Archiv für den Monat: Oktober 2020

StGB III: Unterhaltspflichtverletzung, oder: Zivilrecht meets Strafrecht

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Die dritte Entscheidung des Tages ist dann auch wieder etwas älter. In dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.11.2020 – 4 Rv 26 Ss 1199/19 – hat das OLG zu den Voraussetzungen der Leistungsfähigkeit i.S. des § 170 StGB – Unterhaltspflichtverletzung – Stellung genommen.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Verletzung der Unterhaltspflicht in zwei Fällen verurteilt. Dagegen die Berufung des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte. Erfolg hatte dann aber die Revision. Die führte zum Freispruch.

Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte ist der leibliche Vater des am pp. 2000 geborenen pp. Spp., der pp. 2003 geborenen pp. Spp. sowie der am 9pp. 2007 pp. Spp., die nach Trennung der Eltern zunächst allesamt im Haushalt ihrer Mutter lebten.

Zwischen dem pp. 2017 und pp. 2018 lebten die beiden minderjährigen Töchter bei der Mutter, während der zunächst noch minderjährige Sohn nach einem Streit mit der Mutter beim Angeklagten eingezogen war. Die Mutter bezog das Kindergeld für beide Töchter; das Kindergeld für pp. wurde an den Angeklagten ausbezahlt, dem zugleich für sich und seinen Sohn als Bedarfsgemeinschaft ergänzende Leistungen zur Grundsicherung nach SGB II gewährt wurden.

Der Angeklagte war seinen beiden minderjährigen Töchtern, die weder über eigenes Einkommen noch Vermögen verfügten, gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet, kam dieser Pflicht im vorgenannten Zeitraum aber nicht nach. Nach den Feststellungen des Landgerichts zahlte er bewusst und gewollt keinen Unterhalt für seine Töchter, obwohl er aufgrund seiner Einkommensverhältnisse dazu zumindest partiell in der Lage war.

Als Taxifahrer bezog er bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von effektiv 32,5 Stunden (zuzüglich Warte- bzw. Standzeiten) 1.400 € brutto bzw. ca. 1.050 € netto sowie monatlich durchschnittlich zumindest 80 € Trinkgelder. An ergänzenden Leistungen zur Grundsicherung entfielen auf ihn monatlich 326,44 € für November und Dezember 2017 sowie 333,90 € für Januar, Februar und April 2018. Für März 2018 hat der Angeklagte keine Leistungen beantragt. Abzüglich eines Selbstbehalts für Erwerbstätige von 1.080 € errechnete das Landgericht eine durchschnittliche Verteilungsmasse zwischen 53,99 € im März 2018 und 387,89 € im April 2018 und durchschnittlich 326,34 €. Unter Zugrundelegung des Unterhaltsbedarfs der Töchter gemäß der Düsseldorfer Tabelle errechnet es einen monatlichen Unterhaltsbetrag für pp. in Höhe von 180 € und für pp. in Höhe von 145 €.

Im Tatzeitraum bezog der Angeklagte für den bei ihm lebenden Sohn pp. neben dem Kindergeld ergänzende Leistungen zur Grundsicherung sowie einen Unterhaltsvorschuss, der auf die Leistungen zur Grundsicherung anrechenbar ist, weshalb noch Erstattungsansprüche des Jobcenters im Raum stehen.“

Das OLG hat ausfgehobeN.

„…. Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Leistungsfähigkeit des Angeklagten festgestellt hat, erweisen sich als rechtsfehlerhaft und führen zur Aufhebung des Urteils.

a) Die Unterhaltspflicht, die sich im Rahmen des § 170 StGB aus dem Gesetz ergeben muss, ist zunächst ihrem Umfang nach festzustellen; dem ist die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten gegenüberzustellen, die bei der Prüfung der Strafbarkeit nach § 170 StGB teils als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal (Fischer, StGB, 66. Auflage 2019, § 170 Rn. 4, 5 und 8; Frommel in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Auflage 2017 § 170 Rn. 8), teils als ein vom Strafrichter selbstständig zu beurteilendes Element des gesetzlichen Merkmals der Unterhaltspflicht (Bosch/Schittenhelm in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 170 Rn. 19) bewertet wird, die jedenfalls nach allgemeiner Meinung Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 170 Abs. 1 StGB ist. Die Frage, ob ein potentieller Unterhaltsschuldner leistungsfähig ist, ist auch im Rahmen der Frage einer Strafbarkeit nach § 170 Abs. 1 StGB nach zivilrechtlichen Maßstäben (Ritscher in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 170 Rn. 36) und ohne Bindung an zivil- bzw. familiengerichtliche Entscheidungen (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16. Oktober 2018 – 1 OLG 2 Ss 46/18, juris OLG München, Beschluss vom 2. September 2008 – 5St RR 160/08, juris; Münchener Kommentar, a.a.O., Rn. 31) zu beurteilen. Die Leistungsfähigkeit ist vom Strafrichter im Urteil in der Weise festzustellen, dass angegeben wird, welchen Betrag der Täter mindestens hätte leisten können; außerdem müssen die Beurteilungsgrundlagen (tatsächliches oder erzielbares Einkommen, zu berücksichtigende Lasten, Eigenbedarf usw.) so genau dargelegt werden, dass eine Überprüfung der vom Tatrichter angenommenen Leistungsfähigkeit möglich ist (Schönke/Schröder, a.a.O., Rn. 22 m.w.N.; Heuchemer in BeckOK StGB, 43. Edition Stand 1.6.2019, § 170 Rn. 18; Fischer, a.a.O.). Der Strafrichter darf sich grundsätzlich der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien und Tabellen der Oberlandesgerichte bedienen, um Leistungsfähigkeit und Selbstbehalt festzustellen (Münchener Kommentar, a.a.O., Rn. 39; Fischer, a.a.O., 8).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

