Archiv für den Monat: Juni 2019

Die Wirksamkeit von Zeittaktklauseln, oder: 15 Minuten hopp, 6 Minuten ggf. topp

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Urheber Ulfbastel

Und als zweite Gebührenentscheidung heute dann das OLG München, Urt. v. 05.06.2019 – 15 U 318/18 Rae.

Von dem rund 30 Seiten langen Urteil stelle ich aber nur die Leitsätze ein. Denn: M.E. wird das Urteil nicht rechtskräftig werden. Das OLG hat nämlich die Revision zugelassen. Wenn sie eingelgt wird, werden wir dann (endlich) eine Entscheidung der BGH zur Zulässigkeit von Zeittaktklausel – die Frage ist umstritten – erhalten.

Hier die Leitsätze der OLG-Entscheidung:

1. Die Vereinbarung einer pauschalen Mindestvergütung, die die gesetzlichen Gebühren um das Dreifache übersteigt, begegnet bereits als solche erheblichen Bedenken, da sie die gebotene Differenzierung nach der Höhe des Streitwerts wie auch nach der Komplexität des Mandats sowie Umfang und Schwierigkeit der zu erbringenden anwaltlichen Tätigkeit vermissen lässt.

2. Die Vereinbarung einer Zeittaktklausel von 15 Minuten in einer Vergütungsvereinbarung ist unwirksam ist. Die Grenze für eine zulässige Pauschalierung könnte bei 6 Minuten anzusetzen sein.

Kostenerstattung für mehrere Verteidiger?, oder: Im sog. „Göttinger Transplantantionsskandal“ ja

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Der Kollege S. Stern aus Göttingen hat mir den von ihm erstrittenen OLG Braunschweig, Beschl. v.  20.06.2019 – 1 Ws 292/18 – übersandt. Ergangen ist er im sog. „Göttinger Transplantationsskandal“, in dem der Kollege und ein weiterer Verteidiger verteidigt hatten. Gestritten worden ist nach dem Freispruch des ehemaligen Angeklagten dann (natürlich) um die Frage der Kostenerstattung und da vornehmlich um die Frage: Muss die Staatskasse dem ehemaligen Angeklagten die Kosten für zwei Verteidiger erstatten. Die Staatskasse meinet natürlich nein. Anders das OLG Braunschweig:

W1. Die erstinstanzlichen Kosten, die durch die Mitwirkung von Rechtsanwalt Dr. H. entstanden sind, sind neben den Kosten für die Beauftragung von Rechtsanwalt Prof. Dr. S. ersatzfähig. Zwar sind die Kosten mehrerer Anwälte nach dem Wortlaut des § 91 Abs. 2 S. 2 Var. 1 ZPO, der über § 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO zur Anwendung kommt, nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen. Die grundsätzlich verfassungskonforme (dazu: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.07.2004, 2 BvR 1436/04, juris, Rn. 5) Vorschrift ist im vorliegenden Sonderfall jedoch im Wege der Rechtsfortbildung teleologisch zu reduzieren. Eine solche telelogische Reduktion ist den Gerichten über die Grenze des Wortsinns hinaus gestattet (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23.05.2016, 1 BvR 2230/15, juris, Rn. 50), sofern sie ihre Gerechtigkeitsvorstellungen nicht an die Stelle jener des Gesetzgebers setzen, sondern sich stattdessen darauf beschränken, eine planwidrige Regelungslücke zu füllen. Zu der verfahrensgegenständlichen Vorschrift des § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO (seit 01.07.2014: § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO) hat das Bundesverfassungsgericht bereits in einem Beschluss vom 28.03.1984 darauf hingewiesen, dass eine großzügigere Handhabung gerade im Strafprozess, der im Gegensatz zum Zivilverfahren vom Offizialprinzip geprägt werde, in Betracht komme (BVerfG, 2 BvR 275/83, juris, Rn. 28). Die Regelung sei als „Grundsatzregel‘ zu verstehen, die Ausnahmen zulasse (BVerfG, a.a.O.).

