Archiv für den Monat: Februar 2022

Elektronische Einreichung einer Beschwerdeschrift, oder: Anforderungen an die Signatur

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Und als zweite Entscheidung dann zu der Problematik elektronisches Dokument der OLG Bamberg, Beschl. v. 17.02.2022 – 2 UF 8/22 –, der zu den Anforderungen an die elektronische Einreichung einer Beschwerdeschrift Stellung nimmt. Zwar im Familienrecht, aber die Ausführungen gelten sinngemäß ja auch in anderen Verfahren.

Es geht um einen Beschluss in einem Verfahren zur Kürzung des Versorgung eines beteiligten. Das war gegenüber der Rentenversicherung Bund beantragt worden. Der vom AG erlassene Beschluss vom 14.12.2021 enthielt eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung. In dieser wurdeinsbesondere auf die aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für juristische Personen des öffentlichen Rechts zur Beschwerdeeinlegung und die diesbezüglichen Anforderungen hingewiesen. Dieser Beschluss ist der Rentenversicherung am 22.12.2021 zugestellt worden. Mit am 07.01.2022 beim Familiengericht eingegangenem Schreiben vom gleichen Tag, eingereicht über ihr elektronisches Behördenpostfach (beBPo), hat die Antragsgegnerin gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, die Aussetzung der Kürzung des Anrechts des weiteren Beteiligten aufzuheben. Das Schreiben trägt weder Unterschrift noch Namensnennung einer verantwortenden Person, sondern endet mit der Formel „Mit freundlichen Grüßen“. Im Kopf des Schreibens ist unter der Anschrift der Antragsgegnerin sowie Angaben zur Erreichbarkeit lediglich angegeben „Auskunft erteilt: Hr. M.“. Auch eine qualifizierte elektronische Signatur ist nicht erfolgt.

Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 17.01.2022 hat der OLG-Senat die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Beschwerde bestehen, da die Beschwerdeeinreichung nicht den Anforderungen der §§ 14b Abs. 1, 14 Abs. 2 FamFG, 130a Abs. 3 S. 1 2. Alt., Abs. 4 S. 1 Nr. 3 ZPO genüge. Es fehle an einer einfachen Signatur am Ende der Beschwerdeschrift, um das zwingende Unterschriftserfordernis gem. § 64 Abs. 2 S. 4 FamFG zu erfüllen. Die Antragsgegnerin wurde auf die Möglichkeit der Nachholung durch ordnungsgemäße Beschwerdeeinlegung beim Amtsgericht bis zum Ablauf der Beschwerdefrist hingewiesen. Mit am 24.01.2022 über das elektronische Behördenpostfach beim AG – eingegangenem Schreiben hat die Antragsgegnerin daraufhin erneut Beschwerde gegen den Beschluss vom 14.12.2021 eingelegt. Das auf den 24.01.2022 datierte Schreiben entspricht inhaltlich und formal vollständig der bereits am 07.01.2022 eingelegten Beschwerde. Es weist erneut weder eine Unterschrift bzw. Signatur am Ende des Schreibens noch eine qualifizierte elektronische Signatur auf.

Das OLG hat die Beschwerde als unzulässig verworfen.

Hier die Leitsätze der Entscheidung:

    1. Nach § 64 Abs. 2 S. 4 FamFG ist eine Beschwerdeschrift zwingend zu unterschreiben.
    2. Bei Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs ist die Voraussetzung einer eigenhändigen Unterzeichnung gemäß § 64 Abs. 2 Satz 4 FamFG durch §§ 14 Abs. 2 Satz 2 FamFG, 130a Abs. 3 Satz 1 2. Alt., Abs. 4 S. 1 Nr. 3 ZPO dahingehend modifiziert, dass die als elektronisches Dokument eingelegte Beschwerde von der verantwortlichen Person entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gemäß Art. 3 Nr. 12 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 (elDAS-VO) versehen oder von der verantwortenden Person einfach signiert (Art. 3 Nr. 10 elDAS-VO) und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss.
    3. Die einfache Signatur erfordert am Ende des Schriftstücks die Wiedergabe des Namens der Person, die damit die Verantwortung für das Dokument übernehmen will. Eine Grußformel ohne Namensangabe genügt dem nicht.
    4. Die einfache Signatur ist auch bei Einreichung über das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) erforderlich, wenn das Schriftstück nicht qualifiziert signiert ist.
    5. Die Deutsche Rentenversicherung Bund unterliegt als Körperschaft des öffentlichen Rechts der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs gem. § 14b Abs. 1 FamFG. (OLG Bamberg, B. v. 17.02.2022, 2 UF 8/22)

Aktive Nutzungspflicht auch fürs FA im InsO-Verfahren, oder: Wenn das Finanzamt nicht glaubhaft macht

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Es mehren sich die Entscheidungen zur (neuen) aktiven Nutzungspflicht für elektronische Dokumente (Stichwort: beA). Ich hatte ja am vergangenen Samstag hier auch schon über zwei Entscheidungen berichtet (vgl. Aktive Nutzungspflicht des beA in laufenden Verfahren, oder: Fax zur Fristwahrung reicht nicht mehr).

