Archiv für den Monat: Oktober 2012

Das „ins wahnhafte reichende Verfolgungsinteresse“ des Staatsanwaltes

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Die Fragen, die mit der Zulassung eines gewählten Verteidigers als Rechtsbeistand nach § 138 Abs. 2 StPO zusammen hängen, treten in der Praxis nicht so häufig aus, wenn aber, dann knallt es meist, bzw. es hat bereits geknallt. Denn nicht selten, hat es im Verfahren bzw. in anderen Verfahren Schwierigkeiten mit dem Zuzulassenden gegeben, die dann dazu führen, dass seine Zulassung abgelehnt wird. So auch im OLG Celle, Beschl. v. 13.08.2012 – 2 Ws 195/12 – mit dem Leitsatz:

„Die Zulassung eines gewählten Verteidigers liegt im Ermessen des Gerichts. Sie setzt u.a. die Vertrauenswürdigkeit und persönliche Eignung des gewählten Verteidigers voraus. Hieran kann es fehlen, wenn dieser dem Gericht mehrere Vorstrafen sowie die Verbüßung von Strafhaft als Grund für die Abwesenheit in einem Hauptverhandlungstermin gegen den von ihm vertretenen Angeklagten verschweigt. Hat er zudem das für einen Rechtsbeistand mittelbar geltende Sachlichkeitsgebot nach § 43a Abs. 2 Satz 2 StPO durch wiederholte verbale Angriffe gegen Verfahrensbeteiligte jenseits der Grenze zur Schmähkritik verletzt, kommt seine Zulassung als Rechtsbeistand nicht in Betracht.“

Das LG hatte die Zulassung abgelehnt, das OLG hat das bestätigt.  Kann ich nachvollziehen, da es in der Hauptverhandlung im zweifel Probleme gegeben hätte. Ein sachliches Verhandeln dürfte kaum zu erwarten gewesen sein. Dazu:

„Die Einschätzung der Kammer hinsichtlich der unzureichenden Vertrauenswürdigkeit des Beteiligten wird darüber hinaus auch durch die für einen nach § 138 Abs. 2 StPO zugelassenen Rechtsbeistand mittelbar anwendbaren berufsrechtlichen Vorschriften für Rechtsanwälte gestützt. Wie ein Rechtsanwalt hat auch ein Rechtsbeistand unter Beachtung des speziellen Sachlichkeitsgebots nach § 43a Abs. 2 S. 2 BRAO sachlich und professionell vorzutragen und sich herabsetzender Äußerungen, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben, zu enthalten. Da § 138 Abs. 2 StPO die Zulassung eines Rechtsbeistands als Verteidiger nur ausnahmsweise vorsieht, ist von ihm die Einhaltung der für Rechtsanwälte geltenden Verhaltensvorschriften im besonderen Maße zu verlangen (vgl. OLG Koblenz, aaO).

Mit seinem im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Amtsgericht Dannenberg über den sachbearbeitenden Dezernenten der Staatanwaltschaft getätigten Äußerungen hat der Beteiligte das Sachlichkeitsgebot indes in eklatanter Weise verletzt. So hat er ihn in seinem Schriftsatz vom 06.12.2010 eines „ins wahnhafte reichenden Verfolgungsinteresses“ bezichtigt, ihm einen „erkennbar menschenfeindlich-autoritären Charakter“ attestiert und die Befürchtung geäußert, dass sich „die wahnhaften Persönlichkeitsmerkmale des Staatsanwalts auf den Prozess erheblichen auswirken“ würden. In ähnlich abfälliger Weise hat er sich über den für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Amtsgericht Dannenberg zuständigen Richter geäußert. In seinem Schriftsatz vom 18.12.2010 führt er u.a. aus, „… ist die Behauptung … willkürlich und entbehrt jeder Grundlage. Gericht und Staatsanwaltschaft haben sich mit wissentlichen Falschdarstellungen diese Grundlage selbst zu schaffen versucht. … Das Gericht zeigte sich als williger Vollstrecker der Wünsche der Staatsanwaltschaft“. Mit diesen Angriffen gegen Verfahrensbeteiligte hat der Beteiligte die Grenze zur Schmähkritik deutlich überschritten. Es ist zu besorgen, dass er bei einer (erneuten) Zulassung als Rechtsbeistand der Angeklagten auch im Berufungsverfahren nicht bereit oder in der Lage sein wird, sachlich und angemessen zu argumentieren. Ist indes absehbar, dass der gewählte Verteidiger den für einen anwaltlichen Verteidiger geltenden Verhaltensregeln nicht entsprechen wird oder kann, kommt im Interesse eines objektiv und sachlich zu führenden Verfahrens und auch im Interesse des Beschuldigten oder Angeklagten die Zulassung des gewählten Verteidigers als Rechtsbeistand nach § 138 Abs. 2 StPO nicht in Betracht (so auch OLG Hamm, aaO; OLG Koblenz, aaO).“

 