Dass eine durch einen Erstattungsanspruch zu schließende Regelungslücke vorliegt, ist bei einem Freigesprochenen, bei dem zur Begründung der finanziellen Haftung nicht an die begangene Straftat angeknüpft werden kann, inzwischen anerkannt, wenn ihm zuvor ein Sicherungsverteidiger beigeordnet wurde (OLG Gelle, Beschluss vom 10.09.2018, 1 Ws 71/18, juris, Rn. 19, 17 m.w.N.; KG, Beschluss vom 02.05.1994, 4 Ws 1-2/94 = NStZ 1994, S. 451). Eine vergleichbare Regelungslücke liegt aber ebenso bei einem Freigesprochenen, der zwei Wahlverteidiger beauftragt hat, vor, wenn seine Verteidigung im Hinblick auf Umfang, Schwierigkeit und Komplexität durch nur einen Wahlverteidiger nicht möglich war. Dass eine solche Sonderkonstellation im vorliegenden Fall, der als „Göttinger Transplantationsskandal“ auch in den Medien ein breites Echo gefunden hat, hinsichtlich der erstinstanzlichen Kosten ausnahmsweise gegeben war, folgt aus der Stellungnahme des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Celle Pp. vom 08.04.2019, der damals den Vorsitz der Schwurgerichtskammer des Landgericht Göttingen geführt hat. Er hat ausgeführt, dass die Verteidigung im Hinblick auf Umfang, Schwierigkeit und Komplexität des Verfahrens schlechterdings nur durch das arbeitsteilige Zusammenwirken von zwei Wahlverteidigern zu bewältigen war. Die besonderen Anforderungen in tatsächlicher Hinsicht seien zunächst darin begründet gewesen, dass die Kammer schon unmittelbar nach Eingang der Anklage, als das Verfahren bereits 33 Umzugskartons gefüllt habe, umfänglich Beweis erhoben hätte, etwa durch diverse Anfragen bei Eurotransplant zu den Transplantationslisten und zu möglichen Auswirkungen der Manipulationen, die dem Freigesprochenen zur Last gelegt wurden. Zudem habe die Kammer mit Prof. Dr. Bechstein einen weiteren Sachverständigen hinzugezogen, um sowohl die sogenannten Manipulationsfälle als auch die Indikationsfälle zu begutachten. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den von Prof. Dr. Bechstein sukzessive vorgelegten Gutachten habe eine wiederholte Aufarbeitung der Patientenakten, die ihrerseits teilweise den Umfang mehrerer Umzugskartons eingenommen hätten, erfordert. Außerdem habe das Gutachten des vom Gericht bestellten Sachverständigen mit dem Gutachten des Sachverständigen abgeglichen werden müssen, der im Ermittlungsverfahren herangezogen worden sei. Wenn der Freigesprochene lediglich einen Wahlverteidiger mandatiert hätte, hätte er— so der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Pp. — „definitiv“ für das gesamte Ver-fahren einen zweiten Verteidiger als Sicherungsverteidiger bestellt.

Der Höhe nach orientiert sich der Erstattungsanspruch des Freigesprochenen im Gegensatz zu der Entscheidung des Kammergerichts vom 02.05.1994 (KG, Beschluss vom 02.05.1994, 4 Ws 1-2/94 = NStZ 1994, S. 451) nicht an den hypothetischen Kosten eines Pflichtverteidigers (die das Kammergericht dann über § 51 RVG erhöht hat), sondern unmittelbar an den Wahlverteidigergebühren. Dies folgt wiederum aus dem Grundsatz, dass bei einem Freigesprochenen nicht an die strafrechtliche Verurteilung angeknüpft werden kann, wie das Oberlandesgericht Celle wegen der Regelung des § 52 Abs.1 S. 1 RVG zutreffend nach Freispruch für die Kosten des Sicherungsverteidigers entschieden hat (OLG Celle, Beschluss vom 10.09,2018, 1 Ws 71/18, juris, Rn. 19). In gleicher Weise müssen aber die Kosten des — wie hier — zur Verteidigung unerlässlichen zweiten Wahlverteidigers von der Landeskasse ersetzt werden, weil dieser ohnehin die Wahlverteidigergebühren vom Freigesprochenen fordern kann.

