Archiv für den Monat: Juli 2012

Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer – bei bereits abgeschlossenen Verfahren nur bedingt

Die Neuregelungen der §§ 198, 199 GVG finden ggf. auch auf bereits abgeschlossene Verfahren (noch) Anwendung. Allerdings ist insoweit Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu beachten. Dazu der OLG Celle, Beschl. v. 09.05.2012 – 23 SchH 6/12, mit dem ein Antrag auf PKH zurückgewiesen worden ist:

a)       Der Antragstellerin steht ein Anspruch aus § 199 i. V. m. § 198 GVG wegen unangemessener Dauer eines Strafverfahrens nicht zu. Diese Anspruchsgrundlage kommt gemäß Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zwar auch bei ab Inkraft­treten des Gesetzes am 3. Dezember 2011 abgeschlossenen Verfahren in Betracht. Voraussetzung ist jedoch, dass die Dauer des Verfahrens beim Inkrafttreten des Gesetzes Gegenstand einer anhängigen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden kann. Dies ist hier nicht der Fall. Das von der Antragstellerin angestrengte Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist mit dessen Entscheidung vom 3. März 2011 abgeschlossen und kann nach Art. 35 Abs. 2 EMRK auch nicht mehr anhängig gemacht werden. Zwar hat die Antragstellerin in dem genannten Verfahren keine Entschädigung geltend gemacht, weshalb auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine Veranlassung gesehen hat, der Antragstellerin diesbezüglich einen Geldbetrag zuzusprechen (vgl. Ziffer 41 des Urteils des EGMR vom 3. März 2011). Eine solche Entschädigung hätte die Antragstellerin gemäß Art. 60 Abs. 1 VerfO innerhalb des Schriftsatzes über die Begründetheit geltend machen müssen (vgl. NK?EMRK, 2. Aufl. 2006, Art. 41 Rdnr. 33). Im Übrigen war die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gemäß Art. 35 Abs. 1 EMRK nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung in zulässiger Weise möglich gewesen. Diese Frist ist ebenfalls versäumt. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Fristbeginn war nämlich die das nationale Verfahren abschließende Entscheidung des Landgerichts Hannover vom 9. Januar 2009. Auf einen späteren Zeitpunkt, nämlich die Abweisung einer auf nationaler Ebene erhobenen Amtshaftungsklage, wie sie die Antragstellerin in ihrem Prozesskostenhilfegesuch vom 14. November 2011 angekündigt hat, kann nicht abgestellt werden. Insoweit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 8. Juni 2006 (NJW 2006, 2389) bereits festgestellt, dass eine mögliche Amtshaftungsklage nicht geeignet ist, Ersatz für Nichtvermögensschäden infolge überlanger Verfahrensdauer zu begründen. Der Einwand der Antragstellerin, zum Zeitpunkt der Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte am 11. August 2008 eine Höhe der zu gewährenden Entschädigung zu beantragen, sei ihr deswegen nicht möglich gewesen, weil das nationale Verfahren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen gewesen sei, greift ebenfalls nicht durch. Zwischen dem Abschluss des nationalen Verfahrens und der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lagen mehr als zwei Jahre, in denen die Antragstellerin einen bereits im Schriftsatz über die Begründetheit enthaltenen entsprechenden Entschädigungsantrag ohne Weiteres hätte beziffern und näher ausführen können.

 

Manchmal sind StGB-AT-Kenntnisse ganz angebracht, oder: Back to the roots

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In Strafverfahren richtet sich der Focus häufig nur/schnell auf verfahrensrechtliche Fragen, das materielle Recht, insbesondere die Fragen des StGB-AT, werden häufig vernachlässigt. Das zeigt sich am BGH, Beschl. v.12.06.2012 – 3 StR 166/12, in dem es um die Abgrenzung Mittäterschaft/Teilnahme ging. Das LG war von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„a) Nach den Feststellungen nahm die Angeklagte in Umsetzung des Tatplanes unter einem falschen Namen telefonisch mit dem Geschädigten Kontakt auf, traf sich mit ihm und brachte ihn schließlich am späten Abend mit ihrem Fahrzeug zu dem abgelegenen Tatort. Dort stieg der Geschädigte aus. Nach ihrer unwiderlegt gebliebenen Einlassung fuhr die Angeklagte weiter, stellte ihr Fahrzeug in einiger Entfernung ab und blieb in diesem sitzen. Nach dem Aussteigen des Geschädigten nötigten die Mitangeklagten diesen unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für dessen Leib und Leben zur Übergabe von 9.000 €, ohne hierauf einen Anspruch gehabt zu haben.“

und hatte den Angeklagten wegen mittäterschaftlicher räuberischer Erpressung (§ 253 Abs. 1 und 2, §§ 255, 25 Abs. 2 StGB) verurteilt.

