Archiv der Kategorie: StPO

StPO II: Einiges Neues zu Pflichtverteidigerfragen, oder: Zweiter Verteidiger, Entpflichtung, Wechselfrist, Grund

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Im zweiten Posting dann einige Entscheidungen zur Pflichtverteidigung (§§ 140 ff. StPO). Es hat sich aber seit dem letzten Posting zu der Porblematik nicht so viel angesammelt, dass es für einen ganzen Tag reicht. Also gibt es ein Sammelposting, allerdings nur mit den Leitsätzen:

1. Das Rechtsmittelgericht nimmt bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers durch das erkennende Gericht keine eigenständige Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO vor und übt kein eigenes Ermessen auf der Rechtsfolgenseite aus, sondern kontrolliert die angefochtene Entscheidung lediglich im Rahmen einer Vertretbarkeitsprüfung dahin, ob der Vorsitzende seinen Beurteilungsspielraum und die Grenzen seines Entscheidungsermessens überschritten hat.

2. Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers (§ 144 StPO) ist lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten sowie einen ordnungsgemäßen und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden Verfahrensverlauf zu gewährleisten.

    1. Einem bereits verteidigten Angeklagten ist auch bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung kein Pflichtverteidiger beizuordnen.
    2. Abweichend von dem Grundsatz, dass das Beschwerdegericht an die Stelle des Erstgerichts tritt und eine eigene Sachentscheidung trifft, gilt für die Prüfung der Bestellung eines weiteren Verteidigers nach § 144 StPO, dass dem Vorsitzenden des Gerichts ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zusteht.
    3. Zur Ausübung des Ermessens durch den Vorsitzenden des bzw. das Erstgericht.
    1. Die Voraussetzung, unter denen wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Bestellung eines Verteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO notwendig ist, kann bei sprachbedingten Verständigungsschwierigkeiten eher als erfüllt angesehen werden, als dies sonst der Fall ist.
    2. Zur Komplexität der Rechtslage bezüglich des Vorwurfs eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit dem Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§§ 113 Abs. 1, 114 Abs. 1 StGB) im Zusammenhang mit einem polizeilichen Einschreiten aufgrund des Filmens des Polizeieinsatzes.

Der Beginn der Frist für den Antrag auf einen Pflichtverteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO setzt voraus, dass der Beschuldigte auf die Frist bzw. die Möglichkeit der Auswechslung des Verteidigers hingewiesen worden ist.

 

StPO I: Beweisantrag nur mit konkreter Tatsache, oder: Aufklärungsrüge – reichen die erhobenen Beweise aus?

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Und weiter geht es dann heute mit StPO-Entscheidungen.

Zunächst kommen hier zwei Entscheidungen des BGH, in denen Beweis(antrags)fragen eine Rolle gespielt haben, und zwar:

„Die Verfahrensrüge der fehlerhaften Zurückweisung des auf die Vernehmung des Zeugen G.  gerichteten Beweisantrags vom 11. Juli 2023 ist jedenfalls unbegründet. Bei dem Antrag handelt es sich bereits nicht um einen ordnungsgemäßen Beweisantrag (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO), da der Angeklagte keine hinreichend konkrete Tatsache benannt hat. Mit der Behauptung, den Angeklagten und die Zeugin A. habe „ein rein freundschaftliches Verhältnis [verbunden], das von Vertrauen geprägt war und vollständig ohne sexuellen Kontakt auskam“, nennt der Angeklagte nur ein Beweisziel, welches als Bewertung zur Nachvollziehbarkeit durch das Gericht und Beweiserheblichkeit mit konkreten, auch in zeitlicher Hinsicht und den Umständen nach zumindest umrissenen, hinreichend feststellbaren und überprüfbaren Tatsachenbehauptungen hätte belegt werden müssen (vgl. BGH, Urteile vom 28. Januar 2003 – 5 StR 378/02 Rn. 5; vom 9. Oktober 1996 – 3 StR 352/96 Rn. 7 und vom 29. August 1990 – 3 StR 184/90 Rn. 6); solche sind auch der Begründung des Antrags nicht zu entnehmen.“

