Archiv für den Monat: März 2021

Die oft horrenden SV-Kosten in „KiPo-Verfahren“, oder: Ggf. unverhältnismäßig, wenn höher als die Geldstrafe?

entnommen openclipart.org

Freitag ist RVG-Tag, also stelle ich gebühren- oder kostenrechtliche Entscheidungen vor. Heute Kostenrecht.

Ich beginne mit einem Beschluss des BVerfG zu einer kostenrechtlichen Problematik, nämlich dem BVerfG, Beschl. v. 28.12.2020 – 2 BvR 211/19.

Gestritten wird um die Höhe der vom (ehemaligen) Angeklagten/Beschwerdeführer nach einer Verurteilung zu zahlenden Kosten. Gegen ihn ist durch Strafbefehl des AG Düsseldorf vom 13.05.2015 wegen Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten festgesetzt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gemäß § 465 StPO hatte der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Bewährungszeit betrug drei Jahre. Dem Beschwerdeführer wurde u.a. auferlegt, einen Geldbetrag von 23.400 Euro in 36 Monatsraten zu zahlen. Der Beschwerdeführer erfüllte die Auflage. Nach Ablauf der Bewährungszeit wurde die Freiheitsstrafe durch Beschluss des Amtsgerichts vom 29.06.2018 erlassen. Das AnwaltG Düsseldorf stellte ein vor demselben Hintergrund eingeleitetes anwaltsgerichtliches Verfahren gegen den Beschwerdeführer durch Beschluss vom 26.06.2017 gegen Zahlung eines Betrags von 10.000 EUR an eine gemeinnützige Einrichtung ein (§ 116 BRAO i.V.m. § 153a StPO).

Mit Rechnung vom 06.08.2018 forderte die Staatsanwaltschaft vom Beschwerdeführer die Zahlung der Gebühr für das Strafbefehlsverfahren (Nr. 3118 KV GKG) in Höhe von 70 Euro und einer Sachverständigenvergütung (Nr. 9005 KV GKG) in Höhe von 30.711 Euro, insgesamt 30.781 Euro, innerhalb von zwei Wochen. Der als Sachverständigenvergütung angesetzte Betrag in Höhe von 30.711 EUR entsprach einer Rechnung der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 11.12.2013 an die Staatsanwaltschaft , die für dort nicht näher beschriebene Tätigkeiten im Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer einen Zeitaufwand von 300 Stunden mit je 85 Euro (25.500 Euro) zuzüglich Schreib- und Materialkosten in Höhe von 307,56 Euro und 19% Umsatzsteuer in Höhe von 4.903,44 Euro, insgesamt somit 30.711 Euro, auswies.

Und um die Zahlung dieses Betrages – es geht wohl um Auswertung von Datenträgern – wird gestritten. Die Rechtsmittel des ehemaligen Angeklagten hatten keinen Erfolg. Den hatte er aber beim BVerfG:

„I. Der Beschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 16. November 2018 verstößt gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG).

1. Zwar bestehen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht von vornherein Bedenken gegen die strafprozessrechtlichen Kostenregelungen einschließlich des darin verankerten Veranlassungsprinzips (vgl. BVerfGE 18, 302 <304>; 31, 137 <139>; BVerfGK 8, 285 <292 ff.> m.w.N.). Eine außergewöhnlich hohe Kostenbelastung kann jedoch im Rahmen der Strafzumessung als Tatfolge im Sinne von § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigt werden (vgl. BVerfGK 8, 285 <290, 297>; Stöckel, in: KMR, Kommentar zur StPO, vor § 464 Rn. 32 <Februar 2007> m.w.N.; Bruns/Güntge, Das Recht der Strafzumessung, 3. Aufl. 2019, S. 251).

Wenn im Einzelfall die Höhe der Kosten und Auslagen außer Verhältnis zur verhängten Strafe steht, sodass sich die Auferlegung der Kosten mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten als übermäßige Belastung erweist, bieten bei Geldstrafen § 459d Abs. 2 StPO, im Jugendstrafverfahren § 74, § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG sowie allgemein § 10 der Kostenverfügung (KostVfG), die landesrechtlichen Vorschriften über die Beitreibung (vorliegend § 123 Abs. 3 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen) und § 59 Abs. 1 Nr. 3 der Landeshaushaltsordnung Nordrhein-Westfalen hinreichend Möglichkeit, von der Kostenauferlegung oder -beitreibung abzusehen (vgl. BVerfGK 8, 285 <290 f., 297 f.>).

2. Hiernach erweist es sich als unverhältnismäßig (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG), dass der Beschwerdeführer zur Tragung von Verfahrenskosten in Höhe von 30.781 Euro herangezogen wird, ohne in erkennbarer Weise zu berücksichtigen, dass die Kostenbelastung die vom Beschwerdeführer bereits erfüllte Geldauflage in Höhe von 23.400 Euro erheblich übersteigt.

a) Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 13. Mai 2015 hat das Amtsgericht gegen den Beschwerdeführer eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten festgesetzt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gleichzeitig hat es dem Beschwerdeführer auferlegt, einen Geldbetrag von 23.400 Euro in 36 Monatsraten zu je 650 Euro zugunsten der Staatskasse zu zahlen (§ 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StGB). Die Geldauflage dient der Genugtuung für das begangene Unrecht (§ 56b Abs. 1 Satz 1 StGB) und stellt eine strafähnliche Sanktion dar (vgl. BGHSt 59, 172 <174 Rn. 12>; Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 56b Rn. 2). Wie die Höhe der Geldauflage von 23.400 Euro und die Zahlungserleichterung zustande kamen, ist in der beigezogenen Strafakte nicht dokumentiert.