Heute stelle ich hier im „Kessel Buntes“ eine weitere Entscheidung vor, und zwar zum Insolvenzantragsverfahren. Dazu hat der AG Hamburg, Beschl. v. 21.02.2022 – 67h IN 29/22 – Stellung genommen.

In dem Verfahren hatte ein Finanzamt (!!) mit normaler Briefpost v. 07.02.2022, Eingang: 09.02.2022, beim Insolvenzgericht Hamburg einen Gläubigerinsolvenzantrag gegen die Schuldnerin mit dem Vortrag gestellt, diese schulde „die in der Anlage ersichtlichen Steuern und steuerlichen Nebenleistungen in Höhe v. EUR 80.382, 84“; die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen der §§ 251, 254 ff. der AO seien gegeben.

Das Insolvenzgericht hat mit Verfügungshinweis v. 10.02.2022, dem Finanzamt am 15.02.2022 zugestellt, auf die Geltung v. § 130d ZPO i.V.m. § 4 InsO und auf die mangelnde Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin hingewiesen. Mit elektronischer Post, Servereingang am 17.02.2022, 14:30 Uhr, sandte das Finanzamt kommentarlos den bisher unter dem 07.02.2022 datierten Insolvenzantrag mit gleichem Wortlaut, aber mit Datum v. 16.02.2022, neu ein. Das Insolvenzgericht hat die Insolvenzanträge v. 07.02.2022 u. v. 16.02.2022 als unwirksam angesehen.

„1.1 Die Vorschrift des § 130 d ZPO gilt seit dem 1.1.2022. Der Geltungsbereich erfasst auch schriftlich einzureichende Anträge und vorbereitende Schriftsätze an die Gerichte von Behörden. Die Norm gilt über § 4 InsO auch für die vorbezeichneten Schriftstücke im Insolvenzverfahren (H. Büttner, ZInsO 2022, 277 mwN). Die Antragstellerin ist im Sinne der Vorschrift eine Behörde. Sie hat seit 1.1.2022 ihre Insolvenzanträge in elektronischer Form einzureichen (§ 130d Satz 1 ZPO). Für Gläubigeranträge besteht hierüber in der Literatur, soweit ersichtlich, auch kein Meinungsstreit, wohingegen für Schriftstücke und Anträge v. Insolvenzverwaltern aufgrund der „Bereichslehre“ (dazu HambKommInsR/Frind, 9.Aufl., § 56 Rn.17 mwN) durchaus ein Geltungsdisput besteht (dazu jüngst mwN H.Büttner, ZInsO 2022, 277).

Aus dem Bereich der Finanzämter sind Ersuchen an das Insolvenzgericht gerichtet worden, die Anwendung der vorgenannten Vorschrift „auszusetzen“ oder ein „Moratorium“, zumindest ca. bis Ende März, für die Anwendung vorzusehen, da teilweise die technischen Voraussetzungen zur Übermittlung v. Schriftstücken in elektronischer Form noch nicht geschaffen bzw. Die Anwendung noch teilweise nicht eingeübt bzw. die Anwendung noch teilweise nicht sicher ablaufend sei. Diesen Ersuchen ist nicht zu folgen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber die Vorschrift des § 130d ZPO durch Gesetz v. 10.10.2013 (BGBl. I, 3786) in die ZPO eingefügt, aber ihre Geltung sehr großzügig prolongiert hat. Die Einführung der vorgenannten Antragseinreichungsvoraussetzung kam daher mit einer Vorbereitungszeit v. acht Jahren und 2,5 Monaten nicht überraschend. Zum anderen sieht die Norm kein gerichtliches Ermessen bei der Anwendung vor. Die Sentenz „sind zu übermitteln“ ist ein eindeutiger gesetzlicher Normbefehl. Die Einhaltung des § 130d ZPO ist nicht verzichtbar (H. Büttner, ZInsO 2022, 277, 281).

Zum Dritten ist zu bedenken, dass Rechtsfolge der Nichteinhaltung der durch § 130d ZPO normierten Einreichungsform die Unwirksamkeit der jeweiligen Eingabe und Verfahrenshandlung ist (BeckOK ZPO/von Selle, 43. Ed. 1.1.2022, ZPO § 130d Rn. 6). Das hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen. Ein unter Verletzung der Nutzungspflicht eingereichter Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen. Eines gerichtlichen Hinweises auf die Norm des § 130d ZPO bedarf es zumindest gegenüber öffentlich-rechtlichen Gläubigern nicht. Würde das Insolvenzgericht ein Insolvenzverfahren aufgrund eines unwirksamen Antrages betrieben, eventuell sogar Sicherungs- oder Zwangsmaßnahmen (z.B. nach Nichtbeantwortung oder unzureichender Auskunft durch den Schuldner) verhängen, käme eine Amtshaftung (§ 839 BGB) in Betracht. Das Betreiben eines Insolvenzverfahrens aufgrund eines ersichtlich unwirksamen Antrages verbietet sich. Das Insolvenzgericht muss, da Insolvenzantragsverfahren stete Eilverfahren sind, für eine zeitnahe Entscheidung über unzulässige oder gar unwirksame Anträge sorgen, (auch), um mögliche Kreditschädigungen der Antragsgegner aufgrund möglicher Behauptungen, gegen diese „liefe ja ein Insolvenzverfahren“ zu unterbinden.

