Archiv für den Monat: Oktober 2023

Berufsrecht I: Vermögensverfall des Verteidigers, oder: „…. ich nehme doch gar keine Fremdgelder ein.“

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Und heute „köcheln“ im „Kessel Buntes“ zwei Entscheidungen mit berufsrechtlichem Bezug. Beide schon etwas älter, aber heute sind sie „dran.

Ich stelle zunächst den BGH, Beschl. v. 11.05.2023 – AnwZ (Brfg) 33/22 – vor. In der Entscheidung wird um den Widerruf der Zulassung eines Rechtsanwalts gestritten, der seit rund 25 Jahren als Strafverteidiger tätig gewesen ist. Als er in Vermögensverfall gerät, wird seine Zulsassung von der RAK nach § 14  Abs. 2 Nr. 7 BRAO widerrufen. Der Rechtsanwalt wendet sich dagegen und macht geltend, er sei seit knapp 25 Jahren ausschließlich als Strafverteidiger tätig. Seine Arbeitsweise und seine Büroabläufe seien nicht darauf ausgerichtet, zivilrechtliche Mandate zu bearbeiten. Er könne er gar kein zivilrechtliches Mandat annehmen. Die fiktive Annahme eines lukrativen zivilrechtlichen Mandats – zur Lösung eigener finanzieller Probleme – sei bei einer derartigen Spezialisierung völlig aus der Luft gegriffen, zumal die zivilrechtlichen Gebühren nicht erheblich über den Pflichtverteidigergebühren in Umfangstrafsachen lägen. Damit greife auch der Schutzzweck des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, der Gefährdung von Mandantengeldern durch Gläubigerpfändungen der Anwaltskonten zu begegnen, nicht. Die Verwendung von Fremdgeldern zur Lösung eigener finanzieller Probleme wäre zudem schlicht kriminell, was ihm nicht einfach unterstellt werden könne.

Der AnwGH Hamm hat die Klage gegen den Widerrufsbescheid abgewiesen. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hatte beim BGH keinen Erfolg:

„1. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist gegeben, wenn …..

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

a) Der Kläger führt zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung an, dass sein Vortrag, durch seine ausschließliche Tätigkeit als Strafverteidiger sei eine Gefährdung der Rechtsuchenden im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ausgeschlossen, nicht ausreichend und rechtlich nicht zutreffend gewürdigt worden sei.

Da er seit 24 ½ Jahren ausschließlich als Strafverteidiger tätig sei und seine Arbeitsweise sowie die seines Büros auf die Bearbeitung zivilrechtlicher Mandate überhaupt nicht eingerichtet seien, handele es sich bei seiner rein strafrechtlichen Berufsausübung nicht nur um eine selbst auferlegte, sondern um eine faktische Beschränkung. Die fiktive Annahme eines lukrativen zivilrechtlichen Mandats (zur Lösung eigener finanzieller Probleme) sei bei einer derartigen Spezialisierung völlig aus der Luft gegriffen, zumal die zivilrechtlichen Gebühren nicht erheblich über den Pflichtverteidigergebühren in Umfangstrafsachen lägen. Damit greife auch der Schutzzweck des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, der Gefährdung von Mandantengeldern durch Gläubigerpfändungen der Anwaltskonten zu begegnen, nicht. Die Verwendung von Fremdgeldern zur Lösung eigener finanzieller Probleme wäre zudem schlicht kriminell, was ihm nicht einfach unterstellt werden könne. Außerdem arbeite er seit Jahren in einer inhaltlich eng verbundenen Strafverteidigerbürogemeinschaft, bei der aufgrund der wechselseitigen Kontrolle die plötzliche Annahme fachfremder Mandate ausgeschlossen sei.

Letztlich sei der Widerruf seiner Zulassung auch nicht verhältnismäßig, weil das anwaltliche Berufsrecht auch eine teilweise Untersagung des Tätigwerdens (§ 43a Abs. 4, §§ 45, 46c Abs. 2 BRAO) kenne und er bereit sei, dem Kammervorstand über seine ausschließlich strafrechtliche Tätigkeit Rechenschaft abzulegen.

b) Grundsätzlicher Klärungsbedarf ist damit nicht dargetan. Der Kläger wendet sich vielmehr gegen die Rechtsanwendung durch den Anwaltsgerichtshof in seinem konkreten Einzelfall, ohne aufzuzeigen, dass damit allgemein klärungsbedürftige Rechtsfragen verbunden wären. Das ist auch nicht der Fall. Die vom Kläger angesprochenen Fragen sind höchstrichterlich bereits grundsätzlich geklärt. Weiterer Klärungsbedarf ist auch nach dem Vorbringen des Klägers nicht gegeben.

aa) Die Grundsätze für die Beurteilung, ob eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall des Rechtsanwalts gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 1 BRAO verneint werden kann, sind in der Rechtsprechung des Senats geklärt.