Es sind ferner auch die Mehrkosten zu ersetzen, die dadurch entstanden sind, dass Dr. H. seinen Kanzleisitz in Hannover hatte. Zwar sind die jeweiligen Reisekosten und das jeweilige Abwesenheitsgeld eines Rechtsanwalts, dessen Kanzlei sich nicht im Bezirk des Prozessgerichts befindet und der dort auch nicht wohnt, nach § 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO i. V. m. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO nur zu erstatten, wenn das zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig ist. Das war hier allerdings der Fall. So legt die Rechtsprechung bei besonders schwerwiegenden Vorwürfen, insbesondere in Schwurgerichtssachen, einen großzügigeren Maßstab an (OLG Celle, Beschluss vom 28.10.1991, 3 Ws 226/91). Ebenso kommt dem Gesichtspunkt des Vertrauensverhältnisses zu dem Verteidiger nach der Rechtsprechung besonderes Gewicht zu, wenn der Tatvorwurf massiv in die berufliche und wirtschaftliche Existenz des Angeklagten eingreift (OLG Braunschweig, Beschluss vom 17.09.2013, 1 Ws 255/13 [unveröffentlicht]; OLG Naumburg, StraFo 2009, S. 128). Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt und es kommt noch hinzu, dass sich die Mehrkosten durch die Beauftragung von Rechtsanwalt Dr. H., der den Freigesprochenen zuvor sowohl gegenüber dem Arbeitgeber als auch im berufsrechtlichen Verfahren vertreten hatte, angesichts der Entfernung von Hannover nach Göttingen nur maßvoll erhöht haben.

2. Eine Erstattung der Auslagen von zwei Wahlverteidigern kommt indes in Bezug auf die im Revisionsverfahren entstandenen Auslagen nicht in Betracht, so dass es insoweit bei den vom Landgericht festgesetzten Kosten verbleibt. Eine Erstattung scheidet deshalb zunächst in Bezug auf die Terminsgebühr für die Revisionshauptverhandlung in Höhe von 560,- € (Nr. 4132 des Vergütungsverzeichnisses), die Fahrtkosten nach Leipzig in Höhe von 157,20 € (Nr. 7003 des Vergütungsverzeichnisses), das Abwesenheitsgeld in Höhe von 150,- € (Nr. 7005 des Vergütungsverzeichnisses) sowie die darauf entfallende Umsatzsteuer in Höhe von 164,77 €. Diese Auslagen (insgesamt: 1.031,97 €) des Rechtsanwalts Dr. H. sind neben jenen des Rechtsanwalts Prof. Dr. S. nicht zu ersetzen, weil der Prüfungsumfang des Revisionsgerichts durch die von der Staatsanwaltschaft nur erhobene Sachrüge in diesem Zeitpunkt feststand (§§ 344, 352 StPO). Ein auf das Revisionsrecht spezialisierter Wahlverteidiger — wie hier Prof. Dr. S. — konnte sich auf die Verhandlung allein vorbereiten, weil klar war, dass die Urteilsgründe lediglich in sachlich rechtlicher Sicht geprüft werden. Im Gegensatz zur Auffassung des Beschwerdeführers war nicht damit zu rechnen, dass der Bundes-gerichtshof unerwartete Fragen zu Details aus Patientenakten, die nicht Prüfungsgegenstand waren, stellen würde.

