Archiv für den Monat: Januar 2019

Strafvollzug II: Sehbehinderter Strafgefangener, oder: Nutzung eines Lese-/Schreibcomputers

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Die zweite Entscheidung mit vollzugsrechtlicher Problematik kommt vom OLG Celle. Es handelt sich um den OLG Celle, Beschl. v. 07.01.2019 – 3 Ws 321/18 (StrVollz). In der Sache geht es um den Zugang eines Strafgefangenen, der eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt zu einem Lese-und Schreibcomputer. Den benötigt der Strafgefangenen infolge seiner erheblichen Einschränkung der Sehfähigkeit – ihm wurde insoweit eine Schwerbehinderung von 100 % zuerkannt. Vor seiner Verlegung auf die Sozialtherapeutischen Abteilung der JVA, in der sich der Gefangene derzeit befindet, war ihm in einer  JVA während der Zeiten des Aufschlusses mit Ausnahme einer einstündigen Mittagspause grundsätzlich unbeschränkt der Zugang zu einem in einem gesonderten Haftraum befindlichen Lese- und Schreibcomputer gewährt worden, ohne welchen der Antragsteller nicht in der Lage ist, zu lesen oder Schriftstücke zu fertigen. Der Antragsteller nutzte diesen für eine ausgesprochen umfangreiche Korrespondenz sowie zum Fertigen zahlreicher Anträge auf ge-richtliche Entscheidung sowie sonstiger Eingaben.

Nach Verlegung in die neue Justizvollzugsanstalt wurde ihm dort der Zugang zu dem ebenfalls in einem gesonderten Haftraum befindlichen Lese- und Schreibcomputer zunächst ohne nähere Begründung in der Zeit von montags bis donnerstags von 16:30 bis 19:30 Uhr sowie freitags und an Wochenenden von 8:00 bis 11:00 Uhr gewährt. Auf seinen hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit dem Ziel einer wie bislang während der Aufschlusszeiten uneingeschränkten Nutzung hat die JVA ab dem 12.09.2018 den Zugang zu dem Lese- und Schreibraum täglich in der Zeit von 12:00 bis 18:00 Uhr gewährt und erklärt, sie betrachte den Rechtsstreit hiernach für erledigt.

In der Sache selbst wurde ausgeführt, das Nutzen des Lese- und Schreibcomputers in dem dem Antragsteller bislang gewährten Umfang stehe dem therapeutischen Konzept der integrativen Sozialtherapie in der sozialtherapeutischen Anstalt entgegen, in dessen Rahmen der Antragsteller, bei dem eine dissoziale und narzisstische Persönlichkeitsstörung sowie Merkmale einer Psychopathie festgestellt worden seien, sich neben Gruppen- und Einzelgesprächssitzungen im täglichen Kontakt mit anderen Therapieteilnehmern und dem Stationsdienst mit seiner Person auseinandersetzen müsse, um überhaupt erst einen Zugang zu seinen Persönlichkeitsstörungen erreichen zu können. Die voll-ständige Ablenkung des Antragstellers durch seine private Korrespondenz mit Zugangszeiten von 60 Stunden zum Lese- und Schreibraum lasse für die therapeutische Intervention und Auseinandersetzung mit seinen Persönlichkeitsstörungen keinen ausreichenden Raum mehr.

Das OLG sagt in seinem (umfangreich begründeten) Beschluss:

„Der Zugang zu einem erforderlichen Lese-und Schreibcomputer kann für einen Strafgefangenen mit Sehbehinderung nicht mit einem dem entgegenstehenden therapeutischen Konzept in der Sozialtherapie eingeschränkt werden.

Dies gilt umso mehr, wenn die Nutzung in einer vorherigen Vollzugsanstalt grundsätzlich uneingeschränkt möglich war.W

Strafvollzug I: Akten im Haftraum, oder Wie viele Akten sind erlaubt?

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Die 5. KW. eröffne ich heute mit zwei Entscheidungen zum Strafvollzug. Zunächst stelle ich den OLG Hamm, Beschl. v. 18.09.2018 – 1 Vollz (Ws) 406/18 – vor. Es geht um die Frage, wie viele (Verfahrens)Akten ein Strafgefangener im Haftraum verwahren kann/darf.

Der Betroffene verbüßt eine Freiheitsstrafe in der JVA Remscheid. Er hatte bei der JVA die Herausgabe von fünf Verfahrensakten zur Verwahrung in seinem Haftraum bantragt, was unter Bezugnahme auf eine Dienstanweisung aus dem Jahr 2012, nach der jeder Gefangene höchstens drei Aktenordner im Haftraum verwahren darf, hinsichtlich zweier Ordner abgelehnt wurde. JVA und StVK haben den Antrag zurückgewiesen. Dagegen die Rechtsbeschwerde.

Das OLG Hamm hat die zugelassen und den Beschluss der StVK aufgehoben. Es moniert eine nicht ausreichende Begründung der Entscheidung der StVK:

„…. Um eine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, müssen die von Amts wegen zu ermittelnden (§ 120 Abs. 1 StVollzG i.V.m § 244 Abs. 2 StPO) entscheidungserheblichen Tatsachen und die tragenden rechtlichen Erwägungen wiedergegeben werden. § 115 Abs. 1 S. 2 StVollzG bestimmt deshalb, dass der Sach- und Streitstand im Beschluss jedenfalls seinem wesentlichen Inhalt nach in gedrängter Form darzustellen ist.

Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Beschluss nicht. Denn ohne jegliche (wenn auch gestraffte) Feststellungen bzw. Ausführungen zu Zuschnitt und Ausstattung des Haftraumes des Betroffenen vermag der Senat nicht zu überprüfen, ob die Strafvollstreckungskammer § 15 Abs. 2 StVollzG zutreffend angewandt hat. Nach dieser Vorschrift dürfen Gefangene ihren Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten. In Gewahrsam haben dürfen sie nur, was ihnen von der Anstalt oder mit deren Erlaubnis überlassen worden ist, aber keine Gegenstände, welche die Übersichtlichkeit des Haftraums behindern, eine unverhältnismäßige Überprüfung erfordern oder sonst die Sicherheit und Ordnung der Anstalt oder die Erreichung des Vollzugsziels gefährden können. Bei den Tatbestandsmerkmalen „angemessener      Umfang“, „Behinderung der Übersichtlichkeit“, „unverhältnismäßige Überprüfung“ u.s.w. handelt es sich jeweils um unbestimmte Rechtsbegriffe, deren richtige Anwendung gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. OLG Hamm NStZ 1990, 151; Arloth, a.a.O., § 15 StVollzG NRW, Rn. 2 i.V.m. § 19 StVollzG, Rn. 10 m.w.N.).

Die Strafvollstreckungskammer ist der Auffassung, die Beschränkung des Besitzes von Verfahrensakten auf drei Ordner sei — auch im konkreten Fall des Betroffenen — zur Wahrung der Übersichtlichkeit des Haftraums gerechtfertigt. Sie trifft aber weder Feststellungen zu Größe, Zuschnitt und Ausstattung dieses Haftraums noch zu Art und Anzahl sonstiger Gegenstände im Gewahrsam des Betroffenen, so dass für den Senat nicht erkennbar ist, inwiefern die Bewertung, der Besitz zweier weiterer Ordner behindere die Übersichtlichkeit des Haftraums tatsächlich soweit, dass er dem Betroffenen versagt werden müsste, gerechtfertigt erscheint. Allein die Existenz der in Bezug genommenen „Dienstanweisung“ rechtfertigt die vorgenommene Beschränkung nicht, zumal auch bei Vorliegen einer abstrakt generellen — als solcher nicht anfechtbaren (vgl. OLG Hamm NStZ 1985, 354; Arloth/Krä, § 109 StVollzG Rn. 10) Regelung — die Vollzugsbehörde grundsätzlich gleichwohl zu einer individuellen Ermessensentscheidung über eine beantragte Abweichung von der Regel im Einzelfall (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06. April 2016 — 2 Ws 68/16 —, juris) verpflichtet bleibt. Hierzu fehlt es ebenfalls an Feststellungen. Soweit die Strafvollstreckungskammer ausführt, „Gründe, welche ein Absehen von der Verwaltungsvorschrift in dem konkreten Fall erfordern würden“, seien „nicht dargelegt“, ist vielmehr zu besorgen, dass sie in unzulässiger Weise ihr eigenes Ermessen anstelle desjenigen der Vollzugsbehörde gesetzt hat……“

Für die neue Entscheidung gibt es dann auch noch einen Hinweis:

„Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin. dass in der obergerichtlichen Rechtsprechung der Besitz von zwanzig Büchern und fünf Leitzordnern als zulässig angesehen wurde (OLG Koblenz, NStZ 1981, 214 F), im Falle eines laufenden Strafverfahrens sogar der Besitz von neun Stehordnern mit Kopien der Verfahrensakten (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.04.2002 – 3 Ws 10/02 -, juris).“

Sonntagswitz: Wegen des „Tags der Komplimente“ Witze zu Komplimenten

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Am vergangenen Donnerstag war der „Tag der Komplimente“ 2019 (dazu hier). Man ist schon ein wenig irritiert, wenn man es liest und fragt sich, was das soll – zumindest ich frage mich das. Aber egal, ist ja kein Weltuntergang 🙂 und: Für mich hier die Steilvorlage zu Witzen zu/über Komplimente(n).

