Archiv für den Monat: September 2021

StPO I: Vorlage zum BGH wegen Vertretungsvollmacht, oder: Das OLG Düsseldorf „traut“ sich

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Heute stelle ich drei StPO-Entscheidungen von OLG vor. Einen StPO-Tag hatte ich länger nicht mehr.

Ich beginne mit dem recht aktuellen OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.09.2021 – 2 RVs 60/21. Zu dem passt nun wirklich mal: Das OLG traut sich. Ja, es traut sich zu einer Divergenzvorlage an an den BGH. Das mögen die OLG ja sonst nicht so gern und sie legen ja nicht selten wortreich dar, warum man nicht vorlegen muss. Anders aber hier.

Anlass zu der Vorlage ist die Frage nach den Anforderungen an die Vertretungsvollmacht in der Berufungshauptverhandlung. Das OLG fragt:

Genügt eine Vertretungsvollmacht, durch die dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Falle der Abwesenheit des Angeklagten, in allen Instanzen – ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung – erteilt worden ist, den Anforderungen der in § 329 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO vorausgesetzten Vertretungsvollmacht?

Anlass für die Frage ist ein Berufungsverfahren, in dem die Berufung des nicht erschienenen Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden ist. Der Verteidiger hat eine von dem Angeklagten unterzeichnete Strafprozessvollmacht vorgelegt, die eingangs dahin lautet, dass dem Verteidiger „Vollmacht zur Verteidigung und Vertretung, auch im Falle meiner Abwesenheit, in allen Instanzen erteilt“ wird. Dem LG hat die Vollmacht mangels ausdrücklicher Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung nicht genügt und hat die Berufung verworfen.

Dagegen nun die Revision, der das OLG stattgeben möchte. Aber:

„Daran sieht sich der Senat durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 24. November 2016 (5 RVs 82/16 bei juris = BeckRS 2016, 111318) gehindert. Gegenstand dieser Entscheidung war eine inhaltsgleiche Vertretungsvollmacht mit folgendem Formulartext:

„Die Vollmacht erstreckt sich auf meine Verteidigung und Vertretung in allen Instanzen sowie im Vorverfahren – ebenfalls für den Fall meiner Abwesenheit in einer Verhandlung – …“

Das Oberlandesgericht Hamm hat diese Vertretungsvollmacht für unzureichend erachtet und verlangt, dass die Vertretungsvollmacht ausdrücklich auch die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung erfassen müsse. Nur dann könne von einer zulässigen Vertretung im Sinne des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO überhaupt ausgegangen werden. Aus diesem Grund wurde die dortige Revision verworfen.

Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Die Möglichkeit der Vertretung des Angeklagten in der Hauptverhandlung ist in Strafsachen in folgenden Konstellationen vorgesehen: im Berufungsverfahren (§ 329 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO), im Strafbefehlsverfahren (§ 411 Abs. 2 StPO), nach Maßgabe des § 234 StPO, im Privatklageverfahren (§ 387 Abs. 1 StPO), im Einziehungsverfahren (§ 428 Abs. 1 Satz 1 StPO) und im Revisionsverfahren (§ 350 Abs. 2 Satz 1 StPO). Eine – wie hier – ohne Einschränkung für alle Instanzen erteilte Vertretungsvollmacht deckt die Vertretung des abwesenden Angeklagten ohne Weiteres in allen strafprozessual zulässigen Vertretungsfällen ab. Der Gesetzgeber hat die Vertretungsvollmacht in den vorgenannten Vorschriften gleich behandelt. Es bedarf im Falle der Berufungshauptverhandlung keiner ausdrücklichen Hervorhebung (vgl. OLG Oldenburg BeckRS 2016, 124738 = StV 2018, 148).