aa) Es erweist sich als rechtsfehlerhaft, dass bei der Berechnung der Leistungsfähigkeit die Einkünfte des Angeklagten aus ergänzenden Leistungen zur Grundsicherung einkommenserhöhend eingestellt werden. Denn die nach §§ 19 ff. SGB II an den Unterhaltspflichtigen gezahlten Leistungen decken grundsätzlich allein den sozialhilferechtlichen Lebensbedarf ab und gewähren auch zur Höhe kein Einkommen, das den verfassungsrechtlich gewährleisteten Mindestselbstbehalt übersteigt. Sie stellen keine Einkommensersatzleistungen dar (Dose in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrechtlichen Praxis, 10. Auflage 2019, § 1 Rn. 110; Born in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 1603 Rn. 43; OLG Stuttgart, Urteil vom 5. Februar 2008 – 18 UF 225/07, beck-online; Bosch/Schittenhelm in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 170 Rn. 21; BGH, Urteil vom 19.11.2008 – XII ZR 129/06, beck-online; ebenso die Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland unter Ziff. 2.2; anders lediglich Fischer, a.a.O., Rn. 8 a ohne nähere Begründung oder Differenzierung).

Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte ausnahmsweise – beispielsweise aufgrund besonderer, bei der Berechnung der Grundsicherung angesetzter Freibeträge (Wendl/Dose, a.a.O., Rn. 111; Reinken in BeckOK, BGB, 51. Edition Stand 1.8.2019, § 1603 Rn. 34) – dennoch leistungsfähig sein könnte, sind nicht erkennbar.

Rechtsfehlerhaft hat die Strafkammer das Einkommen nicht um eine Pauschale von 5 % für berufsbedingte Aufwendungen vermindert. Grundsätzlich sind entsprechend Nr. 10.2.1 SüdL berufsbedingte Aufwendungen mit einer Pauschale von 5 % zu berücksichtigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für solche Aufwendungen bestehen. Nach den Feststellungen liegen aufgrund der Entfernung von Wohn- und Arbeitsort solche Anhaltspunkte vor. Anhaltspunkte dafür, dass im Einzelfall wegen der eingeschränkten Leistungsfähigkeit nur konkrete Aufwendungen angesetzt werden können, sind nicht ersichtlich.

Damit verbleibt für den Tatzeitraum kein für Unterhaltszahlungen einzusetzendes Einkommen beim Angeklagten.

bb) Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass die Urteilsgründe die Berechnungsgrundlagen der ergänzenden Leistungen zur Grundsicherung nicht darlegen, ohne die dem Senat die Überprüfung des angenommenen notwendigen Selbstbehalts nicht möglich ist. Dieser kann zwar regelmäßig den Süddeutschen Leitlinien entnommen werden. Allerdings handelt es sich insoweit um Regelsätze, die je nach Fallgestaltung ermäßigt oder erhöht werden können (Guhling in Wendl/Dose, a.a.O., § 5 Rn. 22 ff.; Ziff. 21.5 der SüdL). Insbesondere bei Heranziehung von ergänzenden Leistungen zur Grundsicherung ist hierbei zu beachten, dass niemand durch Unterhaltszahlungen zum Sozialfall werden soll. Die finanzielle Leistungsfähigkeit endet jedenfalls dort, wo der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. August 2001 – 1 BvR 1509/97, juris). Diese Opfergrenze wird im Allgemeinen etwas über dem Sozialhilfebedarf des in Anspruch genommenen angesetzt. Wenn der Sozialhilfebedarf aber im Einzelfall höher liegt als diese generellen Sätze, erhöht sich der Selbstbehalt entsprechend. Daher wäre auch im vorliegenden Fall zu prüfen, ob der Selbstbehalt den Sozialhilfebedarf (für die Hilfe zum Lebensunterhalt) nicht unterschreitet. Gegebenenfalls wäre der Selbstbehalt entsprechend zu erhöhen (Wendl/Dose, a.a.O., Rn. 12). Die Prüfung dieser Voraussetzungen erfordert jedoch die Darlegung der Berechnungsgrundlagen für die ergänzenden Leistungen zur Grundsicherung.

cc) Ebenso wenig kommt es noch darauf an, dass es – wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat – im Fall des Bezugs von Grundsicherungsleistungen wie auch bei der Leistung von Naturalunterhalt für ein weiteres Kind auch näherer Feststellungen zur Frage des Vorliegens eines vorsätzlichen Handelns bedurft hätte. Ein Irrtum über die Leistungsfähigkeit ist ein Tatbestandsirrtum (Fischer, a.a.O., Rn. 8; Heger in Lackner/Kühl, StGB, 29. Auflage 2018, § 170 Rn. 11; BeckOK, a.a.O., Rn. 20; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, a.a.O., Rn. 13).“

 

StGB II: Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, oder: Verjährungsbeginn

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt ebenfalls vom BGH. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 01.09.20201 StR 58/19. Der Vorwurf in dem Verfahren lautete auf Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 2 Nr. 1 StGB.