Da wären dann:

Der Chef zur Sekretärin: „Sie sind eine schöne Frau.“
„Leider kann ich Ihnen dieses Kompliment nicht zurückgeben“, meint diese darauf.
Der Chef: „Machen Sie’s doch einfach wie ich: Lügen Sie.“


„Schatz?“
„Ja?“
„Ich fühle mich so hässlich, so fett und so faltig. Ich brauche ein Kompliment.“
„Du hast eine gute Beobachtungsgabe.“

Eine Frau sagt zu ihrem Mann: „Früher warst du glücklich, wenn du mich bloß ein paar Stunden am Tag sehen konntest.“
Er: „Daran hat sich nichts geändert!“

Der Ehemann liest Zeitung, plötzlich sagt er melancholisch: „Die größten Esel heiraten die schönsten Frauen!“
Seine Gattin lächelt: „Oh, du Schmeichler!“

Wochenspiegel für die 4. KW., das war Recht auf einen Anwalt, Zeugengrill, Königreich Bayern und Vorsatz im Tunnel

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Und hier kommt der Wochenspiegel für die 4. KW – der Januar ist schon fast rum. In diesem Wochenrückblick berichte ich über bzw. weise ich hin auf:

  1. EGMR betont Recht auf einen Anwalt – nicht nur in Italien,

  2. Berliner Datenschutzbehörde prüft Facebook-Fanpages,

  3. BGH: Kompensationsverbot im Umsatzsteuerstrafrecht ,

  4. Fristen? Gelten nicht für die Telekom,

  5. OLG Jena: Vorsatz naheliegend bei deutlicher Überschreitung der Geschwindigkeit innerhalb der Tunnelkette auf der A 71,

  6. OLG Schleswig-Holstein: Gesamtpreis einer Kreuzfahrt muss obligatorische Trinkgelder enthalten und diese müssen angegeben werden,
  7. „Königreich Bayern“: Vermeintlicher Reichsbürger-Arzt erhält Waffenschein zurück,

  8. Der Zeugengrill: Högschd unangenehm,
  9. Und jährlich grüßt das Murmeltier – Der Fischer in 66. Auflage erschienen,

  10. und aus meinem Blog – passt ganz gut zur Ziffer 1 – dann: Bundesländer zur Erweiterung der Pflichtverteidigung: So nicht, oder: Der Verteidiger als Feigenblatt?,

Abbieger versus Überholer, oder: Quote?

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Die zweite Entscheidung kommt heute vom LG Wuppertal, und zwar ist es das (ebenfalls) schon etwas ältere LG Wuppertal, Urt. v. 05.07.2018 – 5 O 124/15. Auch hier liegt eine häufigere Verkehrssituattion zugrunde. Geltend gemacht werden von der Klägerin nämlich Schadensersatzansprüche aus einem Abbiegeunfall, bei dem das (Leasing)Fahrzeug der Klägering mit dem überholenden Pkw des Beklagten kollidiert ist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erfolgte die Kollision, als das klägerische Fahrzeug bereits vor dem Abbiegevorgang längere Zeit zur Mittellinie hin eingeordnet mit links gesetzten Blinker gestanden hat und dann in den Abbiegevorgang gesteuert wurde. Das Abbiegen selber wurde in einen Zufahrtsweg vorgenommen, der von dem fließenden Verkehr baulich abgetrennt gewesen ist und später zu verschiedenen Grundstücken geführt hat, ohne dass der abbiegende Bereich bereits selber von einem Grundstück erfasst worden wäre.

Gestritten worden ist ua. über die zu bildende Haftungsquote und auch über die Höhe der Ersatzansprüche, letzteres lasse ich hier aber mal außen vor. Das LG Wuppertal hat der Klage lediglich in Höhe von 40 % stattgegeben. Zu Lasten der Beklagtenseite wäre ein Überholen in einer unklaren Verkehrslage nach dem Maßstab des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO anzunehmen, da aufgrund der Einordnung des klägerischen Fahrzeuges zur Fahrbahnmitte hin bei einem links gesetzten Blinker ein Überholvorgang nicht hätte stattfinden dürfen. Gegen die Klägerseite würde dagegen der Beweis des ersten Anscheins im Hinblick auf einen schuldhaften Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO sprechen. Darüber hinaus wäre nach Auffassung auch ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO wegen des Abbiegens vom fließenden in den ruhenden Verkehr anzunehmen, bei dem die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer hätte ausgeschlossen werden müssen. Maßgeblich dafür sei der vorzugswürdige funktionale Begriff eines „Grundstücks“ im Sinne dieser Vorschrift, wonach – unabhängig von einer Zuordnung zu einem einzelnen Grundstück – insgesamt der Bereich des ruhenden Verkehrs mit dem Ziel des Abbiegemanövers erreicht werden solle.

Die Kernaussagen/Leitsätze der Entscheidungen:

  • Gegen den abbiegenden Fahrzeugführer spricht der Beweis des ersten Anscheins wegen eines Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO, wenn im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang die Kollision mit einem überholenden Fahrzeug geschieht.
  • Biegt er vom fließenden in einen Bereich des ruhenden Verkehrs ab, der erkennbar nicht dem fließenden Verkehr zuzuordnen ist, spricht der Anscheinsbeweis auch für einen Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO – dies unabhängig davon, ob tatsächlich in ein Grundstück oder einen anderen Bereich des ruhenden Verkehrs abgebogen wird.
  • Aufgrund des Verstoßens gegen § 9 Abs. 5 StVO trifft den abbiegenden Fahrzeugführer wegen der damit verbundenen höheren Betriebsgefahr eine Mithaftung in Höhe von 60 % gegenüber dem Überhohler, der bei dem Überholen in einer unklaren Verkehrslage bei einem gut erkennbar eingeleiteten Abbiegevorgang eines zuvor gestoppten Fahrzeuges zu 40 % mithaftet.