Dass die Vertretung des Angeklagten in der Hauptverhandlung weitrechende Folgen für diesen haben kann, weil der Verteidiger dann berechtigt ist, ihn im Willen und in der Erklärung zu vertreten, stellt keine Besonderheit der Berufungshauptverhandlung dar. Dies gilt auch für die Erwägung, dass es sich um die letzte Tatsacheninstanz handelt. So kann ein nach § 234 StPO zulässiger Vertretungsfall auch in der Hauptverhandlung vor einer großen Strafkammer des Landgerichts (nur eine Tatsacheninstanz) eintreten (vgl. Spitzer NJW 2021, 327, 328).

Zudem war schon vor der Änderung des § 329 StPO anerkannt, dass die im Strafbefehlsverfahren normierte Vertretungsbefugnis (§ 411 Abs. 2 StPO) auch für die Berufungshauptverhandlung gilt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 329 Rdn. 14 m.w.N.). Es erscheint nicht folgerichtig, nunmehr – jedenfalls in gerichtlichen Strafverfahren nach Anklage – für die Vertretung in der Berufungshaupthandlung eine ausdrücklich hierauf bezogene Vollmacht zu verlangen. Ob das gerichtliche Strafverfahren mit einem Strafbefehl oder einer Anklage begonnen hat, stellt kein taugliches Abgrenzungskriterium dar, zumal die durch einen Strafbefehl festgesetzten Rechtsfolgen bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe (mit Aussetzung zur Bewährung) reichen können.

Ohne dass es entscheidend darauf ankommt, weisen der dem Senat vorliegende Fall und der von dem Oberlandesgericht Hamm entschiedene Fall über den Inhalt der Vertretungsvollmacht hinaus eine weitere Parallele auf. Denn in beiden Strafsachen war die Vertretungsvollmacht erst in dem Berufungsverfahren erteilt worden. Vorliegend ist die Vertretungsvollmacht vom 3. Juli 2020 zusammen mit der Berufungsschrift vom 3. Juli 2020 eingereicht worden. Aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm geht hervor, dass das erstinstanzliche Urteil vom 3. November 2015 stammt, während die Vertretungsvollmacht vom 3. Februar 2016 datiert.

Bei dieser Sachlage war eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung – nichts anderes stand jeweils bei Erteilung der „in allen Instanzen“ geltenden Vertretungsvollmacht an – erst recht entbehrlich. Aber auch ohne eine solche Besonderheit in der zeitlichen Abfolge ist eine Vertretungsvollmacht, durch die dem Verteidiger Vollmacht zur Vertretung, auch im Falle der Abwesenheit des Angeklagten, „in allen Instanzen“ erteilt worden ist, nach Auffassung des Senats für die Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung ausreichend.

Durch drei weitere Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte (vgl. KG Berlin BeckRS 2018, 5556; OLG Hamm BeckRS 2019, 5617; OLG Celle BeckRS 2021, 626) sieht sich der Senat wegen anders gelagerter Sachverhalte nicht an der beabsichtigten Entscheidung unter Bejahung der Vorlegungsfrage gehindert.

Denn diese Entscheidungen betreffen jeweils Vertretungsvollmachten, in denen die Vertretungsfälle nach § 411 Abs. 2 StPO und §§ 233 Abs. 1, 234 StPO ausdrücklich angeführt werden, während die Vertretung in der Berufungshauptverhandlung (§ 329 Abs. 1 u. 2 StPO) nicht erwähnt wird. Insoweit bedarf es im Einzelfall der Auslegung, ob es sich um eine abschließende Aufzählung oder lediglich um Beispiele für die Vertretung „in allen Instanzen“ handelt. Dass die Gründe der vorgenannten Entscheidungen tendenziell nicht mit der von dem Senat beabsichtigte Entscheidung in Einklang stehen, stellt noch keinen Vorlegungsgrund dar.“

Mal sehen, wie lange der BGH braucht. Bis dahin wird man m.E. über ggf. anhängige Revisionen, in denen die Frage eine Rolle spielt, nicht entscheiden können. Und auch mit Berufungsverwerfungen wird man „vorsichtig“ sein müssen.

