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Revision I: Revisionsvortrag nicht als „Nacherzählung“, oder: ZVR, Encro, Beweisantrag, Ladung, unfähige StA

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In meinem Blogordner haben sich einige Entscheidungen zur Revision angesammelt. Die stelle ich dann mal heute vor, also „Ecken sauber machen“.

Ich beginne mit einigen Entscheidungen zur ausreichenden Begründung der Verfahrensrüge – offenbar immer wieder schwer, nicht nur für den Verteidiger, sondern auch für die Staatsanwaltschaft. Vielleicht tröstet das ja den ein oder anderen.

Hier kommen dann – aber nur mit Leitsätzen:

Wird die Nichtannahme eines Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO geltend gemacht, müssen die erforderlichen Tatsachen für dessen Annahme bestimmt behauptet werden. Dazu gehört, dass um das Revisionsgericht in den Stand zu setzen, die international-privatrechtliche Anerkennung der nach religiösen Riten geschlossenen („Imam“-)Ehe zwischen dem Angeklagten und einer Zeugin zu prüfen, ist insbesondere die Angabe erforderlich , an welchem Ort und Tag die Ehe geschlossen wurde.

Soll mit der Verfahrensrüge die Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO beanstandet werden, muss sich dem Revisionsvortrag entnehmen lassent (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), dass ein den Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO genügender Beweisantrag gestellt worden ist. Dazu gehört ggf. die Angabe einer ladungsfähige Anschrift eines Zeugen.

Für einen ordnungsgemäßen Revisionsvortrag reicht es nicht, die für unterschiedliche Beanstandungen möglicherweise relevanten Verfahrenstatsachen vorab im Sinne einer Nacherzählung zu referieren und sodann bei den einzelnen Verfahrensrügen durch pauschale Verweise darauf Bezug zu nehmen. Denn es ist nicht die Aufgabe des Revisionsgerichts, sich aus einem umfangreichen Konvolut von Unterlagen das für die jeweilige Rüge Passende herauszusuchen und dabei den Sachzusammenhang selbst herzustellen; stattdessen wäre es erforderlich, bezogen auf die konkrete Rüge (lediglich) den insoweit relevanten Verfahrensstoff mitzuteilen.

Im Revisionsvortrag müssen die Verfahrenstatsachen in einer Weise angegeben werden, die das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt, darüber – unter der Voraussetzung der Erweisbarkeit – endgültig zu entscheiden. Dazu muss der Revisionsvortrag aus sich heraus so verständlich sein, dass das Revisionsgericht ohne weiteres daran anknüpfen kann. Es ist nicht Sache des Revisionsgerichts, den Revisionsvortrag aus vorgelegten Unterlagen an jeweils passender Stelle zu ergänzen.

Fazit aus dem Beschluss: Die StA kann es auch nicht.

Und dann noch

Lässt der Vortrag der Revision offen, in welcher Sprache die Ladung eines fremdsprachigen Angeklagten zum Berufungstermin erfolgt ist und ob der Angeklagte diese Sprache verstand, ist die Verfahrensrüge einer mangels Übersetzung nicht ordnungsgemäßen Ladung nicht zulässig erhoben.

StPO III: Ehefrau „zieht“ Zeugnisverweigerungsrecht, oder: Angaben im Gewaltschutzverfahren verwertbar?

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Und im dritten Posting dann der angekündigte OLG-Beschluss, und zwar der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.01.2024 – 1 ORs 36 SRs 752/23.

Der Angeklagte ist wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung verurteilt worden. Nach den Feststellungen dess LG verpasste der Angeklagte am 06.01.2021 seiner vom ihm getrenntlebenden Ehefrau im Rahmen eines Streits in deren Wohnung mehrere Faustschläge ins Gesicht und drohte mit einem großen Messer damit, diese umzubringen.

Dagegen die Revision des Angeklagten. Mit der rügt der Angeklagte verfahrensrechtlich insbesondere die Verwertung der Angaben der in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machenden Ehefrau gegenüber der Rechtspflegerin beim Amtsgericht B. vom 07.01.2021 zur Begründung ihres Antrags auf Erlass einer Gewaltschutzanordnung nach § 1 GewSchG. Bei Antragstellung bezog sich die Ehefrau des Angeklagten auf das Protokoll ihrer polizeilichen Vernehmung vom 06.01.2021 und übergab zur Glaubhaftmachung eine Kopie des polizeilichen Vernehmungsprotokolls, dessen inhaltliche Richtigkeit sie an Eides statt versicherte.