Die Verfahrenskosten in Höhe von 30.711 Euro übersteigen die Geldauflage in Höhe von 23.400 Euro erheblich und gehen in ihrer Belastungswirkung weit darüber hinaus. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass dem Beschwerdeführer nachgelassen worden war, die Geldauflage in 36 Monatsraten zu je 650 Euro zu erbringen. Mit derselben – offenbar seinen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechenden – Ratenhöhe müsste der Beschwerdeführer die Verfahrenskosten in weiteren 48 Monatsraten abzahlen, sodass sich seine Zahlungsverpflichtungen auf insgesamt sieben Jahre – und damit weit länger als die Bewährungszeit von drei Jahren – erstrecken würden.

Bereits das Amtsgericht hätte daher bei der Bemessung der Geldauflage in den Blick nehmen und gegebenenfalls dokumentieren können, ob die Geldauflage auch in Ansehung der diese erheblich übersteigenden Verfahrenskosten eine zumutbare Anforderung an den Beschwerdeführer stellt (§ 56b Abs. 1 Satz 2 StGB). Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die außergewöhnlich hohe Kostenbelastung im Strafbefehlsverfahren in Erwägung gezogen, geschweige denn berücksichtigt worden wäre. Weder aus dem Strafbefehl vom 13. Mai 2015 selbst, noch aus dem Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft oder sonst aus der beigezogenen Akte ist ansatzweise ersichtlich, dass das Gericht oder die Verfahrensbeteiligten davon ausgegangen wären oder zumindest die Möglichkeit bedacht hätten, dass die von der Staatsanwaltschaft bezahlte Rechnung der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 11. Dezember 2013 über 30.711 Euro als Sachverständigenvergütung Teil der vom Beschwerdeführer zu tragenden Verfahrenskosten werden würde.

Dem Beschwerdeführer kann in diesem Zusammenhang nicht vorgehalten werden, dass er den Strafbefehl hat rechtskräftig werden lassen und auch während der Bewährungszeit nicht darauf hingewirkt hat, die Geldauflage zu ändern (§ 56e StGB) und so die (drohende) Kostenbelastung zu verringern. Es ist nicht ersichtlich, dass er Grund zur Annahme hatte, dass ihm nach beanstandungsfreiem Ablauf der Bewährungszeit, insbesondere pünktlicher und vollständiger Zahlung der Geldauflage, eine zusätzliche Kostenbelastung in einer erheblichen, die Geldauflage sogar übersteigenden Höhe drohen würde. Aus der beigezogenen Akte ergibt sich vielmehr, dass dem Beschwerdeführer die Rechnung der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 11. Dezember 2013 über 30.711 Euro erst auf die am 14. August 2018 erhobene Erinnerung am 25. September 2018 von der Staatsanwaltschaft mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt wurde (vgl. Bl. 36 des Vollstreckungshefts).

Der Beschwerdeführer kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass sein Verteidiger im Rahmen der Akteneinsicht auf die Rechnung hätte aufmerksam werden können. Denn die allgemeine Verpflichtung der Gerichte, die Verhältnismäßigkeit von Zahlungspflichten in den Blick zu nehmen und auch mögliche außergewöhnliche Kostenbelastungen zu berücksichtigen, die außer Verhältnis zur verhängten Strafe stehen könnten (vgl. BVerfGK 8, 285 <297 f.>), besteht unabhängig von der Frage, ob eine Obliegenheit des verteidigten Angeklagten bestand, die Akte auf Rechnungen Dritter zu durchsuchen und deren mögliche kostenrechtliche Einordnung zu überprüfen.

b) Da nicht erkennbar ist, dass das Amtsgericht bei der Bemessung der Geldauflage die spätere erheblich höhere Kostenbelastung berücksichtigt hätte, hätten sich die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Kostenansatzes, spätestens aber die Gerichte auf die Erinnerung und die Beschwerde des Beschwerdeführers mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob von dem Ansatz oder der Einziehung der Kosten – zumindest teilweise – abzusehen ist, um eine in Betracht kommende unverhältnismäßige Belastung des Beschwerdeführers abzuwenden. Sie haben sich jedoch darauf beschränkt, die einfachrechtlichen Vorschriften über die Kostenberechnung schematisch anzuwenden, ohne sich mit der – vom Beschwerdeführer ausdrücklich aufgeworfenen – Frage der Verhältnismäßigkeit der Kostenbelastung unter Berücksichtigung der bereits bezahlten Geldauflage auseinanderzusetzen.“

M.E. eine Entscheidung, die in den KiPo-Fällen künftig – nach einer ggf. erfolgten Verurteilung – eine Rolle spielen wird, wenn es um die in diesen Fällen häufig horrenden Kostenforderungen geht.

EV III: Schriftform beim Strafantrag, oder: Strafantrag stellt man nicht über die „Onlinewache“ der Polizei

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Und die dritte Entscheidung ist dann ein amtsgerichtlicher Beschluss, nämlich der AG Auerbach,  Beschl. v. 26.01.2021 – 3 Cs 500 Js 24368/20. In ihm geht es um das Formerfordernis des § 158 Abs. 2 StPO – also Stellung des Strafantrags.

Die StA hat den Erlass eines Strafbefehls wegen Beleidigung zu Lasten der Mitarbeiterin des Jobcenters vom 11.08.2020. Strafantrag wurde lediglich durch den Dienstvorgesetzten der Geschädigten per Onlineanzeige vom 12.08.2020 gestellt. Der Dienstvorgesetzte bediente sich dabei der Onlinewache der Polizei Sachsen und beantwortete die dort gestellte Frage „Stellen Sie Strafantrag?“ mit „Ja“.