Auf die Entscheidung des BGH werden wir aber mit den Neuauflagen der beiden Handbücher „Ermittlungsverfahren“ und „Hauptverhandlung“ in der 9. oder 10. Auflage nicht warten können 🙂 . Die gehen wie geplant im Oktober bzw. Dezember 2021 an den Start. Zum <<Werbemodus an>> geht es hier. <<Werbemodus aus>>.

Divers III: Die mündliche Anklage im beschleunigten Verfahren, oder: Was ist in der HV passiert?

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Und als dritte und letzte Entscheidung dann nochder LG Bochum, Beschl. v. 31.03.2021 – 17 Ns 45/20. Ergangen ist er im Berufungsverfahren in einem beschleunigten Verfahren. Das LG hat das Verfahren eingestellt:

„Der Durchführung des Berufungsverfahrens steht ein Verfahrenshindernis entgegen, das — auch in zweiter Instanz — zur Einstellung des Verfahrens nach § 206a StPO führt (vgl. BGH NStZ 1997, 331, 332 m.w.N.). Es fehlt an einer ordnungsgemäßen Anklageerhebung gemäß § 418 Abs. 3 i.V.m. §§ 199, 200 StPO.

Im beschleunigten Verfahren erfolgt die Anklageerhebung entweder durch Einreichung einer Anklageschrift oder mündlich zu Beginn der Hauptverhandlung (§ 418 Abs. 3 StPO), wobei die mündliche Anklageerhebung nicht dazu führt, dass die Voraussetzungen des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO hinsichtlich des Anklagesatzes nicht gelten würden. Die mündliche Anklageerhebung ist ebenso wie die Verlesung des Anklagesatzes nach § 273 Abs. 1 StPO als wesentliche Förmlichkeit in das Hauptverhandlungsprotokoll aufzunehmen, wobei nach § 418 Abs. 3 Satz 2 StPO der wesentliche Inhalt der Anklage in das Protokoll aufzunehmen ist, d.h. der den Anforderungen des § 200 Abs. 1 Satz 1 entsprechende (abstrakte und konkrete) Anklagesatz (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Oktober 2000 — 3 Ss 346/00 —, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 18. August 2011 — 3 – 16/11 (REV) juris; LG Köln, Beschluss vom 31. Januar 2002 — 152 – 20/01 —, juris; KK-StPO/Graf, 8. Aufl. 2019, StPO § 418 Rn. 8). Der Beweis darüber, dass mündlich Anklage erhoben worden ist und welchen wesentlichen Inhalt sie hat, kann als wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung nach § 274 StPO nur durch die Sitzungsniederschrift bewiesen werden (vgl. KK-StPO/Graf, a.a.O.).

Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich weder eine schriftliche Anklage noch ein ihr gleichkommender Antrag auf Aburteilung im beschleunigten Verfahren noch eine wirksame mündliche Anklageerhebung. Die Anforderungen an die Aufnahme des wesentlichen Inhalts der Anklage in das Sitzungsprotokoll nach § 274 StPO sind nicht erfüllt. Im Hauptverhandlungsprotokoll heißt es: „Die Staatsanwaltschaft klagte den Beschuldigten an, am 21.09.2020 in Recklinghausen eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sache sich rechtswidrig zuzueignen. Verbrechen — Vergehen nach § 242 Abs. 1 StGB.“ Jegliche weitere Konkretisierung des Vorwurfs fehlt. Es fehlt auch jegliche Bezugnahme auf den bei den Akten befindlichen — nicht unterzeichneten —Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren. Ein derartiger schriftlicher Antrag wird im Hauptverhandlungsprotokoll nicht erwähnt und ist auch nicht als Anlage zu Protokoll genommen worden. Der Inhalt des Antrags muss aber nach § 418 Abs. 3 Satz 2 StPO der Sitzungsniederschrift selbst zu entnehmen sein (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O. m.w.N.). Umstände, die zum Wegfall der Beweiskraft des Protokolls führen könnten, sind nicht ersichtlich.“

Divers II: Beteiligung des Betreuers am Strafverfahren, oder: Rechtsmittelbefugnis?