1.2 Die Übermittlung eines Schriftsatzes entgegen § 130d S.1 ZPO entfaltet keine Wirkung, sofern nicht die Voraussetzungen einer zulässigen Ersatzeinreichung nach § 130d S. 2 und S. 3 ZPO vorliegen. Im vorliegenden Fall hat das Gericht mit Verfügung v. 10.2.2022 auf die Geltung der Vorschrift hingewiesen. Von einer Behörde ist zu erwarten, dass der Wortlaut des Gesetzes ohne weitere Hinweise zur erwarteten Umsetzung, insbesondere, wenn dieser so eindeutig ist, wie die vorbezeichneten Normsätze, gelesen und zur Kenntnis genommen und umgesetzt werden. Das Gericht muss ohnehin auf die Geltung des § 130d ZPO eigentlich nicht hinweisen, da §§ 4 InsO, 139 ZPO keine Hinweise auf eine geltende Rechtslage erfordert.

Auf den Hinweis des Gerichtes v. 10.2.2022 hat die Antragstellerin nicht entsprechend § 130d Satz 2 und Satz 3 ZPO reagiert. Sie hätte ihre Übermittlung ihres Antrages v. 7.2.2022 mit normaler Briefpost nunmehr bereits bei dessen Einreichung, welches die „Ersatzeinreichung“ im Sinne der Vorschrift ist, mit einer glaubhaft gemachten Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung „aus technischen Gründen“ entschuldigen müssen. Dabei wäre auch vorzutragen gewesen, dass der Nutzungspflichtige die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorhält und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe sorgt (BT-Drs. 17/12634, 27; BeckOK ZPO/von Selle ZPO § 130d Rn.4) und, dass die Störung nur vorübergehender Natur ist (Greger in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 130d ZPO Rn.2). Strukturelle Mängel der IT-Infrastruktur des Nutzungspflichtigen oder gar Nutzungsunwille rechtfertigen den Rückgriff auf papierene Kommunikation nicht. Dies gilt auch, wenn dem Gericht Mängel der technischen Einrichtung des Absenders amtswegig bekannt sind (ArbG Lübeck, Urt. v. 1.10.2020 – 1 Ca 572/20 –, juris; Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urt. v. 13. 10.2021 – 6 Sa 337/20 –, juris). Einen generellen Anwendungs-Dispens gibt es, wie ausgeführt, nicht.

Die Mittel der Glaubhaftmachung ergeben sich auch im Insolvenzverfahren aus § 294 ZPO (§ 4 InsO; BGH v. 11.6.2015, ZInsO 2015, 1566, Rn.9). Diese Glaubhaftmachung hätte die Antragstellerin mit der Ersatzeinreichung, also bereits bei Einreichung des schriftlichen Antrages, oder unverzüglich danach leisten müssen. „Unverzüglich“ ist im Sinne des § 121 Abs.1 BGB auszulegen. Ob eine „unverzügliche“ Einreichung in dem vorgenannten Sinne noch eine Einreichung auf den gerichtlichen Hinweis v. 10.2.2022 , da das Gesetz einen solchen nicht voraussetzt, darstellen würde, ist vorliegend nicht zu entscheiden, weil die Antragstellerin mit Übermittlung ihres elektronischen Antrags-Schriftstückes v. 16.2.2022, also nicht des Antrages v. 7.2.2022, der Nachreichung des ersatzweise eingereichten Schriftstückes im Sinne v. § 130d Satz 3 ZPO gar nicht nachgekommen ist, aber vor allem auch keinerlei Glaubhaftmachung im vorgenannten Sinne – spätestens hierzu – beigefügt hat.

Nachzureichen gewesen wäre im Übrigen das ursprüngliche Schriftstück (BeckOK ZPO/von Selle ZPO § 130d Rn. 4), hier der ursprüngliche Antrag. Der nunmehr elektronisch eingereichte Antrag v. 16.2.2022 ist unzulässig, da die Antragstellerin hiermit gleichzeitig zwei Insolvenzverfahren betreiben würde. Sie hätte zunächst den Antrag v. 7.2.2022 zurücknehmen müssen oder dessen rechtskräftige Abweisung abwarten müssen, bevor sie einen neuen Antrag ausbringt.

Soweit die Finanzverwaltungen teilweise an Insolvenzrichter herangetreten sind, um abzusprechen, wie solche Glaubhaftmachungen im vorgenannten Sinne für den Bereich des § 130d Satz 2 und Satz 3 ZPO abzufassen sind und zu lauten hätten, können sich Insolvenzgerichte hierzu weder im konkreten Verfahren noch gar außerhalb eines konkreten Verfahrens verhalten. Den Gerichten ist Rechtsberatung nicht erlaubt (§§ 2, 3 RDG, s. LG Hamburg NJW-RR 2016, 61) und die modellhafte Abfassung v. Glaubhaftmachungsvorbringen würde diesen Bereich erreichen.“

 

Ich habe da mal eine Frage: Muss ich hier einen Erstreckungsantrag stellen?

