Archiv für den Monat: Juni 2019

Fahrverbot bei allgemeiner Kriminalität, oder: Damit reduzieren wir die Freiheitsstrafe

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Und als letzte Entscheidung stelle ich das AG Dortmund, Urt. v. 03.05.2019 – 767 Ls-800 Js 1003/18 -15/19. Es behandelt eine Problematik zum neuen § 44 StGB. Nämlich die Frage, ob die Anordnung eines Fahrverbotes nach § 44 StGB in den Fällen der allgemeinen Kriminalität – im vom AG entschiedenen Fall ging es um ein BtM-Verfahren – herangezogen werden kann, um eine nicht mehr aussetzungsfähige Strafe von über 2 Jahren auf ein Maß zu reduzieren, dass eine Bewährung möglich macht. Das AG hat das bejaht:

„Aus diesen beiden Strafen war unter Zugrundelegung der höheren Einzelstrafe von einem Jahr und drei Monaten als sogenannte Einsatzstrafe eine Gesamtfreiheitsstra-fe zu bilden, die das Gericht unter erneuter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände auf ein Jahr und sechs Monate bemessen hat.

Das Gericht ist insoweit nicht dem Antrag der Staatsanwaltschaft gefolgt, eine Freiheitsstrafe knapp über zwei Jahren festzusetzen, sondern hat vielmehr gemäß § 44 StGB die Verhängung eines unmittelbar wirkenden Fahrverbotes von drei Monaten zur Einwirkung auf den Täter für erforderlich erachtet, zumal hierdurch nach Ansicht des Gerichtes in jedem Falle die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vermieden werden konnte, so dass die Voraussetzungen des § 44 Abs. I Satz 2 StGB gegeben sind. Was Grund und Länge des festgesetzten Fahrverbotes angeht, so hat sich das Gericht weiterhin von den o.g. strafschärfenden und strafmildernden Gesichtspunk-ten leiten lassen. Somit konnten nicht nur die nach § 56 Abs. 1 StGB nötige positive Prognose, sondern auch die besonderen tat- und täterbezogenen Umstände des § 56 Abs. 2 StGB bejaht werden.“

Bisschen knapp begründet. Aber immerhin. Schade, dass die Staatsanwaltschaft das „geschluckt“ hat und nicht Sprungrevision eingelegt hat. Mich hätte schon interessiert, was das OLG Hamm dazu gesagt hätte.

Vorsatz bei der Trunkenheitsfahrt, oder: So schwer ist das doch gar nicht

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Die zweite verkehrsrechtliche Entscheidung kommt dann vom OLG Karlsruhe. Das OLG behandelt im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.04.2019 – 2 Rv 4 Ss 105/19 – mal wieder den Dauerbrenner: Vorsatz bei der Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB). .

„b) Jedoch vermögen die Darstellungen in den Urteilsgründen den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Begehung der Trunkenheitsfahrt (§ 316 Abs. 1 StGB) nicht zu tragen. Das Amtsgericht hat eine vorsätzliche Tatbegehung angenommen und dies im Kern auf die „einschlägigen Vorstrafen“ des Angeklagten sowie darauf gestützt hat, dass ihm wegen einer Trunkenheitsfahrt am 27.11.2015 die Fahrerlaubnis entzogen und erst drei Tage vor der hier in Rede stehenden Trunkenheitsfahrt wieder erteilt worden sei. Diese Würdigung erweist sich als unzureichend.

1) Eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr setzt voraus, dass der Fahrzeugführer seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit kennt oder zumindest mit ihr rechnet. Die Feststellung der Fahruntüchtigkeit als innere Tatsache hat der Tatrichter auf der Grundlage des Ergebnisses der Hauptverhandlung und der Heranziehung und Würdigung aller Umstände zu treffen. Bei einem – wie hier – insoweit nicht geständigen Angeklagten müssen die für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts verwendeten Beweisanzeichen lückenlos zusammengefügt und unter allen für ihre Beurteilung maßgebenden Gesichtspunkten gewürdigt werden. Nur so wird dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglicht, ob der Beweis der Schuldform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) schlüssig erbracht ist und alle gleich naheliegenden Deutungsmöglichkeiten für und gegen den Angeklagten geprüft worden sind (OLG Hamm, Beschluss vom 16.02.2012 – III-3 RVs 8/12 – juris Rn. 7 m.w.N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.05.2010 – 5 Ss 198/10 – juris Rn. 15 m.w.N.). Dabei kann nach wohl einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung, der auch der Senat folgt, auch bei deutlich die Grenze absoluter Fahruntüchtigkeit (1,1 Promille) übersteigenden BAK-Werten ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht allein hieraus auf ein vorsätzliches Handeln geschlossen werden; einen Erfahrungssatz, dass ein Kraftfahrer ab einer bestimmten BAK seine Fahruntüchtigkeit erkennt, gibt es nicht (OLG Hamm aaO Rn. 8; OLG Stuttgart aaO Rn. 16; Fischer, StGB, 66. Aufl. 2019, § 316 Rn. 46, jeweils m.w.N.). Bei der Beurteilung kommt es daher auf die Umstände des Einzelfalles an. Zu würdigen sind dabei insbesondere – soweit feststellbar – die Täterpersönlichkeit, der Trinkverlauf, der Zusammenhang zwischen Trinkverlauf und Fahrtantritt sowie das Verhalten des Täters vor und während der Fahrt (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 05.02.2013 – (2) 53 Ss 1/13 (4/13) -, juris Rn. 7; OLG Hamm aaO).

Dabei kann nach obergerichtlicher Rechtsprechung, der auch der Senat folgt, zwar aus einer vorangehenden einschlägigen Bestrafung und der damit verbundenen Warnwirkung je nach den Umständen des Einzelfalles auf ein vorsätzliches Handeln des Täters bei der neuen Trunkenheitsfahrt geschlossen werden (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 09.07.1995 – 3 Ss 164/94, NStZ-RR 1996, 85; Fischer aaO Rn. 46). Dies gilt jedoch nur dann, wenn der der früheren Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt in einem Mindestmaß mit dem aktuell zu beurteilenden vergleichbar ist. Nur in diesem Fall ist es denkbar und auch naheliegend, dass der Täter aus seiner früheren Bestrafung und dem darin liegenden Hinweis auf seine derzeitige Fahruntüchtigkeit vor der erneuten Trunkenheitsfahrt entsprechende Schlüsse gezogen hat, die den Vorwurf vorsätzlichen Handelns rechtfertigen. Es ist deshalb jedenfalls in der Regel unerlässlich, dass der einer einschlägigen Vorverurteilung zugrundeliegende Sachverhalt, aus dem auf die vorsätzliche Tatbegehung geschlossen werden soll, in den Urteilsgründen mitgeteilt wird (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 26.09.2018 – 3 Ss 25/18, BeckRS 2018, 28087; Beschluss vom 10.07.1997 – 21 Ss 138/97, NZV 1998, 123; abweichend KG Berlin, Urteil vom 24.11.2014 – (3) 121 Ss 155/14 (115/14), NZV 2015, 403).

2) Vorliegend hat sich das Amtsgericht bei der Darstellung der „einschlägigen Vorstrafen“ darauf beschränkt, die – ersichtlich dem Bundeszentralregisterauszug entnommenen – Daten zweier Urteile festzustellen, wonach der Angeklagte am „17.12.2005“ (offenkundig gemeint war insoweit wohl der 17.12.2015) wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu 60,- Euro verurteilt und eine Sperre für die Fahrerlaubniserteilung bis zum 16.12.2016 verhängt wurde und am 21.08.2017 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 50,- Euro verurteilt wurde. Diese bezüglich des Urteils vom 17.12.2015 noch um Angaben des Angeklagten ergänzten Ausführungen – so gab der Angeklagte offenbar an, seine Blutalkoholkonzentration habe bei der damaligen Trunkenheitsfahrt „mehr als zwei Promille Alkohol betragen“ – genügen jedenfalls vorliegend nicht.