Das AG hat das Verfahren eingestellt:

„Die Beleidigung kann gem. § 194 Abs. 1 S. 1 StGB nur auf Antrag verfolgt werden. Gemäß § 194 Abs. 3 StGB ist auch eine Antragstellung durch den Dienstvorgesetzten grundsätzlich möglich. Allerdings unterliegen alle Strafanträge wegen Beleidigung der Formvorschrift des § 158 Abs. 2 StPO. Nach dieser Vorschrift muss der Strafantrag bei Straftaten, den Verfolgung nur auf Antrag möglich ist, bei einem Gericht oder der Staatsanwaltschaft schriftlich oder zu Protokoll, bei einer anderen Behörde schriftlich angebracht werden. Daraus folgt, dass der Strafantrag bei der Polizei schriftlich zu stellen ist.

Die Schriftform ist jedenfalls dann gewahrt, wenn der Strafantrag der Form Vorschrift des § 126 BGB genügt. Danach muss die Urkunde eigenhändig zumindest durch Namensunterschrift unterzeichnet werden. Insgesamt werden aber keine hohen Anforderungen in diesem Zusammenhang gestellt. So genügt es, wenn der Strafantragsteller gegenüber der Polizei seinen Verfolgungswillen unmissverständlich und schriftlich zum Ausdruck bringt, vgl. BGH NStZ 1995, 353. Dementsprechend kann auch im Rahmen der schriftlichen Strafanzeige konkludent der Strafantrag enthalten sein. Auch wird das Merkmal schriftlich im Allgemeinen weit, d. h. über die Grenzen des § 126 BGB hinaus ausgelegt. Schriftlich wird danach als schriftlich niedergelegt, nicht aber zwingend als unterschrieben verstanden. So wurde es als ausreichend angesehen, dass ein Antragsteller im Rahmen seiner polizeilichen Zeugenvernehmung selbst auf Tonband den Strafantrag aufspricht und dieser dann durch die Polizei in ein schriftliches Protokoll umgesetzt wird, vgl. Bayrisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 09.04.1997, 5 StRR 18/97. Entscheidend sei, dass der Zweck der Formvorschrift, nämlich die Sicherstellung der Identität des Erklärenden und des Inhalts der Erklärung, gewahrt wird.

Diesen letzten Gedanken aufgreifend wird vereinzelt auch vertreten, dass ein über die Onlinewachen der einzelnen Polizeiverwaltungen eingereichter Strafantrag dem Formerfordernis genüge, vgl. Jesse DRiZ 2018, 28. Diese Auffassung wird jedoch nicht geteilt. Es ist bereits fraglich, ob allein durch die Angaben im Rahmen der Onlineanzeige die oben beschriebene Hauptfunktion des Schriftformerfordernisses, nämlich die zweifelsfreie Zuordnung der Erklärung zum Antragsteller als Basis für weitere Ermittlungen, durch eine Onlineanzeige gewahrt werden könnte. Die Nutzung der Onlinewache bleibt im Kern ein anonymer Vorgang. Selbst wenn dabei die IP-Adresse erfasst wird, lässt sich damit allenfalls der genutzte Computer, nicht aber der Nutzer identifizieren. Dies ist ein entscheidender Unterschied zur oben zitierten Rechtsauffassung des Bayrischen Oberlandesgerichts. Bei der Onlineanzeige findet gerade kein persönlicher Kontakt zwischen Polizei und Antragsteller statt, der weitere konkrete Überprüfungsmöglichkeiten im weiteren Verfahren, insbesondere durch Befragen des aufnehmenden Polizeibeamten, ermöglicht.

Darüber hinaus dient ein Schriftformerfordernis nicht nur dem Schutz des Erklärungsempfängers, sondern auch des Erklärenden. Er soll vor den Folgen einer weitreichenden aber überhastet abgegebenen Erklärung geschützt werden. Denn in der Regel geht mit der Abgabe einer schriftlichen Erklärung das Bewusstsein einher, eine Erklärung von erheblicher Tragweite abzugeben. Nichts anderes gilt, wenn die Erklärung persönlich zum Zwecke der späteren Niederschrift persönlich vor einem Polizeibeamten abgegeben wird, s. o. Für den Strafantrag gilt diese Schutzfunktion aus zweierlei Gründen. Zum einen betreffen die reinen Antragsdelikte im Sinne des § 158 Abs. 2 StPO häufig Straftatbestände, die im engen persönlichen Umfeld des Antragstellers verwirklicht wurden. Mit dem Erfordernis des Strafantrags hat der Gesetzgeber in den §§ 194 und 247 StGB ausdrücklich dem Geschädigten die Wahl gelassen, ob eine staatliche Einmischung in diese engen persönlichen Verhältnisse durch die Strafverfolgung erfolgen soll oder nicht. Zum anderen zieht ein gestellter Strafantrag für den Fall der Rücknahme auch immer die Kostenfolge des § 470 StPO nach sich. Diese finanziellen Auswirkungen können, etwa wenn sich der Beschuldigte eines Rechtsbeistands bedient, sehr erheblich sein. Gerade vor diesen persönlichen und wirtschaftlichen Folgen eines gegebenenfalls überhastet und unüberlegt gestellten Strafantrags schützt das Schriftformerfordernis im § 158 Abs. 2 StPO. Diese Schutzfunktion der Schriftform würde völlig aufgegeben, folgte man der Auffassung, auch einen nur online gestellten Strafantrag im Sinne des § 158 Abs. 2 StPO genügen zu lassen.“

EV II: Durchsuchungsanordnung durch den StA, oder: Die Strafe folgt, nämlich Beweisverwertungsverbot