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Und zum Schluss des Tages hier dann noch das Rätsel, das heute mal wieder die „Erstreckung“ zum Gegenstand hat, also § 48 Abs. 6 RVG. Die Frage stammt aus einer Verteidigergruppe auf Facebook. Gefrgat wurde:

„Eigentlich hatte ich gedacht, § 48 Abs. 6 RVG verstanden zu haben, aber jetzt bin ich verunsichert.

Zum Sachverhalt: Die StA erhebt gegen meinen Mandanten in zwei Verfahren Anklage zum Amtsgericht. Von diesen Anklagen erhalte ich im Rahmen eines dritten, hier nicht weiter interessierenden Verfahrens Kenntnis. Ich stelle fest, dass schon wegen der Gesamtstrafenfähigkeit ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO gegeben ist. Folgerichtig zeige ich mich in den beiden Verfahren, in denen jetzt Anklage erhoben worden war, als Verteidiger an und beantrage meine Beiordnung.

Das Amtsgericht verbindet zunächst beide Verfahren (Bl. 70 der Akte des führenden Verfahrens) und ordnet mich in diesem Verfahren bei (Bl. 71 der Akte des führenden Verfahrens. Verbindungs- und Beiordnungsbeschluss datieren vom selben Tage.

Zur Frage:

a) Sehe ich es richtig, dass ich dann und nur dann, wenn ich aus der Tatsache, dass der Beiordnungsbeschluss unmittelbar hinter dem Verbindungsbeschluss abgeheftet ist, folgern kann, dass das Gericht zuerst verbunden und dann beigeordnet hat, die Gebühren für das nicht führende Verfahren unmittelbar nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG als meiner Beiordnung vorausgegangene Tätigkeit abrechnen kann?

b) Oder muss ich davon ausgehen, dass beide Beschlüsse gleichsam gleichzeitig ergangen sind, mit der ärgerlichen Folge, dass ich dann zunächst die Erstreckung nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG beantragen muss?

c) Oder befasse ich mich einfach einmal wieder mit Problemen, die außer mir niemand hat?“

Wer hilft – bitte nicht jemand, der in der Gruppe die Lösung schon gelesen hat 🙂 .

Pauschgebühr von rund 1,9 Mio EUR beantragt, oder: Welche Tätigkeiten sind zu berücksichtigen?

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, ist der OLG Celle, Beschl. v. 10.12.2021 – 5 AR (P) 7/20. Thematik: Bei der Pauschgebühr nach kostenloser Umbeiordnung zu berücksichtigende Tätigkeiten. Pauschgebühranträge haben ja i.d.R. nur noch selten Erfolg. Um so erfreulicher ist es, wenn man dann mal, so wie hier, über einen erfolgreichen Antrag berichten kann, auch wenn der Pflichtverteidiger ganz erhebliche Abstriche gegenüber seinem Antrag hat hinnehmen müssen.

Folgender Sachverhalt: Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger in einem Staatsschutzverfahren beim OLG wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland u.a. Dem Angeklagten war am 09.11.2016 zunächst ein anderer Rechtsanwalt J zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Daneben war seit dem 01.12.2016 auch Rechtsanwalt S. als Verteidiger mandatiert, seine Beiordnung als weiterer Pflichtverteidiger erfolgte am 27.07.2017. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten der Verteidiger über die weitere Verteidigungsstrategie nach Beginn der Hauptverhandlung erfolgte am 18.04.2018 auf Antrag des Angeklagten die Entpflichtung von Rechtsanwalt S. unter gleichzeitiger Beiordnung des antragstellenden Rechtsanwalt. Dieser hatte zuvor mit Schreiben vom 16.04.2018 erklärt, dass „der Staatskasse (…) durch die Umbeiordnung keine zusätzlichen Kosten entstehen“ werden.

Der Rechtsanwalt hat eine Pauschgebühr in Höhe von 1.950.470,00 EUR beantragt, was in etwa dem Neunfachen der Wahlanwaltsgebühren entsprach. Die Vertreterin der Landeskasse hat eine Pauschgebühr in Höhe 34.000,00 EUR (ca. 50 % der Differenz der Pflichtverteidigergebühren zur Wahlverteidigerhöchstgebühr) vorgeschlagen. Das OLG hat eine Pauschgebühr in Höhe von rund 30.000 EUR bewilligt.

Da es ein sehr umfangreicher Beschluss ist, stelle ich hier nur die Passage vor, in der das OLG zum Umfang der zu berücksichtigen Tätigkeiten Stellung nimmt:

„3. Die Sache hatte auch einen besonderen Umfang.

a) Nicht berücksichtigt werden kann dabei im Fall des Antragstellers allerdings die erstmalige Einarbeitung in die Ermittlungsakten und die allgemeine Vorbereitung auf die Hauptverhandlung.

