Archiv für den Monat: September 2019

Rasen = mehr als 100 km/h in der Innenstadt, oder: Alleinhaftung

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Die zweite zivilrechtliche Entscheidung kommt heute vom KG. Im KG, Urt. v. 22.08.2019 – 22 U 33/18 – geht es um die Haftungsfragen in Zusammenhang mit „Rasen“ in der Innenstadt.

Der Kläger verlangte Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall vom 28. Oktober 2015 auf einer Kreuzung. Dort war der Kläger mit einem Linksabbieger zusammengestoßen. Der Kläger erlitt infolgedessen eine HWS-Distorsion, ein stumpfes Thoraxtrauma, ein stumpfes Bauchtrauma und eine Femurschaftsfraktur links mit Weichteilschaden ersten Grades und befand sich deshalb vom 28. Oktober 2015 bis zum 06. November 2015 in stationärer Behandlung.

Das LG hatte Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen und durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Dieses Unfallrekonstruktionsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass sich das Klägerfahrzeug im Kollisionszeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von 85 km/h bis 105 km/h bewegt habe, während das Beklagtenfahrzeug zu diesem Zeitpunkt mit etwa 5 km/h bis 10 km/h gefahren sei.  Der Kläger habe sich der Unfallstelle zuvor mit mindestens 103 km/h genähert, bevor er 44 m und 1,6s vor der Kollision das Beklagtenfahrzeug als gefahrdrohend erkannt habe. Bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h sei die Kollision für den Kläger mit hoher Sicherheit räumlich und wahrscheinlich auch zeitlich vermeidbar gewesen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hat dann mit seiner Berufung seine Ansprüche nur noch nach einer Haftungsquote von 33% weiterverfolgt. Er meint, das LG habe die Verursachungsanteile im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung unzutreffend gewürdigt und das grobe Verschulden der Beklagten zu Unrecht hinter dem Verkehrsverstoß des Klägers zurücktreten lassen.

Die Berufung hatte beim KG keinen Erfolg.Das KG geht davon aus, dass der Beklagten zu 1) ein (schwerer) Verstoß gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO und dem Kläger ein Verstoß gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO unfallverursachend vorzuwerfen war.

„Zur Abwägung führt es dann aus:

Der danach weiter bestehende Vorwurf einer Sorgfaltspflichtverletzung beim Linksabbiegen führt hier gleichwohl aber nicht zu einer Haftung der Beklagten.

Dem Landgericht ist darin zuzustimmen, dass der Verkehrsverstoß der Beklagten zu 1) ebenso wie die Betriebsgefahr ihres Kraftfahrzeugs (§ 7 Abs. 1 StVG) hinter dem besonders schweren Verkehrsverstoß des Klägers zurücktreten, so dass dieser für seinen Schaden allein einzustehen hat.

a) Nach den Feststellungen des Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Snnn vom 19. Oktober 2017, denen die Berufung insoweit nicht mehr entgegentritt, befuhr der Kläger die Pasewalker Straße in Berlin, die vor der Unfallstelle keine Fahrstreifenmarkierungen aufweist und deren rechter Fahrbahnrand als Parkstreifen benutzt wird, in nördlicher Richtung bei Dunkelheit und trockenen Straßenverhältnissen mit einer Geschwindigkeit von mindestens 103 km/h und damit mit einer Geschwindigkeit, die um mehr als das Doppelte über der unter günstigsten Umständen zulässigen Höchstgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) lag.

b) Wenn – wie hier – innerorts das Doppelte der maximal zulässigen Geschwindigkeit überschritten wird und wenn die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit gleichzeitig auch absolut 100 km/h überschreitet, ist nach Auffassung des Senats regelmäßig davon auszugehen, dass leichte Verkehrsverstöße Dritter – wie hier – hinter einem solchen besonders schwerwiegenden erheblichen Verstoß gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO regelmäßig zurücktreten.

Dem steht nicht entgegen, dass bislang teilweise in ähnlichen Fällen bei einem Zusammentreffen eines Verstoßes gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO bzw. gegen § 8 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 StVO und eines erheblichen Verstoßes gegen § 3 Abs. 3 StVO in der Rechtsprechung regelmäßig eine Abwägung der Verursachungsanteile nur dann zu einer Alleinhaftung des Vorfahrtsberechtigten führte, wenn die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 100% mit weiteren, besonderen Umständen zusammentraf (vgl. etwa KG, Urteil vom 04. September 2000 –  12 U 4373/99 -, juris Rdn. 12; OLG Stuttgart, Urteil vom 16. November 1993 – 10 U 13/93 -, juris=NZV 1994, 194; KG, Urteil vom 11. März 1982 – 12 U 2669/81 -, juris=VerkMitt 1982, 94; KG, Urteil vom 22. Juni 1992 –  12 U 7008/91 -, juris=VRS Bd. 83, 407; OLG Hamm, Urteil vom 14. August 1996 – 3 U 150/95 -, juris=VRS Bd. 93, 253).