Die auf die unterbliebene Vernehmung der Ehefrau des Angeklagten zu dessen Betäubungsmittel- und Medikamentenkonsum gestützte Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil sich dem Revisionsvorbringen nicht entnehmen lässt, dass sich das Landgericht zu der begehrten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen.
§ 244 Abs. 2 StPO gebietet es, von Amts wegen Beweis zu erheben, wenn aus den Akten oder dem Stoff der Verhandlung Umstände und Möglichkeiten bekannt oder erkennbar sind, die bei verständiger Würdigung der Sachlage begründete Zweifel an der Richtigkeit der aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme erlangten Überzeugung wecken müssen. Ob die vom Gericht aufgrund der verwendeten Beweismittel gewonnene Überzeugung ausreicht oder zu ihrer Absicherung oder Überprüfung weitere Beweismittel heranzuziehen sind, ist auf der Grundlage von Verfahrensablauf und Beweislage des Einzelfalls zu beurteilen. Je weniger gesichert ein Beweisergebnis erscheint, desto eher besteht Anlass für das Gericht, trotz der erlangten Überzeugung weitere erkennbare Beweismöglichkeiten zu nutzen. Das gilt insbesondere dann, wenn ein Zeuge Vorgänge bekunden soll, die für die Entscheidung von zentraler Bedeutung sind (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2016 – 2 StR 383/15, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Zeugenvernehmung 19 mwN).
Hier erschien dem sachverständig beratenen Landgericht das zu der Frage eines Hanges des Angeklagten im Sinne des § 64 StGB in der bis zum 30. September 2023 geltenden Fassung aufgrund der erhobenen Beweise, insbesondere der Untersuchung der dem Angeklagten abgenommenen Haar- und Blutproben, gewonnene Ergebnis zu Recht derart gesichert, dass es die Vernehmung von dessen Ehefrau zum Betäubungsmittel- bzw. Medikamentenkonsum des Angeklagten für entbehrlich halten durfte. Dies gilt erst recht im Hinblick auf die nach der Neufassung des § 64 StGB (BGBl. 2023 I, Nr. 203) geltenden erhöhten Anforderungen an die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten.“

 

OWi III: Die Rechtspflegerin will nicht protokollieren, oder: Wiedereinsetzung wegen Fehler der Justiz

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Und zum Tagesschluss dann noch der OLG Köln, Beschl. v. 22.02.2024 – III 1 ORbs 38/24 – auch eine etwas kuriose Sache.

Das AG hat mit Urteil vom 20.10.2023 den Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil der Betroffene zum Hauptverhandlungstermin unentschuldigt nicht erschienen sei. Das Urteil ist dem Betroffenen am 27.10.2023 zugestellt worden.

Mit persönlich verfasstem Schreiben vom 29.10.2023, eingegangen beim AG am selben Tag, hat der anwaltlich nicht vertretene Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt.

Am 24.11.2023 hat der Betroffene den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle beim AG begründet. Er hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen und zur Begründung ausgeführt, das Urteil verletze ihn in mehrfacher Hinsicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör. Unter anderem sei sein Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen rechtsfehlerhaft vom AG abgelehnt worden.

Mit Schreiben vom 04.12.2023, eingegangen beim AG am selben Tag, hat der Betroffene die protokollierende Rechtspflegerin dann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Diese habe ihn gehindert, lückenlos zum Verfahrensgang vorgetragen und erklärt, dies sei gar nicht notwendig. Den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat der Betroffene sodann noch im selben Schreiben ergänzend begründet und in diesem Rahmen nähere Ausführungen zum Verfahrensgang getätigt.

Das OLG hat den Zulassungsantrag des Betroffenen als derzeit unzulässig angesehen und den betroffefen darauf hingewiesen, dass ihm Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des AG gewährt werden kann, wenn er innerhalb einer Frist von einem Monat, die mit der Zustellung des OLG-Beschlusses beginnt den Zulassungsantrag (noch einmal) formgerecht begründet. Dazu hat es die Akten an das AG zurückgegeben. Begründung:

„Der Zulassungsantrag des Betroffenen ist (derzeit) unzulässig.

Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft ist die vom Betroffenen erhobene Verfahrensrüge (bisher) nicht in zulässiger Weise erhoben.

Der Betroffene wird jedoch darauf hingewiesen, dass er Gelegenheit hat, binnen einer Frist von einem Monat, die mit Zustellung dieses Beschlusses zu laufen beginnt, einen formgerechten Zulassungsantrag zur Akte zu reichen.

Im Einzelnen:

1. Der Betroffene hatte bei der Begründung seines Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde die Vorgaben der §§ 344, 345 StPO, 80 Abs. 3 S. 3 OWiG zu beachten.