Es erschließt sich schon nicht, aus welchem Grunde das Amtsgericht „insbesondere aufgrund seiner einschlägigen Vorstrafen“, also aufgrund von mehreren vorangegangenen Straftaten davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte vorsätzlich handelte. Sollten die ausgesprochen knapp gehaltenen Ausführungen des Amtsgerichts – was naheliegt – dahingehend zu verstehen sein, dass mit einer der „einschlägigen Vorstrafen“ die Verurteilung vom 21.08.2017 gemeint gewesen ist, lässt sich mit Blick darauf, dass der Angeklagte dortmals wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, nicht aber wegen Trunkenheit im Verkehr verurteilt wurde aus, nichts dafür herleiten, inwieweit er hieraus überhaupt Lehren für zukünftiges Trink- und Fahrverhalten hätte ziehen müssen.

Ob und inwieweit die mit Urteil vom 17.12.2015 geahndete Trunkenheitsfahrt und die verfahrensgegenständliche Sache tatsächlich vergleichbar waren, lässt sich anhand der äußerst knappen und nur nach der Erinnerung des Angeklagten referierten Darstellung zur damaligen Trunkenheitsfahrt nicht erkennen. Schon mit Blick darauf, dass sich der Angeklagte an einen mutmaßlich deutlich höheren Promillewerte erinnerte (“über zwei Promille“), versteht es sich jedenfalls nicht von selbst, inwieweit er aus der damaligen Fahrt Rückschlüsse auf seine Fahruntüchtigkeit bei der verfahrensgegenständlichen Trunkenheitsfahrt gezogen haben muss.
Zu eingehenderer Erörterung der Schuldform bestand auch im Hinblick darauf Anlass, dass nach den Ausführungen des Amtsgerichts bei der Abnahme der Blutprobe bei den entsprechenden Tests keine besonderen (alkoholtypischen) Ausfallerscheinungen zu bemerken gewesen waren, sondern vielmehr der Angeklagte „nicht merkbar“ unter Alkoholeinfluss stand, was es zumindest nicht gänzlich fernliegend erscheinen lässt, dass für den Angeklagten selbst die alkoholische Beeinflussung weniger spürbar war und er sich deshalb für fahrtüchtig gehalten haben könnte (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 27.02.2008 – 2 Ss 23/08, NZV 2008, 304).

Soweit das Amtsgericht ergänzend darauf abgehoben hat, dass der Angeklagte nach Entzug der Fahrerlaubnis in der Zwischenzeit „sogar wegen einer MPU längere Zeit abstinent“ gelebt habe, begegnet dies vorliegend ebenfalls Bedenken. Das Amtsgericht teilt nicht mit, aus welchem Grunde das wegen einer anstehenden medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) abstinent geführte Leben des Angeklagten Rückschlüsse auf sein subjektives Vorstellungsbild zu seiner Fahr(un)tüchtigkeit zulassen soll. Dies versteht sich – jedenfalls ohne jegliche nähere Erörterung – auch nicht von selbst. Denn der Umstand, dass der Angeklagte in dem Wissen einer anstehenden MPU abstinent gelebt hat, lässt naheliegende Rückschlüsse zunächst nur auf seine Fähigkeit, auf Alkoholkonsum verzichten zu können, zu, nicht aber darauf, von welchen Auswirkungen des Alkoholkonsums auf seine Fahrtüchtigkeit er selbst im Einzelnen ausging.

2. Aus den dargelegten Gründen konnte die Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr keinen Bestand haben. Das Urteil ist daher wegen des aufgezeigten Mangels nach § 353 StPO mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bad Säckingen zurückzuverweisen. Ausgenommen von der Aufhebung sind die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, da sie von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind und daher bestehen bleiben können. Ergänzende Feststellungen, die zu den bisherigen nicht im Widerspruch stehen, bleiben insoweit möglich.“

Auch zu der Problematik ist im Grunde genommen alles gesagt – mehrfach. Daher verwundert es, dass die OLG es immer wieder wiederholen müssen. Aber: Verwundert es wirklich?

(Isolierte) Fahrerlaubnissperre, oder: Ein Bisschen begründen sollte man schon

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Heute dann gleich noch einmal ein Verkehrsrechtstag. Und den eröffne ich – wie gestern – auch mit einer BGH-Entscheidung, nämlich dem BGH, Beschl. v.  27.03.2019 4 StR 360/18. Das LG hatte gegen den Angeklagten eine isolierte Sperrfrist von zwei Jahren für die Erteilung einer Fahrerlaubnis festgesetzt.

