenhändiges Delikt dar, bei dem der Täter nur durch ein eigenes Handeln persönlich den Tatbestand erfüllen kann.

a) Ein eigenhändiges Delikt ist dadurch gekennzeichnet, dass die Täterschaft an eine bestimmte Ausführungshandlung gebunden ist, sodass das maßgebliche Unrecht in einem eigenen verwerflichen Tun liegt und nicht in erster Linie aus der Gefährdung oder Verletzung eines Rechtsguts hergeleitet wird (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2021 – 4 StR 511/20, BGHSt 66, 294 Rn. 22 mwN). Ob dies der Fall ist, ist mit Rücksicht auf die Fassung des gesetzlichen Tatbestands sowie mit Blick auf den Zusammenhang der einschlägigen Gesetzesbestimmungen und die Entstehungsgeschichte zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 37/20, NJW 2020, 2201 Rn. 9; Urteil vom 25. Juni 1954 – 2 StR 298/53 Rn. 6, BGHSt 6, 226, 227; Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl., Abschn. 21 Rn. 19 und 21; Auerbach, Die eigenhändigen Delikte, 1978, S. 26 ff.).

b) Gemessen hieran setzt der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB auch in der Fallgruppe des verkehrsfeindlichen Inneneingriffs kein eigenhändiges Führen eines Kraftfahrzeugs voraus.

aa) Nach dem Wortlaut des § 315b Abs. 1 StGB kann die Sicherheit des Straßenverkehrs von jedermann beeinträchtigt werden. Die Tathandlungen der Nummern 1 bis 3 knüpfen – anders als diejenigen des § 315c StGB – nicht an ein tatbestandlich umschriebenes Verhalten an, das nur eigenhändig verwirklicht werden kann (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 RVs 159/16, NStZ-RR 2017, 224; Kudlich in BeckOK-StGB, 59. Ed., § 315b Rn. 38; Pegel in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 315b Rn. 60; Renzikowski in Matt/Renzikowski, 2. Aufl., § 315b Rn. 23; Quarch in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl., § 315b Rn. 8).

bb) Auch in der Fallkonstellation des verkehrsfeindlichen Inneneingriffs setzt § 315b Abs. 1 StGB allein die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale aus einer der Alternativen des § 315b Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB voraus. Der spezifische Unrechtsgehalt der Tat liegt dabei darin, dass das Fahrzeug nicht (mehr) als Mittel der Fortbewegung dient, sondern im fließenden Verkehr – gleich einem Fremdkörper – zur Verletzung oder Nötigung eines anderen eingesetzt wird (vgl. Wolters in SK-StGB, 10. Aufl., § 315b Rn. 26; SSW/Ernemann, 5. Aufl., § 315b Rn. 21; König in LK-StGB, 13. Aufl., § 315b Rn. 92; Zieschang in NK-StGB, 6. Aufl., § 315b Rn. 8; a. A. ohne nähere Begründung Kuckuk, KVR, Kraftverkehrsrecht von A-Z, Schlagwort Verkehrsgefährdung Hindernisbereiten Erläuterungen 1, S. 21). Dies hat zur Folge, dass es für die Beschreibung des tatbestandlichen Unrechts auch nicht mehr darauf ankommen kann, ob der Täter das Kraftfahrzeug dabei eigenhändig führt.

cc) Systematische Erwägungen führen ebenfalls nicht zu einem anderen Auslegungsergebnis. Dies gilt auch mit Blick auf das Verhältnis zu § 315c StGB. Absatz 1 dieser Vorschrift enthält eine enumerative Aufzählung besonders gefährlicher Regelverstöße im Straßenverkehr, die dann zur Strafbarkeit führen, wenn dadurch eine konkrete Gefahr für bestimmte fremde Rechtsgüter verursacht wird (vgl. dazu König in LK-StGB, 13. Aufl., § 315c Rn. 5). Demgegenüber wird ein vorschriftswidriges Verhalten im fließenden Verkehr von § 315b StGB – insoweit ohne Beschränkung auf einen entsprechenden Katalog – dann erfasst, wenn es sich dabei um einen bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Absicht handelt und das Fahrzeug darüber hinaus mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz missbraucht wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. November 2021 ? 4 StR 134/21 Rn. 4; Beschluss vom 19. November 2020 ? 4 StR 240/20 Rn. 26 mwN; Urteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 236 f.; Urteil vom 31. August 1995 – 4 StR 283/95 Rn. 8, BGHSt 41, 231, 233 f.; BGH, Urteil vom 22. Juli 1999 – 4 StR 90/99 Rn. 5, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Nr. 2 Hindernisbereiten 3). Beide Vorschriften haben verschiedene Anknüpfungspunkte, sodass sich auch die Frage der möglichen Beteiligungsformen unterschiedlich stellen kann. Damit besteht auch keine Notwendigkeit, den Anwendungsbereich des § 315b StGB hinsichtlich Täterschaft und Teilnahme auf ein eigenhändiges Delikt zu verengen.