Die Revision hatte keinen Erfolg. Die Verfahrensrüge war nach Auffassung des OLG zwar zulässig, aber unbegründet:

„1. Die Verfahrensrüge gem. § 252 StPO ist in zulässiger Weise erhoben. Sie genügt den Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. So teilt der Revisionsführer zur Begründung seiner Rüge der Verletzung von § 252 StPO die frühere polizeiliche Aussage der Zeugnisverweigerungsberechtigten und ihre nunmehrige Aussageverweigerung ebenso mit wie den genauen Inhalt und die näheren Umstände der von der Kammer verwerteten Angaben der Zeugin aus Anlass der Stellung des Antrags nach dem Gewaltschutzgesetz sowie das Beruhen des Urteils hierauf. Der Zulässigkeit der Rüge nicht entgegen steht, dass die Art und Weise der Einführung der von der Kammer verwerteten Aussage der Geschädigten durch Verlesung von Teilen aus den Akten des Gewaltschutzverfahrens in der Antragsschrift unerwähnt bleiben, denn die Verlesung und Verwertung dieser Aktenteile nach erfolgter Zeugnisverweigerung ergibt sich schon aus den schriftlichen Urteilsgründen, welche der Senat auf die Sachrüge zur Kenntnis nimmt, weshalb der mangelhafte Vortrag der Revision unschädlich ist (BGH NJW 1990, 1859). Unerheblich ist, dass die Antragsschrift den Inhalt des aus dem Protokoll ersichtlichen Hinweises der Kammer, dass die Angaben der Zeugin im Gewaltschutzverfahren keinem Beweisverwertungsverbot gemäß § 252 StPO unterliegen, nicht mitteilt, denn der Erfolg der Verfahrensrüge kann durch den (in Abwesenheit der Zeugin) erteilten Hinweis der Kammer zu ihrer Rechtsansicht nicht negativ beeinflusst werden.

2. Die Rüge ist indes unbegründet, da die Angaben der Geschädigten zur Begründung ihres Antrags nach dem Gewaltschutzgesetz keinem Verwertungsverbot gem. § 252 StPO unterliegen.

Das Verwertungsverbot gem. § 252 StPO bezieht sich auf Aussagen des Zeugen im Rahmen einer Vernehmung, welche vor der Hauptverhandlung stattgefunden hat, etwa im Rahmen einer polizeilichen, auch informatorischen Befragung. Der Vernehmungsbegriff ist weit auszulegen und erfasst – unabhängig davon, ob die Angaben förmlich protokolliert oder nur in einem internen Vermerk festgehalten werden – alle Bekundungen über wahrgenommene Tatsachen auf Grund einer offen von einem staatlichen Organ durchgeführten Befragung (BGH NJW 2005, 765 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden im Wege einer entsprechenden Anwendung der Norm auch frühere vernehmungsbasierte Aussagen eines Zeugnisverweigerungsberechtigten in einem Zivilrechtsstreit oder in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit erfasst, die geeignet sind, einen Angehörigen zu belasten, und der Zeuge sich in einer Lage befindet, die derjenigen des Zeugen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vergleichbar ist (vgl. BGH NJW 1990, 1859 mwN). Das Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 252 StPO soll den Zeugen vor Konflikten schützen, die aus den Besonderheiten der Vernehmungssituation entstehen, insbesondere einerseits durch die Wahrheitspflicht bei der Zeugenvernehmung und andererseits durch die sozialen Pflichten, die aus der familiären Bindung gegenüber dem Angeklagten erwachsen (vgl. BGH NJW 2005, 765 mwN).