Das LG ist von folgenden Feststellungen ausgegangen:

Das Landgericht hat – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte setzte als Geschäftsführer der H. GmbH in den Jahren 2007 bis 2012 zur Erbringung von Bauleistungen illegal beschäftigte Mitarbeiter ein und verschleierte dies durch Abdeckrechnungen. Die „schwarz“ beschäftigten Arbeitnehmer meldete er nicht bei der jeweils zuständigen Einzugsstelle zur Sozialversicherung, obwohl er seine entsprechende Verpflichtung kannte. Er enthielt dadurch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung vor (Fälle 1. bis 62. der Urteilsgründe). Ebenso ließ der Angeklagte in Kenntnis seiner entsprechenden Verpflichtung die durch die Scheinrechnungen verdeckten Schwarzlöhne nicht an die Berufsgenossenschaft Bau melden und führte infolgedessen auch die Beiträge zur berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung nicht vollständig ab (Fälle 63. bis 67. der Urteilsgründe). Schließlich machte er in Bezug auf die Abdeckrechnungen gegenüber dem zuständigen Finanzamt unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen und verkürzte dadurch Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag (Fälle 68. bis 103. der Urteilsgründe).

In den Fällen 1. bis 17. der Urteilsgründe lag der Fälligkeitszeitpunkt für die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge zwischen dem 29. Januar 2007 und dem 29. Mai 2008. Im Fall 63. der Urteilsgründe erfolgte die – unvollständige – Meldung an die Berufsgenossenschaft am 6. Februar 2008. Die unrichtigen Steuererklärungen in den Fällen 68. bis 72. der Urteilsgründe gab der Angeklagte zwischen dem 5. April 2007 und dem 9. April 2008 ab.

Die Strafverfolgungsverjährung wurde durch einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Kiel vom 25. Januar 2012 im Hinblick auf sämtliche Taten unterbrochen. Die Anklage ging am 28. Oktober 2016 beim Landgericht ein und das Hauptverfahren wurde mit Beschluss vom 30. Mai 2018 eröffnet.“

Gestritten worden ist im Verfahren u.a.  um die Frage der Verjährung. Dazu meint der BGH in dem zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten Beschluss:

Die Verjährung jeder Tat des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB beginnt mit dem Verstreichen des Fälligkeitszeitpunktes für jeden Beitragsmonat nach § 23 Abs. 1 SGB IV.

Rest bitte ggf. im Volltext selbst lesen.

StGB I: „Missmanagement“ in der Kanzlei, oder: Untreue des Rechtsanwalts?

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Heute dann mal wieder ein Tag mit StGB-Entscheidungen.

Und die erste kommt mit dem BGH, Beschl. v. 26.11.2019 – 2 StR 588/18 – vom BGH. Ja, schon älter. Manche Beschlüsse verstecken sich eben. Und dabei hätte der Beschluss es verdient gehabt, zeitnah vorgestellt zu werden. Es geht nämlich um einen Untreuevorwurf gegen Rechtsanwälte wegen deren Umgang mit Fremdgeldern.

Auszugehen war von folgenden Feststellungen:

„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fassten die in Aachen als Rechtsanwälte tätigen Angeklagten, deren Kanzlei sich wirtschaftlich zunehmend schlechter entwickelte, spätestens im Jahr 2009 mindestens in den zur Aburteilung gelangten Fällen jeweils den Entschluss, an sie überwiesene oder ihnen übergebene Gelder bewusst pflichtwidrig nicht oder teilweise nicht oder nicht unverzüglich an ihre Mandanten weiterzuleiten, sondern zur Erfüllung eigener Verbindlichkeiten bzw. Begleichung von Kosten ihrer Kanzlei zu verwenden. Durch die wiederholte Tatbegehung in der Zeit von 2009 bis 2015 verschafften sie sich insbesondere mittels verzögerter Auszahlung zum Nachteil ihrer Mandanten unberechtigte Kredite und damit eine fortlaufende Einnahmequelle von längerer Dauer und erheblichem Umfang. Dabei ließen die Angeklagten die Mandanten über den Eingang ihnen zustehender Gelder bzw. deren Höhe im Unklaren, verschwiegen – auch auf Nachfrage – Geldeingänge oder hielten sie vereinzelt auf sonstige Weise hin. In anderen Fällen behielten die Angeklagten von Mandanten gezahlte Selbstbehalte oder an Dritte weiterzuleitende (Sicherheits-)Beträge über Wochen und Monate hinweg, ohne den betreffenden Sachverhalt weiter zu verfolgen. Ratenüberzahlungen der Gegenseite ließen sie weiterlaufen, Erstattungen an die Rechtsschutzversicherung der Mandanten erfolgten erst Monate oder Jahre später bzw. mangels Reaktion erst auf unmittelbare Nachfrage der Versicherungen bei den Mandanten. Hinsichtlich der ihnen aus ihrer anwaltlichen Tätigkeit gegenüber den Mandanten zustehenden Honoraransprüche, die insbesondere bei Dauermandaten zu reduzierten oder wegfallenden Ansprüchen der Mandantschaft auf Auszahlung der auf Kanzleikonten eingegangenen Fremdgelder führen konnten, erstellten sie keine Abrechnungen und gaben auch keine Aufrechnungserklärungen ab.