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamburg. Es geht im OLG Hamburg, Beschl. v. 05.02.2021 – 2 Ws 4/21 – um die Beteiligung des Betreuer in einem einem gegen den Betreuten durchgeführten Straf- oder Sicherungsverfahren. Das OLG sagt im Zusammenhang mit der Prüfung der Frage, ob ein vom Betreuer eingelegtes Rechtsmittel zulässig ist: Grundsätzlich keine Beteiligung.

„Die sofortige Beschwerde der Rechtsanwältin V. ist unzulässig, da sie zur Einlegung des Rechtsmittels nicht berechtigt gewesen ist.

1. Ein Handeln als bevollmächtigte Verteidigerin mit der hieraus folgenden Ermächtigung, im eigenen Namen (§ 297 StPO) Rechtsmittel einzulegen, ist ihrem Schreiben vom 18. Dezember 2020 nicht zu entnehmen. Das Rechtsmittel hat sie nicht kraft eigenen Rechts als Verteidigerin, sondern ausdrücklich „für den Betroffenen“ eingelegt. Der von ihr verwendete Begriff des Betroffenen zur Bezeichnung des Untergebrachten hat zudem betreuungsrechtlichen Bezug, denn er wird im betreuungsgerichtlichen Verfahren zur Bezeichnung des Betreuten als Verfahrensbeteiligten verwendet und findet sich auch auf dem Betreuerausweis, welchen die Rechtsanwältin zur Legitimation bereits im Überprüfungsverfahren vor der Strafkammer mit Schreiben vom 16. September 2020 unter Anzeige ihrer Betreuerbestellung zur Akte gereicht hat. Selbst auf die Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 13. Januar 2020, im Hinblick auf ihren Antrag auf Akteneinsicht eine Vollmacht vorzulegen, hat sich die Rechtsanwältin mit Schreiben vom 14. Januar 2021 zunächst wiederum auf ihre Betreuerbestellung bezogen.

2. Die Beschwerdeführerin ist auch nicht aufgrund ihrer Stellung als Betreuerin des Untergebrachten zur Rechtsmitteleinlegung befugt gewesen.

a) Das eigene Recht eines gesetzlichen Vertreters zur Rechtsmitteleinlegung gemäß § 298 StPO setzt für den Betreuer voraus, dass sich dessen Aufgabenbereich speziell oder nach dem allgemeinen Umfang der Bestellung auf eine Betreuung als Vertreter im Strafverfahren bezieht (Senatsbeschluss vom 17. Juni 2013, Az.: 2 Ws 23-25/13; OLG Hamm NStZ 2008, 119; LR/Jesse, § 298 Rn. 3). Grundsätzlich ist in einem gegen den Betreuten durchgeführten Straf- oder Sicherungsverfahren der Betreuer nicht zu beteiligen. Die funktionsbedingte Wahrnehmung der Interessen eines Beschuldigten, für den ein Betreuer bestellt ist, legt das Strafverfahrensrecht allein in die Hände des – notwendigen – Verteidigers (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Juni 2013, a.a.O.; BGH NStZ 1996, 610). Für das Strafvollstreckungsverfahren gilt nichts anderes.

Gemäß § 1902 BGB vertritt der Betreuer in seinem Aufgabenkreis den Betreuten gerichtlich und außergerichtlich, so dass in der Betreuerbestellung ausdrücklich auch für einen Aufgabenkreis der „Vertretung gegenüber Behörden und Gerichten“ im Regelfall lediglich eine entbehrliche, aber unschädliche Klarstellung hinsichtlich der sich aus der Vorschrift ergebenden Vertretungsberechtigung des Betreuers liegt, es sei denn, der Betreute neige krankheitsbedingt dazu, sich durch das Betreiben einer Vielzahl von sinnlosen Verfahren zu schädigen (BGH NJW-RR 2016, 387; KG FamRZ 2008, 919). Anderenfalls muss in der Bestimmung des Aufgabenkreises ein konkreter Bezug zu einer bestimmten Angelegenheit oder einem bestimmten behördlichen oder gerichtlichen Verfahren hergestellt werden, für den die Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers besteht (Senatsbeschluss vom 17. Juni 2013, a.a.O.; BGH a.a.O.; OLG Hamm NStZ 2008, 119; OLG Brandenburg FamRZ 2012, 1166). Fehlt es hieran, ist im Hinblick auf die Notwendigkeit einer hinreichenden Bestimmtheit des Aufgabenkreises eine Vertretungsbefugnis des Betreuers in dem konkreten Gerichtsverfahren nicht gegeben (OLG Brandenburg a.a.O.).