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Die zweite Entscheidung, der OLG Koblenz, Beschl. v. 04.03.2021 – 1 Ws 53/21 – ist im Haftverfahren ergangen. Das OLG hat auf die weitere Beschwerde des Beschuldigten in einem Verfahren wegen des Vorwurfs des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln den Haftbefehl gegen den Betroffenen aufgehoben. Dem Vorwurf lag das Ergebnis einer Wohnungsdurchsuchung beim Beschuldigten zugrunde liegt. Polizeibeamte hatten die Wohnung des Beschuldigten zunächst gegen 9.52 Uhr – nach vergeblichem Klopfen und Rufen – durch die unverschlossene Wohnungstür betreten, um den Beschuldigten aufgrund eines in einem andern Verfahren bestehenden Vollstreckungshaftbefehls festzunehmen, die Wohnung nach ihm durchsucht, ihn jedoch nicht angetroffen und auf dem Couchtisch im Wohnzimmer eine weiße Substanz nebst typischen Betäubungsmittel-Utensilien sowie in einer Papiertüte auf dem Sofa eine Plastikbox mit transparentem Deckel, die eine grünliche Substanz beinhaltete, vorgefunden. Der daraufhin gegen 10 Uhr von den Beamten zwecks (weiterer) Durchsuchung der Wohnung kontaktierte Bereitschaftsstaatsanwalt vertrat ausweislich seiner dienstlichen Stellungnahme die Auffassung, der Vollstreckungshaftbefehl stelle eine hinreichende Grundlage für eine Durchsuchung der Wohnung dar, zumal etwa durch das Auffinden von Unterlagen eventuell auch Rückschlüsse auf den aktuellen Aufenthaltsort des Beschuldigten möglich seien. Rein vorsorglich – da er nicht ausschließen könne, dass die Rechtsfrage streitig sei – würde er dennoch – nachdem er Dezernenten der Betäubungsmittelabteilung nicht erreicht hatte – versuchen, die Ermittlungsrichterin zu kontaktieren, damit sie Bescheid wisse und „notfalls (deklaratorisch)“ die Durchsuchung legitimiere. Er traf sodann die Ermittlungsrichterin sowie deren Vertreterin nicht in ihren Büros an, die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle befand sich in einem Telefonat und die Mitarbeiterin einer weiteren Geschäftsstelle teilte ihm mit, dass sich die Ermittlungsrichterin grundsätzlich im Hause befinde, die Vertreterin nicht. Der Staatsanwalt schilderte nunmehr einer weiteren Richterin kurz den Sachverhalt, die die Vermutung äußerte, der zweite Vertreter sei wohl der dienstjüngste Richter, ohne angeben zu können, wer dies sei. Daraufhin teilte der Staatsanwalt den Polizeibeamten gegen 10.30 Uhr mit, er habe die Ermittlungsrichterin und ihre Vertreterin nicht erreichen können, sehe die Voraussetzungen für eine weitere Durchsuchung als gegeben und „trage insoweit die Verantwortung“ . Aufgrund dieser – von den Polizeibeamten als solche verstandenen – Durchsuchungsanordnung erfolgte die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten, im Rahmen derer insbesondere größere Mengen an Betäubungsmitteln, ein Baseballschläger, Feinwaagen, Verpackungsmaterial und ein Handy aufgefunden und sichergestellt wurden. Der Verwertung dieser Beweismittel hat der Beschuldigte widersprochen.

Das AG hat den Haftbefehl gegen den Beschuldigten dann aufgehoben, da die bei der Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel einem Beweisverwertungsverbot unterlägen. Das LG hat ihn dann neu erlassen. Das OLG hat ihn dann wieder aufgehoben:

„Die weitere Haftbeschwerde ist gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO statthaft und hat auch in der Sache Erfolg. Die im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung bei dem Beschuldigten sichergestellten Beweismittel unterliegen – mit Ausnahme derer, die bereits bei der ersten Durchsuchung der Wohnung zwecks Ergreifung des Beschuldigten festgestellt wurden – einem Beweisverwertungs-verbot, so dass kein dringender Tatverdacht hinsichtlich des dem Beschuldigten zur Last gelegten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln besteht. Bezüglich des verbleibenden Tat-verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erweist sich eine Fortdauer der Untersuchungshaft als unverhältnismäßig.

1. Das Betreten der Wohnung durch die Polizeibeamten nach vergeblichem Klopfen und Rufen sowie deren anschließende Durchsuchung zur Ergreifung des Beschuldigten erfolgten rechtmäßig.

Zwar stellt der durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 457 Abs. 2 StPO erlassene Vollstreckungs-haftbefehl für sich genommen keine hinreichende Ermächtigung hierfür dar. Jedoch umfasst die gerichtliche Anordnung der Freiheitsentziehung durch eine rechtskräftige Entscheidung alle Maß-nahmen gegen den Verurteilten, die zur Verwirklichung des Strafausspruchs notwendig werden, mithin auch die Durchsuchung der Wohnung zwecks Ergreifung des – der Ladung zum Strafantritt nicht folgenden – Beschuldigten auf der Grundlage eines durch die Staatsanwaltschaft erlassenen Vollstreckungshaftbefehls; einer gesonderten richterlichen Durchsuchungsanordnung bedarf es insoweit nicht (vgl. OLG Düsseldorf, 2 Ws 289/81 v. 27.07.1981 – NJW 1981, 2133; OLG Frankfurt, 3 Ws 62/63 v. 26.11.1963 – NJW 1964, 785; KK-StPO/Bruns, 8. Auflage 2019, § 105 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 457 Rn. 11; a.A. KK-StPO/Appl, 8. Auflage 2019, § 457 Rn. 11; Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2010, § 457 Rn. 22 ff.). Dem steht entgegen der Auffassung des Verteidigers insbesondere auch nicht der Wortlaut des zwischen-zeitlich eingefügten § 457 Abs. 3 S. 3 StPO entgegen (so allerdings KK-StPO/Appl, a.a.O.), wo-nach die notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen das Gericht des ersten Rechtszuges trifft. Denn hierbei handelt es sich lediglich um eine Regelung der Zuständigkeit, die in dieser Weise bereits vor der Gesetzesänderung angenommen wurde (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.).

