Archiv für den Monat: August 2011

Lob für die StA, Kritik für die Strafkammer, oder: Thema verfehlt…

klingt im BGH-Beschl. v. 13.07.2011 – 1 StR 154/11 an, wenn der 1. Strafsenat dort zu den von der Strafkammer im Hinblick auf die für eine Steuerhinterziehung getroffenen tatsächlichen Feststellungen ausführt:

Dies lässt das angefochtene Urteil – im Gegensatz zur sorgfältig verfassten Anklageschrift – vermissen. Die Feststellungen zum Schuldspruch wegen Umsatzsteuerhinterziehung lassen nicht tragfähig erkennen, aufgrund welcher Lieferungen und sonstigen Leistungen (§ 3 UStG) der Angeklagte steuerbare Umsätze bewirkt hat; das Urteil bezieht sich insoweit unklar auf „Einnahmen“ (UA S. 7). Hinsichtlich der Gewerbesteuer- und der Einkommensteuer teilt das Urteil zwar einen „Gewinn“ mit und „bei der Einkommenssteuerermittlung“ (UA S. 8) diesem Gewinn hinzuzurechnende Beträge. Es verzichtet im Übrigen aber auf eine Berechnungsdarstellung zu den hinterzogenen Steuern; weitergehende Feststellungen zu den Besteuerungsgrundlagen werden nicht getroffen. Dadurch ermöglicht es das Urteil dem Senat nicht, die Berechnung der vom Angeklagten hinterzogenen Steuern auch nur annähernd nachzuvollziehen.“

Liest man als Strafkammer nicht so gern. „nicht […] auch nur annähernd nachvollziehen. Im Deutschunterricht hätte das früher geheißen: Thema verfehlt.

Aufgepasst in Baden-Württemberg: Blitzen vor dem Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung erlaubt….

Autofahrer in Baden-Württemberg müssen jetzt aufpassen. Das OLG Stuttgart hat nämlich in OLG Stuttgart, Beschl. v.04.07.2011, 4 Ss 261/11 seine Rechtsprechung geändert.

Während es – auf der Grundlage einer früher in BW geltenden Verwaltungsvorschrift/Richtlinie – davon ausgegangen ist, dass eine Geschwindigkeitsmessung kurz vor dem Ende einer Geschwindigkeitsbegrenzung nicht zulässig ist, hat es diese Rechtsprechung – nach Aufhebung der Richtlinie – aufgegeben. In den Fällen darf der Kraftfahrer also nicht mehr von einem Richtlinienverstoß und damit nicht üblichen Verhältnissen i.S. von § 1 BKatV ausgehen. Und: Es ist auf die Fahrtrichtung des Betroffenen abzustellen, wenn es um die Zuordnung zum Verkehrsschild geht. In den Gründen heißt es:

„Geschwindigkeitsmessungen sollen grundsätzlich in einem Abstand von 150 m zu den jeweiligen beschränkenden Verkehrszeichen stattfinden. Davon kann bei gefährlichen Stellen (Unfallstellen, Gefahrenstellen) sowie im unmittelbaren Umfeld von Schulen, Kindergärten oder Baustellen abgewichen werden.“

Die Vorschrift beschreibt somit den Abstand der Messstelle zu einem Verkehrszeichen, das den Beginn einer Geschwindigkeitsbeschränkung anzeigt wie etwa der Ortseingangstafel (Zeichen 310 der Anlage 3 zur StVO i. V. m. § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) oder dem Zeichen 274 der Anlage 2 zur StVO. Da vor einem solchen Verkehrszeichen die Geschwindigkeit nicht beschränkt ist, bezieht sich der Abstand von 150 m auf den Bereich nach dem Zeichen. Darüber hinaus ist von dieser Regelung nicht die Geschwindigkeitsmessung bei einem solchen Verkehrszeichen erfasst, das eine Geschwindigkeitsbeschränkung aufhebt (etwa Zeichen 311 der Anlage 3 zur StVO i. V. m. § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO oder Zeichen 278 der Anlage 2 zur StVO).

Vorliegend wurde der Betroffene 90 m vor der Ortstafel gemessen. Zwar ist erfahrungsgemäß die Ortseingangs- mit der Ortsausgangstafel verbunden, so dass die Messung weniger als 150 m vor der Ortseingangstafel und damit entgegen der o.a. Vorschrift erfolgt sein könnte. Gleichwohl wurde das Messgerät korrekt aufgestellt, denn es ist auf die Fahrtrichtung des Betroffenen abzustellen, in der es kein beschränkendes Verkehrszeichen gab; die Ortseingangstafel hat hier außer Betracht zu bleiben.“

Das OLG hat übrigens in der Entscheidung DAR 2011, 210 gerade noch anders entschieden. Aber da hatte man wohl die Änderung/Aufhebung der Richtlinie übersehen.

Alt gegen Neu – das muss passen

Man stößt ja immer wieder auch auf Entscheidungen, die nur entfernt mit dem Verkehrsrecht und/oder Strafrecht zu tun haben.

So z.B. BGH, Beschl. v. 16.06.2011 – VII ZB 114/09, in dem es um eine Austauschpfändung ging. Dort war eine neuerer Pkw gegen einen anderen ausgetauscht worden (§ 811 Nr. 5 ZPO). Der BGH sagt bzw. weist darauf hin, dass eine Austauschpfändung eines unpfändbaren Kfz dann nicht zulässig ist, wenn das Ersatzfahrzeug keine annähernd gleiche Haltbarkeit und Lebensdauer aufweist. Das sei dann nicht der Fall, wenn das gepfändete Kraftfahrzeug neun Jahre alt mit einer Laufleistung von 50.000 km, das Ersatzstück dagegen 19 Jahre alt mit einer Laufleistung von 200.000 km ist.