Unabhängig von der jeweils zugrundeliegenden Prozessordnung bleibt für eine Verwertung im Strafverfahren aber erkennbar stets maßgeblich, ob die Angaben des Zeugnisverweigerungsberechtigten im Zuge einer amtlich initiierten Vernehmung erfolgten (BGH NJW 1990, 1859; OLG Hamburg, Beschl. v. 8.3.2018 – 1 Ws 114/17, BeckRS 2018, 3916). Angaben, die der Zeuge außerhalb einer Vernehmung gemacht hat, unterliegen dem (erweiterten) Verwertungsverbot grundsätzlich nicht. Darunter fallen Angaben gegenüber Dritten (BGH NJW 1952, 153), spontane Aussagen (BGH NStZ 1992, 247; NStZ 2007, 652; OLG Hamm NStZ 2012, 53), nach denen er nicht gefragt wurde, wie etwa eine Strafanzeige (BGH NJW 1956, 1886) oder die Bitte um polizeiliche Hilfe (BGH NStZ 1986, 232) bzw. im Rahmen eines polizeilichen Notrufs (OLG Hamm NStZ 2012, 53; BeckRS 2014, 19563). Demgemäß sind auch die Angaben der Geschädigten gegenüber dem Familiengericht zur Erwirkung einer Schutzanordnung nach dem GewSchG verwertbar, da sich die Zeugin von sich aus an das Amtsgericht gewandt und ihren Ehemann belastende Angaben zur Begründung ihres Antrags gemacht hat (OLG Hamburg aaO; BeckOK StPO/Ganter StPO § 252 Rn. 15 mwN), und über welchen ohne mündliche Verhandlung und weitere Befragung der Antragstellerin nach Aktenlage aufgrund summarischer Prüfung vom Gericht entschieden wurde (§ 51 Abs. 2 S. 2, § 3, § 214 FamFG; BeckOK FamFG/Schlünder FamFG, Ed. 1.11.2023, § 214 Rn. 2 ff.).

Eine vernehmungsähnliche Situation entsteht auch – wie die Revision meint – nicht dadurch, dass die Zeugin das – für sich unverwertbare – Protokoll ihrer polizeilichen Vernehmung der Rechtspflegerin vorgelegt, zum Gegenstand ihres Vortrags zur Antragsbegründung gemacht und dessen inhaltliche Richtigkeit an Eides statt versichert hat. Denn auch die Vorlage des Protokolls erfolgte aus freien Stücken und diente ersichtlich lediglich der Verfahrensvereinfachung. Dass die Zeugin insofern „unfrei“ handelte, als sie zur Verhinderung weiterer Übergriffe ihres gewalttätigen Ehemanns eine Schutzanordnung erwirkte, bleibt für die Frage der Verwertbarkeit ihrer Angaben im Strafverfahren ohne Belang. Denn § 252 StPO, der nach seinem Wortlaut eine Vernehmung oder eine vernehmungsähnliche Situation voraussetzt, enthält keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz dahingehend, dass jedwede den Angehörigen belastende Angaben (etwa auch die in höchster Not gegenüber dem Hausmitbewohner gemachten Angaben, bei welchem die Zeugin unmittelbar nach der Tat um Schutz suchte) vom Zeugen bis zur Hauptverhandlung oder einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung durch Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht für eine Verwertung gesperrt werden können (vgl. BGH NStZ 1986, 232 (Mitteilungen im Rahmen eines Hilfeersuchens gegenüber einer Mitarbeiterin der Familienhilfe)). Hierdurch wird auch nicht – wie die Revision meint – „in gewisser Weise durchaus besserwisserisch“ der wiederhergestellte Familienfriede „torpediert“. Gewalt in der Ehe ist keine Privatangelegenheit, sondern unabhängig vom Strafantrag der Geschädigten bei Vorliegen eines hier von der Staatsanwaltschaft bejahten öffentlichen Interesses zu verfolgen.“

Na ja, ist Mainstream, aber: Es bleibt allerdings ein gewisses Unbehagen. Denn was heißt in solchen Situationen „aus freien Stücken“? und greift nicht gerade auch hier der Sinn und Zweck des § 252 StPO, der den Zeugen vor Konflikten schützen soll/will, die aus den Besonderheiten der Vernehmungssituation entstehen, insbesondere einerseits durch die Wahrheitspflicht bei der Zeugenvernehmung und andererseits durch die sozialen Pflichten, die aus der familiären Bindung gegenüber dem Angeklagten erwachsen (vgl. BGH NJW 2005, 765 mwN). M.E. hätte man hier an der Vorlage des – unverwertbaren – polizeilichen Vernehmungsprotokolls ansetzen können, das über den Umweg (freiwillige [?]) Vorlage bei der Rechtspflegerin dann Akteninhalt geworden ist, und auf das sich AG und LG, was sich allerdings aus den Beschlussgründen des OLG nicht ergibt – im Zweifel auch gestützt hat.