b) Nach diesen Maßstäben zählte die Vertretung des Untergebrachten im Verfahren über die Überprüfung, ob die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB fortzudauern hat, nicht zu den Aufgabenkreisen der Betreuerin.

Im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung war die Betreuerin nach dem Inhalt ihres Betreuerausweises vom 11. Juni 2020 und dem Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg – Betreuungsgericht – vom 28. April 2020 für die Aufgabenkreise der „Vermögenssorge“ sowie „Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern“ bestellt. Während der erstere bereits von vornherein als Grundlage ausscheidet, kommt der letztere mangels Bezugs zu dieser konkreten Rechtssache nicht in Betracht, abgesehen davon, dass die Vertretung in Gerichtsverfahren nicht einmal als solche erwähnt ist. Gerichte sind als Teil der dritten Staatsgewalt keine Behörden im Sinne von Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen (vgl. § 1 Abs. 4 VwVfG); in der Aufzählung neben Versicherungen und Renten- und Sozialleistungsträgern sind nur solche Behörden gemeint.

Die nachträgliche – nach Einlegung der sofortigen Beschwerde – mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg vom 19. Januar 2021 vorgenommene Erweiterung des Aufgabenkreises hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens gegen den angefochtenen Beschluss vor dem Senat ändert nichts an diesem Befund. Zum einen wirkt die Entscheidung nicht auf den Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung zurück (vgl. § 287 Abs. 1, 2 FamFG), zum anderen wäre mit der Erweiterung des Umfangs der Betreuerbestellung auf eine „Vertretung in dem Beschwerdeverfahren“ nicht die Befugnis begründet, durch Rechtsmitteleinlegung ein Beschwerdeverfahren überhaupt erst herbeizuführen.

3. Die nachträgliche Erweiterung des Aufgabenkreises hat auch im übrigen keine Heilung des Handelns ohne Vertretungsmacht der Beschwerdeführerin bei Rechtsmitteleinlegung bewirkt.

Zwar kann auch ein Vertreter, der nicht Verteidiger oder Betreuer ist, für den Beschuldigten Rechtsmittel einlegen; dann bedarf es aber des Nachweises einer Vollmacht, die bei der Rechtsmitteleinlegung erteilt gewesen sein muss (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 297 Rn. 4; KK/ Paul, § 298 Rn. 3; LR/Jesse, § 298 Rn. 9). An einem solchen – auch noch nach Ablauf der Einlegungsfrist möglichen – Nachweis fehlt es hier aber. Die Erklärung der Rechtsanwältin mit Schreiben vom 14. Januar 2021, sie zeige die rechtliche Vertretung für den Betroffenen an, sollte das Gericht weiterhin die Vorlage einer Vollmacht erbitten, stellte den Umständen nach bereits inhaltlich keine anwaltliche Versicherung dar, eine Vollmacht sei erteilt.

Eine nachträgliche Genehmigung des Berechtigten kann die Unwirksamkeit nicht mehr beheben (Senatsbeschluss vom 28. Februar 2003, Az.: 2 Ws 44/03; RGSt 66, 265; LR/Jesse, § 298 Rn. 5). Deshalb kommt es nicht darauf an, ob in der Mitteilung der Rechtsanwältin vom 19. Januar 2021 bezüglich der Erweiterung des Aufgabenkreises verbunden mit der Erklärung, es werde die Vertretung für das gegenständliche Verfahren angezeigt, zugleich auch eine Genehmigung namens des Untergebrachten in Bezug auf ihre Rechtsmitteleinlegung erblickt werden könnte. Die öffentlich-rechtliche Natur des Prozesses und die im öffentlich-rechtlichen Interesse zu fordernde Sicherstellung eines geordneten Verfahrens verlangen einen zweifelsfreien Bestand der auf Einlegung, Verzicht oder Zurücknahme eines Rechtsmittels gerichteten Willenserklärung; hiermit ist ein Schwebezustand unvereinbar (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Februar 2003 und RG, jeweils a.a.O.; vgl. auch § 180 S. 1 BGB).“

