Archiv für den Monat: November 2018

StGB III: die Polizeibeamten sind „dumm“, „unfähig“, „schikanös“, „machtversessen“ und „niveaulos“, oder: Beleidigung?

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Und zum Abschluss des StGB-Tages dann noch der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 27.09.2018 – 1 OLG 2 Ss 31/18. Es geht mal wieder um Beleidigung von Polizeibeamten in Zusammenhang mit den Feststellungen zu einem potentiellen Verkehrsvergehen durch den beschuldigten Verkehrsteilnehmer. Die Entscheidung passt ganz gut zur sog. „Flitezpiepen-Entscheidung“ des OLG Karlsruhe (siehe dazu OLG Karlsruhe, Beschl. v.  22.05.2018 – 2 Rv 4 Ss 193/18 – und …„die zwei Flitzpiepen vor Ort“, oder: Ist das eine Beleidigung von Polizeibeamten?).

Im vom OLG Zweibrücken entschiedenen Fall hatte das AG folgende Feststellungen getrroffen:

„Am 27. Juli 2015, gegen 23:30 Uhr, befuhr der Angeklagte mit einem Fahrrad die G. Straße in Speyer. Da er ohne Licht fuhr, wurde er von den Polizeibeamten M., PHK M. und PK B. angehalten und kontrolliert. Er reagierte dabei von Anfang an aufbrausend und abweisend. Außerdem gab er an, dass er eine Flasche Schnaps getrunken habe. Ob er diese Äußerung von sich aus tätigte oder zuvor auf den Konsum von Alkohol angesprochen worden war, konnte nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Da den Polizeibeamten bei dem Angeklagten ein alkoholähnlicher Geruch, zittrige Hände und gerötete Bindehäute auffielen, boten sie ihm die Durchführung eines Atemalkoholtests an, welchen er jedoch ablehnte. Dabei blieb er trotz des Hinweises, dass er bei Verweigerung des Atemalkoholtests auf der Wache eine Blutprobe abgeben müsse. Es wurde ihm gestattet, zunächst sein Fahrrad zu Hause abzustellen, da er in der G. Straße … wohnhaft ist. Sodann nahmen die Polizeibeamten den Angeklagten mit zur Polizeiinspektion Speyer und verständigten die Ärztin Dr. G. zur Entnahme einer Blutprobe. Während die Beteiligten auf das Eintreffen der Ärztin warteten, schlief der Angeklagte auf einem Stuhl ein, was den Verdacht auf Alkohol- oder Drogenkonsum bei den Beamten weiter verstärkte. Als er wieder erwachte, begann er erneut lautstark, sich über die Behandlung durch die Polizei zu beschweren. Er steigerte sich immer mehr in seine Beschimpfungen hinein und bezeichnete die Polizeibeamten M., M. und B. u.a. als „dumm“, „unfähig“, „schikanös“, „machtversessen“ und „niveaulos“. Da er dabei aufstand und mit den Händen vor den Beamten herumfuchtelte, forderten sie ihn auf, dies zu unterlassen, und drohten ihm das Anlegen von Handschellen an. Als er sich auch daraufhin nicht beruhigte, wurde er mit Handschellen gefesselt. Anschließend wurde ihm durch die zwischenzeitlich eingetroffene Ärztin Blut entnommen und er durfte die Dienststelle verlassen. Nach dem Ergebnis der Blutuntersuchung hatte der Angeklagte tatsächlich keinen Alkohol getrunken.“

Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist das Landgericht in seiner rechtlichen Würdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte die Beamten jedenfalls durch die Bezeichnung „dumm“ und „unfähig“ vorsätzlich an der Ehre gekränkt und seine Miss- oder Nichtachtung im Sinne des § 185 StGB kundgegeben hat. Soweit der Angeklagte mit seinen Äußerungen nur Kritik an der nach seiner Auffassung ungerechtfertigten Behandlung durch die Polizeibeamten habe äußern wollen, sei nach Auffassung des Landgerichts zu berücksichtigen, dass die gesamte Eskalation bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich auf sein eigenes Verhalten zurückzuführen gewesen sei. Dass er, statt durch Einlenken die von ihm ausgelöste Eskalationsspirale zu stoppen, zu den verfahrensgegenständlichen Äußerungen gegriffen habe, könne ihm daher nicht als Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne von § 193 StGB angerechnet werden. Auch sei angesichts seines Gesamtverhaltens nicht davon auszugehen, dass sich die Äußerungen tatsächlich nur auf die Maßnahme beziehen sollten, sondern dass sie – wie es auch die Zeugen empfunden hätten – zu deren Herabwürdigung gedacht waren.