StPO I: Verzicht aufs Zeugnisverweigerungsrecht, oder: Ganz oder gar nicht, teilweise geht nicht

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Und heute dann StPO-Entscheidungen.

Den Reigen beginne ich mit dem BGH, Beschl. v. 18.10.2023 – 1 StR 222/23 – mit folgendem Sachverhalt:

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Vergewaltigung in fünf Fällen verurteilt. Die geschädigte Nebenklägerin ist die Schwester des Angeklagten. Nachdem diese zunächst im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung, bei der aussagepsychologischen Sachverständigen und vor dem Ermittlungsrichter ausgesagt hatte, erklärte sie noch vor der Hauptverhandlung, künftig von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Sie gestattete jedoch, dass ihre Angaben bei der aussagepsychologischen Sachverständigen verwertet werden dürften. Die Straf-/Jugendkammer legte daraufhin die ermittlungsrichterliche Vernehmung der Nebenklägerin und deren Angaben bei der Sachverständigen ihrer Beweiswürdigung zugrunde. Explizit nicht berücksichtigt wurde die polizeiliche Vernehmung der Nebenklägerin. Dagegen die Revision des Angeklagten, die erfolgreich war:

„b) Die Rüge ist begründet. Die Jugendkammer durfte die Angaben der Nebenklägerin bei der aussagepsychologischen Sachverständigen nicht verwerten.

aa) Gestattet ein Zeuge trotz Ausübung seines Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 Abs. 1 StPO die Verwertung früherer Aussagen, so kann er dies nicht auf einzelne Vernehmungen beschränken. Ein Teilverzicht führt vielmehr dazu, dass sämtliche früheren Angaben – mit Ausnahme richterlicher Vernehmungen nach Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht – unverwertbar sind.

(a) Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 Abs. 1 StPO dient dem Schutz des Zeugen, durch seine der Wahrheitspflicht unterliegende Aussage nicht zur Belastung eines Angehörigen beitragen zu müssen (BGH, Urteile vom 8. Mai 1952 – 3 StR 1199/51, BGHSt 2, 351, 354 und vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 207). Der Zeuge kann bis zur Hauptverhandlung frei entscheiden, ob seine frühere, vielleicht voreilige oder unbedachte Aussage verwertet werden darf, und hat das Recht, in der Hauptverhandlung das Zeugnis zu verweigern sowie seine frühere Entscheidung zu ändern (BGH, Urteile vom 11. April 1973 – 2 StR 42/73, BGHSt 25, 176, 177 ff. und vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 208). Beruft er sich auf sein Recht aus § 52 Abs. 1 StPO, unterliegen daher sämtliche früheren Aussagen grundsätzlich einem Beweisverwertungsverbot (§ 252 StPO; BGH, Urteil vom 15. Januar 1952 – 1 StR 341/51, BGHSt 2, 99). Ausgenommen hiervon sind lediglich richterliche Vernehmungen nach Belehrung des Zeugen über sein Zeugnisverweigerungsrecht (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 15. Januar 1952 – 1 StR 341/51, BGHSt 2, 99; Beschluss vom 15. Juli 2016 – GSSt 1/16, BGHSt 61, 221, 229 mwN).

(b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der sich auf sein Recht aus § 52 Abs. 1 StPO berufende Zeuge darüber hinaus auf die Sperrwirkung seiner Zeugnisverweigerung verzichten, sodass frühere Angaben durch die Vernehmungsperson oder den Sachverständigen (zur Anwendbarkeit des § 252 StPO bei Befragungen durch Sachverständige vgl. BGH, Urteil vom 3. November 2000 – 2 StR 354/00, BGHSt 46, 189, 193 mwN) in die Hauptverhandlung eingeführt werden können (BGH, Beschluss vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 207). Denn das Beweisverwertungsverbot aus § 252 StPO dient allein der Sicherung des mit der Gewährung des Rechts zur Zeugnisverweigerung verfolgten Zwecks und ist daher für den Zeugen insoweit disponibel, als er hierauf verzichten und durch die Gestattung der Verwertung früherer Angaben zur Sachaufklärung beitragen kann. Dem Umstand, dass sich der Zeuge hierdurch einer konfrontativen Befragung entzieht, ist durch eine entsprechend vorsichtige Beweiswürdigung Rechnung zu tragen (BGH, Beschluss vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 207 ff.).