Divers I: Aktivisten-Proteste anlässlich der IAA, oder: Waren die Ingewahrsahmnahmen rechtmäßig?

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Heute dann mal ein „Kessel Buntes“ in der Woche, also Diverses :-).

Ich beginne mit dem LG Landshut, Beschl. v. 09.09.2021 – 65 T 2529/21. Aus dem Aktenzeichen erkennt man schon: Der Beschluss hat nichts mit Straf- oder Bußgeldrecht zu tun. Das stimmt. Nun ja, vielleicht ein bisschen doch. Es geht nämlich um die Rechtmäßigkeit einer Inegwahrsamnahme in Zusammenhang mit den Demonstrationen gegen die IAA in München in der vergangenen Woche. Folgender Sachverhalt:

„Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die gerichtliche Bestätigung ihrer Ingewahrsamnahme am 08.09.2021.

Am 07.09.2021 gegen 08:13 Uhr befand sich die Beschwerdeführerin auf der Autobahnbrücke über die BAB 94, Abschnitt 260 S3.0, Kilometer 15.20 in Fahrtrichtung München. Gemeinsam mit drei anderen Personen befestigte sie dort ein Banner.

Gegen 08:50 Uhr seilte sie sich dann mittels Klettergurt vom Brückengeländer bis zu einem Punkt knapp unterhalb der Brückenkante von der Brücke ab. Die Füße befanden sich hierbei auf Höhe der Unterkante des Unterbaus der Brücke.

Gemeinsam mit der anderweitig Verfolgten beabsichtigte die Beschwerdeführerin ein

Banner mit der Aufschrift „Scheuer und Co auf der falschen Spur – ÖPNV statt Autobahnausbau“ an der Brücke zu befestigen. Hierzu kam es jedoch nicht mehr, weil zwischenzeitlich die Polizei eintraf. Die Beschwerdeführerin wollte hierdurch ihren Protest gegen die in München stattfindende IAA und den Ausbau der Autobahn zum Ausdruck bringen.

Die Beschwerdeführerin wurde von den Polizeibeamten mittels unmittelbarem Zwang von der Brücke heruntergeholt, in Gewahrsam genommen und gegen 12:15 Uhr zur Dienststelle der KPI Erding verbracht. .

Am 07.09.2021 um 18:00 Uhr wurde die Beschwerdeführerin beim Amtsgericht Erding vorgeführt und angehört (vgl. Bl. 26/27 d. A.).

Am Ende der Anhörung hat das Amtsgericht durch Beschluss die Zulässigkeit der Ingewahrsamnahme festgestellt und als Höchstdauer der Freiheitsentziehung den 12.09.2021, 18 Uhr bestimmt (vgl. Bl. 21/24 d. A.).“

Dagegen die Beschwerde, die beim LG Erfolg hatte. Das LG befasst sich zunächst mit der Frage, ob eine Nötigung (§ 240 StGB) vorliegt, lässt die Frage aber dann offen, weil es Unerlässlichkeit  der Maßnahme  verneint:

„bb) Diese Frage kann aber letztlich dahinstehen.

Denn eine Ingewahrsamnahme ist gem. Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG nur möglich, wenn sie unerlässlich ist, um die Fortsetzung oder Wiederholung der Straftat zu unterbinden. Zu dem Zeitpunkt, als die Polizei die Aktion unterbunden, die Kletterausrüstung sichergestellt, die Personalien auf der KPI erfasst hatte, war die Anordnung der Freiheitsentziehung nicht unerlässlich, um die Fortsetzung der Straftat zu verhindern.