Danach ist – wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat – nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft (vgl. etwa Senat, Beschlüsse vom 12. Dezember 2018 – AnwZ (Brfg) 65/18, juris Rn. 7; vom 5. April 2019 – AnwZ (Brfg) 3/19, ZInsO 2019, 1368 Rn. 6; vom 3. November 2021 – AnwZ (Brfg) 29/21, ZInsO 2022, 86 Rn. 11; vom 30. Dezember 2021 – AnwZ (Brfg) 27/21, juris Rn. 15; vom 10. Oktober 2022 – AnwZ (Brfg) 19/22, juris Rn. 7 und vom 14. Oktober 2022 – AnwZ (Brfg) 17/22, ZInsO 2022, 2682 Rn. 12; jeweils mwN). Von einem solchen Ausnahmefall kann nur ausgegangen werden, wenn im Zeitpunkt des Widerrufs eine sichere Prognose dahingehend getroffen werden kann, dass sich im zu entscheidenden Einzelfall die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren werden. Die Annahme einer derartigen Sondersituation setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats mindestens voraus, dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlichen abgesicherten Maßnahme verabredet hat, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern. Selbst auferlegte Beschränkungen des in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts sind grundsätzlich nicht geeignet, eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszuschließen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. Dezember 2018 – AnwZ (Brfg) 65/18, juris Rn. 7; vom 5. April 2019 – AnwZ (Brfg) 3/19, ZInsO 2019, 1368 Rn. 7; vom 3. November 2021 – AnwZ (Brfg) 29/21, ZInsO 2022, 86 Rn. 11; vom 30. Dezember 2021 – AnwZ (Brfg) 27/21, juris Rn. 15; vom 10. Oktober 2022 – AnwZ (Brfg) 19/22, juris Rn. 7 und vom 14. Oktober 2022 – AnwZ (Brfg) 17/22, ZInsO 2022, 2682 Rn. 12; jeweils mwN).

Anhand dieser Grundsätze lässt sich auch beurteilen, ob unter den vom Kläger genannten Umständen im Einzelfall eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausgeschlossen werden kann. Einer weiteren Grundsatzentscheidung bedarf es danach nicht.

bb) Keine grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits ergibt sich auch aus den Einwänden des Klägers gegen die Verhältnismäßigkeit des umfassenden Widerrufs seiner Zulassung.

Soweit der Kläger mit seinem Hinweis auf die in der Bundesrechtsanwaltsordnung geregelten Tätigkeits- und Vertretungsverbote (§ 43a Abs. 4, §§ 45, 46c Abs. 2 BRAO) sowie auf die Möglichkeit einer aufsichtsrechtlichen Kontrolle seiner ausschließlich strafrechtlichen Tätigkeit geltend machen will, dass in seinem Fall ein teilweiser Widerruf seiner Zulassung (etwa für den Bereich des Zivilrechts) bzw. eine Beschränkung seiner Zulassung (auf den Bereich des Strafrechts) ausreichend gewesen wäre, um dem Schutzzweck des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu genügen, hat der Senat bereits entschieden, dass ein solcher Teilwiderruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom Gesetz nicht vorgesehen ist und der gesetzlich verankerten Stellung des Rechtsanwalts widerspricht (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – AnwZ (Brfg) 45/14, juris Rn. 20 ff.; siehe auch Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 14 BRAO Rn. 16a). Mit dieser gesetzlich bestimmten Stellung des Rechtsanwalts ist eine hoheitliche Beschränkung seiner Tätigkeit im Sinne einer Teilzulassung zur Rechtsanwaltschaft oder eines Teilwiderrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht vereinbar. Vielmehr ist es die eigene Entscheidung des Rechtsanwalts, ob und inwieweit er von seiner grundsätzlich uneingeschränkten Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und der daraus folgenden umfassenden Befugnis zur Rechtsberatung Gebrauch machen oder sich beruflichen Selbstbeschränkungen unterwerfen will (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – AnwZ (Brfg) 45/14, juris Rn. 23 f.). Das Vorbringen des Klägers gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.