(c) Ob der Zeuge seine Gestattung – wie vorliegend – auf einzelne Vernehmungen beschränken kann, hat der Bundesgerichtshof bislang nicht entschieden (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2020 – 3 StR 377/18 Rn. 13 ff.; vgl. auch Urteil vom 28. Mai 2003 – 2 StR 445/02, BGHSt 48, 294, 297 ff.).

Ein solcher Teilverzicht ist unzulässig. Denn ein Zeuge kann nur in dem Rahmen über das Beweisverwertungsverbot verfügen, in dem es seinem Schutz dient. Schutzzweck des § 252 StPO in Verbindung mit § 52 Abs. 1 StPO ist es indes ausschließlich, die Entscheidungsfreiheit des Zeugen dahin zu gewährleisten, ob er in einem Strafprozess gegen einen Angehörigen aussagen und so gegebenenfalls zu dessen Belastung beitragen möchte (vgl. BGH, Urteile vom 8. Mai 1952 – 3 StR 1199/51, BGHSt 2, 351, 354 und vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 207). Das bedeutet: Der Zeuge kann entscheiden, ob er sich als Beweismittel zur Verfügung stellen will oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2003 – 2 StR 445/02, BGHSt 48, 294, 298 mwN). Darüber hinaus hat er kein schützenswertes Interesse daran, den Umfang der Verwertbarkeit der von ihm bereits vorliegenden Angaben zu bestimmen (Cirener/Sander in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 252 Rn. 25), weshalb insoweit im Interesse des Angeklagten und der Allgemeinheit an der Wahrheitserforschung seinem Einfluss auf das Strafverfahren Grenzen zu ziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2003 – 2 StR 445/02, BGHSt 48, 294, 299).

bb) Gemessen an diesen Grundsätzen durfte das Landgericht die Angaben der Nebenklägerin bei der aussagepsychologischen Sachverständigen seiner Beweiswürdigung nicht zugrunde legen. Denn der Verzicht der Zeugin auf das Verwertungsverbot aus § 252 StPO war – wenngleich möglicherweise nur aus Unachtsamkeit – auf diese Vernehmung beschränkt und damit unwirksam. Die Jugendkammer hätte ausschließlich die Angaben der Nebenklägerin vor dem Ermittlungsrichter zur Entscheidungsfindung heranziehen dürfen.

cc) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist insgesamt – trotz des bezüglich eines zentralen Teils der Körperverletzungen rechtsmedizinisch dokumentierten Verletzungsbildes – nicht auszuschließen, dass das Landgericht ohne die Angaben der Zeugin bei der Sachverständigen zu einem anderen Beweisergebnis gelangt wäre.“

Zeuge I: „ich bin mit dem Angeklagten verlobt..“, oder: Das überprüft man mit der sog. Nullhypothese

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Heute ein „Zeugentag“.

Zunächst hier der KG, Beschl. v. 11.11.2022 – 3 Ws 288/22 – 121 AR 232/22  – zum –Zeugnisverweigerungsrecht des Verlobten. In dem Verfahren wird dem Angeklagten eine gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, dem Geschädigten gemeinsam mit einem wegen der Tat bereits zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilten Mittäter nächtens aufgelauert zu haben und ihm, einem gemeinsamen Tatplan folgend, Messerstiche versetzt und mit einer Eisenstange vielfach auf ihn eingeschlagen zu haben, wodurch akut lebensbedrohende Verletzungen hervorgerufen worden seien.