Danach bedurfte es der Einreichung einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder einer Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 345 Abs. 2 StPO).

Der Betroffene hat den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zwar fristgerecht – am 24. November 2023 – zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet.

Dem protokollierten Vorbringen ist auch zu entnehmen, dass der Betroffene die Verletzung seines rechtlichen Gehörs rügt, das er in mehrfacher Hinsicht verletzt sieht, unter anderem weil seinem Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu Unrecht nicht stattgegeben worden sei.

Ebenso geht der Betroffene in rechtlicher Hinsicht zutreffend davon aus, dass der Anspruch auf Gewährung von rechtlichem Gehör verletzt ist, wenn über einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen überhaupt nicht oder ohne eine auf § 73 Abs. 2 OWiG zurückführbare Begründung entschieden wird. Dies entspricht ständiger Senatsrechtsprechung.

Gleichwohl ist eine Versagung des rechtlichen Gehörs vorliegend nicht hinreichend dargetan.

Die Versagung des rechtlichen Gehörs ist mit einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Verfahrensrüge geltend zu machen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. SenE v. 04.02.1999, NZV 1999, 264; SenE v. 15.04.1999, NZV 1999, 436; SenE v. 08.01.2001, DAR 2001, 179; SenE v. 11.01.2001, VRS 100, 204). Das Rügevorbringen muss so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht überprüfen kann, ob die Voraussetzungen für eine Entbindung von der Anwesenheitspflicht nach § 73 Abs. 2 OWiG vorlagen (SenE v. 21.12.2001, NStZ 2002, 268 [269]; SenE v. 11.01.2002, NStZ-RR 2002, 114 [116]; OLG Hamm, VRS 107, 120 [122]; OLG Koblenz, zfs 2005, 311; OLG Saarbrücken, VRS 114, 50 [51]). Zur gesetzmäßigen Ausführung der Rüge bedarf es neben der Mitteilung des Entbindungsantrags und der ablehnenden Gerichtsentscheidung der genauen Darlegung der Einzelumstände, aus welchen Gründen ein Anspruch auf Entbindung bestand.

Eine Verfahrensrüge betreffend die Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen ist nach diesen Maßgaben (bisher) nicht in zulässiger Weise erhoben worden.

Die Überprüfung der Verfahrenstatsachen auf der Grundlage des zu Protokoll der Geschäftsstelle gegebenen Beschwerdevorbringens des Betroffenen ergibt zwar, dass der Betroffene einen Antrag auf Entbindung von der Teilnahme an der Hauptverhandlung vom 20. Oktober 2023 gestellt hat. Der Antrag soll am 13. Oktober 2023 beim Amtsgericht Geilenkirchen eingegangen sein.

Das Rügevorbringen ist indes schon deshalb unvollständig, weil die Erklärungen zur Niederschrift im Protokoll der Geschäftsstelle den Inhalt des Entbindungsantrages und den Inhalt des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses nicht ausreichend vollständig wiedergeben. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich nur entnehmen, der Betroffene habe erklärt, er wolle sich in der Hauptverhandlung ,,zur Sache“ nicht einlassen. Im weiteren Verlauf der Beschwerdebegründung heißt es, der Betroffene habe bekundet, „sich in tatsächlicher Hinsicht“ nicht zu erklären. Auch soll die Formulierung ,.zum jetzigen Zeitpunkt“ verwendet worden sein. Der genaue Wortlaut erschließt sich indes nicht. Auch fehlt es an einer hinreichenden Wiedergabe der vom Betroffenen angegebenen Gründe, mit welchem er seinen Entpflichtungsantrag begründet hat. Eine hinreichende Darstellung des Inhalts des Ablehnungsbeschlusses des Amtsgerichts fehlt ebenfalls.

Ein Rückgriff auf die Ausführungen in dem vom Betroffenen persönlich gefertigten Schreiben vom 4. Dezember 2023 ist dem Senat verwehrt, da das Schreiben nicht den Formerfordernissen des § 345 Abs. 2 StPO entspricht.

2. Eine Verwerfung des Rechtsmittels des Betroffenen als unzulässig (§§ 349 Abs. 1 StPO, 80 Abs. 4 OWiG) kommt derzeit gleichwohl nicht in Betracht. Eine Entscheidung über den Zulassungsantrag kann derzeit noch nicht ergehen.

