Archiv für den Monat: April 2016

Massagebank? Die kann man auch im Taxi transportieren – meint das KG

entnommen wikimedia.org Urheber: Dirk

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Recht streng ist m.E. das KG mit einem Betroffenen hinsichtlich des Absehens vom Fahrverbot gewesen. Das AG hatte bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung vom Fahrverbot abgesehen und ist den „auf ein verlesenes Schreiben des Arbeitgebers gestützten Angaben des Betroffenen gefolgt, wonach ihm, dem Betroffenen, bei Anordnung eines Fahrverbotes der Arbeitsplatzverlust infolge Kündigung drohe. Denn er sei als angestellter Physiotherapeut auf seinen Führerschein angewiesen, weil er laut Arbeitsvertrag ausschließlich Hausbesuche absolviere, zu denen er schwere Massagebänke sowie andere Hilfsmittel transportieren müsse. Diese auswärtigen Termine könnten weder sein Arbeitsgeber „aus privaten und beruflichen Gründen“ noch die anderen acht Angestellten „wegen fehlender Kenntnisse“ oder „fehlendem Führerschein“ wahrnehmen. Das Amtsgericht kommt daher zu dem Schluss, dass „die Vollstreckung des Fahrverbotes unverhältnismäßig sei und für den Betroffenen aus beruflichen Gründen eine unzumutbare Härte bedeuten würde“. Ergänzend sei der Zeitpunkt des Verstoßes „zur Nachtzeit bei üblicherweise sehr geringem Verkehrsaufkommen zu berücksichtigen.

Dem KG reicht das so nicht. Es hat im KG, Beschl. v. 24.02.2016 – 3 Ws (B) 95/16  – aufgehoben:

„bb) Nach diesen Grundsätzen lassen die Urteilsgründe die erforderliche Abwägung vermissen und belegen nicht, dass das Fahrverbot für den Betroffenen eine ganz außergewöhnliche Härte darstellen würde. Dies gilt sowohl für jeden einzelnen im Urteil niedergelegten Umstand als auch für eine Gesamtschau aller Umstände. Dass der unvorbelastete Betroffene aufgrund seines Arbeitsvertrages ausschließlich für Hausbesuche, die er allein mit dem PKW zu absolvieren hat, angestellt worden ist, zu denen er u.a. Massagebänke, Gewichte und andere Utensilien mitzunehmen hat, gibt keinen Anlass, ein einmonatiges Fahrverbot als unzumutbar anzusehen.

Zwar hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln wegen der Größe und des Umfanges der Utensilien nicht möglich sei, eine plausible Erklärung, warum die Inanspruchnahme eines Taxi als öffentliches Verkehrsmittel nicht zumutbar ist, enthalten die Urteilsgründe jedoch nicht.

Auch fehlen Feststellungen dazu, ob diese Aufgabe während eines Fahrverbotes nicht durch eine Kombination von Urlaub und Hinzuziehen eines Fahrers zu bewältigen ist. Denn selbst wenn nur der Betroffene die Hausbesuche vornehmen kann, so muss der Arbeitgeber doch für den Fall des Urlaubes oder Erkrankung des Betroffenen Vorkehrungen für das Gewährleisten dieser Hausbesuche getroffen haben, die auch für die Zeit eines Fahrverbotes gelten könnten. Unter diesem Gesichtpunkt ist zu besorgen, dass das Amtsgericht die Angaben des Arbeitgebers unkritisch übernommenen hat.

Die ergänzende Überlegung des Amtsgerichts (UA S.2) zum Absehen vom Fahrverbot, der Verkehrsverstoß habe sich „zur Nachtzeit bei üblicherweise sehr geringem Verkehrsaufkommen zugetragen“ überzeugt nicht, da sich bereits andere Verkehrsteilnehmer erfahrungsgemäß nicht darauf einstellen müssen, dass die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von einem einzelnen Kraftfahrer, in einem derart hohen Maß – hier über 50% der zulässigen Höchstgeschwindigkeit – überschritten wird (Senat, Beschluss vom 14. Juli 2015 – 3 Ws (B) 307/15 -). Die zulässige Höchstgeschwindigkeit darf grundsätzlich auch nicht zur Nachzeit bei geringem Verkehrsaufkommen überschritten werden.      