In der Hauptverhandlung sollte die Beschwerdeführerin als Zeugin vernommen werden. Nach der Vernehmung zur Person ist sie sowohl über das Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 StPO) als auch über das Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO) belehrt worden. Hiernach hat sie, begleitet und unterstützt durch einen beigeordneten anwaltlichen Zeugenbeistand, ein Zeugnisverweigerungsrecht geltend gemacht und bekundet, seit 15.09.2017 mit dem Angeklagten verlobt zu sein. Am folgenden Verhandlungstag hat die Beschwerdeführerin das Verlöbnis eidlich versichert. Am 6. Verhandlungstag, dem 13.10.2022, sind vom Mobiltelefon des Zeugen Z Chatverläufe und Bilder eingesehen worden, die der Kammer die Überzeugung verschafften, dass die Beschwerdeführerin eine Liebesbeziehung mit dem Zeugen, der bei ihr auch wohnte und (bis 10.10.2022) gemeldet war, unterhielt. Am folgenden Verhandlungstag hat der Vorsitzende erklärt, die Kammer sei der Auffassung, die Beschwerdeführerin sei mit dem Angeklagten nicht verlobt, weshalb es ihr nicht zustehe, „ihre Aussage nach § 52 StPO zu verweigern“ (Protokollentwurf). Im hiernach vom Verteidiger beantragten Gerichtsbeschluss ist dies bestätigt worden. Dabei hat die Kammer darauf abgestellt, ein fortwirkendes Eheversprechen und die Bekundung, nur auf die Haftentlassung des Angeklagten zu warten, seien vor dem Hintergrund einer ersichtlich tiefen und umfassenden, auch romantisch und sexuell geprägten Liebesbeziehung zu dem Zeugen Z. nicht glaubhaft. Die Beschwerdeführerin hat daraufhin durch ihren Beistand erklären lassen, sie werde nicht aussagen. Nachdem der Staatsanwalt einen Antrag auf Beugehaft zunächst gestellt und sodann wieder zurückgenommen hatte, hat die Strafkammer gegen die Beschwerdeführerin einen Ordnungsgeldbeschluss erlassen.

Dagegen die Beschwerde der Zeugin, die keinen Erfolg hatte:

„2. Ein Recht zur Verweigerung des Zeugnisses nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO steht der Beschwerdeführerin nicht zu. Insoweit folgt der Senat der Argumentation der Strafkammer. Der Senat ist davon überzeugt, dass das Verlöbnis wahrheitswidrig behauptet wurde, um der Beschwerdeführerin eine Zeugenaussage und insbesondere eine Auseinandersetzung mit ihrer früheren Aussage zu ersparen, in welcher sie den Angeklagten schwer belastet hat.

Dabei ist der Senat methodisch, ähnlich wie bei der Aussage-gegen-Aussage-Kon-stellation, von der Nullhypothese ausgegangen. Diese besagt hier, dass der Angeklagte und die Beschwerdeführerin, wie durch diese in der Hauptverhandlung am 8. September 2022 behauptet, seit 2017 ununterbrochen miteinander verlobt sind.

a) Für die Hypothese spricht zunächst, dass die Beschwerdeführerin unter Eid versichert hat, dass sie sich am 15. September 2017 mit dem Angeklagten verlobt und dass das Verlöbnis trotz Höhen und Tiefen ununterbrochen bestanden habe.

b) Dass während bzw. vor dem Verlöbnis drei Kinder geboren wurden und das Verlöbnis sodann fünf Jahre andauerte, ohne dass es zur Erfüllung des Eheversprechens oder auch nur zu einem Termin für die Eheschließung gekommen ist, erscheint ungewöhnlich. Mangels belastbarer sozialempirischer Erkenntnisse können diese erstem Anschein nach ungewöhnlichen Umstände allerdings nicht als valides Indiz gegen das Verlöbnis gelten.

c) Deutlich indiziell gegen das von der Beschwerdeführerin behauptete durchgehend bestehende Verlöbnis spricht jedoch der Umstand, dass das Amtsgericht Pankow am 18. Januar 2021 einen Beschluss nach dem Gewaltschutzgesetz erlassen hat, durch den es dem Angeklagten für die Dauer eines halben Jahres untersagt worden ist, die Wohnung der Beschwerdeführerin zu betreten, sich ihr zu nähern oder auch nur anderweitig, etwa telefonisch, per SMS, per Email oder über soziale Netzwerke, mit ihr Kontakt aufzunehmen (Az. 200 F 305/22). Es erscheint ausgesprochen unwahrscheinlich und nachgerade ausgeschlossen, dass ein solcher Beschluss gegen eine Person erwirkt wird, an welche die Antragstellerin sich durch ein Verlöbnis gebunden fühlt und die sie demzufolge ernstlich heiraten will.