Präventive Eingriffe in die Freiheit der Person sind nur zulässig, wenn der Schutz hochwertiger Rechtsgüter dies unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert. Der Freiheitsanspruch des Betroffenen ist mit dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit im Einzelnen abzuwägen (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, NVwZ 2016, 1079 Rn. 25). Präventiver Gewahrsam zur Verhinderung einer Straftat kommt nur dann in Betracht, wenn der Betroffene sich unwillig gezeigt hat, die Straftat zu unterlassen und er ohne Ingewahrsamnahme auch noch die Möglichkeit hätte, diese Straftat zu begehen (BVerfG, NVwZ 2016, 1079 Rn. 35). Der Gewahrsam nach Art, 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG kann stets nur ultima ratio sein.

Die Tatsache, dass die Betroffene zu einer Straftat angesetzt hatte, rechtfertigt für sich genommen noch keine Ingewahrsamnahme. Entscheidend ist vielmehr, ob mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, dass die Betroffene – nachdem sie von der Polizei von der Brücke begleitet worden war und die Ausrüstung ihrer Gruppe beschlagnahmt worden war sowie die strafprozessualen Maßnahmen abgeschlossen waren – weitere Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit begehen würde, insbesondere die bereits begangenen Taten erneut versuchen oder fortsetzen würden. Es lagen bei objektiver Betrachtung im Zeitpunkt der Beantragung der Ingewahrsamnahme keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Begehung einer weiteren Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit durch die Betroffene in allernächster Zeit mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten war.

Zum einen haben die Polizeibeamten bei den vor Ort angetroffenen Personen sämtliche Kletterausrüstung und Banner sichergestellt, so dass die Betroffene keine Möglichkeit mehr gehabt hätte, sich unmittelbar erneut am Ab-seilen von Personen zu beteiligen oder sich gar selbst abzuseilen. Das Transparent ist ebenfalls bei der gesondert Verfolgten pp. beschlagnahmt worden. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene in der Nähe geparkt und dort weitere Ausrüstungsgegenstände und Transparente de-poniert hat, liegen nicht vor. Vor allem aber hatten die Aktivisten ihr offensichtliches Ziel, die Sperrung der Autobahn zu erreichen, das Transparent sichtbar anzubringen und auf diese Weise Aufmerksamkeit auf ihr Thema zu lenken und die Medien zu einer Berichterstattung zu veranlassen, zumindest in weiten Teilen erreicht. Die Aktion dürfte weitestgehend den damit verfolgten Zwecken und Erwartungen entsprochen haben. Bei dieser Sachlage bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffenen die Aktion unmittelbar danach oder an den nächsten Tagen der IAA wiederholen würden. Zwar spricht die Ausstattung und die Parallelität der Abseilaktionen auch an anderen Autobahnabschnitten rund um München für eine geplante und konzertierte Aktion. Dass das Vorhaben von langer Hand und von mehreren Personen geplant wurde, lässt aber nicht den Schluss zu, dass es nach erfolgter Durchführung im Rahmen derselben Automesse wiederholt werden sollte. Eine solche wiederholende Aktion hätte wohl kaum die gleiche mediale Durchschlagskraft und würde in der Bevölkerung mit wenig Verständnis auf-genommen. Da es den Aktivisten offensichtlich auch darauf ankommt, die Bevölkerung für ihr Anliegen des Klimaschutzes zu sensibilisieren, sprechen erhebliche Anhaltspunkte dagegen, dass eine Wiederholung geplant ist. Selbst wenn durch die Organisatoren der Aktion eine Wiederholung geplant ist, ist keineswegs sicher, dass daran wieder die gleichen Personen wie am 07.09.2021 beteiligt wären.

Es kann der Akte ferner auch an keine Stelle entnommen werden, woher die Polizei ihre Erkenntnisse hatte, dass die Betroffene bereits in der Vergangenheit an gleichgelagerten Aktionen beteiligt gewesen sein sollte (vgl. Ver-merk vom 07.09., Bl. 4 d. A.).