Denn schon nach Aktenlage erscheint es hinreichend glaubhaft im Sinne von §§ 44 Abs. 1 S. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG, dass der Betroffene ohne eigenes Verschulden an der Einreichung einer formgerechten Antragsbegründungsschrift gehindert gewesen ist, weil die zuständige Rechtspflegerin davon abgesehen hat, eine vom Betroffenen gewünschte Darstellung des Verfahrensverlaufs zu protokollieren. Hierfür spricht die Aktenlage und insbesondere der Inhalt des Schreibens des Betroffenen vom 4. Dezember 2023. Der Senat geht deshalb davon aus, dass eine Protokollierung des genaueren Verfahrensgangs aus Gründen, die maßgeblich im Verantwortungsbereich der Justiz liegen, unterblieben ist.

Sind aber – wie hier – die Gründe für die (derzeitige) Unzulässigkeit eines Rechtsmittels in der Sphäre der Justiz entstanden, kann dem mit der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen gegen die Versäumung der Frist zur An-bringung einer (formgerechten) Rechtsmittelbegründung begegnet werden (BVerfG, NJW 2013, 446; BVerfG BeckRS 2006, 28183; Gericke in Karlsruher Kommentar, StPO, 9. Aufl. 2023, § 345 Rdn. 26).

Die mithin grundsätzlich mögliche Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann allerdings – selbst wenn der Wiedereinsetzungsgrund in einer fehlerhaften Sachbehandlung durch die Justiz liegt – erst gewährt werden, wenn die versäumte Handlung (hier die formgerechte Rechtsmittelbegründung) nachgeholt worden ist (§ 45 Abs. 2 S. 2 u. S. 3 StPO, 46 Abs. 1 OWiG).

Hierauf ist der Betroffene hinzuweisen.

Ihm ist Gelegenheit zur formgerechten Begründung seines Rechtsmittels zu geben, wobei ihn die in § 45 StPO vorgesehene Wochenfrist mit Blick auf die Kenntniserlangung während des laufenden Rechtsmittelverfahrens, dass seine Rechtsmittelbegrün-dung aufgrund eines Verschuldens der Justiz in nicht zulässiger Weise erfolgt ist und was er nun zu unternehmen hat, unangemessen benachteiligen würde. Zu gewähren ist ihm daher – in Anlehnung an die Fristbestimmung in §§ 345 StPO, 80 Abs. 3 OWiG – eine Frist von einem Monat (vgl. SenE v. 07.12.2023 – 111-1 ORbs 359/23; SenE v. 19.09.2023 – 111-1 ORs 109/23; OLG Bamberg, Beschluss v. 25.10.2017 – 2 Ss OWi 1399/17 — juris).

Die hiernach für die Nachholung der Rechtsmittelbegründung maßgebliche Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat beginnt mit der Zustellung des Beschlusses, mit dem der Betroffene über die Wiedereinsetzungsmöglichkeit belehrt wird (vgl. BVerfG NJW 2013, 446; BVerfG NStZ-RR 2005, 238; BVerfG, Beschluss v. 27.06.2006 – 2 BvR 1147/05, juris).

3. Der Betroffene erhält nach alledem Gelegenheit, binnen eines Monats nach Zustellung dieser Senatsentscheidung sein Rechtsmittel (erneut) zu begründen.

Er wird darauf hingewiesen, dass die Begründung nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen kann (§ 345 Abs. 2 StPO).

Zum Zweck der Entgegennahme einer evtl. weiteren Rechtsmittelbegründung sind die Akten an das Amtsgericht Geilenkirchen zurückzuleiten.

Vorsorglich wird auch darauf hingewiesen, dass eine von dem Betroffenen persönlich gefertigte Revisionsbegründungsschrift und von dem Rechtspfleger lediglich am Schluss des Protokolls mitunterzeichnete Rechtsbeschwerdebegründung nicht den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Protokollierung im Sinne von § 345 Abs. 2 StPO entspricht. Die wirksame Erklärung der Rechtsmittelbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle setzt voraus, dass der – hierfür zuständige – Rechtspfleger, der eine Prüfungs- und Belehrungspflicht innehat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 345 Rdn. 21), an der Erklärung inhaltlich mitwirkt.“

Jetzt geht dann hoffentlich nichts mehr daneben 🙂 .