Ob die beruflichen Selbstbeschränkungen des Rechtsanwalts im Einzelfall ausreichen, um eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch seinen Vermögensverfall hinreichend auszuschließen, und vor diesem Hintergrund der umfassende Widerruf seiner Zulassung nicht geboten ist, ist nicht allgemein klärungsfähig, sondern auf der Grundlage der oben dargelegten Grundsätze der Senatsrechtsprechung nach den konkreten Umständen des jeweiligen Falles zu beurteilen……“

Ich habe da mal eine Frage: Ich habe drei Nebenkläger vertreten, welche Gebühren?

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Und dann heute folgende Gebührenfrage:

„Hallo Herr Burhoff,

da Ihr Gebührenordner leer ist, wie ich gelesen habe, hätte ich eine für mich neue Konstellation, über der ich derzeit brüte (und auch schon eine Idee habe):

Mdt. A zeigt bei der Polizei eine Sexualstraftat an. Im Zuge der Ermittlungen werden zwei weitere Opfer (B und C) bekannt.

Die Kriminalpolizei legt drei Verfahren an mit jeweils eigenem Aktenzeichen. Ich zeige mich für A, B und C im Ermittlungsverfahren bei der Kripo an und erkläre bereits in diesem Zuge jeweils den Anschluss als Nebenklägerin.

Nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen und Abgabe an die StA wird dort ein einheitliches Js-Verfahren gegen den Beschuldigten angelegt.

Es erfolgt wegen aller drei Fälle Anklage zum Strafrichter.

Für Mdt. A werde ich vorgerichtlich und gerichtlich als Beistand bestellt.

Für Mdt. B und C besteht im gerichtlichen Verfahren Deckungsschutz in der Rechtsschutzversicherung.

Welche Gebühren fallen an?“

 

Zulässige Einwendungen gegen Kostenfestsetzung, oder: Ausführungen auf 21 eng beschriebenen Seiten?

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Und als zweite Entscheidung kommt hier dann der OLG Celle, Beschl. v. 21.08.2023 – 2 W 107/23. Ergangen ist der Beschluss in einem zivilrechtlichen Kostenfestsetzungsverfahren.

Es geht um die Zulässigkeit von materiellrechtlichen Einwendungen. Dazu sagt das OLG:

Materiellrechtliche Einwendungen im Kostenfestsetzungsverfahren sind – auch bei der Frage der Nichtigkeit eines Anwaltsvertrages – nur berücksichtigungsfähig, wenn sie unstreitig sind oder vom Rechtspfleger ohne Schwierigkeiten aus den Akten ermittelt werden können .

Begründung des OLG:  Da das Kostenfestsetzungsverfahren nur den Zweck hat, die Kostengrundentscheidung der Höhe nach zu beziffern, sind materiell-rechtliche Einwendungen gegen die Kostengrundentscheidung grundsätzlich nicht zu berücksichtigen; hierfür steht der Weg über § 775 Nr. 4, 5 ZPO oder die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) offen (u.a. BGH NJW-RR 2007, 422; MDR 2014, 865 f.) Eine Ausnahme ist nur für Einwände zu machen, deren tatsächlichen Voraussetzungen unstreitig sind oder vom Rechtspfleger bzw. von der Rechtspflegerin ohne Schwierigkeiten aus den Akten zu ermitteln sind [BGH, a.a.O.).

Eine solche Ausnahme hat das OLG hier verneint. Der Beklagte, ein Rechtsanwalt, der sich in dem Rechtsstreit selbst vertreten hat, hatte gegen die von der Klägerin beantragte Kostenfestsetzung maßgeblich eingewandt, es existiere kein Honoraranspruch der Klägervertreter gegenüber der Klägerin, weil der Anwaltsvertrag mit der Klägerin wegen Vorliegens einer Interessenkollision gemäß § 134 BGB i. V. m. § 43a BRAO nichtig sei. Dazu hatte er u.a. auf 21 eng beschriebenen Seiten Ausführungen gemacht. Die Klägervertreter haben die Behauptung eines Interessenkonflikts zurückgewiesen. Damit erweist sich – so das OLG – der Sach- und Streitstand zur behaupteten Interessenskollision als streitig. Es verbleibt also bei dem Grundsatz zu bleiben, dass diese Frage eine materiell-rechtliche Einwendung darstellt, die im Kostenfestsetzungsverfahren generell nicht zu prüfen ist.