Die Verfahrensakten hatten zwar einen weit überdurchschnittlichen Umfang. Hinzu kommt, dass der Antragsteller erst nach dem 44. Hauptverhandlungstag zum weiteren Verteidiger bestellt wurde und die ihm zur Verfügung stehende Einarbeitungszeit deshalb vergleichsweise kurz war.

Indes ist zu beachten, dass der Antragsteller mit Schreiben vom 16. April 2018 erklärt hat, dass „der Staatskasse (…) durch die Umbeiordnung keine zusätzlichen Kosten entstehen“ werden. Hierauf hat der Vorsitzende des 4. Strafsenats in seinem Umbeiordnungsbeschluss vom 18. April 2018 auch ausdrücklich abgestellt. Der Antragsteller hat dementsprechend im Rahmen der Kostenfestsetzung auf die Grundgebühr und die Verfahrensgebühren verzichtet.

Der Gebührenverzicht im Rahmen der Umbeiordnung ist zulässig und wirksam (vgl. KG, Beschluss vom 2. September 2016 – 4 Ws 125/16, StraFo 2016, 513; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Dezember 2015 – 2 Ws 582/15, NStZ 2016, 305; Volpert in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse [§§ 44, 45, 50], Rn. 2398; jew. mwN). Er wirkt sich auch auf die Bewilligung der Pauschgebühr aus. Wenn nämlich dem Pflichtverteidiger für einen Verfahrensabschnitt oder eine bestimmte Tätigkeit keine (gesetzlichen) Gebühren zustehen – sei es, dass eine Gebühr gar nicht entstanden ist, oder sei es, dass auf eine entsprechende Gebühr verzichtet worden ist –, kann dieser Verfahrensabschnitt oder diese Tätigkeit auch bei der Bewilligung einer Pauschgebühr nicht berücksichtigt werden (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 5. Januar 2012 – III-5 RVGs 81/11, StraFo 2012, 161 m. Anm. Burhoff; Gerold/Schmidt/Burhoff, aaO § 51 Rn. 16; Burhoff in: Burhoff/Volpert, aaO, RVG § 51 Rn. 21; BeckOK RVG/K. Sommerfeld/M. Sommerfeld, § 51 Rn. 9).

Zwar wurde in der Rechtsprechung vereinzelt die Ansicht vertreten, dass ein Verzicht auf höhere gesetzliche Gebühren es nicht ausschließe, dass diese dem Verteidiger „dem Grunde nach zustehenden, aber aufgrund des Verzichts nicht zu beanspruchenden Gebühren“ bei der Bemessung einer Pauschgebühr und deren Berechtigung gleichwohl Berücksichtigung finden können (OLG Hamm Beschluss vom 18. August 2009 – 5 (s) Sbd. X – 65/09, BeckRS 2012, 7235). Diese Auffassung ist indes auf Kritik gestoßen (vgl. Burhoff aaO), und das Oberlandesgericht Hamm hat angedeutet, sie künftig nicht mehr zu vertreten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 5. Januar 2012 – III-5 RVGs 81/11, StraFo 2012, 161 m. Anm. Burhoff). Ob ihr im Hinblick auf eine mögliche Kompensation durch nicht entstandene Gebühren zu folgen wäre, kann hier indes dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls ist daraus nicht abzuleiten, dass der allgemein anerkannte Grundsatz der Vermeidung von Mehrkosten für die Staatskasse bei einem einvernehmlichen Pflichtverteidigerwechsel (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 143a Rn. 31 mwN) sich nur auf die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis, nicht aber auf etwaige Mehrkosten durch eine Pauschgebühr bezieht. Zwar reichen im Falle einer kostenneutralen Umbeiordnung die durch den Mehrkostenbegriff geschützten Fiskalinteressen nicht weiter, als wenn der Beschuldigte den jetzt gewählten Verteidiger von vornherein bezeichnet hätte und dieser hätte beigeordnet werden können (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 6. Februar 2019 – 2 Ws 37/19, StraFo 2019, 263; OLG Oldenburg, Beschluss vom 21. März 2017 – 1 Ws 122/17, juris). Von dem Mehrkostenbegriff sind aber unzweifelhaft diejenigen Gebührenpositionen erfasst, die durch die Bestellung des neuen Pflichtverteidigers doppelt entstehen würden (OLG Celle aaO; Volpert in: Burhoff/Volpert, aaO, Umfang des Vergütungsanspruchs [§ 48 Abs. 1 S. 1], Rn. 2250 mwN). Das erfasst bei einem Verteidigerwechsel während der Instanz – wie hier – zunächst die Grundgebühr und die Verfahrensgebühren (vgl. Volpert aaO, Rn. 2249 mwN). In diesem Sinn „doppelt entstehen“ würde aber auch eine Pauschgebühr, deren Bewilligung an Verfahrensabschnitte oder Tätigkeiten anknüpft, die mit den – vom Verzicht eindeutig erfassten – Grund- und Verfahrensgebühren abgegolten werden. Es wäre zudem systemwidrig, die Bewilligung einer Pauschgebühr auf die Unzumutbarkeit von gesetzlichen Gebühren zu stützen, auf deren Auszahlung der Verteidiger verzichtet hat.“