Die im Rahmen dieser ersten Durchsuchung aufgefundenen Beweismittel sind damit als Zufalls-funde gemäß § 108 Abs. 1 StPO verwertbar. Der Verweis des Verteidigers auf § 108 Abs. 1 S. 3 StPO verfängt nicht, da sich diese Vorschrift nur auf eine Durchsuchung der Wohnung eines Dritten zum Zwecke der Ergreifung des Beschuldigten gemäß § 103 Abs. 1 S. 2 StPO bezieht. Verwertbar sind damit jedenfalls die in der auf dem Sofa befindlichen Papiertüte (BI. 31 d.A., bei dem Fundort „Safe“ – BI. 33 d.A. – handelt es sich offenbar um einen Übertragungsfehler) aufgefundenen – verkaufsfertig abgepackten – 8,7 g Marihuana (vgl. BI. 33, 35, 86 f., 89 f. d.A.). Inwieweit den Polizeibeamten – entsprechend der Auffassung der Staatsanwaltschaft (BI. 215 d.A.) und des Landgerichts (BI. 241 d.A.) – bereits bei der ersten Durchsuchung möglicherweise noch weitere der im Wohnzimmer aufgefundenen Beweismittel auffielen, ist angesichts der Formulierung „unter anderem“ in dem polizeilichen Vermerk (BI. 86 f. d.A.) unklar und bedarf der Abklärung.

2. Die sodann nach Rücksprache mit dem Staatsanwalt durchgeführte (weitere) Durchsuchung der Wohnung war demgegenüber wegen Missachtung des Richtervorbehaltes rechtswidrig, weil eine gemäß Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 S. 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung nicht vorlag und eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft nicht bestand.

Die dem vorliegenden Vollstreckungshaftbefehl vorausgehende gerichtliche Entscheidung stellte unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Grundlage für die erfolgte Durchsuchung zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln hinsichtlich des neuen Tatverdachts dar.

Nach Art. 13 Abs. 2 Hs. 2 GG i.V.m. § 105 Abs. 1 S. 1 StPO dürfen Durchsuchungen zwar ausnahmsweise auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) an-geordnet werden, wenn Gefahr im Verzug besteht. Gefahr im Verzug ist anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme -regelmäßig die Sicherung von Beweismitteln – gefährdet würde (vgl. BGH, 4 StR 15/20 v. 04.06.2020 – NStZ 2020, 621; 2 StR 46/15 v. 06.10.2016 – BGHSt 61, 266; 3 StR 210/11 v. 30.08.2011 – NStZ 2012, 104; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 – BGHSt 51, 285). Diese Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft – auf die sich der Staatsanwalt infolge seiner fehlerhaften Rechtsauffassung auch gar nicht ausdrücklich beruft – lag jedoch ersichtlich nicht vor. Angesichts der vor Ort befindlichen Polizeibeamten, die sich davon überzeugt hatten, dass sich niemand in der seitdem von ihnen überwachten Wohnung befand, drohte bereits keinerlei Beweismittelverlust. Hinzu kommt, dass ein Ermittlungsrichter an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten ohne Weiteres in absehbarer Zeit zu erreichen war. Nach den seitens des Staatsanwalts eingeholten Informationen befand sich sogar die originär zuständige Ermittlungsrichterin im Haus, die sich zu dem Zeitpunkt lediglich nicht in ihrem Büro aufhielt.

3. Die Rechtswidrigkeit der auf Anordnung der Staatsanwaltschaft erfolgten (weiteren) Wohnungs-durchsuchung hat vorliegend auch ein Verwertungsverbot hinsichtlich der dabei aufgefundenen Beweismittel zur Folge.

Zwar führt die Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung nicht ohne weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot (vgl. BVerfG, 2 BvR 2072/10 v. 20.05.2011 – NJW 2011, 2783; BGH, 3 StR 390/17 v. 03.05.2018 – NStZ 2019, 227; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 – BGHSt 51, 285; KK-StPO/Bruns, a.a.O., § 105 Rn. 21). Die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes ist aber zumindest bei schwerwiegenden. bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind (vgl. BVerfG, 2 BvR 2072/10 v. 20.05.2011 – NJW 2011, 2783; BGH, 3 StR 390/17 v. 03.05.2018 – NStZ 2019, 227; 2 StR 46/15 v. 06.10.2016 – BGHSt 61, 266; 2 StR 394/15 v. 21.04.2016 – StV 2016, 539; 3 StR 21.0/11 v. 30.08.2011 – NStZ 2012, 104; OLG Zweibrücken, 1 OLG 2 Ss 3/18 v. 18.06.2018 – NStZ 2019, 301; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 63. Auflage 2020, § 105 Rn. 19) bzw. einer bewussten Missachtung des Richtervorbehalts oder der Verkennung seiner Voraussetzungen in gleichwertig grober Weise (vgl. BGH, 4 StR 15/20 v. 04.06.2020 – NStZ 2020, 621; 5 StR 566/18 v. 27.11.2018 – NStZ-RR 2019, 94; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 – BGHSt 51, 285; KK-StPO/Bruns, a.a.O., § 105 Rn. 22) geboten.

Von einem willkürlichen oder bewussten Verstoß ist vorliegend in der Gesamtschau nicht auszugehen, ein schwerwiegender Fehler liegt jedoch aufgrund der oben geschilderten Umstände vor. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass dem Beschuldigten mit dem Vorwurf des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ein schweres Verbrechen zur Last liegt (vgl. zur Berücksichtigung dieses Umstandes BGH, 2 StR 25/15 v. 17.02.2016 – NStZ 2016, 551; OLG Köln, 81 Ss 65/09 v. 27.10.2009 – StV 2010, 14) und es sich angesichts der Fortsetzung einer zunächst -auf der Grundlage der dem Vollstreckungshaftbefehl vorausgegangenen gerichtlichen Entscheidung – zulässigen Durchsuchung um einen Verstoß minderen Gewichts handelt (vgl. für eine zu-nächst gefahrenabwehrrechtlich zulässige Wohnungsdurchsuchung BGH, 3 StR 390/17 v. 03.05.2018 – NStZ 2019, 227; 5 StR 566/18 v. 27.11.2018 – NStZ-RR 2019, 94, wobei aber – an-ders als hier – die meisten Beweismittel schon gesichtet wurden). Der Verfahrensverstoß wiegt jedoch so schwer – das Landgericht geht insofern in im Ausgangspunkt ähnlicher Einschätzung von einem „gerade noch als leichtfertig einzustufenden Verstoß“ aus -, dass trotz dieser Umstände ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist.