2. Zur Kanzleiführung durch die Angeklagten und zur finanziellen Situation der Kanzlei hat die Strafkammer folgende Feststellungen treffen können:

Die juristische Bearbeitung einer Sache wurde intern den jeweiligen Anwälten nach Rechtsgebiet zugeteilt, der Sachbearbeiter führte im Verlauf die Akte und das Mandat. Grundsätzlich wurden von diesem Sachbearbeiter auch die Liquidationen erstellt und die technische Ausführung der Abrechnung und der Mandatsbeendigung vorgenommen. In einer Vielzahl von Fällen übernahm der Angeklagte J. aber auch die Abrechnung der von ihm nicht bearbeite- ten Mandate. Er fertigte in der Regel auch mandatsübergreifende Zwischenabrechnungen und führte die Konten der Kanzlei. Die Aktenführung im Tatzeitraum war geprägt von Rückständen und Unordnung in den Büros der Angeklagten, mangelnden Wiedervorlagen und fehlender Kontrolle insbesondere im Zusammenhang mit dem Eingang von Fremdgeldern und der Aktenablage. Dies führte bei bloßer Anordnung von Abrechnungen mithilfe eines Zettelsystems ohne buchhalterische Nachvollziehbarkeit zum Unterbleiben von Abrechnungen oder zumindest erheblicher Verzögerung.

Im Tatzeitraum gab es im Wesentlichen ein allein von dem Angeklagten J. geführtes Konto bei der P. in K. , zudem zwei auf die Angeklag- ten J. und W. lautende Kanzleikonten bei der A. B. bzw. der A. S. sowie erst ab dem Jahr 2011 ein Kanzleianderkonto, des- sen Inhaber der Angeklagte J. war. Die Geschäftskonten bei der P. und der S. A. wurden im Tatzeitraum im Wesentlichen im Minus geführt, über lange Zeit im fünfstelligen Bereich. Es erfolgten immer wieder Zuschüsse aus privaten Mitteln; zur Tilgung einer Steuerverbindlichkeit der Kanzlei nahm die Ehefrau des Angeklagten W. einen Kredit über 50.000 € auf, den sie noch heute abzahlt. Ins Einzelne gehende Feststellungen zur Solvenz der Kanzlei (zu den jeweiligen Tatzeitpunkten) hat die Strafkammer nicht getroffen.

Die Buchhaltung in der Kanzlei oblag allein der – freigesprochenen – Mitangeklagten D. . Wenn sie nicht in der Kanzlei war, lag die Buchhaltung brach, teilweise über mehrere Wochen. Hinzu kamen Probleme mit dem Buchhaltungssystem der verwendeten Rechtsanwaltssoftware, so dass es zu erheblichen Rückständen in der Buchhaltung kam. Parallel dazu gab es Handaktenzettel in den Mandantenakten, auf denen handschriftlich sämtliche Buchungsschritte durch die Mitangeklagte D. vermerkt wurden, allerdings nicht tag- genau und mit zum Teil erheblicher Verzögerung.

Mit der Kanzleientwicklung korrespondierend tätigten die Angeklagten J. und W. spätestens nach dem Jahr 2012 immer weniger Entnah- men, der Angeklagte W. etwa bis zum Jahr 2012 ca. 1.200 bis 1.500 € monatlich, danach lediglich noch 1.000 € oder weniger.

„Infolge dieses Missmanagements“ kam es zu den abgeurteilten Taten, die zum Teil von den Angeklagten auch gemeinschaftlich handelnd begangen wurden.“

Das LG hat die Angeklagten u.a. wegen Untreue (§ 266 StGB) verurteilt. Dagegen die Revision . Die hatte dann beim BGH Erfolg:

„Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Das Landgericht hat in sämtlichen Fällen eine Untreue durch Verwirklichung des Treubruchstatbestands, jeweils begangen durch Unterlassen, angenommen. Dabei hat die Strafkammer zwischen folgenden Fallgestaltungen unterschieden: Einzahlungen auf Geschäftskonten bei noch nicht eingerichtetem Anderkonto, nicht unverzüglich vorgenommene Fremdgeldauszahlungen („Verzögerungsfälle“), nicht ausgekehrte Fremdgelder („wirtschaftlicher Schaden“) und nicht vorgenommene Verrechnung mit Honoraransprüchen aus Parallelmandaten („juristischer Schaden“).