Dass die Urteilsgründe mit 1.232 Seiten äußerst umfangreich waren und die Revisionserwiderung, die auf den gemeinsamen Überlegungen und Anstrengungen beider Verteidiger beruht hat, im „Tandem“ möglicherweise leichter zu fertigen war, ändert an dieser Bewertung nichts. Maßgeblich ist allein, dass ein Verteidiger den Stoff des Revisionsverfahrens, mag er auch umfangreich sein, allein hätte bewältigen können. Das ist hier der Fall, weil es darum ging, die Urteilsgründe gegenüber der Revisionsbegrün-dung der Staatsanwaltschaft, die keine Verfahrensrüge erhoben hatte, zu verteidigen. Eines Rückgriffs auf die umfangreichen Akten bedurfte es insoweit nicht. Würde der Senat hier anders entscheiden, würde er nicht lediglich im Wege der teleologischen Reduktion eine planwidrige Regelungslücke schließen, sondern sich über die klare Regelung des § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO hinwegsetzen.

Kein anderes Ergebnis ergibt sich für die Verfahrensgebühr in Höhe von 1.110,- € (Nr. 4130 des Vergütungsverzeichnisses). Zwar entsteht die Verfahrensgebühr nebst Aus-lagenpauschale in Höhe von 20,- (Nr. 7002 des Vergütungsverzeichnisses) sowie Umsatzsteuer in Höhe von 214,70 (insgesamt also 1.344,70 €) bereits mit der ersten Tätigkeit des Verteidigers im Revisionsverfahren (Burhoff in Burhoff/Volpert, RVG, VV 4130, Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., Rn.14), so dass sie bei der Einlegung einer staatsanwaltlichen Revision nicht von der Kenntnis der Revisionsanträge oder deren Begründung abhängt. Es gab in diesem frühen Verfahrensstadium, in dem der Freigesprochene lediglich über die Konsequenzen der Revisionseinlegung zu beraten war, aber keinen Anlass für die Mitwirkung von zwei Verteidigern.

Dass sich die Beiordnung eines Pflichtverteidigers auf das Revisionsverfahren erstreckt hätte, mag zutreffen, führt aber nicht zur Ersatzfähigkeit der Auslagen für zwei Wahlverteidiger. Denn diese waren nicht notwendig. Dem Freigesprochenen war gerade kein Pflichtverteidiger beigeordnet und er hätte die Verteidigung nach dem erstinstanzlichen Freispruch jederzeit durch Kündigung des zweiten Mandats auf einen Wahlverteidiger beschränken können. Er hätte dann zunächst abwarten können, ob das Revisionsverfahren (beispielsweise durch eine äußerst umfangreiche Revisions-begründung der Staatsanwaltschaft mit einer Vielzahl von Verfahrensrügen) wiederum nur durch zwei Wahlverteidiger zu bewältigen war.“

M.E. zutreffend. Über die Kosten der Revision kann man streiten. Und: Der Kollege wird bei der weiteren Abrechnung Vorbem. 4 Abs. 5 VV RVG i.V.m. Nr. 3500 VV RVG nicht übersehen 🙂 .

Strafzumessung III: Straferhöhung, oder: Das bloße Dulden einer falschen Zeugenaussage

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Und zum Schluss dann doch noch eine „klassische“ Strafzumessungsentscheidung, nämlich der BGH, Beschl. v. 21.05.2019 – 5 StR 231/19. Das LG hat den Angeklagten wegen schweren räuberischen Diebstahls schuldig gesprochen. Der BGH beanstandet die Strafzumessung:

„Die Einsatzstrafe hat keinen Bestand. Denn bei ihrer Bemessung hat das Landgericht zu Lasten des Angeklagten gewertet, dieser sei in der Hauptverhandlung nicht eingeschritten, „als der ihm persönlich verbundene Zeuge M.   sich allein belastete, die Anwesenheit des Angeklagten in der Wohnung bestritt und sich so der Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung wegen eines Aussagedelikts aussetzte“. Es hat nicht festgestellt, dass der Angeklagte den Zeugen zu den Angaben verleitet oder ihn in Kenntnis seiner Bereitschaft hierzu als Zeugen benannt hat. Daher besorgt der Senat, dass das Landgericht das bloße Dulden einer falschen Zeugenaussage zum Nachteil des Angeklagten gewichtet hat. Ein solches Prozessverhalten straferhöhend heranzuziehen, wäre nur dann zulässig, wenn es Ausdruck von Rechtsfeindlichkeit und Uneinsichtigkeit wäre (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 1993 – 3 StR 491/92, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 20; siehe auch Urteil vom 20. März 2013 – 5 StR 344/12, NJW 2013, 1460, 1462; Beschlüsse vom 4. August 1992 – 1 StR 431/92, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 12; vom 26. April 1994 – 1 StR 820/93, StV 1995, 297). Auch dies ist nicht festgestellt.
Der Senat kann nicht völlig ausschließen, dass sich der Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat (§ 337 StPO). Er hebt daher den Strafausspruch insgesamt auf. Da es sich lediglich um einen Wertungsfehler handelt, können die getroffenen Feststellungen bestehen bleiben. Der Senat weist darauf hin, dass hiervon die Einziehungsentscheidung nicht erfasst ist und bei der neuerlichen Gesamtstrafenbildung vom zum Zeitpunkt des angegriffenen Urteils bestehenden Vollstreckungsstand auszugehen sein wird.“

Strafzumessung II: Fahrverbot nach § 44 StGB, oder: Kurzfristige Freiheitsstrafe

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.05.2019 – 4 Rv 28 Ss 175/19, der ganz gut zum gestern vorgestellten AG Dortmund, Urt. v. 03.05.2019 – 767 Ls-800 Js 1003/18 -15/19 – passt. In der OLG-Entscheidung geht es nämlich auch noch einmal um das (neue) fahrverbot nach § 44 StGB. Es geht um das Zusammenspiel von § 47 StGB – also kurzfristige Freiheitsstrafe – und § 44 StGB. Dazu möchte das OLG etwas lesen:

„Zu beachten ist aber, dass nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 47 StGB die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise unter besonderen Umständen in Betracht kommen soll (BGH, Urteil vom 3. Juni 1971 – 1 StR 189/71, juris Rn. 5; BGH, Urteil vom 8. Mai 1996 – 3 StR 133/96, juris Rn. 3; Fischer StGB, 66. Aufl., § 47 Rn.2 und 5). Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat danach regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (BGH, Beschluss vom 3. März 1994 – 4 StR 75/94, juris Rn. 3 und BGH, Urteil vom 8. Mai 1996 – 3 StR 133/96, juris Rn. 3; Fischer, aaO, § 47 Rn. 5). Den daraus unter dem Gesichtspunkt der sachlich-rechtlichen Nachprüfbarkeit folgenden Begründungsanforderungen (vgl. KK-StPO/Kuckein/Bartel, aaO, § 267 Rn. 25, 32) wird das angefochtene Urteil nicht gerecht, da ein bestimmender Gesichtspunkt zur Frage der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen nicht erörtert wird und sich die Strafzumessung insofern als lückenhaft erweist.