Der BGH beanstandet die „Begründung“:

„b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet jedoch die Anordnung der Maßregel nach §§ 69, 69a Abs. 1 Satz 3 StGB. Die Strafkammer hat zur Begründung der angeordneten zweijährigen Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis lediglich angeführt, der Angeklagte habe sich dadurch als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gezeigt, dass er tateinheitlich in zwei Fällen am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen habe, ohne im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis gewesen zu sein. Diese Begründung reicht zum Beleg der Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen eines Kraftfahrzeuges im Sinne von § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht aus. Soll gegen den Täter wegen einer nicht im Katalog des § 69 Abs. 2 StGB enthaltenen Straftat – wie es bei dem vom Angeklagten verwirklichten vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG der Fall ist – die Fahrerlaubnis entzogen oder eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet werden, muss das Tatgericht eine Gesamtwürdigung der Tatumstände und der Täterpersönlichkeit vornehmen, mit der die fehlende Eignung belegt wird, wobei der Umfang der Darlegung vom Einzelfall abhängt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. November 2017 – 4 StR 427/17, StV 2018, 414, 415; vom 17. Dezember 2014 – 3 StR 487/14, juris Rn. 3; vom 17. Mai 2000 – 3 StR 167/00, NStZ-RR 2000, 297, 298); eine solche einzelfallbezogene Begründung der fehlenden Eignung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr lässt das angefochtene Urteil vermissen.“

Für mich einer dieser „Kopfschüttelentscheidungen“. Man muss ja – auch nach der Rechtsprechung des BGH – in diesen Fällen nicht viel schreiben, aber etwas mehr als den Gesetzestext dann vielleicht doch. Das sollte eine Strafkammer wissen.

Fahrerlaubnisentziehung nach Unfallflucht, oder: Schaden mindestens bei 1.500 €

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Urheber Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium des Innern

Und zum Tagesschluss dann noch der LG Dresden, Beschl. v. 07.05.2019 – 3 Qs 29/19 -, der sich zur Frage der Grene beim bedeutenden Sachschaden i.S. von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB – Stichwort: Regelentziehung beim Unerlaubten Entfernen vom Unfallort, verhält. Das LG Dresden hebt die Grenze auf 1.500 € an.

Im Streit war/ist ein Schaden in Höhe von 1.645,03 EUR brutto. Die Geschädigte ihr Fahrzeug nicht reparieren lassen, sondern hat den Schaden lediglich bei der Versicherung abgerechnet. Das AG hat die Fahrerlaubnis nach § 111a StPO entzogen. Das LG hat aufgehoben:

„Nach Aktenlage sind gegenwärtig keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass der Angeklagten die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen durch Urteil gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB entzogen werden wird. Denn nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist ein Kraftfahrer nur dann in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn er sich eines Vergehens des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig gemacht hat (1.), obwohl er weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist (2.). Auch wenn die Beschwerdeführerin nach Aktenlage dringend verdächtig ist, sich des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig gemacht zu haben, liegt kein Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor, da es nach gegenwärtigem Ermittlungsstand an einem bedeutenden Schaden an fremden Sachen im Sinne der Norm fehlt.

1. Nach der gebotenen vorläufigen Betrachtung ergibt sich der dringende Tatverdacht hinsichtlich eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort aus den bisherigen polizeilichen Ermittlungen, insbesondere aus der Aussage der Zeugin pp……

