Archiv für den Monat: Januar 2014

Eigene Sachkunde des Gerichts – so einfach ist das nicht

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In einem Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung ging es beim LG Hagen in der Berufung (auch) um die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten (§§ 20, 21 StGB). Das LG hatte einen dazu gestellten Beweisantrag nach § 244 Abs. 4 StPO abgelehnt. das hat der Angeklagte mit der Revision geltend gemacht und im OLG Hamm, Beschl. v. 22.10.2013 – 2 RVs 46/13 Recht bekommen. An sich eine m.E. ganz einfache Frage, die das OLG da entschieden hat. Das ergibt sich schon aus dem (amtlichen) Leitsatz der Entscheidung:

„Bei einer Blutalkoholkonzentration des Angeklagten von deutlich über 2 Promille zur Tatzeit, möglichem Medikamenteneinfluss und psychischen Auffälligkeiten vor, bei und unmittelbar nach der Tat, ist die Ablehnung eines auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Schuldunfähigkeit des Angeklagten gerichteten Beweisantrages wegen (angeblicher) eigener Sachkunde nach § 244 Abs. 4 StPO fehlerhaft.“

Imme wieder Kampf um die Terminsverlegung, oder: Die Gefahr der Prozessordnungswidrigkeit

© a_korn - Fotolia.com

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Welcher Verteidiger kennt ihn nicht? Den Kampf um den Termin und/oder die Terminsverlegung. Mit Zähen und Klauen werden gerade einmal bestimmte Termine häufig verteidigt, obwohl eine Umterminierung ohne weiteres möglich sein sollte. So offenbar auch beim AG Wolfsburg, das einen Terminsverlegungsantrag des Verteidigers abgelehnt hatte. Der war dagegen in die Beschwerde gegangen und jetzt beim LG Braunschweig obsiget (vgl. hier den LG Braunschweig, Beschl. v. 09.01.2014 – 13 Qs 4/14).

Vorliegend hat das Amtsgericht Wolfsburg das ihm eingeräumte Ermessen evident fehlerhaft ausgeübt. Auch wenn der Verteidiger weder einen Anspruch auf Terminverlegung noch auf vorherige Terminabsprache hat, so läuft der verfügende Richter dennoch Gefahr, prozessordnungswidrig zu handeln, wenn das Recht des Angeklagten auf freie Wahl seines Verteidigers dadurch eingeschränkt wird, dass der Verteidiger das Mandat wegen terminlicher Verhinderung nicht wahrnehmen kann, ohne dass er Einfluss auf die Terminierung hatte nehmen können (vgl. LG Dortmund: Beschluss vom 20.10.1997 – 14 (XI) Qs 71/97). Dies gilt zumindest dann, wenn dem Interesse des Angeklagten auf Verteidigung durch einen Verteidiger seines Vertrauens der Vorrang vor dem Beschleunigungsgebot zu gewähren ist.

 Bei seiner Ermessensausübung hätte das Amtsgericht berücksichtigen müssen, dass dem Angeklagten ein Diebstahl im besonders schweren Fall gemäß §§ 242, 243 StGB mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 3 Monaten vorgeworfen wird. Zur Durchführung der Hauptverhandlung werden, wie aus der Anklage und der Verfügung vom 23.12 2013 ersichtlich ist, insgesamt 8 Zeugen benötigt. Aufgrund der zu erwartenden Rechtsfolge und des Umfangs der Beweisaufnahme liegt ein gesteigertes Interesse des Angeklagten an einer Verteidigung durch einen Verteidiger seines Vertrauens vor. Demgegenüber muss das Beschleunigungsgebot hier zurücktreten. Entscheidungen, wie z.B. über Untersuchungshaft, Führerscheinentzug, Beschlagnahme etc., die eine besondere Beschleunigung des Verfahrens gebieten, sind nicht zu treffen. Ein Ausweichtermin ist seitens des Verteidigers in 3 Monaten angeboten worden. Dies stellt bei dem vorliegenden Verfahren keinen mit dem Grundsatz des Beschleunigungsgebotes nicht mehr zu vereinbarenden Zeitverzug dar. Eine Rücksprache des Gerichts mit dem Verteidiger, bei der gegebenenfalls ein auch früherer Verhandlungstermin hätte vereinbart werden können, ist nicht erfolgt.