b) Denn das Landgericht setzt sich in den schriftlichen Urteilsgründen nicht mit der Frage auseinander, ob ein – zusätzlich zu einer Geldstrafe – angeordnetes Fahrverbot im vorliegenden Fall die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafen von fünf bzw. zwei Monaten entbehrlich machen kann. Dies lässt besorgen, dass die Bestimmung des 44 StGB in der seit dem 24. August 2017 – und somit zur Tatzeit bereits gültigen – Fassung nicht berücksichtigt wurde, die es nunmehr ermöglicht, ein Fahrverbot als Nebenstrafe über den Bereich der Verkehrsdelikte hinaus bei allen Straftaten anzuordnen. Dabei soll die Anordnung des Fahrverbots bei Delikten ohne Verkehrsbezug, die also nicht bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurden, nach § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB „namentlich“ dann in Betracht kommen, wenn sie zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung erforderlich erscheint oder hierdurch die Verhängung oder Vollstreckung einer Freiheitsstrafe verhindert werden kann. In dieser Aufzählung kommt – neben dem Ziel, auf mit der Geldstrafe nicht hinreichend zu beeindruckende, etwa besonders vermögende Täter besser einwirken zu können – insbesondere auch der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, durch die Neufassung des § 44 StGB und die dadurch bewirkte Erweiterung des Strafensystems für den Bereich der kleineren bis mittleren Kriminalität die Anordnung und Vollstreckung von Freiheitsstrafen in bestimmten Fällen zu vermeiden (vgl. hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 18/11272, S. 14, 16 f.; zu den verfolgten Zielen auch Schöch in NStZ 2018, 15 (16 ff.); zur Kritik an der Neufassung des § 44 StGB Fischer, aaO, § 44 Rn. 7, 17ff. mwN; Schönke/Schröder/Kinzig StGB, 30. Aufl., § 44 Rn. 1b mwN). Diese vom Gesetzgeber verfolgten Ziele wurden durch die Einfügung des § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB betont, die auf die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses erfolgte, um den Gerichten „Leitlinien“ für die Entscheidung an die Hand zu geben und die Fallkonstellationen hervorzuheben, bei denen die zusätzliche Verhängung des Fahrverbots im Falle allgemeiner Straftaten vornehmlich in Betracht kommt (vgl. Begründung der Beschlussempfehlung, BT-Drucks. 18/12785, S. 43).

Diese Ausweitung des Anwendungsbereichs der Nebenstrafe eines Fahrverbots auf allgemeine Straftaten und die mit dieser Ergänzung des Strafensystems verfolgten Ziele begründen zwar, wie auch § 267 Abs. 3 StPO deutlich macht, keine generelle Erörterungspflicht in Urteilen. Dementsprechend bedarf es einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Anordnung eines Fahrverbots zu erfolgen hat, insbesondere dann nicht, wenn die Straftat nicht bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde, keine auf ein Fahrverbot gerichteten Anträge gestellt wurden und klar auf der Hand liegt, dass die Anordnung des Fahrverbots unter keinem der in § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Gesichtspunkte in Betracht kommt und auch sonst keine besonderen Umstände zu ihrer Anwendung drängen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. März 2019 – 2 RVs 15/19, juris Rn. 9 ff.).

Anders ist dies allerdings zu beurteilen, sofern die Umstände des Falles die Anordnung eines Fahrverbots naheliegend erscheinen lassen (OLG Düsseldorf, aaO, juris Rn. 13), weil etwa eine Fallkonstellation nach § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB erörterungsbedürftig erscheint. In solchen Fällen kann die Nichtbehandlung der Frage, ob ein Fahrverbot anzuordnen ist oder dies zu unterbleiben hat, einen sachlich-rechtlichen Mangel begründen, der auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils führt.