2. Indes liegen keine dringenden Gründe für einen Regelfall im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor, da nach Aktenlage kein bedeutender Schaden an fremden beweglichen Sachen im Sinne der Norm gegeben ist. Zwar entschied das Oberlandesgericht Dresden am 12.05.2005 (Az.: 2 Ss 278/05), dass die Grenze für einen bedeutenden Sachschaden von 1.200,00 DM (so zuvor das Oberlandesgericht in seinem Urteil vom 10.04.1995 – 1 Ss 91/95) auf 1.300,00 EUR angesichts der allgemeinen Preis- und Einkommensentwicklung heraufzusetzen ist. Nunmehr, vierzehn Jahre später, ist es jedoch geboten, diese Grenze auf mindestens 1.500,00 EUR anzuheben (vgl. LG Braunschweig, Beschluss vom 03.06.2016 – 8 Qs 113/16 [min. 1.500,00 EUR]; OLG Stuttgart, Beschluss vom 27.04.2018 – 2 Rv 33 Ss 959/17 [1.600,00 EUR]; LG Wuppertal, Beschluss vom 26.10.2017 – 25 Qs 34/17 [1.500,00 EUR]), da bei der Interpretation ausfüllungsbedürftiger Tatbestandsmerkmale wie bei dem „bedeutenden Schaden“ im Sinne von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB die allgemeine Geldentwicklung nicht außer Betracht bleiben darf.

Als Vergleichsmaßstab bietet sich der jährlich vom statistischen Bundesamt berechnete und veröffentlichte Verbraucherpreisindex an. Der aktuell geltende Verbraucherpreisindex hat das Jahr 2015 als Basisjahr. Im Jahr 2005 erreichte der Verbraucherpreisindex noch einen durchschnittlichen Jahreswert von 86,2 % und im Jahr 2018 einen Wert von 103,8 %. Die Veränderungsrate beträgt somit 20,42 % (103,8/86,2 x 100 – 100). Der Wert von 1.300,00 EUR aus dem Jahr 2005 stieg somit unter Berücksichtigung dieser Preissteigerungsrate von 20,42 % im relevanten Vergleichszeitraum auf 1.565,46 EUR. Leicht gerundet erscheint es daher sachgerecht, die Wertgrenze für die Annahme eines bedeutenden Schadens im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB nunmehr auf jedenfalls mindestens 1.500,00 EUR festzusetzen.

Diese Grenze ist vorliegend jedoch nicht erreicht, da es allenfalls auf den im Kostenvoranschlag des Autoservices pp. bezifferten netto-Reparaturkostenbetrag in Höhe von 1.382,38 EUR ankommt und nicht auf den brutto-Reparaturkostenbetrag in Höhe von 1.645,03 EUR. Denn nach § 249 Abs. 2 BGB kann Umsatzsteuer nur dann geltend gemacht werden, wenn sie tatsächlich auch angefallen ist (BGH, Urteil vom 03.03.2009 – VI ZR 100/08). Da der Schutzzweck von § 142 StGB ist, die Vereitelung der zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche der Unfallbeteiligten zu verhindern (Fischer, 66. Auflage, § 142 Rn. 2), können nur solche Schadenspositionen herangezogen werden, die erstattungsfähig sind (OLG Stuttgart, Urteil vom 27.04.2018 – 2 Rv 33 Ss 959/17; LG Aachen, Beschluss vom 13.11.2017 – 66 Qs 10/16; LG Wuppertal, Beschluss vom 26.10.2017 – 25 Qs 34/17). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der hier relevante Fremdsachschaden lediglich der netto-Reparaturkostenbetrag in Höhe von 1.382,38 EUR. Denn die Zeugin … gab in der Hauptverhandlung am 21.03.2019 an, ihr Fahrzeug tatsächlich nicht reparieren lassen zu haben, sodass keine Umsatzsteuer angefallen ist. Auch eine spätere Reparatur kommt nicht in Betracht, da die Zeugin pp. angab, den Schaden bei der Versicherung bereits abgerechnet und das Fahrzeug verkauft zu haben. Unklar bleibt zwar, ob das Fahrzeug durch den Unfall einen merkantilen Minderwert erlitten hat, der als direkte Folge des schädigenden Ereignisses bei der Berechnung des „bedeutenden Schadens“ zusätzlich zu den netto-Reparaturkosten Berücksichtigung zu finden hätte. Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen besteht aber kein dringender Verdacht, dass hierdurch die Grenze von jedenfalls mindestens 1.500,00 EUR überschritten wird. Umstände, die auch jenseits des Regelfalls von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vorliegend eine Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 StGB erwarten lassen, sind nicht ersichtlich.“

Mit einem 605 PS-Boliden mit 150 km/h nachts durch Berlin, oder: Alleinrennen

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt aus Berlin. Es handelt sich um einen sog. „Raser-Fall“, zu dem das KG im KG, Beschl. v. 15.04.2019 – (3) 161 Ss 36/19 (25/19) – Stellung genommen hat.