In allen Fallkonstellationen ist die Strafkammer vom Vorliegen eines Vermögensschadens ausgegangen. Ein Nachteil im Sinne des § 266 StGB sei dann gegeben, wenn ein Rechtsanwalt, der sich bestimmte Fremdgelder auf sein Geschäftskonto einzahlen lasse, weder uneingeschränkt bereit noch fähig sei, einen entsprechenden Betrag aus eigenen Mitteln vollständig auszukehren. Seien die Fremdgelder nicht auf einem Anderkonto verwahrt worden oder (bei Eingang auf dem Anderkonto) nicht unverzüglich weitergeleitet worden, sei bereits ein endgültiger Schaden eingetreten, da bei den Angeklagten kein Ersatzwille vorhanden gewesen sei, die zur Auskehrung stehenden Fremdgelder auch tatsächlich auszuzahlen. Bei fehlendem Ersatzwillen mache sich auch ein solventer Schuldner grundsätzlich wegen Untreue strafbar, weshalb es weiter gehender Ermittlungen zur Solvenz der Kanzlei nicht bedurft hätte. Im Übrigen sei auch in den Fällen, in denen den Angeklagten möglicherweise Honoraransprüche in einer die Zahlungseingänge übersteigenden Höhe zugestanden hätten, ein Nachteil im Sinne des § 266 StGB anzunehmen, denn entgegenstehende Honorarforderungen seien nur dann geeignet, den Auszahlungsanspruch der Mandanten zum Erlöschen zu bringen, wenn die zugrundeliegenden Mandate tatsächlich – was nicht der Fall gewesen sei – abgerechnet worden seien. Zudem hätte die Verwendung der Mandantengelder auch nicht dem Zweck gedient, bestehende Honoraransprüche zu befriedigen, weil diese nicht beziffert und geltend gemacht worden seien.

2. Die Annahme des Landgerichts, in allen abgeurteilten Fällen sei den Mandanten ein Nachteil im Sinne des § 266 StGB entstanden, ist nicht tragfähig begründet.

a) Ein Rechtsanwalt, der sich im Rahmen eines bestehenden Anwaltsvertrags zur Weiterleitung bestimmte Fremdgelder auf sein Geschäftskonto einzahlen lässt und weder uneingeschränkt bereit noch jederzeit fähig ist, einen entsprechenden Betrag aus eigenen flüssigen Mitteln vollständig auszukehren, kann sich der Untreue in der Variante des Treubruchstatbestands (§ 266 Abs. 1 Var. 2 StGB) strafbar machen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2015 – 1 StR 587/14, NJW 2015, 1190, 1191; Senat, Beschluss vom 24. Juli 2014 – 2 StR 221/14, NStZ 2015, 277 jeweils mwN). Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 BORA ist ein Rechtsanwalt verpflichtet, eingegangene Fremdgelder unverzüglich an den Berechtigten weiterzuleiten oder, falls dies ausnahmsweise nicht sofort durchführbar ist, den Mandanten hiervon sofort in Kenntnis zu setzen und dafür Sorge zu tragen, dass ein dem Geldeingang entsprechender Betrag bei ihm jederzeit für den Berechtigten zur Verfügung steht (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1960 – 4 StR 544/59, NJW 1960, 1629, 1630). Unbeschadet der Frage, welche konkrete Zeitspanne als unverzüglich anzusehen ist, was sich nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt (s. Feuerich/Weyland/Träger, Bundesrechtsanwaltsordnung, 9. Aufl., 2016, § 43a Rn. 90, die eine Frist von maximal drei Wochen ab Eingang des Geldes annehmen), kann diese Verzögerung als solche regelmäßig noch keinen Vermögensnachteil begründen (vgl. OLG Stuttgart, NJW 1971, 64, 65; aA OLG Köln, AnwBl 1999, 608 f.). Ebenso wenig kann allein der Verstoß gegen die Pflicht zur Führung eines Anderkontos und zur Weiterleitung von Fremdgeldern auf dieses (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 BORA) einen Nachteil begründen. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Vermögen des Mandanten durch die Pflichtverletzung gemindert wird (zum „Verschleifungsverbot“ vgl. BVerfGE 126, 170, 206). Das ist etwa dann der Fall, wenn in der unterlassenen Weiterleitung die Absicht liegt, die eingenommenen Gelder endgültig für sich zu behalten, der Rechtsanwalt die Gelder zwar nicht auf Dauer für sich behalten will, aber ein dem Geldeingang entsprechender Betrag nicht jederzeit für den Berechtigten zur Verfügung gehalten wird (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2015 – 1 StR 587/14, NJW 2015, 1190, 1191; Senat Beschluss vom 24. Juli 2014 – 2 StR 221/14, NStZ 2015, 277), oder die Gefahr eines Vermögensverlustes groß ist, weil die auf dem Geschäftskonto befindlichen Gelder dem (unabwendbaren und unausgleichbaren) Zugriff von Gläubigern offenstehen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. April 2008 – 5 StR 354/07, BGHSt 52, 182, 188 f.). Tilgt der Rechtsanwalt durch Verwendung auf dem Geschäfts- oder dem Anderkonto eingegangenen Fremdgelds private Verbindlichkeiten oder erfüllt er vom Anderkonto aus geschäftliche Verbindlichkeiten, die keinen Zusammenhang mit den Zahlungseingängen aufweisen, ist mit der Kontokorrentbuchung der Bank des Rechtsanwalts oder dem Abfluss des Zahlungseingangs von dessen Konto – abgesehen vom Falle des Vorhandenseins ausreichender Mittel zum in Aussicht genommenen Ausgleich – bei dem Berechtigten bereits ein endgültiger Vermögensschaden eingetreten. Infolge des kompensationslosen Abflusses, der mit dem Verlust der Fremdgelder einhergeht, liegt ein endgültiger Vermögensnachteil vor (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2015 – 1 StR 587/14, NJW 2015, 1190, 1191).