Die sich aus der dienstlichen Stellungnahme des Staatsanwalts ergebende Rechtsauffassung, der Vollstreckungshaftbefehl stelle eine Grundlage für die weitere Wohnungsdurchsuchung dar, entbehrt jeglicher Grundlage. Selbst wenn die Annahme noch vertretbar erscheinen könnte, die dem Haftbefehl vorangegangene Gerichtsentscheidung berechtige auch zu einer Durchsuchung zwecks Auffindens von Anhaltspunkten für den aktuellen Aufenthalt des Festzunehmenden, ist es jedenfalls fernliegend und objektiv unvertretbar, von einer Berechtigung zum Suchen nach Beweismitteln hinsichtlich eines neuen Tatverdachts – hier eines Verstoßes gegen das BtMG – aus-zugehen. Dies war aber sowohl ausweislich der polizeilichen Vermerke als auch der dienstlichen Stellungnahme des Staatsanwaltes zweifellos das einzige angestrebte Ziel der Maßnahme. Angesichts dieses ins Auge springenden Umstandes musste es dem Staatsanwalt bewusst sein, dass eine richterliche Anordnung erforderlich war, so dass sein Rechtsirrtum nicht geeignet ist, sein unzureichendes Bemühen um einen richterlichen Beschluss zu rechtfertigen. Insoweit hatte der Staatsanwalt offenbar auch selbst zumindest gewisse Zweifel, da sich ansonsten das Aufsuchen eines Ermittlungsrichters zwecks Erlangung einer „deklaratorischen“ Anordnung erübrigt hätte.

In Anbetracht der offensichtlich fehlenden Dringlichkeit der Durchsuchung ist es auch für den Senat nicht nachvollziehbar, dass der Staatsanwalt neben den vorgenommenen, oben geschilderten Erkundigungen nicht weitere naheliegende Maßnahmen ergriffen hat, um einen Ermittlungsrichter zu erreichen. Abgesehen davon, dass er ohne Weiteres auf die Rückkehr der zuständigen Ermittlungsrichterin hätte warten bzw. eine Rückrufbitte bei der Geschäftsstelle hinterlassen können, war die Richterin auch jederzeit – mittels Rufumleitung auf ihr Mobiltelefon – telefonisch erreichbar (BI. 203 d.A.), was der Staatsanwaltschaft zudem per Rundmail bekannt gegeben worden war (BI. 212 d.A.). Dennoch hat der Staatsanwalt nicht einmal einen Anrufversuch unternommen. Es ist darüber hinaus auch nicht ersichtlich, dass am Vormittag eines Werktages kein sonstiger vertretungsberechtigter und -bereiter Richter erreichbar gewesen sein könnte, die Zuständigkeiten hätten sich problemlos durch eine Einsichtnahme in den Geschäftsverteilungsplan oder weiteres Nachfragen ergeben. Die seitens des Staatsanwaltes sodann getroffene Durchsuchungsanordnung – nur als solche ist auch die ausweislich seiner dienstlichen Stellungnahme erfolgte Mitteilung der „Verantwortungsübernahme“ zu verstehen – entbehrte daher jeder nachvollziehbaren Grundlage.

Bei einer derart schwerwiegenden Verkennung des Richtervorbehalts kommt dem Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs, d.h. dem Umstand, dass bei richtiger Verfahrensweise ein Durchsuchungsbeschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erlangen gewesen wäre, keine Bedeutung mehr zu (vgl. BGH, 4 StR 15/20 v. 04.06.2020 – NStZ 2020, 621; 2 StR 46/15 v. 06.10.2016 – BGHSt 61, 266; 2 StR 394/15 v. 21.04.2016 – StV 2016, 539; 3 StR 210/11 v. 30.08.2011 – NStZ 2012, 104; 5 StR 546/06 v. 18.04.2007 – BGHSt 51, 285; KK-StPO/Bruns, a.a.O., § 105 Rn. 22; Meyer-Goßner/ Schmitt/Köhler, a.a.O., § 105 Rn. 19)…….“

EV I: Durchsuchungsbeschluss, oder: Etwas Mühe sollte man sich mit der Begründung schon machen

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Heute dann mal ein wenig StPO, und zwar Ermittlungsverfahren.

Zunächst dann hier der LG Berlin, Beschl. v. 20.11.2020 – 517 Qs 63/20 – zu den Anforderungen an einen Durchsuchungsbeschluss. Dem dem Beschluss liegt folgender Verfahrensablauf zurgunde: Am 12.12.2019 beantragt die Staatsanwaltschaft Berlin beim AG einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung der Beschuldigten. Der Antrag geht am 23.12.2019 beim AG ein; am selben Tag fasste die Ermittlungsrichterin den beantragten Beschluss, welcher in der Begründung im Wesentlichen wortgleich mit der des Antrags war. Bei dem Versuch der Vollziehung des Durchsuchungsbeschlusses am 17.06.2020 wurde die Beschuldigte in ihrer Wohnung nicht angetroffen. Das LKA verschob daher die Maßnahme und regte am selben Tag bei der Staatsanwaltschaft die Beantragung der „Verlängerung“ des Durchsuchungsbeschlusses an. Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 24.06.2020 bei dem AG, den Durchsuchungsbeschluss vom 23.12.2019 erneut zu erlassen. Hierauf fasste das AG den Durchsuchungsbeschluss vom 30. 06.2020, der am 06.08.2020 vollzogen wurde.

