Archiv für den Monat: Dezember 2010

Das Urteil im Zitronensaftfall

Manchmal ist man ja schon erstaunt, was das Leben alles so bringen kann, und bei manchen Dingen zugleich erfreut, dass es einen selbst noch nicht getroffen hat. So erging es mir bei der Lektüre der PM 246/10 v. 22.10.2010 des BGH, überschrieben mit „Urteil im Zitronensaftfall aufgehoben“. Ist nichts Wettbewerbsrechtliches, sondern behandelt den Fall/die Veurteilung eines Arztes, der der Auffassung war, dass auch Zitronensaft zur Behandlung einer nach einer Operation eventuell auftretenden Wundinfektion verwendet werden könne. Der wurde dann „nicht steril“ gewonnen. Lassen wir mal die rechtlichen Fragen, die der BGH behandelt hat, außen vor. Unabhängig davon: Ich wollte so etwas gerne sehr früh wissen :-).

Letzter Roman – oder: Hörbuch in der Hauptverhandlung?

Die SZ hat vor einigen Tagen über ein Verfahren berichtet, in der der Angeklagte ein 14 (!!) Stunden dauerndes letztes Wort gesprochen/gehalten hat. Darüber hatte ja auch schon der Lawblog berichtet, vgl. hier. Wenn man das so liest, fragt man sich natürlich: Kann der Tatrichter da eigentlich etwas gegen tun = kann man das letzte Wort abkürzen bzw. dem Angeklagten ins (letzte) Wort fallen?

Vorab: Das ist immer gefährlich, denn auch nach der an sich recht restriktiven Rechtsprechung des BGH zur Beruhensfrage, schließt der BGH in den Fällen der Verletzung des letzten Wortes auch heute in der Regel nicht aus, dass der Angeklagte noch etwas mitteilen kann, was auf das Urteil Einfluss hat.

Allerdings wird man bei einem 14 Stunden dauernden letzten Wort dem Gedanken an Missbrauch ggf. doch näher treten können und sich zudem die Frage stellen müssen, ob das noch ein „letztes Wort“ ist, oder ob es sich nicht um eine Einlassung handelt und ob man nicht wieder in die Beweisaufnahme eintreten soll/muss. Wenn Missbrauch, dann wird der Vorsitzende den Angeklagten – bevor er ihm das Wort entzieht, denn darauf läuft es hinaus – sicherlich ermahnen müssen, sich kürzer zu fassen und zum Ende zu kommen. Das ist natürlich eine Gratwanderung. Ich kann mich daran erinnern, dass ich beim LG Bochum mal in einer HV gesessen habe, in der der Angeklagte auch ein stundenlanges letztes Wort begonnen hat. Wir haben uns das eine ganze Zeit angehört und dann die Entziehung des letzten Wortes vorbereitet. Hat auch länger gedauert. Aber keine 14 Stunden 🙂

Zusatz am 23.12.2010: um 12.12. Hier kann man dann die ganze Geschichte nachlesen.

Stalking – hier mal von Frau zu Frau

Mit einem m.E. nicht alltäglichen Fall von Nachstellung hat sich das LG Potsdam in seiner Bewschwerdeentscheidung v. 15.09.2010 – 24 Qs 94/10 – befasst. Der Beschuldigten wurde Nachstellung ihrer früheren Freundin vorgeworfen. Das AG hatte die erhobene Anklage aus tatsächlichen Gründen nicht zur Hauptverhandlung zugelassen. Das LG hat auf die Beschwerde hin das Hauptverfahren eröffnet und in einer umfassenden Beweiswürdigung dargelegt, wie die erhobenen Beweise zu werten sind. Eine Steilvorlage für das AG, wenn sich die Umstände so in der Hauptverhandlung feststellen lassen.

Und: Mit der Kostenentscheidung zu Lasten der Angeschuldigten habe ich allerdings Schwierigkeiten: Brauchte man hier überhaupt eine Kostenentscheidung? Selbständiges Zwischenverfahren?

Finger weg von einfacher Email…,

wenn es um die Einlegung eines Rechtsmittels geht. Darauf hat im Sommer das LG Zweibrücken in seinem Beschl. v. 07.07.2010 – Qs 47/10 ausdrücklich hingewiesen und ausgeführt, dass die einfache E-Mail ohne elektronische Signatur nicht die schriftliche Einlegung eines Rechtsmittels ersetzt. Damit war die sofortige Beschwerde eines wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis Verurteilten gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung unzulässig.