Das OLG verweist dazu auf die (bekannte) Rechtsprechung des BVerfG zur „Schmähkritik und meint: Die Bezeichnung eines Polizeibeamten durch einen Verkehrsteilnehmer als „dumm“, „unfähig“, „schikanös“, „machtversessen“ und „niveaulos“ sei nicht zwangsläufig als – die Garantie der Meinungsfreiheit ausschließende – Schmähkritik zu verstehen, wenn es dem Verkehrsteilnehmer wohl auch um die Kritik an einer vorangegangenen polizeilichen Maßnahme gegangen ist. Ob die Eskalation auf das Verhalten des Verkehrsteilnehmers zurückzuführen gewesen ist, sei dabei ebenso wenig von Relevanz wie ob die polizeiliche Maßnahme rechtmäßig oder rechtswidrig war.

Und zur erforderlichen Abwägung:

„b) Eine Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten der Beamten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten hat das Berufungsgericht nicht erkennbar durchgeführt. Das Revisionsgericht kann eine vom Tatgericht rechtsfehlerhaft unterlassene Abwägung der Rechtsgüter der Meinungsfreiheit und des Ehrenschutzes nachholen, wenn – wie hier – das angefochtene Urteil ausreichende Feststellungen zu den Tatumständen und der Motivation des Angeklagten enthält (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2014 – 1 Ss 599/13, juris Rn. 21). Diese ergibt, dass die Äußerung des Angeklagten, wenn sie keine Schmähkritik darstellt, vom Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 1 S. 1 GG gedeckt war.

Dabei ist auf Seiten der betroffenen Beamten namentlich in die Abwägung einzustellen, dass diese nach dem Wortlaut der Äußerung unmittelbar betroffen waren und ihr Vorgehen angesichts der festgestellten Auffälligkeiten in der Person des Angeklagten rechtmäßig gewesen war. Auf Seiten der Meinungsfreiheit ist demgegenüber wesentlich, dass der Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Äußerungen nicht als unbeteiligter Dritter, sondern als Betroffener einer polizeilichen Maßnahme getätigt hat. Bezieht sich ein Werturteil – wie hier – auf Bedienstete staatlicher Einrichtungen und deren dienstliche Vorgehensweise, so gehört das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen – auch in überzogener Form – kritisieren zu dürfen, zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung. Dies gilt unabhängig davon, ob dies der öffentlichen Meinungsäußerung dient oder im Rahmen einer persönlichen Auseinandersetzung erfolgt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.03.2003 – III-2b Ss 224/02-2/03, NStZ-RR 2003, 295, 297; KG Berlin, Beschluss vom 28.06.2010 – 1 Ss 173/10, juris Rn. 9; OLG München, Beschluss vom 06.11.2014 – 5 OLG 13 Ss 535/14, juris Rn. 8; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.05.2018 – 2 Rv 4 Ss 193/18, juris Rn. 10; vgl. hierzu auch: OLG Koblenz, Beschluss vom 07.10.2009 – 2 Ss 130/09, juris Rn. 38). Die Äußerung ist zudem von keinem unbeteiligten Dritten wahrgenommen worden und ihr Beleidigungsgehalt war eher moderat. Auch wurde sie im Rahmen einer affektiv aufgeladenen Situation aus einer „sehr aufgeheizten Stimmung“ (UA S. 5) heraus spontan getätigt. Dies führt hier zum Überwiegen der Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten, hinter der der Ehrschutz der Beamten aus Gründen des Verfassungsrechts zurücktreten muss.“

StGB II: Raub, oder: Finaler Einsatz von Gewalt/Drohung erforderlich

Die zweite Entscheidung stammt aus dem Bereich der Eigentumsdelikte. Im BGH, Beschl. v.11.09.2018 – 1 StR 413/18 – geht es (mal wieder) um die finale Verknüpfung zwischen der Drohung mit oder dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme beim Raub. Ein Punkt, an dem in der letzten Zeit häufiger Verurteilungen gescheitert oder anders Revisionen erfolgreich waren. So auch hier:

1. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.1. der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil das angefochtene Urteil hinsichtlich der Annahme eines besonderen schweren Raubes sachlich-rechtliche Mängel aufweist.