OWi II: OLG beanstandet wortreich Schuldspruch, oder: Aufhebung nur der Rechtsfolgen? – Brett vorm Kopf

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Und dann die zweite Entscheidung, der OLG Jena, Beschl. v. 04.04.2024 – 1 ORbs 191 SsBs 9/24, der mich (auch) ein wenig ratlos zurücklässt.

Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot von 1 Monat angeordnet. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die beim OLG – Einzelrichter – Erfolg hat. Genauer: „teilweise Erfolg hat“, denn das OLG hat „im Rechtsfolgeausspruch mit den zugehörigen Feststellungen sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben.“

Zur Begründung bezieht es sich auf die Zuschrift der GStA, die es „einrückt“. In der heißt es:

„Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 30.01.2024 ebenfalls beantragt, das Urteil wegen sachlich-rechtlicher Mängel aufzuheben.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist begründet.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift ausgeführt:

„1. Das angegriffene Urteil leidet zum einen an einem durchgreifenden Darstellungsmangel, weil es die Einlassung des Betroffenen nicht wiedergibt. Zwar ergibt sich aus der Verfahrensvorschrift des § 267 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG nicht, dass das Gericht in jedem Fall verpflichtet ist, eine Beweiswürdigung im Urteil wiederzugeben, in der die Einlassung des Betroffenen mitgeteilt und diese Einlassung unter Bewertung der sonstigen Beweismittel gewürdigt wird.  Gänzlich entbehrlich ist die Wiedergabe und Auseinandersetzung mit der Einlassung grundsätzlich nur in seltenen Ausnahmefällen, die sachlich und rechtlich einfach gelagert und von geringer Bedeutung sind (Göhler, OWiG, 18. Aufl. (2021), § 71 Rn. 43 m.w.N.)

Anhand der Urteilsbegründung lässt sich nur erahnen, dass der Betroffene seine Fahrer-eigenschaft abgestritten hat. Dies folgt insbesondere aus den Ausführungen zu den Ein-schätzungen der Sachverständigen bzw. den Angaben zu einem Beweisantrag zur Einvernahme des Zeugen P. Das Urteil schweigt jedoch zu der Frage, ob der Betroffene seine Fahrereigenschaft qualifiziert oder lediglich pauschal bestritten hat. Angesichts dessen lässt sich durch das Rechtsbeschwerdegericht aber nicht beurteilen, ob der Bußgeldrichter eine (evtl.) Einlassung des Betroffenen zur Fahrereigenschaft unter Berücksichtigung der dazu ergangenen Ausführungen der Sachverständigen rechtlich zutreffend gewürdigt hat. Insbesondere bei der oftmals problematischen und daher die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich machenden Frage einer Fahreridentifizierung ist es regelmäßig für die Überprüfung der Beweiswürdigung unabdingbar mitzuteilen, ob und wenn ja, wie, sich der Betroffene eingelassen hat

Eine Wiedergabe bzw. Auseinandersetzung mit einer Einlassung des Betroffenen war schließlich schon deshalb nicht entbehrlich, weil der Betroffene wegen des Geschwindigkeitsverstoßes zu einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt worden ist.

2. Das angegriffene Urteil leidet hinsichtlich der Feststellung der Fahrereigenschaft auch in-soweit an einem weiteren Darstellungsmangel, als sich aus dem Urteil nicht in einer für das Rechtsbeschwerdegericht hinreichend rechtlich nachprüfbarer Weise ergibt, worauf das Amtsgericht seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen zur Tatzeit stützt.

Gründet die Überzeugung des Tatrichters von der Identität des Betroffenen zum Tatzeitpunkt auf einer Lichtbildidentifizierung der Person des Betroffenen, muss auf ein bei den Akten befindliches und nicht selbst oder als Kopie in das Urteil unmittelbar aufgenommenes Messfoto bzw. Frontfoto oder Radarfoto, soll es zum Bestandteil der Urteilsurkunde werden, deutlich und zweifelsfrei nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen werden, um so über die Dokumentation und Beschreibung der Art und Weise der Beweiserhebung hinaus unmissverständlich auch den Willen zur Verweisung bei Abfassung der Urteilsgründe zum Ausdruck zu bringen Notwendig und ausreichend ist vielmehr, dass der Wille zur Bezugnahme unter Berücksichtigung der Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit eindeutig und bestimmt zum Ausdruck gebracht ist (BayObLG Beschl. v. 18.2.2021 —202 ObOWi 15/21, BeckRS 2021, 14749, Rn. 4 m.w.N.). Eine diesen Mindestanforderungen genügende Bezugnahme ist hier nicht erfolgt.