Wunder/Pauschgebühren gibt es immer wieder, oder: Wunderentscheidung vom OLG München :-)

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Den Gebührenfreitag eröffne ich mit dem OLG München, Beschl. v. 27.09.2023 – 1 AR 263/23. Das ist eine Entscheidung, zu der das Lied von Katja Ebstein „Wunder gibt es immer wieder“ passen würde. Denn:

Es wird

  • eine Pauschgebühr nach § 51 RVG bewilligt,
  • es gibt mehr als die Wahlanwaltshöchstgebühr,
  • die Bezirksrevisorin hatte sich dem Antrag angeschlossen
  • und das Ganze in Bayern beim OLG München.

Das ist in meinen Augen nun wirklich eine „Wunderentscheidung“. Der Verteidiger hatte  beantragt, anstelle der Gebühren gemäß Nr. 4100 VV RVG und Nr. 4118 VV RVG in Höhe von 524 EUR unter Anrechnung der insoweit ausbezahlten Pflichtverteidigervergütung eine Pauschvergütung in Höhe von 2150 € zu bewilligen. Das OLG hat eine Pauschgebühr gewährt und begründet das wie folgt:

„Eine Pauschgebühr ist gemäß § 51 Abs. I S. 1 RVG auf Antrag zu bewilligen, wenn die im Vergütungsverzeichnis für den beigeordneten Rechtsanwalt bestimmten Gebühren für das ganze Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache nicht zumutbar sind.

Die Bezirksrevisorin bei dem Oberlandesgericht München hat mit Stellungnahme vom 25.09.2023 dem Antrag zugestimmt und hierzu ausgeführt:

„Der Umfang dieses Verfahrens stellt vor der Wirtschaftsstrafkammer zunächst keinen außergewöhnlichen Umstand dar. Der diesen Verfahren in der Regel innewohnende höhere Arbeits- und Planungsaufwand für den Pflichtverteidiger ist vom Gesetzgeber im RVG bereits durch die Festsetzung höherer Gebühren (vorliegend VV RVG 4118 und 4120) berücksichtigt worden und gibt deshalb für sich genommen noch keinen Anlass für die Festsetzung einer Pauschgebühr.

Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung des OLG München zu berücksichtigen, dass der erforderlichen Einarbeitung in den Sachstand nur ein Hauptverhandlungstag folgte, mithin nur eine Terminsgebühr (VV RVG 4121) angefallen ist. Es entspricht dem gesetzlichen Gebührenkonzept, dass der Verteidiger regelmäßig seine im Vorverfahren, für das relativ geringe Gebühren anfallen, gewonnenen Kenntnisse im Hauptverfahren nutzt. Dieser Synergieeffekt fehlt vorliegend. Zudem ist im vorliegenden Verfahren die Gebühr VV RVG 4104 wegen der späten Bestellung nicht angefallen.

Zur Vermeidung eines unbilligen Sonderopfers erscheint die Gewährung einer Pauschgebühr gem. § 51 Abs. 1 RVG erforderlich, zumal der Antragsteller, wie er zutreffend ausführt an der Verständigung und damit Verfahrensverkürzung maßgeblich mitgewirkt hat. Der Verständigung lag eine umfangreiche Vorbereitung zugrunde, die durch die geringeren Gebühren des Anwalts nicht angemessen entgolten wären, vgl. hierzu auch Nomos Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage Rn 20 zu § 51 RVG „Verfahrensverkürzung“. Weiter ist zu berücksichtigen, dass für die Teilnahme an dem Erörterungstermin keine Terminsgebühr anfällt – eine Pauschgebühr kann hierfür gerechtfertigt sein, vgl. Nomos a.a.O. „Verständigungsgespräche“. Mit Blick auf die Grund- und Verfahrensgebühren kann vorliegend von einem Ausnahmefall ausgegangen werden und es kann als Pauschgebühr wie beantragt eine Gebühr über der Wahlverteidigerhöchstgebühr i.H.v. 2150,– € bewilligt werden.“

Die Bewilligung einer Pauschvergütung ist die Ausnahme, die bei besonders umfangreichen und schwierigen Verfahren unzumutbare Sonderopfer des beigeordneten Rechtsanwalts vermeiden soll (B. v. 02.07.2020, 1 AR 75/20; so schon BGH, B. v. 01.06.2015, 4 StR 267/11).

