Archiv für den Monat: Juni 2010

Antwort: Akteneinsicht ist rechtliches Gehör…

Der Kollege Siebers fragt sich gerade: Was ist eigentlich Akteneinsicht?

Antwort: Akteneinsicht ist Erfüllung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG). Allerdings: Über die Frage, ob zu einer ausreichenden Akteneinsicht auch eine strukturierte Akte gehört, kann man sicher trefflich streiten. Allerdings verstehe ich die Kammer/das Gericht in dem vom Kollegen geschilderten Fall nicht. Es würde doch auch nur der eigenen Arbeitserleichterung und der kürzeren Dauer des Verfahrens dienen, wenn man dem Verteidiger nicht ein ungeordnetes Aktenkonvolut vor die Füße wirft.

Ich kann dem Kollegen nur raten; wenn man mal von Anträgen in der Hauptverhandlung, Pausen usw. absieht: Drehen Sie den Spieß doch um und argumentieren mit der Entscheidung des BGH v. 14.04.2010 – 2 StR 42/10 und schreiben: Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem anderen zu. Oder: Warum muss ich mir aus einem Aktenkonvolut alles heraussuchen, wenn das (Revisions)Gericht das auch nicht tun will.

250 €/Stunde in Wirtschaftsstrafverfahren gehen wohl durch…

Ein Stundensatz von (mindestens) 250 € für die Tätigkeit des Strafverteidigers scheint sich durchzusetzen bzw. wird offenbar von den Zivilgerichten in Wirtschaftsstrafverfahren nicht als unangemessen beanstandet, wenn „die Rahmenbedingungen stimmen“ (vgl. dazu jetzt OLG Koblenz, Urt. v. 26.04.2010 – 5 U 1409/09;  auch BGH NJW 2010, 1364; OLG Hamm StRR 2008, 236 = JurBüro 2008, 307; AG Köln zfs 2006, 227; s. auch noch OLG Celle, Urt. v. 18.11.2009 – 3 U 115/09).

Das OLG Düsseldorf (a.a.O.) sieht das allerdings anders, hat dafür aber von Schons (a.a.O.) herbe Kritik erfahren müssen, der sich dem OLG Koblenz angeschlossen hat. Man darf gespannt sein, wie der BGH die Dinge demnächst sehen wird. Denn die Entscheidung des OLG Düsseldorf (a.a.O.) ist nicht rechtskräftig; die Revision ist unter dem Aktenzeichen IX ZR 37/10 beim BGH anhängig. Gespannt vor allem auch deshalb, weil der BGH ja nach wie vor an seiner „Fünffach-Satz-Rechtsprechung“ aus BGHZ 162, 98 festhält. Er hat diese in seinem Urt. v. 04.02.2010 (IX ZR 18/09 (NJW 2010, 1364) ja nicht aufgegeben, sondern nur modifiziert. Er hat allerdings schon darauf hingewiesen, dass ein gehobenes Einkommen für erfolgreiche Rechtsanwälte i.d.R. ein Zeithonorar von 250 € je Stunde erfordert.

Volltext zum Brechmitteleinsatz-Urteil des BGH liegt vor

Wir hatten vor einiger Zeit über das Urteil des BGH in 5 StR 18/10 berichtet, vgl. hier. In diesem Urteil hatte der BGH den Freispruch des LG Bremen aufgehoben. Dieses hatte einem im Beweissicherungsdient tätigen Arzt vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung wegen eines tödlich verlaufenen Brechmitteleinsatzes gegen einen Drogen-Dealer frei gesprochen. Der Volltext zu dieser für BGHSt vorgesehenen Entscheidung steht seit heute (endlich) auf der Homepage des BGH. Vgl. hier.

Lesenswert!

Fall Gäfgen: Urteil der Großen Kammer des EGMR ist da; und zwar mit einem Teilerfolg

In der beim EGMR anhängigen Beschwerdesache Gäfgen – uns allen bekannt – liegt jetzt das Urteil der Großen Kammer vor. Bisher kenne ich nur die Pressemitteilung, die hier auf Deutsch steht. Wenn man die Entscheidung zusammenfassen will/kann: Es hat es sich bei der Gewaltandrohung wohl um eine unmenschliche Behandlung gehandelt, die aber keine Auswirkungen auf die Fairness der Verfahrens gehabt hat. Verletzung von Art. 3 MRK und nicht auch von Art. 6 MRK. Keine Wiederaufnahme des Verfahrens, also nur ein Teilerfolg. Das Urteil selbst liegt bisher nur in Englisch oder Französisch vor. Das kann ich nicht :-).

Wenn du weglaufen willst, besteht Gefahr im Verzug…..

In der Diskussion um die Frage „Gefahr im Verzug – Ja oder nein?“ mit der Folge der Eilzuständigkeit der Polizei für die Anordnung der Blutentnahme, tut sich wahrscheinlich ein neuer Diskussionsstran auf. Das lässt sich aus einem Beschl. des LG Hamburg v. 06.05.2010 – 603 Qs 185/10 ableiten. Dort hatte die Betroffene nach dem Anhalten durch die Polizei und Identitätsfeststellung geäußert, sie werde ihren Pkw jetzt umparken und dann nach Hause gehen. Daraufhin hatten die Polizeibeamten die Blutentnahme wegen „Gefahr im Verzug“ angeordnet. Das LG Hamburg hat das gehalten und ein eigenständiges Festhalterecht – gegründet auf § 81a Abs. 2 StPO – verneint. Das haben bisher das OLG Hamm (Beschl. v. 25.08.2008 – 3 Ss 318/08) und Fickenscher/Dingelstadt, NStZ 2009, 124, 126 f. anders gesehen. Darüber wird man dann demnächst streiten. Jedenfalls ist die nächste Runde in der Diskussion eröffnet.