Die rechtliche Würdigung des Landgerichts wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen, da die bisherigen Feststellungen eine für die Verurteilung wegen Raubes notwendige finale Verknüpfung zwischen dem Einsatz der qualifizierten Nötigungsmittel und der Wegnahme dergestalt, dass es zu einer nötigungsbedingten Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Gewahrsamsinhabers über das Tatobjekt gekommen ist, nicht tragen.

a) Nach ständiger Rechtsprechung muss zwischen der Drohung mit oder dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme beim Raub eine finale Verknüpfung bestehen; Gewalt oder Drohung müssen das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein. An einer solchen Verknüpfung fehlt es, wenn eine Nötigungshandlung nicht zum Zwecke der Wegnahme vorgenommen wird, sondern der Täter den Entschluss zur Wegnahme erst nach Abschluss dieser Handlung fasst (vgl. nur BGH, Urteile vom 20. Januar 2016 – 1 StR 398/15, BGHSt 61, 141; vom 22. September 1983 – 4 StR 376/83, BGHSt 32, 88, 92 und vom 20. April 1995 – 4 StR 27/95, BGHSt 41, 123, 124 und vom 16. Januar2003 – 4 StR 422/02, NStZ 2003, 431, 432; Beschlüsse vom 21. März 2006 – 3 StR 3/06, NStZ 2006, 508; vom 24. Februar 2009 – 5 StR 39/09, NStZ 2009, 325; vom 25. September 2012 – 2 StR 340/12, NStZ-RR 2013, 45, 46 und vom 18. Februar 2014 – 5 StR 41/14, NStZ 2015, 156). Deshalb genügt der Umstand, dass die Wirkungen eines ohne Wegnahmevorsatz eingesetzten Nötigungsmittels noch andauern und der Täter dies ausnutzt, für die Annahme eines Raubes nicht. Auch das bloße Ausnutzen der Angst eines der Einwirkung des Täters schutzlos ausgelieferten Opfers vor Fortführung bislang nicht auf die Ermöglichung der Wegnahme von Sachen gerichteter Gewalthandlungen reicht – ohne aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung – nicht aus (vgl. nur BGH, Urteil vom 20. Januar 2016 – 1 StR 398/15, BGHSt 61, 141 mwN).

Demnach ist der Straftatbestand des Raubes regelmäßig dann gegeben, wenn mit dem Nötigungsmittel körperlicher Widerstand überwunden oder aufgrund der Zwangswirkung unterlassen und es hierdurch dem Täter ermöglicht wird, den Gewahrsam zu brechen. Der Tatbestand verlangt allerdings nicht, dass der Einsatz des Nötigungsmittels objektiv erforderlich ist oder die Wegnahme zumindest kausal fördert (BGH, Urteile vom 20. Januar 2016 – 1 StR 398/15, BGHSt 61, 141; vom 21. Mai 1953 – 4 StR 787/52, BGHSt 4, 210, 211 und vom 19. April 1963 – 4 StR 92/63, BGHSt 18, 329, 331). Es genügt, dass aus Sicht des Täters der Einsatz des Nötigungsmittels notwendig ist (Finalzusammenhang). Allein seine Vorstellung und sein Wille sind für den Finalzusammenhang maßgebend (BGH, Urteile vom 20. Januar 2016 – 1 StR 398/15, BGHSt 61, 141 und vom 6. Oktober 1992 – 1 StR 554/92, NStZ 1993, 79; Beschluss vom 28. April 1989 – 4 StR 184/89, StV 1990, 159, 160).

b) Dieser notwendige Finalzusammenhang lässt sich den bisherigen Feststellungen des Landgerichts nicht entnehmen.

Das Landgericht hat zunächst keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob der Einsatz des Nötigungsmittels – hier des Messers – überhaupt zu dem Zweck erfolgte, um vom Geschädigten etwas Stehlenswertes oder Werthaltiges gewaltsam zu erlangen. Es bleibt auch offen, aus welchen Gründen der Angeklagte sich im Vorfeld der Tat hinter einem Vorhang versteckte sowie ob und wann er sich letztlich zur Wegnahme des Mobiltelefons entschieden hat. Soweit das Landgericht annimmt, dass der Geschädigte durch die massive Gewaltanwendung des Angeklagten mit dem Messer eingeschüchtert werden sollte, ist dies weder durch Angaben des Geschädigten noch durch sonstige Beweismittel belegt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Geschädigte durch den Messereinsatz eingeschüchtert war und bei Widerstand mit weiterer Gewaltanwendung rechnete, käme zwar auch eine konkludente Drohung des Angeklagten als Nötigungsmittel der Wegnahme in Betracht. Dies würde aber voraussetzen, dass der Angeklagte diese Situation bewusst ausgenutzt hätte, um den Geschädigten zu veranlassen, die Wegnahme zu dulden. Dafür reicht aber nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts das bloße Ergreifen des aus der Hosentasche des Geschädigten gefallenen Mobiltelefons, um es für sich zu behalten, noch nicht. Allein der Umstand, dass die Wirkungen eines ohne Wegnahmeabsicht eingesetzten Nötigungsmittels noch andauern und der Täter dies ausnutzt, vermag den erforderlichen Finalzusammenhang nicht zu begründen.“