Die Schlussfolgerung des Verteidigers, bereits aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen könne er, der Betroffene, sich weder Ersatzfahrer noch Taxifahrten leisten, ist urteilsfremd und daher vom Rechtsbeschwerdegericht nicht zu berücksichtigen. Gleiches gilt für die Umstände des nicht wahrgenommenen Verkehrszeichens über die Geschwindigkeitsbeschränkung. Insoweit merkt der Senat an, dass die fehlenden Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen wegen der Höhe des verhängten Bußgeldes mit Blick auf § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG bedenklich sind.

Insgesamt stellen die durch das Amtsgericht bezeichneten Umstände allenfalls Unbequemlichkeiten dar, die als regelmäßige Folge eines Fahrverbots hinzunehmen sind.“

Nun, Probleme habe ich mit der Formulierung „ganz außergewöhnliche….“. Ist das bzw. soll das eine Steigerung sein und wird dadurch ggf. nicht ein zu strenger Maßstab angelegt? Und ob das alles nur Unbequemlichkeiten sind…..Die Berliner Taxifahrer werden sich freuen, wenn sie ggf. auch Massagebänke transportieren dürfen.

Gilt das Verbot der Mehrfachverteidigung auch im anwaltsgerichtlichen Verfahren?

© Klaus Eppele - Fotolia.com

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Einen recht deutlichen Hinweis zur Geltung des § 146 StPO im anwaltsgerichtlichen Verfahren enthält der BVerfG, Beschl. v. 25.02.2016 – 1 BvR 1042/15. Ergangen ist er in einem anwaltsgerichtlichen Verfahren, das in Sachsen anhängig war. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Anwaltsgerichts, mit dem er in einem Verfahren nach § 74a BRAO wegen verbotener Mehrfachvertretung als Verteidiger zurückgewiesen wurde. In dem Verfahren war der Beschwerdeführer von fünf Rechtsanwälten als Verteidiger beauftragt worden. Die Mandanten arbeiteten in einer Partnerschaftsgesellschaft zusammen und hatten in einer Tageszeitung Werbeanzeigen veröffentlicht, die nach Auffassung der zuständigen RAK berufsrechtliche Bestimmungen (§ 43b BRAO, § 6 BORA) missachteten. Nach entsprechender Beschlussfassung des Vorstands der Rechtsanwaltskammer wurde gegenüber jedem der Rechtsanwälte mit gesonderten, gleichlautenden Bescheiden eine berufsrechtliche Rüge ausgesprochen. Mit der betreffenden Kanzleiwerbung hätten sie die ihnen obliegenden Berufspflichten verletzt. Nach Zurückweisung der Einsprüche gegen die Rügebescheide hat der Beschwerdeführer als Verteidiger der fünf Rechtsanwälte die Entscheidung des AnwG beantragt. In dem Verfahren ist der Rechtsanwalt dann als Verteidiger gem. § 146 StPO zurückgewiesen worden.

Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, die das BVerfG wegen fehlender Rechtswegerschöpfung als unzulässig angesehen hat. Es gibt aber im Hinblick auf den § 146 StPO „Hinweise“:

„Mit Blick auf die Fortsetzung des anwaltsgerichtlichen Verfahrens ist allerdings der Hinweis angebracht, dass erhebliche Bedenken bestehen, ob es sich mit der verfassungsrechtlich garantierten Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers (Art. 12 Abs. 1 GG) vereinbaren lässt, ihn aufgrund des Verweises in § 74a Abs. 2 Satz 2 BRAO entsprechend § 146 Satz 1, § 146a Abs. 1 StPO als Verteidiger im anwaltsgerichtlichen Verfahren auszuschließen und insoweit an beruflicher Tätigkeit zu hindern.

Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers, die mit der Entscheidung des Anwaltsgerichts über seinen Ausschluss als Verteidiger verbunden ist, kann unter Berücksichtigung des mit § 146 Satz 1 StPO verfolgten Gemeinwohlziels verfassungsrechtlich schwerlich gerechtfertigt sein. Legitimer Zweck des Verbots der Mehrfachverteidigung ist es, Interessenkollisionen zu vermeiden, um die Beistandsfunktion des Verteidigers, die es auch im öffentlichen Interesse zu wahren gilt, nicht zu beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 45, 354 <358>). Für die Bedeutung dieses Gemeinwohlziels ist im vorliegenden Verfahren zu beachten, dass es nicht um die Aufklärung und Ahndung eines schuldhaften Verhaltens geht, das eine Strafe oder auch nur annähernd vergleichbare Sanktion – wie etwa im Fall einer Disziplinarmaßnahme oder einer Ordnungswidrigkeit – nach sich ziehen könnte. Zu entscheiden ist lediglich über die Berechtigung einer Rüge, die vom Vorstand der Rechtsanwaltskammer ausgesprochen wurde. Es handelt sich um eine nur aufsichtsrechtliche Maßnahme, deren Gehalt als Sanktion sich bereits in dem Ausdruck der Missbilligung des Verhaltens eines Rechtsanwalts erschöpft.

Dementsprechend hat der mit dem Ausspruch einer Rüge verbundene Grundrechtseingriff für den von ihr betroffenen Rechtsanwalt kein erhebliches Gewicht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 29. November 1999 – 1 BvR 2284/98 u.a. -, juris). Dies ist auch für die Auslegung des Verfahrensrechts und die Anwendbarkeit des § 146 Satz 1 StPO im anwaltsgerichtlichen Verfahren von Bedeutung; denn für die Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Eingriffs in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit des Verteidigers kommt es auch auf die Gewichtigkeit der Sanktion an, die dem Mandanten droht und gegen die ihn der Rechtsanwalt verteidigen soll (vgl. BVerfGE 45, 272 <290>). Ist das Gewicht der drohenden Sanktion gering, wie hier durch die allenfalls mögliche Bestätigung der ausgesprochenen Rüge, so spricht dies gegen die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers. Hinzu kommt, dass Interessengegensätze zwischen den Mandanten nicht zu erkennen sind. Diese Grundsätze sind auch für die im Ausgangsverfahren zur Entscheidung berufenen Gerichte maßgeblich; denn auch der Richter, der bei Auslegung des einfachen Rechts zu Einschränkungen der grundsätzlich freien Berufsausübung gelangt, ist an dieselben Maßstäbe gebunden, die nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG auch den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einschränken (vgl. BVerfGE 54, 224 <235>).“

Die Reststrafenaussetzung und das Leugnen der Tat

© rcx - Fotolia.com

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Der BVerfG, Beschl. v. 11.01.2016 – 2 BvR 2961/12 – enthält eine für die Praxis schon bedeutsame Aussage zur Bedeutung des Leugnens der Tat bei der Reststrafenaussetzung. Es ging um die Aussetzung einer zeitigen Freiheitsstrafe. Der Verurteilte hat die Tat – auch nach seiner Verurteilung – weiter geleugnet. Das LG hat darin keinen Grund gesehen, die Strafaussetzung zu verweigern, das OLG schon. In Zusammenhang mit der Überprüfung der OLG-Entscheidung führt das BVerfG aus:

Das betrügerische Selbstbedienungstanken…

entnommen wikimedia.org Urheber joho345

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An sich ein ganz einfacher Sachverhalt, der dem BGH, Beschl. v. 13.01.2016 – 4 StR 532/15 – zugrunde gelegen hat. Der Angeklagte fährt mit einem „geklauten“ Pkw Opel Corsa zu einer Tankstelle, betankt das Fahrzeug und fährt anschließend – wie von vornherein geplant – ohne Bezahlung der eingefüllten Treibstoffmenge davon. Verurteilung durch das LG wegen vollendeten Betruges (§ 263 StGB). Der BGH sagt: Nein, denn:

„b) Diese Feststellungen tragen nicht die Verurteilung wegen vollendeten Betrugs. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist von einem Tanken an einer Selbstbedienungstankstelle auszugehen. In derartigen Fällen setzt die Annahme der Tatvollendung voraus, dass der Täter durch (konkludentes) Vortäuschen seiner Zahlungsbereitschaft bei dem Kassenpersonal einen entsprechenden Irrtum hervorruft, der anschließend zu der schädigenden Ver-mögensverfügung (Einverständnis mit dem Tankvorgang) führt. Mangels Irrtumserregung liegt jedoch kein vollendeter Betrug vor, wenn das Betanken des Fahrzeugs vom Kassenpersonal überhaupt nicht bemerkt wird. In einem sol-chen Fall ist vielmehr regelmäßig vom Tatbestand des versuchten Betrugs aus-zugehen, wenn das Bestreben des Täters – wie im vorliegenden Fall – von An-fang an darauf gerichtet war, das Benzin unter Vortäuschung einer nicht vor-handenen Zahlungsbereitschaft an sich zu bringen, ohne den Kaufpreis zu entrichten (BGH, Urteil vom 5. Mai 1983 – 4 StR 121/83, NJW 1983, 2827; Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 497/12, StV 2013, 511 mwN). Da das Landgericht trotz des Geständnisses des Angeklagten und unter Heranziehung der Lichtbilder der Überwachungskamera keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Tankvorgang vom Kassenpersonal bemerkt wurde, geht der Senat zugunsten des Angeklagten davon aus, dass dies nicht der Fall war; er ändert den Schuldspruch in versuchten Betrug ab. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.“

Traurig, oder: Warum gibt es keine Übersetzungen?

FragezeichenMit Fragen der Übersetzung von Aktenbestandteilen und/oder Entscheidungen werden wir uns in Zukunft sicherlich häufiger befassen müssen. Das gilt sicherlich auch hinsichtlich der Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang einem Angeklagten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, ein Strafbefehl bei Zustellung übersetzt werden muss und ob eine Zustellung ohne Übersetzung wirksam ist. Das ist die Frage nach der analogen Anwendung des § 37 Abs. 3 StPO. Die ist von einigen LG bejaht worden, das LG Dortmund hat sie jetzt im LG Dortmund, Beschl. v. 11.03.2016 – 36 Qs-257 Js 2069/15-22/16 – verneint. Begründung:

„Zwar scheitert die Wirksamkeit der Zustellung nicht an § 37 Abs. 3 StPO, da diese Vorschrift für die Zustellung von Strafbefehlen keine analoge Anwendung findet (so jedoch LG Stuttgart, Beschluss vom 12.05.2014 – 7 Qs 18/14 in BeckRS 2014, 09908 und LG Gießen, Beschluss vom 29.04.2015 – 7 Qs 48/15 in BeckRS 2015, 10797). Nach den obigen Ausführungen scheitert eine analoge Anwendung daran, dass eben keine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Der Gesetzgeber hat, wie bereits dargelegt, zur Umsetzung der Richtlinien 2010/64/EU und 2012/13/EU die Regelung der Nr. 181 RiStBV hinsichtlich der Übersetzung von Strafbefehlen als ausreichend erachtet. Zudem ist der beabsichtigte Zweck des § 37 Abs. 3 StPO nicht auf die Situation bei Erlass eines Strafbefehls übertragbar. Durch die Regelung soll eine Schlechterstellung der übrigen Prozessbeteiligten durch eine faktisch kürzere Begründungsfrist vermieden und ein zeitgleicher Beginn der Begründungsfrist für alle Verfahrensbeteiligten durch gleichzeitige Zustellung der Urteilsausfertigung an alle Verfahrensbeteiligte sichergestellt werden (BT-Drs 17/12578, S. 14). Bei Erlass eines Strafbefehls ist eine vergleichbare Situation nicht gegeben, da gegen diesen lediglich dem Angeklagten ein Einspruch nach § 410 StPO zusteht.“

Unabhängig von der Frage hat das LG aber doppelte Wiedereinsetzung gewährt, und zwar sowohl hinsichtlich der Versäumung der Einspruchsfrist als auch hinsichtlich der Beschwerdefrist. Gut und richtig so. Denn man fragt sich schon, wie das Verfahren abgelaufen ist/ablaufen sollte., wenn es beim LG heißt:

„Obwohl bereits der Strafanzeige zu entnehmen war, dass der Beschwerdeführer der deutschen Sprache nicht mächtig war und diesem am Tatort durch einen Passanten übersetzt werden musste, war der Strafbefehl nicht in seine Sprache übersetzt worden. Auch die dem Strafbefehl beigefügte Rechtsmittelbelehrung war nicht übersetzt.“

Und weder AG noch StA kommen auf die Idee, dass man dem Angeklagten vielleicht mal was übersetzen muss? Traurig.