Die Absicht, „schulmeisterlich zu belehren“…

reicht nicht aus, um einen Antrag des Betroffenen, ihn von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden (§ 73 Abs. 2 OWiG), abzulehnen. So das OLG Frankfurt in OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.07.2011 – 2 Ss-OWi 375/11. Dort hatte das AG einen Entbindungsantrag des Betroffenen abgelehnt mit der Begründung – so lässt es sich dem OLG Frankfurt-Beschluss entnehmen -, „dass es dem Betroffenen die Funktionsweise des Messgeräts erläutern und ihn über Sinn und Zweck von Ge­schwindigkeitsmessungen belehren wolle.“ Man ist ja schon erstaunt, wozu die StPO/das OWiG offenbar verpflichtet…

Dazu das OLG Frankfurt in seinem Beschluss:

Eine zur Zulassung der Rechtsbeschwerde führende Gehörsverletzung muss deshalb nicht immer vorliegen, wenn in Folge der rechtsfehlerhaften Ablehnung eines Entbindungsantrages nach § 73 Abs. 2 OWiG und anschließender Verwerfung des Ein­spruchs gegen den Bußgeldbescheid nach § 74. Abs. 2 OWiG die Einlassung des Be­troffenen zur Sache unberücksichtigt geblieben ist. Anders läge es, wenn das Amts­gericht unter gleichsam willkürlicher Verletzung seiner prozessualen Fürsorgepflicht und/oder des Grundsatzes eines fairen Verfahrens das unabdingbare Mindestmaß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verletzt hätte (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811). Dies wird bei Maßnahmen angenommen, die auf unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruhen und unter kei­nem Gesichtspunkt vertretbar erscheinen.

Das ist hier der Fall. Vorliegend hat das Amtsgericht die Entscheidung über die Ab­lehnung des Entbindungsantrages damit begründet, dass es dem Betroffenen die Funktionsweise des Messgeräts erläutern und ihn über Sinn und Zweck von Ge­schwindigkeitsmessungen belehren wolle. Hieraus ergibt sich gleichzeitig, dass das Amtsgericht die Anwesenheit des Betroffenen — auch nicht ansatzweise – zur Auf­klärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts für erforderlich erachtete. Die Erzwingung der Anwesenheit des Betroffenen allein mit dem Ziel, diesen in der Haupt­verhandlung schulmeisterhaft zu belehren, stellt sich aber nach Auffassung des Se­nats als Maßnahme dar, die auf einer unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maß­stäben des § 73 Abs. 2 OWG völlig entfernenden Erwägung beruht und unter keinem Gesichtspunkt vertretbar erscheint.“

Zutreffend. M.E. nicht zutreffend ist i.Ü. der grundsätzliche Ansatz des OLG, dass in den Fällen der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Ablehnung eines berechtigten Entbindungsantrags die Versagung rechtlichen Gehörs und die damit begründete Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG offenbar nur bei willkürlichem Handeln des AG in Betracht kommen soll. Das scheint ständige Rechtsprechung des OLG zu sein. Ist m.E. aber nicht richtig und wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung der anderen OLG auch anders gesehen.

Wo darf/muss die „schwule Schützenkönigin“ gehen? Das ist eine Frage…

Es gibt einen Spruch, der lautet“ „Münster steckt voller Merkwürdigkeiten“. So auch diese, über die heute die örtliche, aber auch die überregionale Tagespresse – vgl. hier den Bericht aus „Welt-online“ – berichten. Allerdings: Es ist keine Merkwürdigkeit aus Münster, sondern eine m.E. von außen hereingetragene. Der Hintergrund:

In Münster gibt es  einen schwulen Schützenkönig, der auf Zuspruch und Anraten seiner Kameraden seinen Lebenspartner zur „Schützenkönigin“ gemacht hat. Darüber hat sich im an sich eher konservativen Münster niemand aufgeregt. Nun hat die Geschichte aber doch „Drive“ bekommen. Denn es geht um die Frage: Wo marschiert der Lebenspartner beim Aufmarsch zum Landesbezirks-Königsschießen im münsterländischen Horstmar und beim Bundeskönigsschießen im ostwestfälischen Harsewinkel? An sich keine Frage: Doch wohl neben dem König. Nein , kein Schuß ins Schwarze, sondern Fehlschuss. Denn der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften, dem der Schützenverein des Königs angehört, hat durch seinen Präses, der Weihbischof im Erzbistum Köln ist, mitteilen lassen, dass das nicht gehe.  Der Lebenspartner dürfe nicht neben dem Schützenkönig gehen :-(.

Nur gut, dass der Schützenkönig tolerant(er) ist und um das Ganze kein großes Trara machen will. So hat man sich dafür entschlossen, dass er mit zwei Königsbegleitern geht und in der Reihe davor oder dahinter mit zwei Ehrendamen sein Lebenspartner. Wenn ich das Protokoll der europäischen Königshäuser richtige verstehe, würde ich den Lebenspartner vorhergehen lassen. Denn „hinterher“ könnte auf eine mindere Bedeutung schließen. Aber die Frage ist sicherlich noch nicht geklärt. Wahrscheinlich hat der Präses erst noch beim englischen Königshaus angefragt, wie man dort mit der Sache umgehen würde.

Man fragt sich, wenn man es liest: Soll man lachen oder über das Verhalten des Verbandes weinen?