b) Hiervon ausgehend wird ein Vermögensnachteil durch die Urteilsgründe in allen Fällen nicht tragfähig belegt.

aa) Die Beweiswürdigung, auf die das Landgericht die aus seiner Sicht einen Vermögensnachteil allein tragende Annahme stützt, den Angeklagten habe der Wille gefehlt, die zur Auskehrung stehenden Fremdgelder auch tatsächlich auszuzahlen, erweist sich als lückenhaft.

Die Strafkammer hat bei ihrer knappen Begründung für diese Annahme wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen, die gegen das Fehlen eines Ersatzwillens sprechen könnten und die infolgedessen in die Würdigung des Landgerichts einzubeziehen gewesen wären. So hat das Landgericht festgestellt, Ursache für verspätete Zahlungen sei ein auf Überforderung der Angeklagten zurückzuführendes „Missmanagement“ gewesen. Der hierin liegende Widerspruch zur Annahme eines durchgängig fehlenden Ersatzwillens wird in den Urteilsgründen nicht aufgelöst. Auch ist nicht erkennbar, dass die Strafkammer den Umstand in den Blick genommen hat, dass trotz des festgestellten überdauernden „Missmanagements“ im Tatzeitraum von fünf Jahren lediglich 27 Fälle festgestellt worden sind, in denen es nach Ansicht des Landgerichts zu im Sinne von § 266 StGB strafrechtlich relevanten Unregelmäßigkeiten im Umgang mit Mandantengeldern gekommen sein soll.

Die Strafkammer hätte in diesem Zusammenhang ferner bedenken müssen, dass die Angeklagten, wie in den Urteilsgründen festgestellt, immer wieder privates Geld zur Auszahlung an Mandanten nachschossen und ihre Entnahmen aus den Einkünften der Kanzlei im maßgeblichen Zeitraum immer weiter zurückfuhren. Diese Umstände könnten darauf hindeuten, dass es ihnen nicht darauf ankam, ihnen nicht zustehende Gelder für private Zwecke zu verwenden, sie im Gegenteil bestrebt waren, ihren Mandanten keine Gelder vorzuenthalten. Trotz der vom Landgericht gegen das Vorhandensein eines Ersatzwillens herangezogenen Beweisanzeichen (Abstreiten von Zahlungseingängen gegenüber Mandanten bzw. Auszahlung fälliger Gelder erst auf nachhaltige Intervention) kann der Senat demzufolge nicht ausschließen, dass die Strafkammer im Rahmen der für jede Tat gesondert vorzunehmenden Gesamtabwägung zumindest in einzelnen Fällen – auch unter Berücksichtigung ihrer privaten wirtschaftlichen Situation (s. dazu im Folgenden unter bb) – zur Annahme von Zahlungswilligkeit und -fähigkeit der Angeklagten gelangt wäre.

bb) Die Strafkammer hat es – von ihrem Standpunkt aus folgerichtig – nicht für erforderlich erachtet, nähere Feststellungen zur Fähigkeit der Angeklagten zu treffen, die zurückbehaltenen Beträge jederzeit auszugleichen. Dass dies nicht der Fall war, kann der Senat den Urteilsgründen – auch unter Beachtung ihres Gesamtzusammenhangs – nicht entnehmen. Insoweit wird sich die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer eingehend mit der finanziellen Situation der Kanzlei und auch derjenigen der Angeklagten persönlich auseinanderzusetzen haben, sollte sie den grundsätzlichen Willen zur Auszahlung einbehaltener Fremdgelder feststellen.