Für den Rest müssen dann die Leitsätze reichen – Leitsatz 4 ist der des OLG, der Rest stammt von mir

    1. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt die Ausnahme dar; die anwaltliche Mühewaltung muss sich bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben.
    2. Ein Pauschgebührenantrag kann nur noch bedingt auf vor dem 1.7.2004 ergangene Rechtsprechung gestützt werden.
    3. Zur besonderen Schwierigkeit in Staatschutzverfahren.
    4. Ein zur Vermeidung von Mehrkosten für die Staatskasse bei Umbeiordnung erklärter Gebührenverzicht des Verteidigers wirkt sich auch auf die Bewilligung der Pauschgebühr aus. Da dem Pflichtverteidiger für die von dem Verzicht erfassten Verfahrensabschnitte oder Tätigkeiten keine gesetzlichen Gebühren zustehen, können diese Verfahrensabschnitte oder Tätigkeiten auch bei der Bewilligung der Pauschgebühr nicht berücksichtigt werden.
    5. Nur in Ausnahmefällen ist im Rahmen der Bemessung der Pauschgebühr eine Anhebung der dem Pflichtverteidiger gesetzlich zustehenden Terminsgebühr möglich. Dies kommt in Betracht, wenn an sich in die Hauptverhandlung fallende Vorgänge – etwa das Verlesen von Urkunden durch Anordnung des Selbstleseverfahrens – nach außen verlagert werden oder im Rahmen der Hauptverhandlung neue Unterlagen bekannt werden, die eine intensive Vor- oder Nachbereitung erfordern.
    6. Die Bejahung einer fast ausschließlichen Inanspruchnahme durch die Hauptverhandlung kommt unter Zugrundelegung einer fünftägigen Arbeitswoche grundsätzlich nicht schon bei Prozesswochen mit zwei ganztägigen Verhandlungen, sondern erst bei solchen mit jedenfalls drei ganztägigen Verhandlungen in Betracht.

Lohn aus der Staatskasse für das Adhäsionsverfahren?, oder: Wenn ein Fachanwalt für Strafrecht gewaltig irrt

Smiley

Heute dann – trotz allem – RVG- bzw. Kostenrechts-Tag.

Und den Tag beginne ich mit einer Entscheidung des OLG Brandenburg, und zwar dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.01.2022 – 1 Ws 108/21 (S) – zur Erstattung der Gebühren des Wahlverteidigers für Tätigkeiten im Adhäsionsverfahren aus der Staatskasse. Dem Beschluss liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:

Der Rechtsanwalt war Wahlverteidiger eines Angeklagten. Das AG verurteilte am 19.6.2019 den Angeklagten mit inzwischen rechtskräftigen Urteil wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe. Die Kostenentscheidung erging dahin, dass dem Angeklagten sowie einem Mitangeklagten die Kosten des Verfahrens sowie die Kosten des Adhäsionsklägers und der Nebenklage auferlegt wurden. In der Hauptverhandlung hatten die beiden Angeklagten mit dem Opfer der Straftat einen Täter-Opfer-Ausgleich dahingehend erzielt, dass sie unmittelbar an Gerichtsstelle 1.000,00 EUR zahlten und sich verpflichteten, innerhalb einer Frist weitere 2.000,00 EUR an den Geschädigten zu zahlen.

Während der Hauptverhandlung am 19.06.2019 beantragte der Rechtsanwalt seine „Beiordnung“ für das Adhäsionsverfahren. Hieraufhin beschloss das AG: „Den Angeklagten werden ihre jeweiligen Wahlverteidiger für das Adhäsionsverfahren beigeordnet“. Im Folgenden schlossen die Angeklagten und der Nebenkläger, der zugleich Adhäsionskläger war, den o.a. Vergleich. Das AG hat den Streitwert für das Adhäsionsverfahren auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

Der Rechtsanwalt hat beim AG die Festsetzung der Gebühren für das Adhäsionsverfahren auf 741,37 EUR beantragt. Im Festsetzungsverfahren hat die Rechtspflegerin den Rechtsanwalt darauf hingewiesen, dass mangels Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Adhäsionsverfahren eine entsprechende Kostenfestsetzung nicht möglich sei. Der Rechtsanwalt erwiderte, dass die Beiordnung „lege artis“ gewesen sei und es „auf irgendwelche PKH-Anträge nicht ankomme“.

Die Rechtspflegerin hat den Antrag auf Kostenfestsetzung für das Adhäsionsverfahren zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass es an der nach § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO erforderlichen Bewilligung von Prozesskostenhilfe fehle. Auf die Erinnerung des Rechtsanwalts hat der Amtsrichter den Beschluss der Rechtspflegerin aufgehoben und der Rechtspflegerin aufgegeben, die Kosten „für die Beiordnung des Adhäsionsverfahrens“ festzusetzen. Die Rechtspflegerin hat daraufhin die dem Rechtsanwalt „aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen auf 0,00 EUR festgesetzt.“ Auf die Erinnerung des Rechtsanwalts hat das AG den Beschluss der Rechtspflegerin „nicht abgeändert und nicht aufgehoben.“ Hiergegen hat der Rechtsanwalt Beschwerde eingelegt. Das LG hat die Beschwerde verworfen und wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtfrage einer Gebührenfestsetzung für den Fall einer Beiordnung für das Adhäsionsverfahren ohne Gewährung von Prozesskostenhilfe und ohne Pflichtverteidigerbestellung die weitere Beschwerde zugelassen. Die weitere Beschwerde des Rechtsanwalts hatte beim OLG dann keinen Erfolg:

„1. Das Landgericht hat zutreffend dargelegt, dass ein Vergütungsanspruch des Beschwerdeführers aus § 45 RVG nicht besteht. § 45 Abs. 1 RVG erfordert die Beiordnung des Rechtsanwalts im Wege der Prozesskostenhilfe nach § 114 ff. ZPO; in welchem Verfahren die Prozesskostenhilfe gewährt wird, ist gleichgültig. Im strafrechtlichen Bereich finden sich hierzu Regelungen beispielsweise für das Klageerzwingungsverfahren (§ 172 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz StPO), für das Privatklageverfahren (§ 379 Abs. 3 StPO) oder für das Adhäsionsverfahren (§ 404 Abs. 5 StPO), die jeweils auf die Vorschriften für die Prozesskostenhilfe in „bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten“ verweisen (siehe auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. § 404 Rn. 14 f.; KK-Zabeck, StPO, 7. Aufl., § 404 Rn. 6). Ein Antrag auf Prozesskostenhilfe nach § 114 ff. ZPO für das vorliegende Adhäsionsverfahren, dem nach § 117 Abs. 2 ZPO auch eine Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten beizufügen gewesen wäre, ist jedoch weder von dem Beschwerdeführer gestellte noch ist Prozesskostenhilfe gemäß § 119 ZPO durch das Amtsgericht Potsdam – Jugendschöffengericht – bewilligt worden. Dem Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 29. August 2021 ist sogar zu entnehmen, dass sein Mandant aufgrund seines Einkommens „möglicherweise keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe hat“. Dies zu klären hätte es eines Antrags auf Prozesskostenhilfe nach § 117 ZPO bedurft.

Auch der Hinweis auf § 121 Abs. 2 ZPO in § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO führt im vorliegenden Fall zu keinem Anspruch des Beschwerdeführers gegen die Staatskasse. Denn auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Adhäsionsverfahren setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach §§ 114 ff. ZPO voraus, woran es hier fehlt. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts hängt vom Bestand der Prozesskostenbewilligung ab. Eine ohne die erforderliche Prozesskostenhilfe-Entscheidung erklärte Beiordnung geht ins Leere (vgl. Ebert in: Mayer/Kroiß, RVG 8. Aufl., § 48 Rn. 55), eine Beiordnung entsteht nicht, wenn Prozesskostenhilfe nicht bewilligt worden ist, sie fällt weg, wenn die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wieder aufgehoben wird (vgl. Bischof in: Bischof/Jungbauer/Brauer u.a. RVG, 9. Aufl., § 45 Rn. 11; Fölsch/Volpert in: Schneider/Volpert (Hrsg.), RVG, 9. Aufl., § 45 Rn. 30 a.E.).

2. Anders stellt sich die Beiordnungsentscheidung dar, wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung (§§ 140 ff. StPO) gegeben ist. In diesem Fall erstreckt sich die Pflichtverteidigerbestellung auch auf das Adhäsionsverfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021, 6 StR 307/21, in: NJW 2021, 2901 f.), was sich bereits aus der engen tatsächlichen und rechtlichen, in der Regel untrennbaren Verbindung zwischen Verteidigung gegen den Tatvorwurf und der Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten im Sinne von § 403 StPO ergibt (BGH a.a.O.; siehe auch BGH, Beschluss vom 30. März 2001, 3 StR 25/01, in: BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 4). Ein solcher Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO lag hier zweifelsohne nicht vor. Der dem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt war überaus einfach gelagert und warf keine schwierigen tatsächlichen oder rechtlichen Probleme auf, auch lässt die erkannte Geldstrafe von lediglich 160 Tagessätzen auf schwere Rechtsfolgen nicht rückschließen. Eine Pflichtverteidigerbestellung ist weder beantragt noch auf eine solche erkannt worden.