Das hatr dem BGH nicht geapsst:

Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, handelt mittäterschaftlich, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint (Fischer, StGB, 59. Aufl., § 25 Rn. 12 mwN). Ob danach Mittäterschaft anzunehmen ist, hat der Tatrichter aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen; maßgebliche Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2008 – 3 StR 243/08, StV 2008, 575; Urteile vom 12. Februar 1998 – 4 StR 428/97, NJW 1998, 2149, 2150; vom 15. Januar 1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291). Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (BGH, Urteil vom 17. Oktober 2002 – 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254; Beschluss vom 2. Juli 2008 – 1 StR 174/08, NStZ 2009, 25). Erschöpft sich demgegenüber die Mitwirkung nach seiner Vorstellung in einer bloßen Förderung fremden Handelns, so stellt seine Tatbeteiligung Beihilfe dar (§ 27 Abs. 1 StGB; vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2012 – 3 StR 63/12, StraFo 2012, 194).

c) Daran gemessen kann der Schuldspruch nicht bestehen bleiben. Das Urteil lässt nicht nur die hier zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe gebotene wertende Gesamtbetrachtung vermissen, sondern bereits Feststellungen dazu, ob und in welcher Ausprägung die Angeklagte ein eigenes Interesse an der Tat sowie – über ihren eigenen Tatbeitrag hinaus – Tatherrschaft oder wenigstens den Willen dazu hatte. Die Annahme der Jugendkammer, die Angeklagte sei Mittäterin, weil sie sich „wissentlich und willentlich an der Drohkulisse“ beteiligt habe, machte die mit Blick auf den festgestellten untergeord-neten Tatbeitrag der Angeklagten gebotene wertende Gesamtbetrachtung so-wie die erforderliche Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nicht entbehrlich.“

Also: Back to the roots

Der Kampf um die Auslagenerstattung in Beratungshilfesachen

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Von vielen Kollegen höre ich immer wieder, dass in Beratungshilfesachen sie sich häufig in einem Dauerkampf mit den Rechtspflegern um die Erstattung von Auslagen, insbesondere um die Erstattung von Kopien der Verfahrensakten, befinden.Die Erstattung wird häufig mit dem Argument, der Rechtsanwalt könne sich ja Notizen aus den Akten machen, abgelehnt. Dass das aus verschiedenen Gründen nicht richtig ist, liegt m.E. auf der Hand. So wird es zunehmend auch in der Rechtsprechung gesehen. Ein schönes Beispiel für die Argumentation ist der AG Riesa, Beschl. v. 27.06.2012 – 002 UR II 00885110, mit dem (allgemeinen) Leitsatz:

Ein Rechtsanwalt, der seinen Mandanten berät um die Reaktion in einem Strafverfahren zu besprechen, benötigt dazu Ablichtungen aus der Ermittlungsakte. Deshalb besteht auch in Beratungshilfesachen Anspruch auf Erstattung der von dem Rechtsanwalt gefertigten Fotokopien aus der Staatskasse.

Der Beschluss listet die Argumente pro Erstattung schön auf.

Oh ha, das wird nicht einfach werden – „offenkundige Widersprüche innerhalb des Vortrags des Verteidigers“

Der OLG Hamm, Beschl. v. 20.04.2012 – III 3 RBs 59/12 hat ein amtsgerichtliches Urteil wegen nicht ausreichender Beweiswürdigung im amtsgerichtlichen Urteil bei einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung aufgehoben. Darauf will ich aber gar nicht hinweisen, sondern nur auf einen Zusatz/eine Segelanweisung des OLG. Dessen  Beschluss schließt mit:

„….Im Falle eines erneuten Schuldspruches wird der neue Tatrichter bei der Rechtsfolgenentscheidung – namentlich bei der Entscheidung über die Verhängung eines Fahrverbotes – Gelegenheit haben, sich mit den offenkundigen Widersprüchen innerhalb des Vorbringens des Verteidigers auseinanderzusetzen. Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 23. November 2011 (Blatt 78 ff d.A.) hat dieser erklärt, die Betroffene könne „nur zwei Wochen Urlaub nehmen“. In einem Schriftsatz vom 28. Juli 2011 (Blatt 73 d.A.) hat der Verteidiger zur Begründung eines Terminsverlegungsantrages ausgeführt, die Betroffene befinde sich „in der Zeit vom 12. September bis einschließlich 5. Oktober 2011 in ihrem Jahresurlaub“.
Folge dieses Hinweises: Da wird es der Betroffene, wenn es um das Absehen vom Fahrverbot geht, nicht so ganz einfach mit seiner Argumentation haben. Denn, dass er nur zwei Wochen Urlaub nehmen kann, wird ihm das AG nach dem mehr als deutlichen Hinweis des OLG kaum noch abnehmen. Allerdings: Auswirkungen auf die Frage, ob nicht ggf. wegen Zeitablaufs vom Fahrverbot abzusehen ist (Tat datiert vom 25.08.2010), dürfte der Hinweis kaum haben. Denn der ist von der Urlaubsfrage unabhängig.
Fazit: Etwas mehr Sorgfalt, Herr Kollege :-(.