cc) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet es zudem, dass das Landgericht einen Vermögensnachteil in den Fällen II. 7, 8, 9, 10, 17 und 26 der Urteilsgründe (im Urteil als „juristischer Schaden“ bezeichnet) damit begründet hat, dass den Angeklagten zwar (nicht ausschließbar) Honoraransprüche in einer die Auszahlungsbeträge übersteigenden Höhe zugestanden hätten, eine schadensausgleichende Kompensation aber nicht in Betracht komme, weil diese Ansprüche nicht abgerechnet worden seien. Eines solchen Ausgleichs bedürfte es nämlich nur dann, wenn schon die pflichtwidrige Einzahlung auf ein Geschäftskonto, die Verwendung für andere Zwecke oder die verspätete Weiterleitung an den Mandanten für diesen einen Vermögensnachteil begründet hätte. Dies ist aber, wie aufgezeigt, nicht rechtsfehlerfrei belegt.“

 

OWi III: Fahrverbot, oder: Nicht vorbelastet und (erst) 10 Monate zurückliegende Tat

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Und als dritte Tagesentscheidung weise ich dann noch auf den OLG Hamm, Beschl. v. 06.10.2020 – 4 RBs 321/20 – hin. Seit längerem mal wieder etwas zum (Absehen vom) Fahrverbot:

„Ergänzend zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft ist anzumerken, dass von der Anordnung eines Fahrverbotes gem. § 4 Abs. 4 BKatV in Einzelfällen abgesehen werden kann, in denen der Sachverhalt zu Gunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufweist, dass die Annahme eines Ausnahmefalles gerechtfertigt ist und die Verhängung des Fahrverbotes trotz der groben bzw. beharrlichen Pflichtverletzung unangemessen wäre, wobei das Vorliegen erheblicher Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände ausreicht (OLG Hamm, Beschluss vom 20. März 2009 – 2 Ss OWi 138/09 -, Rn. 11, juris). Derartige Anhaltspunkte bietet der Sachverhalt nicht. Insbesondere sind der Umstand, dass der Betroffene – womöglich auch als langjähriger Inhaber einer Fahrerlaubnis – nicht vorbelastet ist und der Umstand, dass die Tat zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Aburteilung (erst) zehn Monate zurücklag, keine Umstände, die eine entsprechende Erörterung durch das Tatgericht geboten hätten (weder für sich allein noch zusammengenommen). Die Regelahndung nach der Bußgeldkatalogverordnung geht gerade nicht davon aus, dass der Betroffene vorbelastet ist (OLG Hamm, Beschluss vom 06. Februar 2006 – 2 Ss OWi 31/06 -, Rn. 21, juris).“

OWi II: Ablehnung eines Beweisantrages, oder: Gegenteil bereits erwiesen

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In der zweiten OWi-Entscheidung, dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.09.2020 – 1 Rb 37 Ss 473/20, den mir der Kollege Jumpertz aus Jülich geschickt hat, geht es auch um ein verfahrensrechtliches Problem, nämlich um die Ablehnung eines Beweisantrages.

Das AG hat den Betroffenen zu einer Geldbuße verurteilt, weil er seine beiden 14-jährigen und 7-jähren Söhne, in seinem Pkw auf der Rückbank befördert hat, wobei der 7-jährige Sohn mit einer Körpergröße von höchstens 135,5 cm weder in einem Kindersitz noch auf einer Sitzerhöhung gesessen habe. Dagegen hatte der Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 80 OWiG) beantragt, die er damit begründet hat, dass das AG in der Hauptverhandlung zu Unrecht einen Beweisantrag des Betroffenen abgelehnt habe, der darauf gerichtet gewesen sei, zum Beweis der Tatsache, dass beide Kinder angeschnallt gewesen seien und der jüngere Sohn auf einer Sitzerhöhung gesessen habe, den älteren Sohn als Zeugen zu vernehmen. Der Antrag auf Zulassusng der Rechtsbeschwerde und die Rechtsbeschwerde hatten beim OLG Erfolg:

„1. Durch das angefochtene Urteil ist eine Geldbuße von mehr als 100 €, aber nicht mehr als 250 € festgesetzt worden. Nach § 80 Abs. 1 OWiG ist die Rechtsbeschwerde daher zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts (Nr. 1, 1. Alt.) oder zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu ermöglichen (Nr. 1, 2. Alt.) oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (Nr. 2).

Letzteres liegt hier vor.

a) Der Betroffene macht insoweit geltend, das Amtsgericht habe zu Unrecht im Rahmen der Hauptverhandlung am 15.05.2020 einen Beweisantrag des Betroffenen abgelehnt, der darauf gerichtet gewesen sei, zum Beweis der Tatsache, dass beide Kinder unmittelbar vor McDonalds angeschnallt gewesen seien und der Sohn S1 auf einer Sitzerhöhung gesessen habe, den Sohn S2, pp, zu vernehmen. Wäre dieser ältere Sohn antragsgemäß vernommen worden, so hätte dieser bestätigt, dass der jüngere Sohn auf einer Sitzerhöhung gesessen habe.

b) Die Rüge ist ordnungsgemäß erhoben.

Im Falle der Versagung rechtlichen Gehörs durch die Ablehnung eines Beweisantrags kann eine Zulassung nur erfolgen, wenn dies als Verfahrensrüge den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entsprechend ausgeführt worden ist (KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2018, OWiG § 80 Rn. 26, 41b). Soweit die fehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen gerügt wird, so genügt die Rüge den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 nur dann, wenn der Beschwerdeführer den Inhalt seines Antrags und des Ablehnungsbeschlusses mitteilt und wenn er die Tatsachen bezeichnet, welche die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses ergeben (KK-StPO/Gericke, 8. Aufl. 2019, StPO § 344 Rn. 54).