c) Diesem Verständnis stehen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs nicht entgegen, die einen verkehrsfeindlichen Inneneingriff dahin umschreiben, dass ein Fahrzeugführer das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt (vgl. Beschluss vom 19. November 2020 – 4 StR 240/20 Rn. 26; Urteil vom 22. Juni 2023 – 4 StR 481/22 Rn. 31). Denn diese Ausführungen sind auf Konstellationen bezogen, in denen der Täter tatsächlich als Führer eines Kraftfahrzeugs am fließenden Verkehr teilgenommen hat; sie sind jedoch nicht im Sinne einer Beschränkung des tauglichen Täterkreises in Fällen des verkehrsfremden Inneneingriffs zu verstehen. Vielmehr kommt auch der Beifahrer als tauglicher Täter eines verkehrsfremden Inneneingriffs in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 2016 ? 4 StR 1/16 zu § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB; Beschluss vom 6. Juli 1989 ? 4 StR 321/89 Rn. 2 [Eingriff des Beifahrers in den Lenkvorgang]; Urteil vom 20. Dezember 1968 ? 4 StR 489/68 Rn. 15 [wuchtiges Werfen nach vorne und Griff in das Lenkrad]). In der Rechtsprechung ist im Übrigen anerkannt, dass (auch) ein Fußgänger den Tatbestand des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklichen kann (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 1995 – 4 StR 283/95 Rn. 10, BGHSt 41, 231, 234; siehe auch BGH, Beschluss vom 14. September 2021 ? 4 StR 21/21 Rn. 6).

Unter den hier gegebenen Umständen tragen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Verurteilung des Angeklagten auch wegen des in Mittäterschaft begangenen schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a), § 25 Abs. 2 StGB.

Die Urteilsgründe belegen die Tatherrschaft des das Kraftfahrzeug nicht eigenhändig führenden Angeklagten, der das Tatfahrzeug zur Verfügung stellte, das Fahrziel vorgab, während der Tatausführung im Fahrzeug anwesend war und Einfluss auf die Handlungen seines Bruders nehmen konnte sowie ein erhebliches Tatinteresse aufwies, nachdem er zuvor mit dem Geschädigten Beleidigungen und Bedrohungen ausgetauscht hatte.

Auch die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt; insbesondere sind der bedingte Schädigungsvorsatz des Angeklagten und seine Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen, rechtsfehlerfrei belegt.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Wenn der Staatsanwalt die Verfahren verbindet …..

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

Und dann noch „Rätsel-Lösung“. Am Freitag hatte ich zur Diskussion gestellt: Ich habe da mal eine Frage: Wenn der Staatsanwalt die Verfahren verbindet …..

Das ist/war mal wieder so eine Frage, bei der in der FB-Gruppe, in der sie gestellt war, einige Antworten gekommen waren, aber mehr wegen des „Sozialneids“ des Staatsanwalts als wegen der eigentlichen Antwort.

Wie immer bei diesen „Verbindungsfragen“ kommt es auf die Einzelheiten an, was hier m.E. kein Problem ist/war und daher hat es nur eine kurze/knappe Antwort gegeben:

„Moin, nun lassen wir mal die StA-Schelte beiseite, obwohl: Das so zu kommunizieren, ist schon ziemlich dumm :-).

Zur Sache: Was will der StA denn damit erreichen? Sie haben Tätigkeiten erbracht, die zum Anfall der Grundgebühr und Verfahrensgebühr Nr 4104 VV RVG geführt haben. Und die sind über § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG bei Ihnen und bleiben da auch. Siehe die Beispiele bei Burhoff/Volpert, RVG, § 48 Abs. 6 RVG Rn 28 und 29.“

Ich verweise wegen der Verbindungsfragen dann auf meinen Beitrag: Die Abrechnung der anwaltlichen Tätigkeit in mehreren Strafverfahren – Teil 1 Verbindung von Verfahren, aus AGS 2022, 433 und natürlich – wie könnte es anders sein – <<Werbemodus an>> auf Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, wo die Fragen behandelt sind.