3. Ein Gebührenanspruch gegen die Landeskasse ergibt sich auch nicht aus § 45 Abs. 3 RVG. Es ist bereits fraglich, ob es sich hierbei nicht um eine Zuständigkeitsnorm zur Frage handelt, welche Staatskasse die Gebühren schuldet (Hartung in: Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl., § 45 Rn. 52). Aber selbst wenn diese Norm („sonst“) dahin auszulegen ist, dass sonstige Fälle von Beiordnungen in Strafsachen erfasst sind (vgl. Fölsch/Volpert in: Schneider/Volpert, RVG, 9. Aufl. § 45 Rn. 23), kann sie sich nur auf Bereiche beziehen, die ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Beiordnung eines Rechtsanwalts ermöglichen wie beispielsweise der Rechtsbeistand eines Nebenklägers (§ 397a Abs. 1 StPO) oder des nebenklageberechtigten Verletzten (§ 406h Abs. 3 Nr. 1 StPO), der Zeugenbeistand (§ 68b Abs. 2 Satz 2 StPO), der nach dem Therapieunterbringungsgesetz gerichtlich beigeordnete Rechtsanwalt (§ 7 ThUG), der Rechtsbeistand eines Verfolgten in Auslieferungsverfahren nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (§§ 31 Abs. 2 S. 3, 40 IRG) oder der notwendige Verteidiger (§ 140 Abs. 1, Abs. 2 StPO), auch wenn er den Angeklagten – wie oben dargelegt – im Adhäsionsverfahren vertritt. § 45 Abs. 3 RVG erstreckt sich dagegen nicht auf Fälle von Beiordnungen in Strafsachen, die mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach den Bestimmungen des Zivilverfahrens verknüpft sind wie beispielsweise bei Klageerzwingungsverfahren (§ 172 Abs. 3, Satz 2, 2. Halbsatz StPO), Privatklageverfahren (§ 379 Abs. 3 StPO) oder Adhäsionsverfahren ohne notwendige Verteidigung (§ 404 Abs. 5 StPO). Der vorliegende Fall der Beiordnung für das Adhäsionsverfahrens ohne notwendige Verteidigung nach § 140 StPO ist mithin kein Fall der „sonstigen“ Beiordnung nach § 45 Abs. 3 RVG, vielmehr findet sich eine abschließende Regelung in § 45 Abs. 1 RVG, so dass auf die obigen Ausführungen zu verweisen ist.

4. Der Beschwerdeführer kann sich auch nicht auf Vertrauensgesichtspunkte berufen, weil das Tatgericht eine Beiordnung ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe und ohne Pflichtverteidigerbestellung ausgesprochen hat. Denn dem Beschwerdeführer musste als Fachanwalt für Strafrecht bekannt sein, dass es in erster Linie ihm als Verteidiger nach § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO oblag, für das Adhäsionsverfahren einen „Antrag auf Prozesskostenhilfe“ „nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten“ zu stellen. Daran fehlt es hier, wie bereits oben dargelegt ist. Zwar mag in der erfolgten Beiordnung des Beschwerdeführers für das Adhäsionsverfahren ohne Antrag auf Prozesskostenhilfe und ohne dass ein Fall der Pflichtverteidigerbestellung vorlag, ein Fehler durch das Amtsgericht Potsdam gegeben sein, jedoch kann daraus – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat (S. 7 BA) – keine Hinweispflicht resultieren, wenn das Gericht den Fehler selbst nicht erkennt.

Es kann auch keine Rede davon sein, dass der Beschwerdeführer „unentgeltlich“ arbeiten müsste („die Sklaverei ist abgeschafft“, Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 29.03.2021); es bleibt dem Beschwerdeführer unbenommen, seine Gebühren gegenüber dem Angeklagten bzw. Verurteilten geltend zu machen.“

Dem ist m.E. nichts hinzuzufügen außer:

  • Auf den ersten Blick erscheint die Entscheidung zwar hart, aber: Das mag (auf den ersten Blick) sein, aber: Sie ist zutreffend. Der Wahlanwalt hat – wenn keine Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe erfolgt ist, keinen Anspruch gegen die Landeskasse wegen der Gebühren des Adhäsionsverfahrens. Das haben die beteiligten Gerichte zutreffend erkannt und ausgeführt. Insoweit unterscheidet er sich eben vom Pflichtverteidiger, für den nach der neuen Rechtsprechung des BGH die bloße Bestellung zum Pflichtverteidiger genügt, um auch die Gebühren für das Adhäsionsverfahren (Nr. 4143 VV RVG) aus der Staatskasse verlangen zu können, worauf das OLG hier ausdrücklich hinweist.
  • Wer trägt die Schuld an der verfahrenen Lage? Nun, sicherlich sowohl das AG als auch der Rechtsanwalt. Denn man darf m.E. schon von einem Jugendschöffengericht erwarten, dass es die Vorschrift des § 404 Abs. 5 StPO kennt und daher im Blick hat, dass die Beiordnung des Wahlanwalts im Adhäsionsverfahren eben nur unter PKH-Gesichtspunkten in Betracht kommt und daher die §§ 114 ff. ZPO zu beachten waren. Dasselbe gilt aber für den Verteidiger, der ja immerhin Fachanwalt für Strafrecht ist. Da nutzen auch markige Sprüche in der Art, dass er „unentgeltlich“ arbeiten müsse – „die Sklaverei ist abgeschafft“ – nichts. Die Beiordnung war eben nicht „lege artis“ und es kam sehr wohl „auf irgendwelche PKH-Anträge an“.
  • Auch nachträglich ist/war nichts mehr zu reparieren. Denn eine ggf. rückwirkende Bewilligung von PK setzt nach der Rechtsprechung des BGH voraus, dass der Antragsteller mit seinem Antrag bereits alles für die Bewilligung der PKH getan hat und sein Antrag (nur) nicht rechtzeitig beschieden worden ist (BGH StraFo 2011, 115; 2017, 258; Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl., 2022, Rn 371).