DNA passt, also Sack zu = Verurteilung, so geht es nicht

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In der letzten Zeit hat der BGH in mehreren Entscheidungen zur Beweisführung mit/durch ein DNA-Gutachten und zu den Anforderungen an die Urteilsgründe Stellung genommen. So z.B. im BGH, Urt. v. 03.05.2012 – 3 StR 46/12. Aus der Rechtsprechung des BGH kann man ableiten, dass es sich die Tatgerichte manchmal zu einfach machen. Jedenfalls passt die Argumentation: DNA passt, also Sack zu = Verurteilung, so nicht.

Das lässt sich sehr schön aus dem BGH, Urt. v. 03.05.2012 ableiten. Danach sind auch bei einem DNA-Gutachten zwei Schritte zu unterscheiden, und zwar:

1. Schritt:

Für DNA-Vergleichsgutachten gilt nichts anderes. Zwar ist das in der forensischen Praxis gebräuchliche PCR-Verfahren, das dazu dient, aus der Probe sowie aus der Vergleichsprobe jeweils eine bestimmte Anzahl in der Kern-DNA auftretender Systeme (sog. short tandem repeats; STR) eindeutig zu iden-tifizieren, um so (zunächst) Übereinstimmungen festzustellen, inzwischen in seinen Abläufen so weit standardisiert, dass es im Urteil keiner näheren Darlegungen hierzu bedarf.

2. Schritt:

Kein in diesem Sinne standardisiertes Verfahren ist aber die im zweiten Schritt an die so gewonnenen Daten anknüpfende Wahrscheinlichkeitsberechnung, denn die Aussage darüber, mit welcher statistischen Häufigkeit ein bestimmtes Merkmal oder eine bestimmte Merkmalskombination auftritt, hängt zunächst von einer wertenden Entscheidung des Gutachters ab, welche Vergleichspopulation er ausgehend von der genetischen Herkunft des Täters heranzieht und inwieweit er aufgrund voneinander unabhängiger Vererbung der übereinstimmenden Merkmale die sog. Produktregel anwendet. Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Wahrscheinlichkeitsberechnung auf ihre Plausibilität zu ermöglichen, verlangt der Bundesgerichtshof deshalb in ständiger Rechtsprechung die Mitteilung ihrer Grundlagen im Urteil (Beschluss vom 6. März 2012 – 3 StR 41/12; Beschluss vom 12. Oktober 2011 – 2 StR 362/11, NStZ-RR 2012, 53; Beschluss vom 21. Januar 2009 – 1 StR 722/08, NJW 2009, 1159; Beschluss vom 5. Februar 1992 – 5 StR 677/91, NStZ 1992, 601; Urteil vom 12. August 1992 – 5 StR 239/92, BGHSt 38, 320). Hierzu gehören – zumindest wenn der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört – eine hinreichend deutliche Umschreibung der zum Vergleich herangezogenen Bevölke-rungsgruppe sowie jedenfalls die Häufigkeit der einzelnen als übereinstimmend festgestellten Merkmale in dieser Vergleichspopulation sowie eine Aussage dazu, inwieweit in wissenschaftlich zulässiger Weise die sog. Produktregel zur Anwendung kam.

Zum konkreten Fall dann:

Diesen Maßstäben wird hier die bloße Mitteilung im Urteil, unter Anwendung biostatistischer Berechnungsmethoden ergebe sich eine Wahrscheinlichkeit von eins zu mehr als zehn Milliarden, nicht gerecht. Weder werden die Faktoren erkennbar, auf denen dieses rechnerische Ergebnis beruht, noch wird ersichtlich, inwieweit der Gutachter bei der Auswahl der Vergleichspopulation mögliche aus der ethnischen Herkunft des Angeklagten – eines marokkanischen Staatsangehörigen – herrührende Besonderheiten berücksichtigt hat.