d) Gleichfalls indiziell gegen ein durchgehend fortbestehendes Verlöbnis sprechen die Strafanzeigen, welche die Beschwerdeführerin am 3. Februar 2022 und am 9. März 2022 gegen den Angeklagten erstattet hat. Auch hier muss es als zwar theoretisch denkbar, aber ausgesprochen unwahrscheinlich gelten, dass die Beschwerdeführerin den Angeklagten einerseits bestraft wissen wollte und ihn andererseits heiraten und somit den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen wollte.

e) Ebenfalls gegen das behauptete Verlöbnis spricht der Umstand, dass dem Angeklagten der Kontakt zu seinen Kindern gerichtlich untersagt war oder ist. Auch dieser Umstand lässt das geltend gemachte durchgängig bestehende Verlöbnis für sich betrachtet nicht zwingend als ausgeschlossen erscheinen. Dass die Beschwerdeführerin aber den nicht zum Kontakt mit den Kindern berechtigten Kindsvater heiraten wollte, erscheint zumindest als ausgesprochen unwahrscheinlich.

f) Auch indiziell gegen ein Verlöbnis, das nach der Bekundung der Beschwerdeführerin ununterbrochen bestanden haben soll, spricht der Umstand, dass diese zuletzt eine Liebesbeziehung mit dem Zeugen Z geführt hat. Dabei ist zunächst in Rechnung zu stellen, dass der Zeuge bei der Beschwerdeführerin gewohnt hat und hier auch polizeilich gemeldet war. Die Beschwerdeführerin hat angegeben, dass sie mit Z. eine auch sexuelle Beziehung geführt hat. Nach den Messengerdienstnachrichten, welche sich die beiden geschrieben haben, ist von einer intensiven und, wie das Landgericht anschaulich und nachvollziehbar würdigt, „romantischen“ Liebesbeziehung auszugehen. Wie der Chatverlauf zeigt, hatte diese ersichtlich einen umfassenden personalen Charakter und bezog sich sowohl auf den Alltag (auch mit den Kindern) als auch auf eine gemeinsame Lebenszukunft. Besondere Bedeutung kommt dabei der zeitlichen Komponente zu: Einzelne solcher Posts mit Liebesbeteuerungen stammen noch vom 10. Oktober 2022, als es bereits zu der von der Beschwerdeführerin behaupteten Erneuerung des Verlöbnisses gekommen sein soll und diese bereits unter Eid bekundet hatte, weiterhin mit dem Angeklagten verlobt zu sein.

g) Diese Umstände vermitteln dem Senat in einer Gesamtschau die sichere Überzeugung, dass die Beschwerdeführerin mit dem Angeklagten nicht durchgehend verlobt war. Sollte das Verlöbnis, was anzuzweifeln, aber als Hypothese in Rechnung zu stellen ist, jemals bestanden haben, so hat es als ernstliches Eheversprechen jedenfalls nicht durchgehend Bestand gehabt. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Beschwerdeführerin jedenfalls in diesem Punkt die Unwahrheit gesagt hat. Für die – wiederum theoretische – Möglichkeit, dass ein infolge Gewalt und Untreue beendetes Verlöbnis neu geschlossen worden ist, fehlt jeder Hinweis. Im Gegenteil deutet alles darauf hin, dass sich die Beschwerdeführerin der Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage entziehen will.

h) Bestätigt wird diese aufgrund der vorgenannten Umstände gewonnene Überzeugung des Senats durch die Aussage der Beschwerdeführerin in der polizeilichen Vernehmung vom 9. März 2022, in der sie bekundet hat, dass es zu einer – noch andauernden – Trennung vom Angeklagten gekommen sei. Folgerichtig hat sie hier auch von ihrem ehemaligen Lebensgefährten gesprochen.

