Archiv für den Monat: Oktober 2015

Zur wirksamen Verteidigung gehört ein „komplettes Aktendoppel“…..

© Gerhard Seybert - Fotolia.com

© Gerhard Seybert – Fotolia.com

Machen wir heute mal einen Gebührentag 🙂 . Nach dem nicht so fröhlichen Auftakt mit dem  KG, Beschl. v. 02.102.105 – 1 ARs 26/13 (vgl. dazu:Burhoff argumentiert nicht „systemkonform“, sondern „systemwidrig“) und vor der Auflösung des Gebührenrätsels vom vergangenen Freitag zwischendurch der (erfreuliche) LG Kleve, Beschl. v. 04.09.2015 – 120 Qs 65/15 -, in dem es um die Erstattungsfähigkeit von vom Verteidiger gefertigter Fotokopien geht. Das LG Kleve setzt in ihm seine „verteidigerfreundliche“ Rechtsprechung fort, wonach der Verteidiger in der Regel über ein komplettes Aktendoppel verfügen muss. Das hatte es schon 2011 in der von ihm im Beschluss angeführten Entscheidung entschieden und das bestätigt es hier noch einmal:

„Die begehrten Fotokopiekosten sind vollständig zu erstatten. In der Regel ist es zur wirksamen Verteidigung erforderlich, dass der Verteidiger über ein komplettes Aktendoppel verfügt (so bereits LG Kleve, Beschluss vom 11.08.2011 – 120 Qs 68/11). Selbst bei bereits zugestellten Beschlüssen und eigenen Schriftsätzen kann es beispielsweise von Bedeutung sein, ob sie nachträglich mit Vermerken versehen wurden (z. B. der Eingangsvermerk auf dem Urteil gemäß § 275 Abs. 1 StPO oder die Eingangsstempel bei fristgebundenen Rechtsmitteln). Es erleichtert auch die Kommunikation in der Hauptverhandlung, wenn die Verfahrensbeteiligten lediglich auf Blattzahlen hinweisen müssen oder bei Vorhalten dies alle in ihren Aktendoppeln mitverfolgen können. Bei manchen Aktenbestandteilen wird die Bedeutung erst später offenbar (z. B. die Bedeutung einer Zustellungsurkunde, wenn bei Nichterscheinen eines Zeugen die Frage der Unerreichbarkeit im Sinne der §§ 251 Abs. 1 Nr. 2, 244 Abs. 3 StPO zu entscheiden ist.

Es dient zudem zumeist der Verfahrensbeschleunigung (Art. 6 MRK) und der Kostenersparnis, wenn Hilfskräfte schnell die gesamte Akte kopieren, statt abzuwarten, bis der zuständige Verteidiger Zeit hat, sich einzuarbeiten und zu überlegen, welche Aktenbestandteile von Bedeutung sind. Die angefochtene Berechnung verkennt auch, dass bereits vor Blatt 1 wichtige Aktenbestandteile abgeheftet sind (BZR-Auszug, Führerschein, VZR-Auszug, Aktendeckel) und ggf. (im eingeschränkten Umfang) zusätzliche Ablichtungen für den Mandanten erforderlich sind.

Ob bei äußerst umfangreichen Akten oder bei identischen Parallelverfahren etwas anderes gilt, muss hier nicht entschieden werden.“

Aber Vorsicht: Es sind nicht alle Gerichte so „großzügig“.

Burhoff argumentiert nicht „systemkonform“, sondern „systemwidrig“

© Alex White - Fotolia.com

© Alex White – Fotolia.com

„Burhoff argumentiert nicht „systemkonform“, sondern „systemwidrig“? Ja, richtig gelesen. Das ist der Vorwurf/Vorhalt, den ich mir vom Einzelrichter/von der Einzelrichterin des KG im KG, Beschl. v. 02.10.2015 – 1 ARs 26/13 – in einer Gebührensache betreffend eine Pauschgebühr nach § 51 RVG habe machen lassen müssen bzw. der aus dem Beschluss abzuleiten ist. Ausgangspunkt ist ein beim LG Berlin anhängig gewesenes Umfangsverfahren, nach dessen Abschluss die Verteidigerin eines Angeklagten eine Pauschgebühr nach § 51 RVG beantragt hatte. Sie hatte ihren Antrag auf die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV RVG beschränkt und jeweils eine über die Wahlanwaltshöchstegbühren hinausgehende Pauschgebühr verlangt. Das KG hat eine Pauschgebühr gewährt, diese aber auf die Wahlanwaltshöchstgebühr (nach altem Recht) beschränkt.