Schöner Erfolg für den Instanzverteidiger, den Kollegen H. Stehr aus Göppingen, der mit die von ihm erstrittene Entscheidung geschickt hat.

StGB I: Heimtückemord, oder: Arg- und Wehrlosigkeit erkennen und ausnutzen…

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Am heutigen Mittwoch, dem Buß- und Bettag – früher war es ein bundesweiter Feiertag, der 1995 als Beitrag zur Pflegeversicherung gestrichen worden ist, und huet nur noch in Sachsen Feiertag ist – dann wieder mal ein wenig materielles Recht.

Und da weise ich zunächst hin auf den BGH, Beschl. v. 16.05.2018 – 1 StR 123/18, in dem der BGH zum „Heimtückemord“ Stellung genommen hat. Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie Bedrohung verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte hinsichtlich des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes keinen Bestand.

„b) Das Landgericht hat sowohl einen bedingten Tötungsvorsatz bei der Messerattacke als auch die Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten K. in diesem Zeitpunkt angenommen. Es hat jedenfalls das für das Mordmerkmal der Heimtücke erforderliche Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten nicht ausreichend belegt.

In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand des Heimtückemordes nicht nur voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers erkennt; erforderlich ist außerdem, dass er die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (BGH, Urteil vom 24. September 2014 – 2 StR 160/14, NStZ 2015, 214, 215). Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Juni 2017 – 2 StR 10/17 Rn. 10, NStZ-RR 2017, 278, 279 mwN).

Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter – wie bei Schüssen in den Rücken des Opfers – auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710; Urteil vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17 Rn. 15, NStZ-RR 2018, 45, 47). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Denn bei erhaltener Unrechtseinsicht ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 – 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511; vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31 mwN und vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17 Rn. 15, NStZ-RR 2018, 45, 47). Danach hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen. Allerdings kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH, Urteil vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17 Rn. 15, NStZ-RR 2018, 45, 47).

Vorliegend hat das Landgericht aus dem objektiven Geschehensablauf darauf geschlossen, dass der Angeklagte sich die Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten K. zunutze machen wollte. Maßgebliche Bedeutung hat es dabei dem Überraschtsein des Geschädigten K. sowohl von den zwei Faustschlägen als auch von der unmittelbar folgenden Messerattacke und den aufgrund der Dunkelheit eingeschränkten Sichtverhältnissen beigemessen. Angesichts der Feststellungen, dass dem mit Tötungsvorsatz ausgeführten Messerstich zwei mit Körperverletzungsvorsatz ausgeführte Faustschläge unmittelbar vorausgingen, ist vorliegend das objektive Bild des Geschehens – anders als etwa bei Schüssen in den Rücken eines Opfers – nicht derart eindeutig, dass allein daraus auf ein Ausnutzungsbewusstsein beim Angeklagten im maßgeblichen Zeitpunkt der Messerattacke geschlossen werden könnte. Hinzu kommt, dass der Angeklagte wegen des kurz zuvor erfolgten Messereinsatzes gegen den Taxifahrer Ü. davon ausgehen konnte, dass sein Messer und seine Bereitschaft dieses einzusetzen dem Geschädigten K. gegenwärtig waren. Dies gilt besonders auch vor dem Hintergrund, dass das Landgericht zugleich eine affektive Erregung sowie eine Alkoholisierung des Angeklagten, der eine nicht vollkommen unerhebliche Menge hochprozentigen Alkohols konsumiert hatte, und die Spontaneität der Tatbegehung festgestellt hat (UA S. 6, 36), und damit allesamt Umstände, die nach dem zuvor Ausgeführten gegen ein Ausnutzungsbewusstsein sprechen können. Zudem ist angesichts des raschen Tatgeschehens und der zuvor genannten Gesichtspunkte nicht nachvollziehbar belegt, dass das Vorgehen des Angeklagten einem Tatplan entsprochen habe (UA S. 16, 36 f.) und der Tatort von diesem gewählt worden sei (UA S. 37).“