In der Rechtsbeschwerdebegründung sind der gestellte Beweisantrag und die Entscheidung über diesen mit Begründung wiedergegeben. Es wird auch erklärt, dass der ältere Sohn, wäre er antragsgemäß vernommen worden, bestätigt hätte, dass der jüngere Sohn auf einer Sitzerhöhung gesessen habe.

c) Es liegt auch ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag nach § 244 Abs. 3 StPO vor, durch den die Beweistatsache und das Beweismittel hinreichend konkret bezeichnet werden. Soweit dem Antrag nicht unmittelbar zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll, war eine Darlegung dieser Konnexität im vorliegenden Fall nicht erforderlich, da sich aus bisherigen Verfahrensstand ergab, dass beide Söhne auf der Rückbank gesessen haben sollen und damit das Beweisbegehren auf die Vernehmung eines unmittelbaren Tatzeugen abzielte, der sich im zeitlichen Zusammenhang mit der Tat am Tatort aufhielt und dessen Wahrnehmungsmöglichkeiten zum Zeitpunkt der Antragsstellung nicht zweifelhaft sind (vgl. BGH, Beschl. v. 24.03.2014 – 5 StR 2/14, NStZ 2014, 351).

d) Durch die Ablehnung des Beweisantrags nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG mit der Begründung, dass die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich gewesen sei, da der kontrollierende Polizeibeamte bereits vernommen worden sei, wurde das rechtliche Gehör verletzt.

Insoweit ist das Gericht dazu verpflichtet, die Ausführungen des Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Insoweit ist anerkannt, dass keine Gehörs-verletzung vorliegt, soweit das Amtsgericht Beweisanträge des Betroffenen zur Kenntnis genommen sowie – entsprechend § 77 Abs. 3 – mit einer Kurzbegründung verbescheiden hat, wenn es sich in den Urteilsgründen mit dem Vorbringen des Betroffenen näher auseinandergesetzt hat (BeckOK OWiG/Bär, 27. Ed. 1.7.2020, OWiG § 80 Rn. 23a) und die Ablehnung des Beweisantrages so begründet, dass dies für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar ist (KG Berlin, Beschl. v. 06.06.2019 — 3 Ws (B) 150/19 —, juris).

Eine weitere Begründung der Ablehnung erfolgte vorliegend auch in den Urteilsgründen nicht. Zwar bedarf es gesonderter Ausführungen nicht, wenn sich aus dem Ge-samtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, dass der Sachverhalt aufgrund der genutzten Beweismittel so eindeutig geklärt ist, dass die zusätzlich beantragte Beweis-erhebung an der Überzeugung des Gerichts nichts geändert hätte und sie für die Auf-klärung daher entbehrlich gewesen ist (KG a.a.O.). Im vorliegenden Fall — das Amts-gericht lehnt die Vernehmung eines Entlastungszeugen letztlich ab, weil bereits ein (Belastungs)zeuge vernommen worden war — wäre indes eine nähere Auseinander-setzung hiermit zwingend geboten gewesen.

e) In der Sache erfolgte die Ablehnung im Übrigen auch zu Unrecht.

Die beantragte Vernehmung eines Entlastungszeugen kann regelmäßig nicht mit der Begründung abgelehnt werden, durch die Aussagen der bisherigen Belastungszeugen sei das Gegenteil der behaupteten und unter Beweis gestellten Tatsache bereits er-wiesen (KG, Beschl. v. 05.11.2001 – 2 Ss 242/013 Ws (B) 544/01, NZV 2002, 416; Thüringer Oberlandesgericht, Entscheidung vom 10.11.2004 — 1 Ss 248/04 —, juris; BeckOK OWiG/Hettenbach, 27. Ed. 1.7.2020, OWiG § 77 Rn. 16). Ausnahmen hiervon können vorliegen, wenn die Möglichkeit der Wahrnehmung der behaupteten Tatsache zweifelhaft und daher mit einer Erschütterung einer als verlässlich einzustufenden Aussage nicht zu rechnen ist, was beispielsweise der Fall sein kann, wenn durch die Aussage eines Fahrzeuginsassen hinsichtlich einer zu einem bestimmten Zeitpunkt gefahrenen Geschwindigkeit die als verlässlich einzustufende Aussage des Beamten, der die Geschwindigkeitsmessung vorgenommen hat, widerlegt werden soll (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.12.1998 – 5 Ss OWi 382/98 – (OWi) 159/98 I, NZV 1999, 260; BeckOK OWiG/Hettenbach, 27. Ed. 1.7.2020, OWiG § 77 Rn. 16). Damit ist der vor-liegende Fall unter Berücksichtigung der Wahrnehmungsmöglichkeiten des benannten Zeugen und des vernommenen Zeugen jedoch nicht vergleichbar.