Archiv für den Monat: Juni 2012

Ein „bisschen“ BtM führt nicht zur Unterbringung

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In BtM-Verfahren spielen häufig (auch) die Fragen einer Unterbringung nach den § 64 StGB eine Rolle. In dem Zusammenhang hat jetzt der OLG Nürnberg, Beschl. v. 04.06.2012 – 1 St OLG Ss 128/2012 – vor kurzem darauf hingewiesen, dass allein der Erwerb von kleinen Rauschgiftmengen zum Eigenkonsum die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht rechtfertigt.

 Die Drogenabhängigkeit des Angeklagten lässt zwar weitere Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz in Form des Erwerbs von kleinen Rauschgiftmengen zum Eigenkonsum erwarten. Dies allein kann aber eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht rechtfertigen (vgl. BGH NStZ 1994, 280 m.w.N.; Fischer, StGB 59. Auflage § 64 Rn. 16 m.w.N.). Die bisher abgeurteilten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und auch die vorliegend relevante Tat – Symptomcharakter wurde insoweit nur hinsichtlich des unerlaubten Besitzes von 0,258 g Metamphetamin festgestellt, nicht jedoch hinsichtlich der Widerstandshandlungen – können die Annahme künftiger erheblicher Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz nicht nahe legen; hinreichende Anhaltspunkte für Beschaffungsdelinquenz sind im Urteil nicht festgestellt.

Die eigene Sachkunde der Strafkammer – man kann nicht alles wissen

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Strafkammer trauen sich häufig viel zu, manchmal auch zu viel. Das spielt vor allem eine Rolle, wenn es um die Ablehnung eines Beweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachten geht (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Das ist dann nicht selten ein Punkt, bei dem eine Revision erfolgreich ansetzen kann. Wenn die Kammer nämlich zu Unrecht eigene Sachkunde angenommen bzw. nicht ausreichend begründet hat, warum und wieso sie Sachkunde zur Beurteilung der Beweisfrage hat. So auch im BGH, Beschl. v. 23.05.2012 – 5 StR 172/12. Da hat die Strafkammer in einem Vergewaltigungsverfahren die Aussagetüchtigkeit/Glaubwürdigkeit des Opfers, bei dem ggf. eine paranoide Persönlichkeitsstörung vorlag, „in eigener Kompetenz“ entschieden. Das rügt der BGH:

 bb) Nichts anderes ergibt sich, wenn man – dem Generalbundesanwalt folgend – eine nur missverständlich formulierte Zurückweisung des Be-weisbegehrens unter Inanspruchnahme eigener Sachkunde annimmt (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Zwar kann sich das Gericht bei der Beurteilung von  Zeugenaussagen grundsätzlich eigene Sachkunde zutrauen; etwas anderes gilt aber, wenn besondere Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, die dem Gericht nicht zur Verfügung steht (BGH, Beschlüsse vom 1. März 1994 – 5 StR 62/94, StV 1994, 634, vom 29. Oktober 1996 – 4 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 106, vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 364/08, NStZ 2009, 346, 347, und vom 28. Oktober 2009 – 5 StR 419/09, NStZ 2010, 100, 101). Solche Umstände liegen hier vor. Die Diagnose einer paranoiden Persönlichkeitsstörung und deren Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit erfordert spezifisches Fachwissen, das nicht Allgemeingut von Richtern ist; demgemäß hätte die eigene Sachkunde näherer Darlegung bedurft (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1958 – 4 StR 211/58, BGHSt 12, 18, 20; Beschluss vom 21. Dezember 1983 – 3 StR 437/83, StV 1984, 232). Eine solche ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr stellt die Strafkammer unter Heranziehung der im ICD-10 für die paranoide Persönlichkeitsstörung aufgeführten Symptome einen Erfahrungs-satz zu generellen Wechselwirkungen der Störung mit der Aussagetüchtig-keit her, der wissenschaftlicher Absicherung entbehrt (vgl. etwa zu möglichen Übergängen der Störung Nedopil, Forensische Psychiatrie, 3. Aufl., S. 180).

Dürfte wohl richtig sein. Man kann nicht alles (wissen).