Dagegen dann die Beschwerde. Das LG stellt die Rechtswidrigkeit des Beschlusses fest.:

„Die Beschwerde ist auch begründet. Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts genügt nicht den rechtlichen Anforderungen (1.); eine Heilung im Beschwerdeverfahren ist vorliegend nicht möglich (2.).

1. Der angefochtene Beschluss umschreibt zwar ausreichend den Tatvorwurf sowie die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden sollte, sodass der äußere Rahmen des grundsätzlich unter Richtervorbehalt stehenden Grundrechtseingriffs hinreichend bestimmt und somit messbar und kontrollierbar war (zu diesen auch verfassungsrechtlichen Erfordernissen vgl. u.a. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. April 2003 — 2 BvR 358/03 —, juris Rn. 15 sowie Nichtannahmebeschluss vom 20. April 2004 — 2 BvR 2043/03 —, juris Rn. 3 f.; jeweils m.w.N.).

Es mangelt jedoch an der erforderlichen Darlegung der wesentlichen Verdachtsmomente sowie an den Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit im Einzelfall.

a) Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Der Verdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen reichen nicht aus. Diesen Verdacht hat der für die vorherige Gestattung und für die nachträgliche Kontrolle zuständige Richter eigenverantwortlich zu prüfen. Hierzu gehören eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Verhältnismäßigkeit – insbesondere der Angemessenheit – des Eingriffs im konkreten Fall. Neben der Schwere der Tat ist die Stärke des Tatverdachts mitentscheidend dafür, ob eine strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung steht (vgl. zum Vorstehenden BVerfG, Beschluss vom 20. April 2004 a.a.O., juris Rn. 5 sowie stattgebender Kammerbeschluss vom 11. Februar 2015 — 2 BvR 1694/14).

Die Darlegung der diesen Verdacht einer Straftat begründenden wesentlichen Verdachtsmomente samt Indiztatsachen ist jedenfalls einfachgesetzlich geboten (§ 34 StPO); denn nur hierdurch wird dem Betroffenen eine sachgerechte, umfassende Prüfung ermöglicht, ob der Beschluss rechtmäßig ergangen ist und ob es angezeigt erscheint, hiergegen im Wege der Beschwerde vorzugehen. Darüber hinaus bezweckt das Gebot der umfassenden Begründung des Durchsuchungsbeschlusses die Erleichterung der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung durch das Beschwerdegericht. Die Angabe der wesentlichen Verdachtsmomente darf daher nur dann unterbleiben, wenn dies den Untersuchungszweck gefährden würde (zum Vorstehenden vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08 -, juris Rn. 8).

b) Der angefochtene Beschluss genügt diesen Anforderungen nicht. Die Darlegung der wesentlichen Verdachtsmomente fehlt gänzlich, wobei nicht ersichtlich ist, dass durch eine Darlegung der Untersuchungszweck gefährdet worden wäre. Die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme erschöpfen sich in der Formulierung, die Anordnung der Durchsuchung in dem vorgenannten Umfang sei im Hinblick auf den Tatvorwurf und die Stärke des Tatverdachts verhältnismäßig, insbesondere seien keine milderen Maßnahmen ersichtlich. Derartige allgemeine formelhafte Wendungen genügen indes zur Begründung rechtsmittelfähiger gerichtlicher Entscheidungen grundsätzlich nicht (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 34 Rn. 4; so auch BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 — StB 26/08 —, juris Rn. 7 zum bloßen Verweis auf das „bisherige Ermittlungsergebnis“).

2. Die vorgenannten Darlegungsmängel können durch die Beschwerdekammer nicht geheilt werden, weil der Beschluss in seiner Gesamtheit nicht in ausreichendem Maße erkennen lässt, dass der Ermittlungsrichter die Voraussetzungen für seinen Erlass eigenständig geprüft hat.

a) Zwar können Defizite in der Begründung des Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nachgebessert werden, weil sie – anders als Ausführungen zum Tatvorwurf und zu den zu suchenden Beweismitteln – regelmäßig für die verfassungsrechtlich erforderliche Umgrenzung der Durchsuchungsgestattung ohne Bedeutung sind (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 11. Februar 2015 – 2 BvR 1694/14 -, juris Rn. 25 sowie Nichtannahmebeschluss vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03 -, juris Rn. 5). Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Beschluss in seiner Gesamtheit in ausreichendem Maße erkennen lässt, dass der Ermittlungsrichter die Voraussetzungen für seinen Erlass eigenständig geprüft hat (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08 -, juris Rn. 9); denn andernfalls würden Sinn und Zweck der präventiven richterlichen Kontrolle unterlaufen (vgl. MüKoStPO/Hauschild, 1. Aufl. 2014, § 105 Rn. 41b sowie Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 105 Rn. 15a).

b) Diese erforderliche Prüfung lässt der Beschluss nicht erkennen. Zwar folgt das nicht bereits aus der im Wesentlichen wörtlichen Übernahme der Antragsbegründung der Staatsanwaltschaft in den hier angefochtenen Beschluss des Ermittlungsrichters vom 30. Juni 2020 (und im Übrigen auch in den gleichlautenden vorangegangenen Beschluss vom 23. Dezember 2019). Eine solche wörtliche Übernahme ist zwar bedenklich (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. April 2003 – 2 BvR 358/03 -, juris Rn. 13), aber möglich, da der Ermittlungsrichter mit seiner Unterschrift bezeugt, dass er den Text geprüft hat und als Richter verantwortet (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 -, juris Rn. 19). Indes: Die wörtliche Übernahme, die nicht vorhandene Darlegung zu den Verdachtsmomenten und die nur formelhafte Wendung zur Verhältnismäßigkeit schaffen andererseits auch keine Substanz, anhand derer eine eigene Prüfung im Beschluss erkennbar werden könnte.