Akteneinsicht III: Nur beschränkte Akteneinsicht für den Verletzten bei Aussage-gegen-Aussage

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Und den Abschluss des Tages machen dann zwei Entscheidungen zur Akteneinsicht des Verletzten im Strafverfahren. Es handelt sich um den OLG Hamburg, Beschl. v. 23.10.2018 – 1 Ws 108/18 – und um den schon etwas älteren AG Münster, Beschl. v. 18.07.2016 – 23 Gs-540 Js 388/16-2780/16. Der OLG Hamburg-Beschluss stammt vom Kollegen Laudon aus Hamburg, der des AG Münster von der Kollegin Knecht aus Münster. Beiden „Einsendern“ herzlichen Dank.

Beide gewähren keine bzw. nur beschränkte Akteneinsicht in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation. Sie liegen damit auf der Linie der Rechtsprechung aus der letzten Zeit. Die Argumentation ist bekannt. daher hier nur der Leitsatz des OLG Hamburg, Beschluss:

„Die umfassende Einsicht in die Ver­fahrensakten ist dem Verletzten in aller Regel in solchen Konstellationen zu versa­gen, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Ange­klagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt.“

Akteneinsicht II: Keine Akteneinsicht ==> Verfassungsbeschwerde ==> Einstellung des Verfahrens ==> keine Auslagenerstattung?

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Die zweite AE-Entscheidung stammt dann vom BVerfG. Es ist der BVerfG, Beschl., v. 09.08.2018 – 2 BvR 1228/16 – den mir der Kollege Just aus Hamburg vor einiger Zeit übersandt hat. Der Kollege schildert die Vorgeschichte dieser Entscheidung wie folgt:

„Da sich der zugrundeliegende Sachverhalt nicht aus dem Beschluss ergibt:

In einem Steuerstrafverfahren stellte die BuStra diverse Unterlagen des Mandanten sicher. Ich beantragte Akteneinsicht. Es passierte ewig nichts. Sachstandsanfragen wurden lediglich mit „Die Akte ist derzeit anderweitig versandt“ beantwortet. Ich beantragte richterliche Entscheidung über die Sicherstellung (Beschlagnahme wird bestätigt) und dann Beschwerde zum LG. Da uns weder vor der Entscheidung des Amtsgerichts noch vor der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Akteneinsicht gewährt worden war und die Gerichte die Ansicht vertraten, dies müsse man auch nicht, rügten wir nach einer ebenfalls erfolglosen Gehörsrüge die Verletzung des grundgesetzlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör mit einer Verfassungsbeschwerde. Diese dümpelte über ein Jahr vor sich hin. Zwischenzeitlich erreichten wir die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO. Der Mandant erhielt seine Unterlagen zurück. Damit war dann der Grund für die Verfassungsbeschwerde entfallen und das Bundesverfassungsgericht hatte nur noch über die Kosten der Verfassungsbeschwerde zu entscheiden.

Nachdem das Verfahren fast ein weiteres Jahr in Karlsruhe lag, entschied das Bundesverfassungsgericht nun, dass unserem Mandanten die Auslagen für seine Verfassungsbeschwerde nicht zu erstatten sind. Zwar gebe es diverse Grundsatzfragen, die im Zusammenhang mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfen worden waren, allerdings sei das Verfahren über die Auslagenerstattung nicht dazu geeignet, diese grundsätzlichen Fragen abschließend zu klären.“

Und aus dem BVerfG-Beschluss:

„1. Nach Erledigung der Verfassungsbeschwerde ist über die Erstattung der dem Beschwerdeführer entstandenen Auslagen nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden (§ 34a Abs. 3 BVerfGG). Dabei ist eine Gesamtwürdigung aller be­kannten Umstände vorzunehmen. Mit Blick auf die Funktion und Tragweite verfas­sungsgerichtlicher Entscheidungen kommt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde regelmäßig nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 85, 109 <115 f.>; 87,.394 <398>; 133, 37 <38 Rn. 2>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. März 2017 – 2 BvR 144/17 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. Februar 2017 – 1 BvR 309/11 -, juris, Rn. 2). Eine Erstattung von Auslagen kommt allerdings dann in Be­tracht, wenn die Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde unterstellt werden kann oder wenn die verfassungsrechtliche Lage – etwa durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem gleich gelagerten Fall – bereits geklärt ist (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 ff.>; 133, 37 <38 f. Rn. 2>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 9. Februar 2017 – 1 BvR 309/11 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 8. Juni 2016 – 1 BvR 210/09 -, juris, Rn. 4 f.; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Oktober 2013 – 2 BvR 1446/12 -, juris, Rn. 5 m.w.N.).