Unzumutbar wäre die Versagung einer Pauschvergütung zunächst insbesondere dann, wenn der beigeordnete Rechtsanwalt dadurch eine wirtschaftliche Existenzgefährdung erleiden würde (BVerfG, B. v. 01.06.2011, 1 BvR 3171/10, juris), wofür vorliegend allerdings keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.

Erforderlich sind daher Umstände, die sich vom Regelfall wegen des besonderen Umfangs oder ihrer besonderen Schwierigkeit deutlich unterscheiden, und deshalb die bloße Festsetzung der vom Vergütungsverzeichnis bestimmten Gebühren nicht zumutbar wäre.

Der Senat sieht vorliegend einen solchen Ausnahmefall als gegeben an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen an Stelle einer weiteren Begründung auf die Ausführungen der Bezirksrevisorin Bezug.

Die Pauschgebühr ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats im Regelfall maximal mit dem Betrag der Wahlverteidigerhöchstgebühr anzusetzen. Vorliegend erkennt der Senat ebenso wie die Bezirksrevisorin insoweit einen außergewöhnlich besonderen Ausnahmefall, der ein Überschreiten der Wahlverteidigerhöchstgebühren ausnahmsweise zulässt.

Die Pauschgebühr errechnet sich somit aus einem Pauschvergütungsbetrag in Höhe von 2150 € mit Blick auf die Gebührentatbestände VV-RVG 4100 und 4118, sowie aus den Gebühren für die Hauptverhandlung in Höhe von 699 € (VV-RVG 4120/4122).

Insgesamt errechnet sich daraus eine vom Senat festzusetzende Pauschgebühr von 2849 €.“

Geht doch 🙂

StPO III: Zustellung an aufgegebener Wohnung, oder: Voraussetzungen für einen „Scheinwohnsitzes“?

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Und zum Abschluss der heutigen StPO-Entscheidungen dann noch der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 22.09.2023 – 12 Qs 66/23 – zur Wirksamkeit einer Ersatzzustellung.

Es geht um die Wirksamkeit der Ersatzzustellung eines Widerrufsbeschlusses. Der Beschluss wurde am 08.07.2023 von der Post in der pp. Str. 27 in den Wohnungsbriefkasten eingelegt. Mit Schreiben vom 18.08.2023 an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth beantragt dann der Verteidiger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss ein. Zur Begründung trug er vor, „der Bf. habe durch die Ladung zum Strafantritt erstmals Kenntnis vom Bewährungswiderruf erlangt. Da er sich in der Türkei aufhalte, habe er von der Ladung am 17.08.2023 auch nur über Umwege erfahren. Ferner sei der Bf. nach einem Streit mit seiner Lebenspartnerin am 12.06.2023 aus der gemeinsamen Wohnung in der …Str. 27 ausgezogen und habe sich am 20.06.2023 unter einer neuen Adresse in X einwohnerrechtlich angemeldet. Trotz eines Nachsendeauftrags sei seine Post aber weiterhin an die alte Adresse ausgeliefert worden. Die Lebenspartnerin habe ihn absichtlich nicht über eingehende Post informiert und diese auch nicht weitergeleitet. Zudem habe er ihr in der Vergangenheit Geld gegeben, dass sie damit seine Bewährungsauflage bezahle, da er selbst kein Konto habe. Dies habe sie abredewidrig unterlassen, wovon er ebenfalls erst am 17.08.2023 erfahren habe. Daher habe er sogleich am 18.08.2023 über seine Schwester 150 € an die Landesjustizkasse für die Auflage überwiesen. Es liege also kein gröblicher und beharrlicher Verstoß gegen die Bewährungsauflage vor. Die fehlenden Raten wolle er nachzahlen.2

Wiedereinsetzungsantrag und die sofortige Beschwerde haben Erfolg:

„1. Dem Bf. war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 Satz 1, § 46 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung). Wiedereinsetzung erfolgt auch dann, wenn der Betroffene zwar keine Frist versäumt hat, aber irrtümlich so behandelt wurde und dementsprechend auf das Rechtsmittel angewiesen ist (BGH, Beschl. v. 02.09.2015 – 2 StR 294/15, juris Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 44 StPO Rn. 2). Einer weiteren Sachprüfung des Wiedereinsetzungsgesuchs bedarf es nicht (OLG Hamm Beschl. v. 22.11.2017 – 1 Ws 523/17, juris Rn. 9).