Akteneinsicht a la Langenfeld – Nachschlag vom LG Düsseldorf

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Ich hatte vor einigen Tagen über den AG Langenfeldberg, Beschl. v. 30.08.2012 – 16 OWi 89/12 [b] -, den mir der Verteidiger aus dem Verfahren übersandt hatte, berichtet (vgl. hier). Dazu liegt jetzt die Beschwerdeentscheidung des LG Düsseldorf vor, die sich in bemerkenswerter Kürze mit der Frage auseinandersetzt. Im LG Düsseldorf, Beschl. v. 18.09.2012 – 61 Qs 100/12 heißt es nur – kurz und knapp:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist jedenfalls unbegründet, da das Recht auf Akteneinsicht nicht die Möglichkeit umfasst, die Bußgeldbehörde zu einer bestimmten inhaltlichen Gestaltung der Akte zu veranlassen.“

Nun ja: in der Kürze liegt die Würze. Aber so kurz? In der Sache trifft die Begründung des LG m.E. auch nicht den Kern. Es geht nämlich nicht um die Frage, ob der Verteidiger die inhaltliche Gestaltung der Verfahrensakte bestimmen kann. Vielmehr geht es darum, ob dem Betroffenen/Verteidiger im Wege des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 2 GG) die Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind, die erforderlich sind, um die Ordnungsgemäßheit der Messung zu überprüfen.

Und: Das LG hat in der Sache Stellung genommen. Das erstaunt, da die Entscheidung des AG, was häufig übersehen wird, nach § 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG nicht anfechtbar war. Oder übersehe ich was?

Das gibt es nicht nur im Witz: Oma tot, aber trotzdem Rente – kein Betrug

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Bisher hatte ich gedacht, die Fallkonstellation, die dem KG, Beschl. v. 27.07.2012 – 3 Ws 381/12 – zugrunde liegt, gibt es nur im Witz oder in Erzählungen, nämlich die Rentenzahlung über den Tod des Rentbers hinaus und keiner merkt es. War eine irrige Annahme, wie der KG-Beschluss zeigt. In dem Verfahren war folgender Sachverhalt zu beurteilen:

„Die Angeschuldigte soll es entgegen der ihr gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB I in Verbindung mit § 118 Abs. 4 SGB VI als Alleinerbin ihrer verstorbenen Mutter C. N. obliegenden Verpflichtung unterlassen haben, der Deutschen Rentenversicherung Bund spätestens zum 1. Juli 1997 den Tod ihrer Mutter mitzuteilen. Infolgedessen habe der zuständige Sachbearbeiter der Deutschen Rentenversicherung Bund nicht die Einstellung der für die Mutter laufenden Rentenzahlungen veranlasst. So seien fortlaufend Rentenzahlungen in Höhe von anfangs 685,52 Euro (1.343,61 DM) und zuletzt 734,02 Euro auf das Konto der Verstorbenen, über das auch die Angeschuldigte schon zu Lebzeiten ihrer Mutter verfügungsberechtigt gewesen sei, überwiesen worden. Ingesamt habe die Rentenversicherungsträgerin in der Zeit vom 1. Juli 1997 bis zum 31. März 2007 Rentenzahlungen von insgesamt 75.283,51 Euro geleistet, worauf kein Anspruch bestanden habe. Die Angeschuldigte habe die eingehenden Rentenzahlungen verbraucht, indem sie über das Konto ihrer Mutter ab dem 1. Juli 1997 fortlaufend Verfügungen zu Gunsten ihres eigenen Kontos und zudem Überweisungen für eigene Zwecke vorgenommen habe.

Die StA ist in ihrer Anklage von Betrug durch Unterlassen, wodurch ein Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeigeführt worden sein soll, ausgegangen. Das LG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Das KG hat das auf die Beschwerde der StA hin nicht beanstandet.

Der Sachverhalt erfülle keinen Straftatbestand. Für eine Strafbarkeit wegen Betruges durch Unterlassen fehle es an einer Garantenpflicht im Sinne des § 13 Abs.1 StGB, wenn nach einem Todesfall die Alleinerbin der Verstorbenen es unterlasse, dem Rentenversicherungsträger den Todesfall mitzuteilen und die fortlaufenden Rentenzahlungen für sich verbrauche. Allein das materiellrechtliche Bestehen eines Erstattungsanspruchs des Rentenversicherungsträgers nach § 118 Abs.4 Satz 1 SGB VI begründe keine Auskunftspflicht nach § 60 Abs.1 Satz 2 SGB I.

Tja, das war es dann wohl. Wie war das noch mit Griechenland? 🙂

 

Ablehnter Führerschein – Löschung von Punkten?