Zwar lassen sich keine allgemeingültigen Richtwerte in Bezug auf das berechtigte Vertrauen eines Wartepflichtigen dahingehend, dass der Bevorrechtigte die Geschwindigkeit nicht in grober und außergewöhnlicher Weise überschreiten werde, aufstellen (BGH, Urteil vom 14. Februar 1984 – VI ZR 229/82 -, juris Rdn. 15). Im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG ist aber dann regelmäßig von einer Alleinhaftung des Bevorrechtigten auszugehen, wenn dieser sowohl die maximal zulässige Geschwindigkeit um das Doppelte und gleichzeitig absolut 100 km/h überschreitet.

In Innenstadtlagen mit dem dort typischen komplexen Verkehrsgeschehen ist bei einer Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h davon auszugehen, dass sich der Kraftfahrer bewusst außerstande setzt, unfallverhütend zu reagieren (KG, Urteil vom 31. Januar 1994 – 12 U 3121/92 -, juris Rdn. 28, dort mind. 72 km/h statt 50 km/h mit hälftiger Schadensteilung) und damit entgegen § 1 Abs. 1 StVO für ihn keine hinreichende Möglichkeit mehr besteht, bei entsprechendem Anlass auf das Fehlverhalten Dritter zu reagieren. Ebensowenig bestehen bei einer für Innenstadtlagen außergewöhnlich hohen Geschwindigkeit von absolut mehr als 100 km/h noch hinreichende zeitliche und räumliche Möglichkeiten, unvorhergesehen auftretende Veranlassungen zur Anpassung der eigenen Fahrweise außerhalb von Verkehrsverstößen Dritter gefahrverhütend wahrzunehmen (beispielsweise Kinder am Fahrbahnrand, vgl. BGH, Urteil vom 02. Juli 1985 – VI ZR 22/84 -, juris Rdn. 10), so dass ein besonders hohes abstraktes Gefährdungspotential für Dritte geschaffen wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine derart hohe Geschwindigkeitsüberschreitung nicht mehr mit Fahrlässigkeit erklärbar ist, sondern regelmäßig vorsätzliches Handeln angenommen werden muss (vgl. dazu KG, Beschluss vom 31. Mai 2019 – 3 Ws (B) 161/19 -, juris Rdn. 4).

c) Entgegen der Ansicht der Berufung ist damit hier nach Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge davon auszugehen, dass der Kläger für den ihm entstandenen Schaden allein haftet.“

Gebrauchtwagenkauf, oder: Wenn das Navi nicht mehr funktioniert

entnommen wikimedia.org
Author Usien

Schon etwas älter ist das AG Nordhausen, Urt. v. 21.10.2018 – 22 C 347/17, das mir der Kollege Hofhauer aus Leinefeld-Worbis vor einiger Zeit geschicht hat. Es passt aber ganz gut in den samstäglichen „Kessel Buntes“, daher berichte ich.

In der Sache geht es um die Gewährleistungsansprüche eines privaten Autokäufer aus Garantie und gesetzlicher Gewährleistung wegen eines Defekts am Navigationsgerät eines gebraucht gekauften Pkw. Der Käufer hatte geltend gemacht, dass das Navi schon kurze Zeit nach Übergabe nicht richtig funktioniert habe. Das AG Nordhausen hat die Klage abgewiesen:

„Etwaige vertragliche Ansprüche kann der Kläger zunächst nicht auf die übernommene Hausgarantie stützen, weil Defekte an Antennen und Navigationssystemen ausdrücklich von der Garantie ausgeschlossen sind. Des Weiteren kann er keine Gewährleistungsansprüche nach § 434 ff. BGB erfolgreich geltend machen. Gewährleistungsansprüche können nur wegen solcher Mängel geltend gemacht werden, die bereits bei Vertragsschluss bzw. Übergabe des Fahrzeugs vorhanden waren. Dafür trägt grundsätzlich der Käufer die Darlegungs- und Beweislast. Hier ist nach der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die GPS-Empfangsantenne defekt war bzw. ist und aus diesem Grunde durch das Navigationsgerät ein gänzlich falscher Standpunkt des Fahrzeuges angezeigt wurde. Ein Mangel mit diesem Erscheinungsbild war erstmals nach den klägerischen Darlegungen von ihm März 2017 bemerkt worden und nach der Art des Mangels kann gerade nicht davon ausgegangen werden, dass dieser bereits bei Übergabe des Fahrzeugs vorlag. Wann dieser Mangel tatsächlich erstmals aufgetreten ist, kann auch ein Sachverständiger nicht feststellen. Nach den Bekundungen des vom Kläger benannten Zeugen M sind solche Fehler durchaus häufiger aufgetreten und nach den Bekundungen beider Zeugen gibt es insoweit auch Herstellerempfehlungen bezüglich der vorzunehmenden Fehlersuche. Es handelt sich hier schlicht um einen Defekt im elektronischen Bereich, mit dessen Eintritt jederzeit zu rechnen ist. Zeigt sich ein Mangel innerhalb der ersten 6 Monate nach Gefahrübergang, wird gesetzlich vermutet, dass dieser bzw. die Anlage zu diesem Mangel bereits bei Gefahrübergang vorlag. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Art des Mangels mit dieser gesetzlichen Vermutung unvereinbar ist. Dies ist hier bei Vorlage eines solchen elektrischen Defekts jedoch gegeben. Es bedarf auch keiner Beweisaufnahme über die klägerische Behauptung, wonach es zu Problemen mit dem Navigationsgerät bereits anlässlich der Heimfahrt gekommen sei. Es ist nämlich bereits nach den klägerischen Darlegungen nicht ersichtlich, was die von ihm benannte Zeugin, seine Ehefrau, dazu überhaupt sagen kann. Der Kläger legt selbst lediglich dar, dass er falsch geleitet worden sei und deshalb das Navigationsgerät abgeschaltet habe. Nach den im März getroffenen Feststellungen durch das Autohaus H ist jedoch davon auszugehen, dass aufgrund eines Defekts der GPS-Antenne ein falscher Standort des Fahrzeugs angegeben wird und von daher auch eine falsche Routenberechnung erfolgt bzw. ein Standort überhaupt nicht angezeigt wird. Dies hat jedoch mit einer nicht näher definierten „falschen Leitung“ zunächst nichts zu tun.

Der Kläger hat auch nicht beweisen können, dass seitens der Beklagten eine Kostenübernahmeerklärung abgegeben wurde. ….“

Ich habe da mal eine Frage: Geht noch was bei Irrtum über Gebührenziffern/Nachfestsetzung?

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Aus der FB-Gruppe: Strafverteidiger stammt die nachfolgende Frage:

„Kleine Gebührenfrage:

Ich habe im letzten Jahr vor dem Schwurgericht einen Freispruch erstritten. Bei der Gebührenfestsetzung habe ich versehentlich die Gebühren für Verfahren vor der Strafkammer (Nrn. 4112, 4114 VV RVG) geltend gemacht und nicht die für das Verfahren vor dem Schwurgericht (Nrn- 4118, 4120 VV RVG).

Kostenfestsetzungsbeschluss stammt aus Dezember 2018. Ich habe jetzt stumpf unter Hinweis auf Büroversehen Neufestsetzung beantragt. Revisor meint: „Iss nicht, wegen § 14 RVG.

Geht da noch was oder abschreiben?“

Na, geht noch was?

Ermessen bei der Strafrechtsentschädigung, oder: Wenn die Beschuldigte „zugedröhnt“ war

entnommen wikidmeia.org
By MorgueFile : see, CC BY-SA 3.0

Und die zweite Entscheidung des Tages kommt vom KG. Sie hat auch mit Gebühren und/oder Kosten zu tun, allerdings schon „etwas weiter weg“. Da KG hat nämlich im KG, Beschl. v. 13.02.2019– 3 Ws 35/19 – und älter ist der Beschluss auch noch – über eine Entschädigung nach dem StrEG entschieden. Auch dazu kann ich Entscheidungen aus den Instanzen gut gebrauchen.