Das LG sagt: Es habe nicht ausgereicht, per E-Mail „Widerspruch“ einzulegen, denn nach der Strafprozessordnung ist die sofortige Beschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich einzulegen. Eine einfache E-Mail, die nicht mit einer elektronischen Signatur versehen ist, ersetzt nicht die schriftliche Einlegung des Rechtsmittels.

Kleinvieh macht zwar Mist – 5 Betrugstaten mit kleineren Schäden begründen aber noch keine Wiederholungsgefahr

Der subsidiäre Haftgrund der Wiederholungsgefahr aus § 112a StPO ist für den Beschuldigten nicht ungefährlich, denn wenn keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr vorliegt, dann kann schnell auf diesen Haftgrund ausgewichen werden. Allerdings: Für den Haftgrund des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO ist es erforderlich, dass die fortgesetzte bzw. wiederholt begangene Anlasstat zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung geführt hat (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 01.04.2010 – III-3 Ws 161/10).

Dazu führt das OLG Hamm aus:

„Für den Haftgrund des § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO ist es erforderlich, dass die fortgesetzte bzw. wiederholt begangene Anlasstat zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung geführt hat, wobei bei einer wiederholten Begehung der Anlasstat der erforderliche Schweregrad grundsätzlich bei jeder einzelnen Tat vorliegen muss (vgl. Hilger in Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 112 a Rdnr. 32; Graf in KK, a.a.O., § 112 a Rdnr. 14). Erforderlich sind Anlasstaten, die einen überdurchschnittlichen Schweregrad und Unrechtsgehalt aufweisen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 13.11.2003 – 3 Ws 500/03 -; OLG Köln, Beschluss vom 27.10.2009 – 1 Ws 117/09 -, BeckRS 2010 00263; OLG Frankfurt am Main NStZ 2001, 75; Meyer-Goßner, a.a.O., § 112 a Rdnr. 9; Graf in KK, a.a.O., § 112 a Rdnr. 14). Es muss sich um solche Taten handeln, die mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; Hilger in Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 112 Rdnr. 34). Maßgebend bei der Bewertung sind insbesondere auch Art und Umfang des jeweils angerichteten Schadens (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG Jena NStZ-RR 2009, 143; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 210; Meyer-Goßner, a.a.O.; Graf in KK, a.a.O.).

Unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen ist in dem vorliegenden Verfahren der erforderliche Schweregrad bei den Anlasstaten, durch die Vermögensschäden in Höhe von 1.000,00 € bis 1.905,00 € verursacht worden sind, nach Auffassung des Senats noch nicht erreicht. Bei Schäden in der vorgenannten Größenordnung kann nämlich noch nicht von einem überdurchschnittlichen Schaden ausgegangen werden. Der Senat hat bei dieser Bewertung vergleichend darauf abgestellt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Vermögensverlust „großen Ausmaßes“ i. S. d. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Alternative 1 StGB erst bei einem Wert von 50.000,00 € erreicht ist (vgl. BGH NJW 2004, 169). Angesichts dessen können Schadenshöhen von lediglich 2 % (1.000,00 €) bis 3,81 % (1.905,00 €) dieses Betrages noch nicht als überdurchschnittliche Vermögensschäden eingestuft werden. Eine gewisse Bestätigung findet dieses Ergebnis auch in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für die Bundesrepublik Deutschland. So ergibt sich für das Berichtsjahr 2008 (PKS 2008, S. 192, Tabelle 07) ein durchschnittlicher Schadensbetrag von ca. 7.836,00 € bei 612.602 vollendeten Betrugsfällen (ohne Leistungserschleichung und Computerbetrug) mit einem Gesamtschaden von 4.800,6 Millionen Euro, wobei nicht verkannt wird, dass der Aussagewert dieser Statistiken insofern beschränkt ist, als deliktspezifisch von einem hohen Dunkelfeld auszugehen ist und außerdem Einzelfälle mit ganz außergewöhnlicher hoher Schadenssumme (sog. Ausreißer) den Durchschnittswert verschieben können (vgl. BGH NJW 2004, 169  m. w. N.)…“