i) Gleichfalls bestätigt wird die gewonnene Überzeugung durch die frühere Bekundung der Beschwerdeführerin, der sichtlich angetrunkene Angeklagte habe sie nach der Trennung in sein Auto gelockt und an ein Feld in Berlin-Lübars gefahren. Hier habe er ihr eine Schusswaffe an den Kopf gehalten, worauf sie gefragt habe: „Willst du mich jetzt genauso hinrichten wie den Polacken?“ Der Angeklagte habe gelächelt und gesagt: „Du hast keine Beweise.“ Dieses Geschehen zeigt, dass die Beschwerdeführerin durch den Angeklagten genötigt werden sollte, nicht gegen ihn auszusagen, und in der Folge um ihr Leben fürchtet. Hierin sieht der Senat das zumindest zentrale Motiv für die falsche Behauptung des Verlöbnisses.“

Zum Auskunftsverweigerungsrecht dann bitte selbst lesen….

StPO II: Zeugenaussage über intimste Lebensbereiche, oder: Bei Weigerung, kein Zeugniszwang

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Als zweite Entscheidung habe ich dann hier das AG Menden, Urt. v. 17.11.2022 – 8 Ls-362 Js 334/20-13/20. Hängt schon etwas länger in meinem Ordnet, jetzt passt es aber endlich.

Dem jugendlichen Angeklagten wird der Vorwurf der Vergewaltigung von zwei Frauen gemacht. Das AG hat ihn frei gesprochen:

„Nach Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen pp., an dem nur die Nebenklägerin pp. mitzuwirken bereit war, erwies sich deren Aussage aufgrund der plausiblen und überzeugenden Würdigung der Sachverständigen nicht als hinreichend belastbar; sogar eine bewusste Falschaussage war nicht ausschließbar. Vor diesem Hintergrund war es hinzunehmen, dass die Nebenklägerin von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch machte. Andererseits standen auch keine hinreichenden weiteren Beweismittel zur Verfügung, um den Beweis der angeklagten Tat führen zu können.

Die weitere Geschädigte war weder bereit sich der aussagepsychologischen Begutachtung zu unterziehen noch vor Gericht auszusagen. Ihr fester Wille, die Vorfälle nicht erneut in ihre Erinnerung zu rufen und für sich aufzuarbeiten, bedingte im vorliegenden Fall, dass das Gericht sich nicht befugt sah, sie zu einer Aussage zu zwingen. Wie vom Bundesverfassungsgericht bereits ausgesprochen, folgt im Einzelfall ausnahmsweise und unter ganz besonders strengen Voraussetzungen eine Begrenzung des Zeugniszwangs unmittelbar aus der Verfassung, wenn die Vernehmung wegen der Eigenheit des Beweisthemas in den durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG grundsätzlich geschützten Bereich der privaten Lebensgestaltung des einzelnen, insbesondere seine Intimsphäre, eingreifen würde, siehe BVerfG, NJW 1972, S. 2214, 2215. Vorliegend greift die erzwungene Vernehmung gravierend sowohl in intimste Lebensbereiche der Zeugin – nämlich ihre persönliche Bewältigung sexueller Geschehnisse – als auch in ihre Gesundheit ein. Die Zeugin hat sich dazu entschieden, das Erfahrene selbst aufzuarbeiten und nicht zum Gegenstand gerichtlicher Untersuchung zu machen, da sie dies nachvollziehbar für sich persönlich als erhebliche psychische und damit auch gesundheitliche Belastung würdigt und einordnet. Da die Zeugin die entsprechenden Vorgänge selbst nie angezeigt hat und in vorliegendes Verfahren erst über ein halbes Jahr nach den eigenen Erlebnissen hineingezogen ist, war ihr Entschluss zur Nichtoffenbarung offensichtlich gereift und entsprechend das persönliche Belastungserleben sehr plausibel. Diesen gereiften Entschluss zu durchbrechen erachtet das Gericht als unvereinbar mit der Achtung von Würde und Gesundheit der Zeugin als elementaren Grundrechten derselben.

Angesichts der eher kurzen polizeilichen Vernehmung der Zeugin war in vorliegender Aussage-gegen-Aussage-Konstellation die Feststellung einer eine Verurteilung tragenden hinreichenden Aussagequalität nicht möglich, sodass der Angeklagte aufgrund nicht zu beseitigender Zweifel freizusprechen war.“