Ergangen ist die Entscheidung nach einem Sicherungsverfahren wegen  versuchter gefährlicher Körperverletzung. Das LG hat mit Urteil vom 29.06.2018 den Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt, die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen. Es war zwar davon überzeugt, dass die Beschwerdeführerin in der Nacht zum 12.03.2018  im Zustand der Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat der versuchten gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil eines Polizeibeamten dadurch begangen hat, dass sie mit einem Messer auf ihn einstach, jedoch versehentlich nur das Funkgerät traf. Die Strafkammer hat die Beschuldigte jedoch nicht mehr für gefährlich gehalten. Eine Entschädigung für die einstweilige Unterbringung – die Beschuldigte befand sich aufgrund Unterbringungsbefehls des AG Tiergarten vom 04.04.2018 bis zum 29.06.2018 im Krankenhaus des Maßregelvollzugs – hat das LG im Urteil abgelehnt. Hiergegen wendet sich die ehemalige Beschuldigte mit der sofortigen Beschwerde. Die hatte beim KG keinen Erfolg:

Das Landgericht hat die Entschädigung zu Recht versagt.

1. Nach den bindenden (vgl. §§ 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG, 464 Abs. 3 Satz 2 StPO) Feststellungen liegt bereits nahe, dass die ehemalige Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahmen grob fahrlässig verursacht hat, weshalb eine Entschädigung schon nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen wäre. Denn die Beschwerdeführerin hatte ausweislich der Urteilsfeststellungen gut 24 Stunden vor dem Tatgeschehen in einem Club, in dem sie bis zur Mittagszeit des Folgetags blieb, zunächst „etwas Amphetamin“ und sodann „ihre übliche Menge Ecstasy, Ketamin und Amphetamin“ eingenommen, um schließlich „etwas Alkohol“ zu trinken (UA S. 6). Am Nachmittag des Folgetags, dem Tattag, brach die Beschwerdeführerin, die ersichtlich nicht geschlafen hatte, zusammen. In der Folge nahm sie zunächst „noch mehr Amphetamin“ und schließlich „drei Pillen Ecstasy, zwei Einheiten Ketamin und ‚viel‘ Amphetamin“ ein (UA S. 6). Es liegt auf der Hand, dass der allein der Beschwerdeführerin anzulastende exzessive Drogenkonsum im Zusammenwirken mit der Schlaflosigkeit die psychotisch konnotierte rechtswidrige Tat zumindest erheblich begünstigt hat.

2. Ob der Rauschgiftkonsum und die Schlaflosigkeit Condicio sine qua non für die rechtswidrige Tat waren, kann im Ergebnis dahinstehen. Denn selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass diese Umstände ohne Einfluss auf das Tatgeschehen geblieben wären, hätte die Strafkammer des Landgerichts die Entschädigung mit Recht nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG versagt.

Denn die Beschwerdeführerin hat die ihr vorgeworfene rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen. In einem solchen Fall ist die Versagung der Entschädigung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG die Regel (vgl. OLG Düsseldorf JurBüro 1986, 249; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 61. Aufl., § 6 StrEG Rn. 6). Allerdings muss der Ermessensentscheidung grundsätzlich eine Gesamtwürdigung vorausgehen, in welche die Schwere des Tatvorwurfs und der eingetretenen Störung des Rechtsfriedens, die Gefährlichkeit des Täters sowie das Maß des Sonderopfers, das der Betroffene durch die Strafverfolgungsmaßnahme zu erleiden hatte, einfließen müssen (vgl. KG NStZ-RR 2013, 32).

Der Senat, der als Beschwerdegericht eine eigene Sachentscheidung trifft und eigenes Ermessen ausübt, folgt den vom Landgericht angestellten Überlegungen u. a. zur Schwere des Vorwurfs und der Beeinträchtigung des Rechtsfriedens sowie zum Gewicht eines von der Beschwerdeführerin erbrachten Sonderopfers (UA S. 15 f.) uneingeschränkt. Hier könnte sogar in Frage gestellt werden, ob die an paranoider Schizophrenie leidende Beschwerdeführerin, die ohne die im Krankenhaus des Maßregelvollzugs veranlasste Behandlung und Medikation gefährlich geblieben und unterzubringen gewesen wäre, überhaupt ein Sonderopfer erbracht hat. Jedenfalls verdichtet sich die Gesamtwürdigung des Landgerichts noch durch das von der Strafkammer nicht in die Überlegungen eingestellte risikoerhöhende und schuldhafte Tatvorverhalten der Beschwerdeführerin, insbesondere ihren Drogenkonsum und die Schlaflosigkeit. Unter Berücksichtigung aller Umstände wäre es unbillig, die Beschwerdeführerin, die eine gefährliche Tat begangen und hierdurch ein umfangreiches Straf- bzw. Unterbringungsverfahren veranlasst hat, für ihre einstweilige Unterbringung, die rechtmäßig war, zu entschädigen.“

Liegt im Grunde auf der Linie der Entscheidungen, wenn (nur) alkohol im Spiel ist/war. Im Zweifel also auch hier: Keine Entschädigung.