In dem Zusammenhang hat das KG dann ausgeteilt, und zwar bei der Frage der Kompensation. Da geht es darum, ob auch bei einem auf einzelne Verfahrensabschnitte beschränkten Pauschgebührenantrag stets im Wege der Gesamtschau zu prüfen ist, ob die dem Verteidiger für seine Tätigkeit im gesamten Verfahren gewährte Regelvergütung insgesamt noch zumutbar ist oder ob ihm wegen besonderer Schwierigkeiten in einem Verfahrensabschnitt mit der dafür vorgesehenen Gebühr ein ungerechtfertigtes Sonderopfer abverlangt wird. Das KG bejaht die Kompensation:

„Der Senat hält an dieser Auffassung fest. Die Zulässigkeit einer Kompensation im Wege der Gesamtschau ist nicht „systemwidrig“ (so aber Burhoff StRR 2012, 458, 459), sondern im Gegenteil systemkonform. Bereits nach dem früheren Recht (§ 99 BRAGO) konnte dem gerichtlich bestellten Rechtsanwalt für das ganze Verfahren „oder für einzelne Teile des Verfahrens“ auf Antrag eine Pauschvergütung bewilligt werden. Auch in letzterem Fall war nach einhelliger Meinung auf eine Gesamtschau aller von dem Rechtsanwalt erbrachten Tätigkeiten abzustellen. Wird der Rechtsanwalt nämlich, wie es der Regelfall ist, für das ganze Verfahren bestellt und in Anspruch genommen, lässt sich die Frage, ob dem Rechtsanwalt mit der gesetzlichen Vergütung ein Sonderopfer für besondere Erschwernisse in einzelnen Teilen des Verfahrens abverlangt würde, nur dann zuverlässig beurteilen, wenn man nicht nur diese einzelnen Verfahrensteile, sondern die gesamte Inanspruchnahme des Rechtsanwalts in den Blick nimmt. An diesem Grundgedanken hat sich nichts dadurch geändert, dass nunmehr nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz für das ganze Verfahren „oder für einzelne Verfahrensabschnitte“ auf Antrag eine Pauschgebühr zu bewilligen ist. Dies gilt umso mehr als der Gesetzgeber, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. BVerfG NJW 2007, 3420), die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG von dem zusätzlichen Merkmal der Unzumutbarkeit abhängig gemacht hat, welches den Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 RVG zugleich einschränken und den Ausnahmecharakter dieser Regelung zum Ausdruck bringen soll (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 291). Die Pauschgebühr soll dem Rechtsanwalt keinen zusätzlichen Gewinn bringen, sondern lediglich besondere Härten ausgleichen (vgl. Hartmann, Kostengesetze 45. Aufl., § 51 RVG Rdn. 2).“

Na ja, mir ist ja in Zusammenhang mit dem RVG und Anwaltsgebühren schon viel vorgeworfen worden, aber, dass ich „systemwidrig“ argumentiere, noch nicht. Und dann schon gar nicht dann, wenn m.E. derjenige, der den Vorwurf erhebt, selbst „systemwidrig“ handelt 🙂 , wenn er die Kompensation zulässt. Denn aus der Gesetzesbegründung zu § 51 RVG (BT-Drucks. 15/1971 S. 201) folgt eindeutig,  dass es bei der verfahrensabschnittsweisen Beantragung einer Pauschgebühr bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 51 RVG immer auch nur auf diesen Verfahrensabschnitt und die in ihm erbrachten Tätigkeiten ankommen kann. Alles andere führt dazu, dass „Birnen mit Äpfeln“ verglichen werden, bzw.: Man negiert (auch) den Willen des Pflichtverteidigers, der sich mit den gesetzlichen Gebühren für andere Verfahrensabschnitte zufrieden gibt und sie als zumutbar ansieht. Etwas anderes folgt auch nicht aus der vom KG in dem Zusammenhang bemühten Entscheidung des BVerfG NJW 2007, 3420. Denn deren Grundsätze sind bei einer verfahrensabschnittsweise beantragen Pauschgebühr auf den Verfahrensabschnitt zu beschränken, der auf dem Prüfstand stand.