 

 

Die Besuchsreisen des Pflichtverteidigers

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Um die Abrechnung von Besuchsreise, die der Pflichtverteidiger für Besuche seines Mandanten in der JVA unternimmt/unternehmen muss, gibt es in der Praxis immer wieder Streit. Da geht es dann um die Fragen der „Erforderlichkeit“ i.S. des § 46 RVG. Häufig werden die Besuchsreisen im Umfnag, vor allem hinsichtlich der Anzahl der unternommenen Reisen, beanstandet. So auch in einem Verfahren in Rheinland-Pfalz. da war der Pflichtveteidiger neben einem Wahlverteidiger zur Verfahrenssicherung beigeordnet worden. Das LG meinte, er bekomme nicht alle von ihm unternommenen Reisen vergütet und hat (kurzerhand) die Hälfte der Kosten für sieben Reisen abgesetzt. Das OLG Zweibrücken hat dem Pflichtverteidiger, der sich dagegen gewehrt hat, Recht gegeben. Der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 04.06.2012 – 1 Ws 71/12 sagt, dass der Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger eben kein Verteidiger „2. Klasse“ ist. Aus der Begründung:

„Die Vergütung dieser Reisekosten bestimmt sich nach § 46 Abs. 1 RVG. Danach werden Auslagen nicht vergütet, wenn sie zur sachgemäßen Ausführung der Verteidigung nicht erforderlich waren. Dafür, dass Besuchsreisen für eine sachgemäße Ausführung der Verteidigung nicht erforderlich sind, trägt die Staatskasse die Beweislast. Auch für Auslagen gilt allerdings der Grundsatz, dass der Verteidiger die Ausgaben für seine Tätigkeit möglichst niedrig halten muss. Deshalb ist denkbar, dass bestimmte Auslagen oder die Höhe bestimmter Auslagen einen Anscheinsbeweis gegen ihre Erforderlichkeit erbringen und damit die Darlegungslast für die Erforderlichkeit auf den Verteidiger verlagert wird (Kammergericht, Beschluss vom 27. Mai 2008, 2/5 Ws 131/06).

Dies ist hier allerdings nicht der Fall. Die Strafsache betraf einen sehr schweren Tatvorwurf (versuchter Mord). Der Angeklagte war nicht vorbestraft, mithin weder mit einer Beschuldigtenstellung noch mit der Haftsituation vertraut. Die Besuchsreisen des Verteidigers verteilen sich auf einen Zeitraum von acht Monaten. Sie fanden vor und während der Hauptverhandlung statt. Der Kostenaufwand für jede einzelne Besuchsfahrt war nicht sehr hoch.

Der Umstand, dass der Verteidiger dem Angeklagten neben einem Wahlverteidiger beigeordnet worden ist, vermindert nicht zwingend den Gesprächsbedarf zwischen ihm und seinem Mandanten. Die Tätigkeit von zwei Verteidigern in derselben Strafsache bedingt nicht unbedingt eine arbeitsteilige Vorbereitung der Verteidigung oder gar die Aufteilung der Informationsgespräche. Auch wenn der Verteidiger lediglich zur Sicherung des Verfahrens beigeordnet worden sein sollte, musste ihm die Möglichkeit eingeräumt werden, seinen Mandanten effektiv zu verteidigen. Dazu muss er sich die für die Verteidigung erforderlichen Informationen in Gesprächen mit seinem Mandanten verschaffen können.“

 

Was Landgerichte so alles durchgehen lassen…

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Was Landgerichte so alles durchgehen lassen bzw. warum merken Landgerichte eigentlich nicht, wenn die tatsächlichen Feststellungen des AG für eine Berufungsbeschränkung nicht ausreichend sind. Die Frage stellte sich mir nach lesen des OLG München, Beschl. v. 08.06.2012, 4 StRR 97/12.

Das AG trifft zu einem vorsätzlichen § 316 StGB folgende Feststellungen:

„Der Angeklagte fuhr am 18. November 2010 gegen 19.40 Uhr mit dem Pkw Audi A 4, amtliches Kennzeichen xxx, auf der H. Straße in xxxf, obwohl er infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig war.

Eine bei dem Angeklagten am 18.11.2010 um 20.08 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,15 ‰.

Seine Fahruntüchtigkeit hätte der Angeklagte bei kritischer Selbstprüfung erkennen können und müssen. Außerdem hatte der Angeklagte, wie er wusste, nicht die erforderliche Fahrerlaubnis. Der Führerschein war seit 5.8.2010 nach § 94 StPO sichergestellt gewesen.