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Im Verwaltungsverfahren streiten Beteiligten um die Rechtmäßigkeit der Erhebung von Kosten für eine auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG gestützte Verwarnung des Klägers. Nach dieser Regelung hat die Fahrerlaubnisbehörde den Inhaber einer Fahrerlaubnis zu verwarnen, wenn sich acht, aber nicht mehr als 13 Punkte im Verkehrszentralregister ergeben. Die Behörde war der Auffassung, der Kläger habe wegen strafgerichtlicher Verurteilungen in den Jahren 2001 und 2002 einen Stand von zwölf Punkten erreicht. Demgegenüber meinte der Kläger, diese Punkte seien nicht zu berücksichtigen, da im Jahr 2004 ein von ihm gestellter Antrag auf Fahrerlaubniserteilung abgelehnt worden sei. § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG, wonach dann, wenn die Fahrerlaubnis entzogen oder eine Sperre nach § 69a StGB angeordnet worden ist, die Punkte für die vor dieser Entscheidung begangenen Zuwiderhandlungen gelöscht werden, sei zumindest entsprechend anzuwenden.

Das Verfahren ist vis zum BVerwG gegangen Das hat die Revision des Klägers, der in allen Vorinstanzen unterlegen war, zurückgewiesen. § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG ist nach dem urt. des Bverw. v. 27.09.2012 – 3 C 33.11 – weder unmittelbar noch entsprechend auf den Fall der Ablehnung einer beantragten Fahrerlaubnis anwendbar. Eine unmittelbare Anwendung der Regelung scheitere bereits daran, dass dieser Fall in § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG nicht genannt wird. Darin sei keine planwidrige Regelungslücke, sondern – wie sich u.a. aus der Gesetzesbegründung ergibt – eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zu sehen, so dass auch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift ausscheidet. Abgesehen davon bestehe keine vergleichbare Interessenlage. In den Fällen der Fahrerlaubnisentziehung und der Erteilungssperre nach § 69a StGB sei die Punktelöschung das Korrelat für die mit diesen Maßnahmen erfolgte Sanktion; eine solche Verknüpfung fehle bei der Nichterteilung einer Fahrerlaubnis. Außerdem würde eine erweiternde Auslegung Manipulationsmöglichkeiten eröffnen.

Quelle: PM 95/12 des BVerwG v. Urteil des BGH vom 27.09.2012

Wo ist der Unterschied zwischen Rotlichtverstoß und Handyverstoß?

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Dann will ich zu der zu erwartenden Entscheidung des OLG Düsseldorf betreffend §§ 73, 74 OWiG gleich ein weitere Entscheidung zu der Problematik hinterher schicken. nämlich den OLG Düsseldorf, Beschl. v.22.08.2012 – IV 1 RBs 121/12. Wenn die Amtsrichterin die Ablehnung des Entbindungsantrages in dem Verfahren gegen Sidney Sam ebenso begründet hat wie der Amtsrichter in dem dem OLG Düsseldorf zugrunde liegenden Verfahren, hätte die  gute Aussicht auf Erfolg. Wird aber wohl nicht der Fall sein

Allerdings: Die vom AG in dem hier vorgestellten Fall gewählte Begründung trifft man immer wieder an, obwohl sie immer wieder auch von OLG als unzulässig/Rechtsfehlerhaft beanstandet wird. Allein die theoretische Möglichkeit, der Betroffene werde seinen Entschluss zum Schweigen in der Hauptverhandlung überdenken, reicht eben nicht aus, ihm die Befreiung von seiner Verpflichtung zum Erscheinen zu verweigern. So auch das OLG Düsseldorf.

Interessant ist, dass das OLG sich von seinem Beschl. v. 14. 12.2011 (IV-1 RBs 144/11 (vgl. dazu hier) abgrenzt. Frage zu Recht?

Im vorliegenden Fall wurde dem Betroffenen in Rotlichtverstoß zur Last gelegt. Den hatte der Betroffene gegenüber den Polizeibeamten am Vorfallsort bestritten. Das AG hatte seinen Entbindungsantrag (§ 73 OWiG) mit der Begründung abgelehnt, das Erinnerungsvermögen der Zeugen sei größer, wenn sie den Betroffenen zu Gesicht bekämen. Das OLG hat das als Begründung nicht gelten lassen. Das werde nicht durch einzelfallbezogene konkrete Tatsachen gestützt. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Erinnerung der polizeilichen Zeugen an den Vorfall notwendig an den optischen Eindruck von dem Betroffenen geknüpft sei.

In dem Zusammenhang verweist das OLG eben auf seinen Beschl. v. 14. 12. 2011 (IV-1 RBs 144/11). In dem hatte das OLG in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der verbotswidrigen Benutzung eines Mobiltelefon die Ablehnung des Antrags auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der vier Monate nach der Tat stattfindenden Hauptverhandlung nicht beanstandet. Das hatte es damit begründet, dass der Polizeibeamter den Tatvorwurf bezeugen solle, und somit die Feststellung, ob der Betroffene verbotswidrig mobiltelefoniert habe, maßgeblich davon abhänge, ob sich der Zeuge konkret daran erinnere, dass er gesehen habe, dass der Betroffene ein Mobiltelefon bedient habe. Dazu müsse er den Betroffenen unmittelbar identifizieren. Bereits dieser Umstand rechtfertigte damals für das OLG die Annahme, die Anwesenheit des Betroffenen sei erforderlich.

Mir erschließt sich der Unterschied zum Rotlichtverstoß nicht.