Das Tatgericht hat seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen aufgrund eines Bezugsbildes gestützt („Bild der Geschwindigkeitsmessung“), ohne freilich hier oder an anderer Stelle seines Urteils einen Hinweis auf die konkrete Fundstelle des erwähnten „Bezugsbildes“ bzw. das nach seiner Überzeugung den Betroffenen abbildende „Foto“ oder „Messfoto“ in den Gerichtsakten zu geben, wozu allerdings zumindest die Angabe einer bestimmten Blattzahl erforderlich, aber auch regelmäßig ausreichend gewesen wäre (BayObLG a.a.O. Rn. 6 m.w.N.). Das Amtsgericht hat damit auch unter Berücksichtigung der Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit nicht in zureichender und wirksamer Weise, nämlich durch ausdrückliche und genaue Nennung der Fundstelle in den Akten -ggf. in Verbindung mit einer unmittelbar anschließenden zusätzlichen Beschreibung der als charakteristisch erachteten Merkmale der Physiognomie des Betroffenen – deutlich und zweifelsfrei erklärt, über die Beschreibung des Vorgangs der Beweiserhebung als solche hinaus auf ein bestimmtes Messfoto Bezug zu nehmen. Es hat deshalb das in den Gründen genannte Foto nicht wirksam zum Bestandteil der Gründe seines Urteils gemacht mit der Folge, dass es dem Senat wegen des Fehlens einer prozessordnungsgemäßen Bezugnahme verwehrt bleibt, die fragliche Abbildung aus eigener Anschauung zu würdigen und selbst zu beurteilen, ob diese als taugliche Grundlage einer Identifizierung in Betracht kommt.

Eine für den Fall der fehlenden Bezugnahme alternativ erforderliche Beschreibung des Frontfotos durch das Tatgericht fehlt zudem in Gänze.

Sieht der Tatrichter – wie hier – von der die Abfassung der Urteilsgründe erleichternden Verweisung auf das Beweisfoto ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch, wenn er die von ihm zur Identifizierung herangezogenen Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität (insbesondere zur Bildschärfe) enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit ermöglicht wird….

Bei der Beantwortung der Frage, ob nach diesen Grundsätzen die vom Tatgericht gegebene Beschreibung des Fahrers ausreichend ist, darf jedoch die sonstige Beweissituation nicht außer Betracht bleiben. Bestreitet der Betroffene mit näheren Ausführungen, der Fahrer gewesen zu sein, und benennt er etwa andere Personen, die als Fahrer in Betracht kommen, so kann eine eingehendere Darstellung der Beweiswürdigung – unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer erweiterten Beweisaufnahme geboten sein. Umgekehrt kann eine Gesamtwürdigung aller Umstände – der sich aus dem Foto ergebenden Anhaltspunkte sowie weiterer Indizien, etwa der Haltereigenschaft, der Fahrtstrecke oder -zeit – auch dann zur Überführung des Beschuldigten ausreichen, wenn der Vergleich des Fotos mit dem Betroffenen für sich allein diesen Schluss nicht rechtfertigt (so Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 16. Mai 2006 —1 Ss 106/06 —, juris, Rn. 23)“

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat vollumfänglich an. Die Beweiswürdigung ist daher in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei ordnungsgemäßer Beweiswürdigung eine der Betroffenen günstigere Entscheidung ergangen wäre. Damit beruht das angegriffene Urteil auf den aufgezeigten Rechtsfehlern.

Auf die weitergehend erhobene Rügen der Verteidigung kommt es nicht an.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Stadtroda zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).“

Es ist ja schön, dass wir das alles noch einmal lesen dürfen, was das OLG da aus anderen abegschrieben hat. Nun ja, warum auch nicht, da die Frage ja schon zig-mal entschieden sind.

Nur, was neu ist und war ich nicht verstehe:  Warum wird nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben ist. Es ist doch nichts beschränkt und die Ausführungen des OLG beziehen sich allein auf den Schuldspruch. Der hätte doch aufgehoben werden müssen, zumal das OLG zu den Rechtsfolgen kein Wort verliert. Was übersehe ich? Wo und warum habe ich „ein Brett vorm Kopf“?

Ich habe dem Kollegen, der mir die Entscheidung geschickt hat, geraten, doch ganz schnell Berichtigung zu beantragen. 🙂

OWi I: Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot, oder: Hat das AG nicht erneut die Akte angesehen?