Ablehnung der Einziehung, oder: Teilweise Kosten bei der Staatskasse?

entnommen openclipart.org

Heute ist Freitag und bringe ich „traditionsgemäß“ Entscheidungen mit gebühren- und/oder kostenrechtlicher Thematik. Dafür brauche ich natürlich Material, so dass immer wieder, so auch heute, daran erinnere: „Leute, schickt gebührenrechtliche Entscheidungen, und zwar nicht nur die richtigen, sondern auch die falschen“.

Ich eröffne heute mit einer kostenrechtlichen Entscheidung des LG Bayreuth, in der es um die Anwendung des § 465 Abs. 2 StPO geht, der leider häufig – von Gerichten und Verteidigern – übersehen wird. Geschickt hat mir den Beschluss der Kollege Schröder aus Halberstadt.

Der hatte seinen Mandanten in einem Verfahren wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verteidigt. Das AG hat den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 5 Monaten verurteilt. Die Kosten des Verfahrens wurden gemäß §§ 464, 465 StPO dem angeklagten Mandanten auferlegt. Dagegen richtete sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten. Der ist der Auffassung, dass die durch die Verhandlung über die Einziehung von Wertersatz (8.800,– EUR), wovon abgesehen worden ist, entstandenen Kosten ihm nach dem Rechtsgedanken der §§ 467 Abs. 1, 465 Abs. 2 StPO nicht hätten auferlegt werden dürfen. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Das LG Bayreuth führt im LG Bayreuth, Beschl. v. 27.08.2019 – 3 Qs 60/19 – aus:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.

Unabhängig von der Frage, ob §§ 73 ff StGB, vorliegend die Einziehung des Wertes von Taterträgen, als Maßnahme eigener Art zur Korrektur strafrechtswidriger Vermögenslagen angesehen wird oder ob insbesondere der Bruttoabschöpfung sowohl vermögensordnender als auch ahndender Charakter zugesprochen wird, war im vorliegenden Fall für eine Heranziehung des Rechtsgedankens des § 465 Abs. 2 i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO kein Raum. Die Ausnahmevorschrift des § 465 Abs. 2 ist nur in engen Grenzen einer entsprechenden Anwendung zugänglich.

Dem Verurteilten lagen gemäß Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 27.03.2019 zwei Ver-brechen gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG und zwei Vergehen gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG zur Last; er wurde in beiden erstgenannten Fällen zudem wegen eines jeweils tateinheitlich verwirklichten versuchten Erwerbs und in beiden letztgenannten Fällen abweichend gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG bzw. § 29 Abs. 1 Nr. 1, 22, 23 BtMG rechtskräftig verurteilt. Einverständnis mit der Einziehung zahlreicher asservierter Gegenstände wurde erklärt. Die Entscheidung zu der im Schlussvortrag aufgeworfenen Frage der Einziehung von Wertersatz gemäß §§ 73, 73 c StGB war im vorliegenden Fall von so nachrangiger Bedeutung, so dass eine Freistellung aus Billigkeitserwägungen zur Überzeugung der Kammer nicht in Betracht kam.“

Man kann so entscheiden, wie es das LG getan hat, man muss es aber nicht. Zutreffend ist, dass § 465 Abs. 2 StPO unmittelbar wohl keine Anwendung findet. Den Rechtsgedanken der Vorschrift hätte man aber sehr wohl (analog) anwenden können, auch wenn es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt. Das war im Übrigen die vorrangige Frage, die zunächst vom LG zu beurteilen gewesen wäre. Erst wenn sie bejaht worden wäre, hätten Billigkeitserwägungen eine Rolle gespielt. Und dann hätte man m.E. mit guten Gründen auch zu einem anderen Ergebnis kommen können. Denn: Warum die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 8.800 EUR von „nachrangiger Bedeutung“ sein soll, erschließt sich nicht ohne weiteres. Das ist doch ein nicht unerheblicher Betrag, den der Angeklagte wahrscheinlich nicht mal eben so aus der Tasche geschüttelt hätte. Und warum soll er, wenn von dieser Einziehung abgesehen wird, dann dafür auch noch kostenmäßig mit der auf ihn zukommenden Gebühr seines Verteidigers nach Nr. 4142 VV RVG haften?