Die Problematik der Entscheidung liegt erneut bei der Frage des so. Alleinrennens i.S. von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, das Hauptproblem bei der Anwendung dieser Neuregelung. Man merkt an der Stelle deutlich, dass das Eingreifen des Rechtsausschusses im Gesetzgebungsverfahren besser unterblieben wäre.

Das LG hatte den Angeklagten wegen eines Alleinrennens verurteilt. Dagegen die Revision, die das KG nach § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen hat. Nun ja, so „offensichtlich“ kann es nicht gewesen sein, denn dann müsste man nicht noch einiges „anmerken“. Und zwar:

„Die Stellungnahme des Verteidigers vom 9. April 2019 lag vor, gab aber zu einer anderen Bewertung keinen Anlass. Insbesondere folgt der Senat nicht der darin vertretenen Auffassung, der Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB und namentlich das subjektive Merkmal der „höchstmöglichen Geschwindigkeit“ erfordere ein „volles Ausreizen“ eines Kraftfahrzeugs. Ein solches Erfordernis würde den Täter, der ein hochmotorisiertes Fahrzeug führt und sehr hohe Geschwindigkeiten erreicht, ohne an das Limit der technischen Leistungsfähigkeit zu gehen, unangemessen und sinnwidrig begünstigen. Das Gesetz stellt hier auf die „relativ höchstmöglich erzielbare Geschwindigkeit“ ab (vgl. BeckOK/Kulhanek, 41. Ed. 1.2.2019, StGB § 315d Rn. 42; MüKo/Pegel, StGB 3. Aufl., § 315d Rn. 26; vgl. auch BT-Drs. 18/12964, 5). Dies fasst insbes. die fahrzeugspezifische Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit (wobei diese nicht erreicht sein muss), das subjektive Geschwindigkeitsempfinden, die Verkehrslage und die Witterungsbedingungen zusammen (BT-Drs. 18/12964, 5). Auf diese Weise sollen der nachgestellte Renncharakter manifestiert, bloße Geschwindigkeitsüberschreitungen hingegen nicht von der Strafbarkeit umfasst werden, auch wenn sie erheblich sind (BT-Drs. 18/12964, 6). Gerade nicht erforderlich ist demnach, dass der Täter tatsächlich mit der fahrzeugspezifisch höchstmöglichen Geschwindigkeit gefahren ist (vgl. Schönke/Schröder/ Hecker, StGB 30. Aufl., § 315d Rn. 9).

Ergänzend merkt der Senat noch an:

Im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) ist eine zurückhaltende Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB angezeigt. Angesichts des außergewöhnlichen Tatgeschehens ist die Verwirklichung des objektiven („nicht angepasste Geschwindigkeit“) und subjektiven („um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“) Tatbestands der Vorschrift hier jedoch manifest. Denn nach den durch eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung getragenen Feststellungen – insoweit wird ausdrücklich auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Bezug genommen – wollte der Angeklagte, „um sich zu profilieren“ und seinen Beifahrern „zu imponieren“ (UA S. 8), einen mit 605 PS motorisierten Mietwagen „einmal austesten“ (UA S. 8) und raste hierzu über eine Strecke von zumindest 3,8 km durch das innerstädtische Berlin, wobei er eine Geschwindigkeit von „mindestens 150 km/h“ (UA S. 7) erreichte. Es galt durchgehend die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Durch aggressivruckartiges Lückenspringen zwang der Angeklagte andere Verkehrsteilnehmer immer wieder dazu abzubremsen. Diese und weitere im Urteil anschaulich geschilderte Feststellungen zeigen, dass die Tat über eine bloße Geschwindigkeitsüberschreitung hinausgeht (vgl. BT-Drs. 18/12964, 6). Sie tragen auch bei zurückhaltender Auslegung die Anwendung der neuen Strafvorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB.“