Bei der erforderlichen Gesamtwürdigung kommt zudem dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 f.>; 87, 394 <397>). Beseitigt die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfas­sungsbeschwerde angegriffenen Akt oder hilft sie der Beschwer auf andere Weise ab, kann – soweit keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind – davon ausgegan­gen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat. In diesem Fall ist es billig, die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung an ihrer Auffassung festzuhalten und sie zu verpflichten, die Auslagen des Be­schwerdeführers in gleicher Weise zu erstatten, wie wenn der Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre (vgl. BVerfGE 85, 109 <115>; 87, 394 <397>).

2. Gemessen daran kommt eine Auslagenerstattung hier nicht in Betracht.

a) Allein dadurch, dass das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdefüh- 5 rer gemäß § 153a StPO eingestellt wurde, haben die Ermittlungsbehörden nicht zum Ausdruck gebracht, dass sie die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen über die Beschlagnahme für grundrechtswidrig halten.

b) Im Übrigen war die Verfassungsbeschwerde auch nicht in einer Weise of- 6 fensichtlich begründet, die eine Auslagenerstattung rechtfertigen würde.

Ob die zu Haftfällen entwickelte und später auf Wohnungsdurchsuchungen und Anordnungen dinglichen Arrests erstreckte Rechtsprechung des Bundesver­fassungsgerichts zur Akteneinsicht im strafprozessualen Beschwerdeverfahren (vgl. BVerfGK 3, 197; 7, 205; 10, 7; 12, 111) auch auf Beschlagnahmen übertra­gen werden kann, ist umstritten (vgl. Laufhütte/Willnow, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 147 Rn. 16 einerseits und Michalke, NJW 2013, S. 2334 andererseits) und verfassungsrechtlich noch abschließend nicht geklärt (vgl. auch BVerfGK 1, 45 <46>). Aus der Senatsentscheidung vom 9. März 1965 (BVerfGE 18, 399) ergibt sich nichts anderes. Dort hatte das Bundesverfassungsgericht ei­nen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör durch die unterbliebene Akteneinsicht im Beschwerdeverfahrpn nurzleshalb bejaht, weil dem Beschwerde­führer auch Unterlagen vorenthalten worden waren, in die dem Verteidiger die Einsicht gemäß § 147 Abs. 3 StPO in keiner Lage des Verfahrens versagt werden darf, und es nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die angefochtene Ent­scheidung auf diesen Unterlagen beruhte (vgl. BVerfGE 18, 399 <405 f.>). Weiter­gehende Aussagen lassen sich dieser Entscheidung nicht entnehmen (vgl. auch Park, StV 2009, S. 276 <281>). Das Verfahren über die Auslagenerstattung ge­mäß § 34a Abs. 3 BVerfGG bietet weder Möglichkeit noch Anlass, diese Fragen abschließend zu klären.

Entsprechendes gilt, soweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die ein- 8 schlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die Möglichkeit hinweist, die Entscheidung über die Beschwerde bis zur Gewährung von Akten­einsicht zurückzustellen. Diese Rechtsprechung steht nur deswegen mit dem Ge­bot effektiven Rechtsschutzes in Einklang, weil dem Feststellungsinteresse des Beschwerdeführers in diesen Fällen nicht mit gleicher Eilbedürftigkeit nachge­kommen werden muss wie einem Anfechtungsbegehren, das sich gegen einen fortdauernden Eingriff richtet (vgl. BVerfGK 10, 7 <11>; 12, 111 <117>). Danach kann diese Rechtsprechung jedenfalls nicht ohne Weiteres auf Fälle einer noch andauernden Beschlagnahme übertragen werden.

Aus der wiederholten Versagung von Akteneinsicht aufgrund anderweitiger 9 Versendung der Akte ergibt sich jedenfalls kein offensichtlicher Gehörsverstoß, auf dem die Beschwerdeentscheidung beruhen würde. Denn bis zu diesem Zeit­punkt wurde die Akteneinsicht jedenfalls auch wegen Gefährdung des Untersu­chungszwecks bis zum Abschluss der Ermittlungen versagt.“