Aber so weit, so gut. Ich bin mir im Übrigen darüber im Klaren, dass ich das KG nicht überzeugen kann. Wer kann schon ein OLG von einer einmal gefassten Meinung abbringen? 🙂 Damit muss ich leben. Das KG muss aber m.E. damit leben, dass ihm nun selbst vorgehalten wird, „systemwidrig“ zu entscheiden. Die antragstellende Rechtsanwälting muss schließlich mit und von der gewährten Pauschgebühr leben, auch das wird sie wahrscheinlich überleben. Womit sie aber an sich nicht leben müssen sollte ist, dass über ihren Antrag offenbar erst nach gut zwei Jahren entschieden worden ist. Das lässt sich m.E. unschwer aus dem Aktenzeichen „1 ARs 26/13“ erkennen. Warum es so lange gedauert hat, erschließt sich aus dem vorliegenden Beschluss nicht. Aber vielleicht hat das KG ja so lange gebraucht, um zu erkennen, was nach seiner Ansicht „systemkonform“ oder aber „systemwidrig“ ist. M.E. ist das aber ganz einfach.

Sonntagswitz, Zu Sommer, Winter und Zeit…..

© Teamarbeit - Fotolia.com

© Teamarbeit – Fotolia.com

Zur Umstellung der Uhren von der Winterzeit auf die Sommerzeit hatte ich im Frühjahr das Posting: Sonntagswitz: Heute zur Sommer-/Winterzeit gebracht. Heute  nach Rückstellung der Uhren dann noch einmal ein Posting zu der Thematik, allerdings: Erweitert zu Sommer, Winter und Zeit, denn es ist schwierig zu „Sommerzeit“ oder zu „Winterzeit“ etwas zu finden. Also dann:

Alt, aber immer wieder schön:

Kommt Häschen zum Metzger. „Haddu Eisbein?“
„Ja, ich hab Eisbein!“
„Muttu warme Socken anziehen.“

 

Die Freundin sagt zur Freundin:
„Dein Mann sagt, ihr reist dieses Jahr im Sommer doch nicht nach Spanien?“
Die Antwort:
„Nein, das ist falsch. Nicht nach Spanien sind wir im letzten Jahr geflogen. Diesen Sommer reisen wir nicht nach Schweden!“

 

und zum Thema Sommer-/Winterzeit gab es dann auch im Postillon eine Sonntagsfrage, nämlich:

Sonntagsfrage (37): Haben Sie Ihre Uhren schon auf Winterzeit umgestellt?


und dann waren da noch

Sieben Gründe, warum wir die Zeitumstellung hassen

Wochenspiegel für die 43. KW., das war ein gefälschter Führerschein, der Wildunfall, Flüchtlingshatz und der „BILD-Pranger“

© Aleksandar Jocic - Fotolia.com

© Aleksandar Jocic – Fotolia.com

Heute Nacht Umstellung von Sommer- auf Winterzeit. Das bedeutet für mich immer, dass sich das Jahr nun wirklich dem Ende zuneigt. Dies ist ja auch schon der 43. Wochenspiegel aus dem Jahr 2015, in dem ich berichte über:

  1. Gefälschter Führerschein: Freispruch mit „richtiger“ Einlassung,
  2. Nach Wild­un­fall gibt Ver­si­che­rung vom Gut­ach­ter gesi­cherte Wild­haare nicht her­aus: Beweisvereitelung!,
  3. Beobachtungen zu § 46 Abs. 2 StGB,
  4. Unfallskizze online erstellen,
  5. Flüchtlingshatz – von Amts wegen,
  6. AG Meißen – Das Ende des Einseitensensors ES 3.0 als standardisiertes Messverfahren?,
  7. BGH: Ausstellung einer Ersatzkarte durch Bank nach Sperrung wegen Verlust oder Diebstahls ist kostenlos – Entgeltklausel in Banken-AGB unwirksam,
  8. Der BILD-Pranger in der rechtlichen Diskussion: Verletzt der “Pranger der Schande” Persönlichkeitsrechte?,
  9. Ermittlungsverfahren gegen Facebook-Manager wegen Hasspostings,
  10. und dann war da noch: Wie wäre es mit… einer Karriere als Richter?