Recht deultiche Worte, die das LG gefunden hat. Und wenn man liest: „… so läuft der verfügende Richter dennoch Gefahr, prozessordnungswidrig zu handeln, wenn das Recht des Angeklagten auf freie Wahl seines Verteidigers dadurch eingeschränkt wird, dass der Verteidiger das Mandat wegen terminlicher Verhinderung nicht wahrnehmen kann, ohne dass er Einfluss auf die Terminierung hatte nehmen können…“ dann dürfte das nach Auffassung des LG wohl heißen: Vorherige Terminsabsprache ist erforderlich bzw. über einen Terminsverlegungswunsch muss man miteinander reden. Und wenn das Gericht das nicht tut, handelt es ggf. „protessordnunswidrig“ = dann dürften die Vorschriften der §§ 24 ff. StPO grüßen.

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Gabriele Pauli – „die duchgeknallte Frau“?

© Klaus Eppele - Fotolia.com

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Wir erinnern uns sicher alle noch an Gabriele Pauli. Ja, das war die, die den Rücktritt von Edmund Stoiber gefordert und damit viel Staub aufgewirbelt hat. Ende 2006 hatte sie dann für ein Gesellschaftsmagazin posiert, und zwar in Latex, wenn ich mich Recht erinnere Die Fotostrecke ist dann in einer der Ausgaben des Magazins veröffentlicht worden. Dazu wurde dann auf einer Internetseite ein Text veröffentlicht , der u. a. die folgende Passage enthielt: „Ich sage es Ihnen: Sie sind die frustrierteste Frau, die ich kenne. Ihre Hormone sind dermaßen durcheinander, dass Sie nicht mehr wissen, was wer was ist. Liebe, Sehnsucht, Orgasmus, Feminismus, Vernunft. Sie sind eine durchgeknallte Frau, aber schieben Sie Ihren Zustand nicht auf uns Männer.“  Frau Pauli hatte das als Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts gesehen und von dem Verfasser die Unterlassung verschiedener Einzeläußerungen, u. a. der Bezeichnung als „durchgeknallte Frau“, sowie eine angemessene Geldentschädigung verlangt. Damit war sie in den Zivilverfahren, zuletzt beim OLG München, gescheitert.

Beim BVerfG hatte sie jetzt aber Erfolg, wie von dort gerade gemeldet wird. (hier die PM und hier das BVerfG, Urt. v. 11.12.2013 – 1 BvR 194/13). Nach Auffassung des BVerfG kann die Bezeichnung als „durchgeknallte Frau“ , abhängig vom Kontext, eine ehrverletzende Äußerung sein, die nicht mehr vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist. Also Vorsicht mit solchen Äußerungen, egal zu welcher Frau :-).

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Verständigung/Absprache – ein Rechtsprechungsmarathon

© FotolEdhar - Fotolia.com

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Wenn man im Moment die obergerichtliche Rechtsprechung zu § 257c StPO ein wenig verfolgt, stellt man m.E. sehr schnell fest, dass zu dieser und zu den sie flankierenden Vorschriften ein wahrer Rechtsprechungsmarathon in der Rechtsprechung des BGH aber auch in der der OLG losgetreten ist. Ausgangspunkt ist sicherlich die Entscheidung des BVerfG v. 19.03.2013 (vgl. dazu hier: Da ist die Entscheidung aus Karlsruhe: Die genehmigte Verständigung, der verbotene Deal), die die Obergerichte umsetzen. Wenn man eine Tendenz aus der vorliegenden Rechtsprechung ableiten will, kann man m.E. erkennen/ableiten, dass die Obergerichte die Verständigung/Absprache nicht wollen und es den Instanzgerichten schwer machen, die gesetzlichen Vorgaben umzusetzen. Allerdings wäre es m.E. auch viel besser gewesen, nicht in die auf  ein streitiges Verfahren ausgelegten StPO-Vorschiften die konsensualen Verständigungsregelen zu impletieren. Besser wäre es gewesen, ein eigenes konsensuales Verfahren zu schaffen, das neben dem streitigen Verfahren gestanden hätte. Aber, es ist nun mal anders gekommen. 🙁

Ich kann hier nicht über die vielen Entscheidungen der letzten Zeit im Einzelnen berichten. Das würde den Rahmen sprengen. Daher heute nur ein Überblick/ein Potpourri zu § 257c StPO und was dazu gehört, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Ich weise also hin auf:

  • BGH, Beschl. v. 03.09.2013 – 5 StR 318/13, der sich noch einmal zur Frage, Strafobergrenze ja oder nein, verhält.
  • BGH, Beschl. v. 29.11.2013 -1 StR 200/13, der sich mit den Auswirkungen gescheiterter Verständigungsgespräche befasst, dabei grundsätzlich aber bejaht, dass über das bloße Ergebnis hinaus deren Inhalt ähnlich wie der Inhalt nicht gescheiterter Gespräche bekannt zu geben und zu protokollieren ist.
  • BGH, Beschl. v. 02.10.2013 – 1 StR 386/13, der die Zulässigkeit außerhalb der Hauptverhandlung geführter Gespräche über eine Abtrennung und die Frage behandelt, wer daran teilnehmen muss.
  • BGH, Beschl. v. 214. 9. 2013 – 2 StR 267/13 mit der Leitsatz: Wenn Verteidigung und Staatsanwaltschaft in Gegenwart der für die Entscheidung zuständigen Richter Anträge zur Strafart und Strafhöhe nach Teileinstellung des Verfahrens und Ablegung eines Geständnisses erörtern, im Anschluss daran das Gericht nach dem Vortrag eines Formalgeständnisses auf eine – an sich vorgesehene – Beweisaufnahme verzichtet, den übereinstimmenden Anträgen folgt und der Angeklagte Rechtsmittelverzicht erklärt, ist in der Regel von einer konkludent geschlossenen Urteilsabsprache auszugehen, die dem Zweck dient, die Anforderungen und Rechtswirkungen einer Verständigung rechtswidrig zu umgehen. Bloßes Schweigen der Richter bei einem Verständigungsgespräch oder die Erklärung, das Gericht trete den Vorschlägen nicht bei, stehen dem nicht entgegen. Ein Rechtsmittelverzicht ist unwirksam, wenn dem Urteil eine informelle Verständigung vorausgegangen ist.
  • OLG München, Urt. v. 09.01.2014 – 4 StRR 261/13 mit dem Leitsatz:Scheitern Verständigungsgespräche sind vom Gericht eingegangene „einseitige Verpflichtungen“ gegenüber dem Angeklagten gesetzwidrig und führen zur Aufhebung des auf einer solchen Verpflichtung beruhenden Strafurteils, weil nur so die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Revisionsge-richte zur Kontrolle von Verständigungen im Strafverfahren effektiv umgesetzt werden können.
  • OLG Celle, Urt. v. 18.12.2013 – 31 Ss 35/13 mit den Leitsätzen: Will die Revision eine Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO rügen, so muss sie bestimmt behaupten und konkret darlegen, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form und mit welchem Inhalt Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden haben. Zur konkreten Darlegung der Form gehört auch die exakte   regelmäßig namentliche – Benennung der Gesprächsteilnehmer. Da die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 212 StPO nur vom „Gericht“ geführte Erörterungen mit den Verfahrensbeteiligten erfasst, fallen hierunter in Verfahren vor einer großen Strafkammer nur solche Gespräche, an denen entweder alle Berufsrichter teilgenommen haben oder in denen die Strafkammer sich – nach außen deutlich – durch eines ihrer Mitglieder aufgrund entsprechender Beratung geäußert hat.“

Wie gesagt: Kein Anspruch auf Vollständigkeit: es ist nur das, was derzeit noch in meinem Blogordner hing. Darüber hinaus hatte ich ja auch über andere Entscheidungen schon gesondert berichtet.

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Tabula rasa, oder: Warum klaue ich einen „Starenkasten“?

© lassedesignen - Fotolia.com

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In der örtlichen Presse, aber auch hier bei WDR-online, wird darüber berichtet, dass in der Nach von Sonntag auf Montag (20.01.2014) in Ibbenbüren Diebe einen „Starenkasten“ aus der Verankerung gerissen und mitgenommen haben. Also nicht nur die Kamera, sondern gleich das ganze Gerät. Dabei sollen/müssen die Täter wohl dass die Täter einen Traktor oder einen Radlader benutzt haben, um die Tempo-Messanlage beseitigen können.

Man fragt sich: Welchen Sinn hat eine solche Aktion?

  • Nun, auf der Hand liegt Vandalismus, obwohl mir dafür der Aufwand ein bisschen groß erscheint.
  • Dann könnte es darum gehen, die Messanlage zu verkaufen (?). Allerdings glaube ich, dass es kaum einen Markt für gestohlene Messanlagen gibt, selbst wann man unterstellt, dass die ein oder andere Gemeinde schon finanziell sehr klamm ist.
  • Da bleibt dann nur, dass Messfotos von einem Verkehrsverstoß, die mit der Überwachungskamera aufgenommen worden sind, beseitigt/vernichtet werden sollen. Das ist sicherlich eine endgültige Methode, um ein Verfahren vorab „einzustellen“, allerdings kann es, wenn man erwischt wird erheblich teurer werden als es mit einem ggf. drohenden Bußgeld werden könnte.
  • Oder: Es ist nachträgliche Rache an dem Starenkasten, weil er zu Überführung an einem früheren Geschwindigkeitsverstoß beigetragen hat.

Nächste Frage: Wo bleibt man mit dem Gerät bzw. wie entsorgt man es? Auch das ist eine spannende Frage.

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