So verhält es sich hier. Dem Urteil liegt eine Konstellation zugrunde, für die der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 44 Abs. 1 StGB dem Gericht die Prüfung ermöglichen wollte, ob durch die Kombination einer Geldstrafe mit einem Fahrverbot die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe vermieden werden kann. Angesichts der insofern eröffneten Ermessensentscheidung und den hierzu in § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB formulierten „Leitlinien“ für typische Anwendungsfälle des Fahrverbots bei Nichtverkehrsstraftaten (vgl. BT-Drucks. 18/12785, S. 43), handelt es sich vorliegend um einen bestimmenden Aspekt der Strafzumessung, der nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in den Urteilsgründen zu behandeln ist. Die Erörterung ist zwingend geboten, weil die verfahrensgegenständlichen Delikte dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind, der Angeklagte ausweislich der Urteilsfeststellungen über eine Fahrerlaubnis verfügt und die im Rahmen des § 47 StGB angestellten Erwägungen – zumal das Amtsgericht in der erstinstanzlichen Entscheidung schon die Verhängung einer Gesamtgeldstrafe für ausreichend erachtet hatte – jedenfalls nicht derart eindeutig für die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen sprechen, dass diese nicht möglicherweise doch durch die zusätzliche Sanktionierung mit einem Fahrverbot vermieden werden könnten. Dabei ist auch zu sehen, dass der Angeklagte zwar schon mehrfach strafrechtlich und darunter auch wiederholt wegen Körperverletzungs- und Aggressionsdelikten in Erscheinung getreten ist. Auf diese Taten wurde aber – neben Verfahrenseinstellungen nach den §§ 45, 47 JGG – durch Urteile vom 21. Mai 2012 und 25. September 2013 noch mit jugendstrafrechtlichen Mitteln der richterlichen Weisungen sowie Arbeits- und Geldauflagen reagiert. Erst durch einen Strafbefehl des Amtsgerichts Rottenburg vom 19. April 2017 erfolgte dann eine Sanktionierung nach Erwachsenenstrafrecht, wobei wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung und mit versuchter vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung eine Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen à 10 Euro gegen ihn verhängt wurde. Der Angeklagte wurde bislang noch nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und auch ein Fahrverbot wurde gegen ihn offenbar noch nicht verhängt. Zudem zeigte sich der Angeklagte ausweislich der Feststellungen, die im angegriffenen Berufungsurteil getroffen wurden, geständig und einsichtig im Hinblick auf seinen problematischen Suchtmittelkonsum und seine Neigung zu aggressivem Verhalten, zumal er sich diesbezüglich um die Erlangung fachlicher Hilfe bemüht hatte.“

Den erwähnten OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.03.2019 – 2 RVs 15/19 – hatte ich hier übrigens auch vorgestellt – siehe Fahrverbot I: Neues Fahrverbot nach § 44 StGB im Altfall, oder: Milderes Gesetz?

Strafzumessung I: Einziehung eines Pkw, oder: Das hat Auswirkungen auf die Strafe

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Am heutigen Donnerstag dann drei Strafzumessungsentscheidungen, allerdings nicht unbedingt die klassischen Entscheidungen, sondern erher Nebenaspekte.

Und da weise ich dann zunächst noch einmal auf den BGH, Beschl. v. 27.03.2019 – 4 StR 360/18 – hin. Über den hatte ich ja gestern bereits wegen der Anforderungen an die Begründung der Fahrerlaubnissperre berichtet. Heute hier dann noch einmal, und zwar wegen der Ausführungen des BGH in Zusammenhang mit der Einziehung eines Pkw und der deren Auswirkung auf die Strafzumessung.

a) Zunächst hat das Landgericht bei der Strafzumessung rechtsfehlerhaft die nach § 74 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 StGB erfolgte Einziehung des Pkw des Angeklagten außer Betracht gelassen. Eine Maßnahme nach dieser Vorschrift hat den Charakter einer Nebenstrafe und stellt damit eine Strafzumessungsentscheidung dar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2018 – 3 StR 8/18, NStZ 2018, 526; vom 17. August 2016 – 2 StR 123/16, BGHR StGB § 74 Rechtsfolge 1; vom 12. März 2013 – 2 StR 43/13, StV 2013, 565). Wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert – was hier mit Blick auf den Anschaffungspreis für das Fahrzeug im Februar 2017 von 7.800 Euro der Fall ist – entzogen, so ist dies ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege einer Gesamtbetrachtung der den Täter treffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 2014 – 3 StR 137/14, StV 2015, 633; vom 16. Februar 2012 – 3 StR 470/11, NStZ-RR 2012, 169). Dies hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht.“