Smiley

Und dann ein wenig aus dem OWi-Bereich, aber nichts Besonderes, sondern „Main-Stream“. Alle drei Entscheidungen behandeln verfahrensrechtliche Fragen.

Ich starte mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.03.2024 – 2 ORbs 350 SsBs 54/24.

Das AG hatte den Betroffenen am 20.12.2022 wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 500 EUR verurteilt. Auf die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte das OLG Karlsruhe das Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und zurückverwiesen.

Mit Urteil vom 12.09.2023 verhängte das AG gegen den Betroffenen dann wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße in Höhe von 200 EUR und ordnete zudem ein einmonatiges Fahrverbot nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG an. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene erneut mit der Rechtsbeschwerde, die – zum Teil – erfolgreich war. Das OLG hat das Fahrverbot entfallen lassen:

„1. Soweit das Amtsgericht gegen den Betroffenen ein Fahrverbot verhängt hat, hat es wie der Rechtsbeschwerdeführer und die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend darlegen – gegen das Verbot der Schlechterstellung gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 358 Abs. 2 S. 1 StPO verstoßen (vgl. OLG Bamberg, NStZ-RR 2015, 184; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.1993 – 3 Ss 99/93-, NZV 1993, 450). Das hat der Senat von Amts wegen zu beachten, weil es sich insoweit um ein Verfahrenshindernis handelt (vgl. BGH, StV 2014, 466). Der Umstand, dass das Amtsgericht die ursprüngliche Geldbuße von 500 Euro auf 200 Euro reduziert hat, ändert hieran nichts (OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 02.07.2007 – 3 Ss Owi 360/07 -, NZV 2007, 635).

2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird aus den von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 24.01.2024 zutreffend genannten Gründen, auf die der Senat verweist, als unbegründet verworfen.

3. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die rechtsfehlerhafte Verhängung des Fahrverbots wegen der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot (dazu: BGH, Beschluss vom 11.11.1970 – 4 StR 66/70 – = BGHSt 24,11) auf die Bußgeldhöhe ausgewirkt hat, was sich hier bereits an der vom Amtsgericht vorgenommenen Reduzierung der ursprünglichen Bußgeldhöhe zeigt. Das Amtsgericht wäre auch im Falle einer Zurückverweisung der Sache nicht wegen des Verschlechterungsverbots gehindert, nunmehr eine die zuletzt verhängte Geldbuße von 200 Euro übersteigende Geldbuße festzusetzen. Denn im Hinblick darauf, dass das Fahrverbot die schwerwiegendere Sanktion darstellt, wäre insoweit die Verhängung einer höheren Geldbuße anstelle des Fahrverbots als milderes Mittel nicht unzulässig (BGH, a.a.O.; OLG Bamberg, a.a.O.).

Der Senat sieht aber auf den entsprechenden Antrag der Generalstaatsanwaltschaft hin aus prozessökonomischen Gründen und im Hinblick auf den Zeitablauf seit der Tat von einer (erneuten) Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache ab und macht von der ihm nach § 79 Abs. 6 OWiG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, in der Sache selbst zu entscheiden. Entgegen dem Wortlaut dieser Vorschrift kann er auch dann ohne vorherige Aufhebung des angefochtenen Urteils selbst entscheiden, wenn und soweit er – wie vorliegend – der angefochtenen Entscheidung im Übrigen folgt und die vom Amtsgericht getroffenen Feststellung für eine eigene Bewertung der Rechtsfolgen ausreichend sind (vgl. BayObLG, Beschluss vom 18.07.1997 – 2 ObOWi 352/97 -, BeckRS 1997, 7105; OLG Bamberg, a.a.O.). Da es sich bei der vom Amtsgericht verhängten Geldbuße von 200 Euro um die Regelgeldbuße gemäß Nr. 11.3.6 BKat handelt, sieht der Senat keinen Anlass, hiervon nach oben oder unten abzuweichen. Trotz der vorhandenen Voreintragungen im FAER erschien eine Erhöhung der Regelgeldbuße im Hinblick darauf, dass die Tat inzwischen mehr als 1 1/2 Jahre zurückliegt und der Betroffene seither nicht mehr in Erscheinung getreten ist, nicht mehr sachgerecht.“

Ich frage mich: Hat man beim AG die Akten nicht noch einmal gelesen? Kopfschüttel…..