Wenn es dem (bösen) Nachbarn nicht gefällt, dass ich noch Auto fahre, oder: Anonyme Hinweise verhältnismäßig?

© sashpictures - Fotolia.com

© sashpictures – Fotolia.com

Verfahren, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen, haben für die Betroffenen erhebliche Bedeutung und sind in der Regel auch von erheblicher Brisanz. Meist geht es (auch) um die Frage, ob der Betroffene überhaupt verpflichtet war, ein von der Verwaltungsbehörde gefordertes Gutachten beizubringen und ob dann der Umstand, dass er das nicht getan bzw. die Beibringung verweigert hat, Grundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis sein kann/darf. Das ist nach § 11 Abs. 8 FeV zwar grundsätzlich zulässig, da danach der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen möglich ist, wenn er ein gefordertes Gutcahten nicht beibringt. Der Schluss auf die Nichteignung ist jedoch nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (BVerwG, Beschluss vom 11. Juni 2008 – 3 B 99/07 -, NJW 2008, 3014).

Und um die Fragen ging es u.a. im VG Neustadt, Beschl. v. 14.09.2015 – 3 L 783/15.NW. Die Verwaltungsbehörde hatte von dem Betroffenen die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens gefordert, da nach ihrer Ansicht fahreignungsrelevante Bedenken bestanden, weil der Betroffene u.a. an einer Psychose litt. Das ergab sich für die Behörde aus einer gutachterlichen Stellungnahme aus Oktober 2009 sowie aus einem Fachgutachten aus August 2009. In Letzterem war ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mehrere psychotische Episoden aufgetreten seien und deshalb im Hinblick auf mögliche Wiedererkrankungen eine gutachterliche Kontrolle nach Ablauf von zwei Jahren erfolgen sollte. Eine solche Nachuntersuchung hat die Verwaltungsbehörde im Jahre 2011 und später aber nicht veranlasst. Sie wurde erst Anfang 2015 tätig, nachdem sie offenbar ein Nachbar des Antragstellers hierauf aufmerksam gemacht hatte. Dazu das VG:

„Zwar lassen sich aus (anonymen) Hinweisen Dritter genügende Tatsachen im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV nicht ableiten. Die Fahrerlaubnisbehörde muss der Versuchung widerstehen, gewissermaßen durch „Schüsse ins Blaue“ auf der Grundlage eines bloßen „Verdachts-Verdachts“ dem Betroffenen einen im Gesetz nicht vorgesehenen Eignungsbeweis aufzuerlegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001 – 3 C 13.01 -, NJW 2002, 78). (Anonymen) Hinweisen Dritter kommt daher allgemein noch kein eigener Erkenntniswert zu, der Ermittlungsmaßnahmen, wie sie § 11 Abs. 2 FeV vorsieht, begründet, weil aus dem sie kennzeichnenden Charakter der Unverbindlichkeit für den Anzeigenden – die Behauptungen können auf bloßer Böswilligkeit beruhen und für den Anzeiger folgenlos aufgestellt werden – bereits kein genügender Anfangsverdacht erwächst (OVG Saarland, Beschluss vom 18. September 2000 – 9 W 5/00 -, ZfSch 2001, 92; vgl. auch OVG RheinlandPfalz, Beschluss vom 23. Mai 2002 – 7 B 10765/02 – und VG Neustadt, Beschluss vom 17. August 2015 – 1 L 700/15.NW -, wonach die Verkehrsbehörde einen durch Tatsachen getragenen „Anfangsverdacht“ zu belegen hat).

Die Kammer misst dem Umstand, dass der Antragsgegner erst auf „Anregung“ eines Nachbarn tätig geworden ist, im vorliegenden Verfahren – auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten – jedoch keine Bedeutung zu. Maßgebend ist allein, dass unabhängig davon Tatsachen im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV vorgelegen haben, nämlich die von Dr. med. C in seinem Gutachten vom 31. August 2009 angeregte, aber bisher nicht angeordnete Nachuntersuchung des Antragstellers.“

Schöner (?) „Zwar-Aber-Beschluss.