Dabei wären vorliegend gerade auch angesichts des zeitlichen Ablaufes weitere Ausführungen im Beschluss zu erwarten gewesen. Insbesondere hätte es nahegelegen, sich zumindest knapp zu den Ermittlungsergebnissen zu verhalten, welche nach Erlass des vorangegangenen Durchsuchungsbeschlusses hinzugekommen sind, insbesondere zu den Vernehmungen der Zeugen P und S die nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin den Tatverdacht von ihr abgelenkt haben sollen. Ferner wären Ausführungen dazu zu erwarten gewesen, warum nach mehr als einem Jahr nach der Tat das Tatmittel in Form von Buttersäure bei der Beschwerdeführerin zu vermuten gewesen sein soll.

Eine ausreichende Prüfung ist auch nicht aus dem Verfahrensablauf erkennbar. In dem Übersendungsvermerk des LKA 534 vom 17. Juni 2020 wird die „Verlängerung“ des Durchsuchungsbeschlusses beantragt, da dieser am „23. Juni 2020 seine Gültigkeit“ verliere. Die Staatsanwaltschaft Berlin beantragte daraufhin in der Übersendungsverfügung an das Amtsgericht Tiergarten vom 24. Juni 2020 „den Durchsuchungsbeschluss vom 23. Dezember 2019 erneut aus den Gründen des [damaligen] Antrags“ […] zu erlassen. Am 30. Juni 2020, am Tage des Eingangs auf der Geschäftsstelle des Ermittlungsrichters, erließ das Amtsgericht Tiergarten den neuen Beschluss, gleichlautend zu dem Beschluss vom 23. Dezemnber 2019.“

Verkehrsrecht III: Strafklageverbrauch, oder: Trunkenheitsfahrt meets Drogenbesitz

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Und die dritte Entscheidung ist dann nicht unbedingt eine verkehrsrechtliche, aber sie hat verkehrsrechtlichen Einschlag. Sie stammt vom AG Stralsund. geschickt hat sie mir der Kollege Rakow aus Rostock.

Es geht um die Frage des Strafklageverbrauch hinsichtlich einer Trunkenheitsfahrt, wenn „wegen der Fahrt“ schon eine Verurteilung wegen Drogenbesitzes vorliegt. Hier war die Fahrerlaubnis nach § 111a StPO entzogen worden. Das AG hat dann aber im AG Stralsund, Beschl. v. 15.02.2021 – 315 Cs 853/20 – aufgehoben:

„Es bestehen derzeit keine Gründe für die Annahme, dass dem Angeklagten in diesem Strafverfahren die Fahrerlaubnis entzogen wird, da das Verfahren nach dem derzeitigten Ermittlungsstand wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen ist.

Der Angeklagte hat sich zur Fahrt am 20.05.2020 dahin eingelassen, dass er auf dem Rückweg von einem Drogenkauf, namentlich von Amphetaminen, gewesen sei, um die erworbenen Drogen nach Hause zu bringen. Beim Verkäufer, den er nicht benennen will, habe er mit diesem zusammen noch Kokain konsumiert. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahme des Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 28.01.2021 Bezug genommen, vgl. BI. 51 f.

Dies kann dem Betroffenen nicht mit der erforderlichen Sicherheit widerlegt werden.

Wie die Nachermittlungen ergeben haben, kam der Angeklagte aus Richtung Ribnitz in die Kontrollstelle in Damgarten gefahren. Anders als beim Erlass des § 111a StPO-Beschlusses angenommen, wohnte der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Ribnitz, was gegen seine Einlassung sprach, sondern in Trinwillershagen. Dies hat der Angeklagte in seiner Beschwerde durch die Vorlage des Übergabeprotokolls seiner Wohnung in Ribnitz an seinen damaligen Vermieter vom 28.04.2020 belegt. Es ist daher davon auszugehen, dass er zum Zeitpunkt der Fahrt bereits in Trinwillershagen wohnte, so dass die Fahrtrichtung zu seiner Einlassung passt. Weitere Beweismittel, die seine Einlassung widerlegen könnten, sind nicht ersichtlich.

Es ist -deshalb davon auszugehen, dass sich der Angeklagte auf der Rückfahrt von einem Drogenkauf befand, die Fahrt also dem Transport der Drogen diente. Damit diente die Fahrt gerade dem Transport der Drogen, so dass das Mitführen der Betäubungsmittle nicht nur in einem engen zeitliche und örtlichen Zusammenhang, sondern – darüber hinaus – in einem inneren Beziehugns- oder Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang stand, vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2021 in NStZ 2021, 709 m.w.N. Besitz der Drogen und die Trunkenheitsfahrt sind damit als eine prozessuale Tat zu werten. Mit der rechtskräftigen Verurteilung wegen des Drogenbesitzes bei der Fahrt im Verfahren 315 Cs 625/20 514 Js 11678/20 ist damit Strafklageverbrauch eingetreten.

Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft Stralsund führt die Entscheidung des OLG München vom 22.03.2019, 4 OLG 13 Ss 491/18 B, zu keinem anderen Ergebnis, denn dort wird entscheidend darauf abgestellt, dass wenn eine minderschwere Dauerstraftat mit mehreren schwereren Gesetzesverstößen zusammentrifft, aufgrund des großen Schwereunterschiedes eine „Entklammerung“ stattfindet. Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. Zum einen fällt es schon an mehreren schweren Verstößen neben dem „Klammerdelikt“ und zum anderen wiegen Trunkenheitsfahrt und der Besitz von einer geringen Menge (5,5 g) Amphetamin etwa gleich schwer.