So liegt der Fall auch hier. Der Bf. hat die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht versäumt, da ihm der Beschluss vom 06.07.2023 nicht wirksam zugestellt wurde. Gleichwohl wurde er so behandelt, als hätte er die einwöchige Frist für die sofortige Beschwerde, die mit der Zustellung zu laufen beginnt (§ 311 Abs. 2 i.V.m. § 35 Abs. 2 Satz 1 StPO), verpasst.

a) Die Ersatzzustellung vom 08.07.2023 war unwirksam. § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 180 ZPO setzen voraus, dass der Bf. bei Einlegung des Beschlusses in den Briefkasten in der …Str. 27 an dieser Adresse tatsächlich wohnhaft gewesen wäre. Falls der Zustellungsadressat zwar nicht mehr an der Adresse wohnt, aber noch eine fortlaufende Beziehung zur Wohnung aufrechterhält, so würde allerdings auch dies ausreichen. Das wäre etwa anzunehmen, wenn eine behördliche Abmeldung noch nicht erfolgt ist und die Wohnung zur Postsammlung genutzt wird (vgl. BayObLG, Beschl. v. 16.03.2004 – 2 ObOWi 7/2004, juris Rn. 11).

Die Kammer geht indes davon aus, dass der Bf. seit Mitte Juni 2023 seine alte Wohnung nicht mehr nutzt, seinen Wohnsitz dort mithin aufgegeben hat. Die vorgelegte Meldebescheinigung der Stadt X belegt, dass sich der Bf. am 20.06.2023 rückwirkend zum 15.06.2023 an der neuen Anschrift …Weg 18, X, angemeldet hat. Dort gab er bei der Rubrik Wohnungsstatus an, dass es sich um seine einzige Wohnung handele. Dies deckt sich mit dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung sei ner ehemaligen Lebenspartnerin, wonach sie und der Bf. seit seinem Auszug getrennt leben.

Nichts anderes folgt daraus, dass der Bf. bei einer polizeilichen Überprüfung am Briefkasten und Klingelschild der alten Adresse vorgetragen war und auf Nachfrage seine postalische Erreichbarkeit dort bejahte. Denn die Nachfrage erfolgte im Mai 2023 und damit vor dem Zerwürfnis und dem Auszug im Juni 2023. Zwar hat der Bf. den behaupteten Nachsendeauftrag bei der Post nicht in Vorlage gebracht. Jedoch bestätigte die ehemalige Lebenspartnerin, dass es diesen Nachsendeauftrag gegeben habe.

b) Eine wirksame Zustellung lag auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Scheinwohnung vor. Das hätte eine Manipulation seitens des Zustellungsadressaten erfordert, wofür das Belassen des Namensschildes am Briefkasten nach Auszug nicht ausreicht (Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 178 Rn. 7 m.w.N.). Derlei fehlt hier. Insbesondere meldete sich der Bf. am 20.06.2023 und damit vor der Beschlusszustellung bei der Gemeinde um.

Die Nichtbefolgung der Weisung im Bewährungsbeschluss, unverzüglich und unaufgefordert dem Gericht jeden Wohnsitzwechsel mitzuteilen, begründet einen Scheintatbestand nicht. Denn diese Anordnung dient lediglich der Arbeitserleichterung des Gerichts bei der Bewährungsüberwachung oder der spezialpräventiven Einwirkung auf den Verurteilten (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 56c Rn. 6 m.w.N.), begründet mithin auf dessen Seite kein Vertrauen.

c) Die unwirksame Zustellung ist auch nicht geheilt worden. Denn dies erfordert einen tatsächlichen Zugang des Dokuments beim Zustellungsadressaten (vgl. § 189 ZPO). Hierfür reicht allein die Kenntnisnahme vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks nicht aus, nicht einmal die Übergabe eines gleichlautenden, aber anderen Schriftstücks (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 21.03.2019 – 1 OWi 2 Ss Rs 76/18, juris Rn. 7 m.w.N.). Ein Zugang ist hier nicht erwiesen. Vielmehr gibt der Bf. an, von dem angegriffenen Beschluss nur durch dessen Erwähnung in der Ladung zum Haftantritt erfahren zu haben…..“