Die Betroffene hat im Rahmen ihrer gerichtlichen Anhörung angegeben, dass sie im Falle seiner Freilassung nach Hause wolle und dort von ihrer Mutter erwartet wird, weil sie den Hund betreuen müsste. Die Rückreise habe sie mit der Bahn antreten wollen.

Die naheliegende Möglichkeit, dass der Betroffene keine weiteren illegalen Aktionen während der laufenden IAA geplant hat, kann daher nicht ausgeschlossen werden. Bei dieser Sachlage steht nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass Wiederholungsgefahr besteht und die Unter-bindung dieser Wiederholung nur durch die Ingewahrsamnahme der Betroffenen bis zum Ende der IAA möglich ist. Der die Ingewahrsamnahme für zulässig erklärende und die Freiheitsentziehung bis zum 12.09.2021 ermöglichende Beschluss des Amtsgerichts war deshalb aufzuheben.

cc) Der gleiche Maßstab der Unerlässlichkeit gilt auch für den Gewahrsam zur Gefahrenabwehr für bestimmte bedeutende Rechtsgüter (Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG). Zwar gilt auch hier, dass aufgrund der Art und konkreten Durchführung der Aktion eine konkrete Gefahr für das Leben und die Gesundheit einer Vielzahl unbeteiligter Menschen geschaffen wurde. Auch hier gilt aber, dass nach dem durchgeführten Polizeieinsatz, dem Herabholen der Betroffenen und der anderen Aktivisten von der Brücke, der Sicherstellung der Ausrüstung und der Feststellung der Identität der Betroffenen eine weitere von ihr ausgehende konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit anderer Menschen bestanden haben müsste. Dass dies aufgrund einer beabsichtigten Wiederholung der Fall war, steht aus den oben aufgeführten Gründen nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest. Auch wenn man berücksichtigt, dass die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeitsprognose umso geringer sind, je größer die möglicherweise eintretende Gefahr ist, reichen die tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme einer Wiederholung der Aktion oder Durchführung einer weiteren ähnlich gefährlichen gerade durch den Betroffenen während der laufenden IAA nicht aus.“

Das LG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen. Wenn ich die bayerischen Polizeibehörden richtig einschätze, wird man dazu dann sicherlich demnächst noch etwas von „höherer Stelle“ hören.

OWi III: Zu den Rechtsfolgen, oder: langer Zeitablauf, wirtschaftliche Verhältnisse und StVO-Novelle

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Und zum Tagesschluss geht es in diesem dritten Posting um OLG-Entscheidungen zu den Rechtsfolgen Geldbuße und Fahrverbot. Ich stelle allerdings nur die Leitsätze der Entscheidungen vor:

Auch bei Geldbußen über 250,–EUR sind nähere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen entbehrlich, solange die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelgeldbuße verhängt wird und sich – wie im vorliegenden Fall – keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen außergewöhnlich gut oder schlecht sind. Dies gilt auch dann, wenn auf den für eine vorsätzliche Begehungsweise nach § 3 Abs. 4 a BKatV vorgesehenen Regelsatz erkannt wird.

Im Anwendungsbereich eines Bußgeldkatalogs hat das Tatgericht bei der Bemessung der Geldbuße auch dessen tatsächliche Handhabung durch die Bußgeldstellen – hier Anwendung der Vorgängerfassung infolge eines Nichtanwendungserlasses betreffend die aktuelle Fassung – Stichwort: 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, die am 27.04.2020 im Bundesgesetzblatt (BGBl. I S. 814) – in seine Zumessungserwägungen einzubeziehen.

Rund 4,5 Jahre nach der Tat ist ein Fahrverbot als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme nicht mehr geboten, wenn dieser Zeitablauf nicht etwa auf einem Verhalten des Betroffenen, sondern auf einer unterbliebenen Weiterbearbeitung der Bußgeldsache seitens des Amtsgerichts beruht.