 Durch die Tat hat sich der Angeklagte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.“

Frage: Reicht das? Antwort: Natürlich nicht! Dazu das OLG – unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung:

Insbesondere zu den Verkehrsdelikten nach §§ 316 StGB, 21 StVG hat der Senat in ständiger Rechtsprechung, an der festzuhalten ist, erkannt, dass der Tatrichter sich nicht auf Feststellungen beschränken darf, die nur die reine tatbestandsmäßige Schuldform betreffen. Vielmehr ist der Tatrichter wegen der Bedeutung für die Rechtsfolgen gehalten, Feststellungen auch zur Motivation der Tat, den konkreten Verkehrsverhältnissen bei Tatbegehung, insbesondere zu möglichen Gefährdungen anderer Straßenverkehrsteilnehmer, und zum Anlass der Tat zu treffen. Beschränkt sich das Erstgericht auf die Feststellungen allein zur Schuldform und unterlässt es die weiteren Feststellungen, ist eine Beschränkung des Rechtsmittels nach § 318 StPO unwirksam und der Berufungsrichter gehalten, den Sachverhalt unter Beachtung der revisionsrechtlichen Vorgaben vollumfänglich festzustellen. (OLG München Beschluss vom 4. April 2012 – Aktenzeichen: 4 StRR 046/12, S. 4 f.; Beschluss vom 18. Februar 2008 – Aktenzeichen: 4 StRR 207/07 = OLG München StraFo 2008, 210; Beschluss vom 10. August 2011 – Aktenzeichen: 4 StRR 127/11; Beschluss vom 19. August 2010 – Aktenzeichen: 4 StRR 118/10, S. 4).

Die vom Amtsgericht getroffenen (…) Feststellungen betreffen nur die reine Schuldform.

 Das Urteil des ersten Rechtszugs teilt nichts zur gefahrenen Fahrstrecke, zum Anlass der Fahrt und zu den zur Tatzeit herrschenden Verkehrsumständen, damit zur Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, mit. Mithin war das Urteil lückenhaft und einer Beschränkung der Berufung nach § 318 StPO nicht zugänglich. Das hat die Berufungskammer verkannt.

Sollte man als Berufungskammer wissen. Dann würde man anderen Kammern Nacharbeit ersparen. Den Angeklagten wird es freuen. Er gewinnt Zeit und kann sich „vorbewähren“.

 

 

Strafzumessungsfehlerklassiker, oder: Anfängerfehler

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Strafzumessungsfehler bei den LG findet der BGH, wenn man seine Rechtsprechung auf seiner Homepage verfolgt, häufig(er). Der ein oder andere Fehler ist seltener, der vom BGH im BGH, Beschl. v. 17.04.2012 – 2 StR 73/12 – gerügte ist in meinen Augen hingegen ein Klassiker, man könnte auch sagen: ein Anfängerfehler:

„Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat im Strafausspruch Erfolg. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die Strafkammer hat in ihrer Gesamtabwägung zur Ablehnung eines minder schweren Falles Umstände angeführt, an deren Berücksichtigung sie von Rechts wegen gehindert war.

Das Landgericht durfte zu Lasten des Angeklagten weder in Rechnung stellen, dass „keine spontane Tat ohne Anlass“ vorliege, noch anführen, dass der Angeklagte „ohne Druck oder Beeinflussung Dritter“ und auch nicht „aus einer Notsituation heraus“ gehandelt habe. Nachvollziehbare, verständliche Motive für eine Tatbegehung wie ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse oder auch eine Suchterkrankung können ebenso wie die Tatverstrickung durch Dritte strafmildernd zu Buche schlagen; ihr Fehlen berechtigt allerdings nicht, dies zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 23. März 2011 – 2 StR 35/11). Soweit die Kammer darüber hinaus in ihren Erwägungen darauf abgestellt hat, es seien „primär finanzielle Erwägungen, die Aussicht auf eine lukrative Einnahmequelle“ Anlass für die Tatbegehung gewesen, verstößt sie damit gegen das Verbot der Doppelverwertung von Strafzumessungserwägungen (§ 46 Abs. 3 StGB), da Gewinnstreben zum Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gehört und von einem besonders verwerflichen, den Rahmen des Tatbestandsmäßigen erheblich übersteigenden Gewinnstreben nach den Feststellungen nicht gesprochen werden kann.

Solche Fehler erstaunen dann doch, zumindest ein wenig.