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„Ich will doch bloß für den Zeugen Akteneinsicht“ – Pflichtverteidiger für den Angeklagten, ja oder nein?

© pedrolieb -Fotolia.com

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Und zum Tagesabschluss eine Entscheidung aus dem Bereich der Pflichtverteidigung, und zwar mit folgendem Sachverhalt: In einem Strafverfahren meldet sich für einen Zeugen ein Rechtsanwalt, der lediglich zur Prüfung etwaiger zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche legitimiert ist und Akteneinsicht beantragt. Pflichtverteidiger für den Angeklagten, ja oder nein?

Der LG Braunschweig, Beschl. v. 21.10.2015, 3 Qs 109/15 – hat „nein“ gesagt:

„Dem Angeklagten ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Pflichtverteidiger beizuordnen. Eine solche Pflichtverteidigerbeiordnung ist schon nicht gem. § 140 Abs. 1 Nr. 9 StPO bzw. unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit geboten, denn der Zeuge und mögliche Geschädigte xxx ist kein anwaltlich vertretener Nebenkläger, ihm ist auch nicht gem. § 397 a StPO Prozesskostenhilfe bewilligt noch ein Rechtsanwalt als Beistand beigeordnet worden.

Bei dem Zeugen xxx handelt es sich auch nicht um einen im Strafverfahren anwaltlich vertretenen Verletzten, welches ggf. unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit bzw. des fairen Verfahrens eine Beiordnung gem. § 140 Abs. 2 StPO rechtfertigen könnte. Der Rechtsanwalt des Zeugen xxx hat sich in dem vorliegenden Strafverfahren lediglich zur Prüfung etwaiger zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche legitimiert (vgl. Bl. 158) und Akteneinsicht beantragt. Eine darüber hinaus gehende anwaltliche Vertretung des Zeugen xxx in dem Strafverfahren gegen den Angeklagten ist derzeit nicht feststellbar.“

Nun ja, könnte man – je nach den Umständen – auch anders sehen.

Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen in der Revision

© eyetronic Fotolia.com

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Ist ein Zeuge bereits einmal vernommen und entlassen, ist es i.d.R. schwierig, seine erneute/nochmalige Vernehmung durchzusetzen. Da hilft dann nur ein entsprechend begründeter Beweisantrag, in dem dargelegt wird, zu welchen Themen der Zeuge warum – noch einmal – gehört werden soll. Aber das ist jetzt gar nicht das Thema, sondern: Die Schwierigkeiten gehen nämlich weiter, und zwar dann, wenn dieser Beweisantrag abgelehnt worden ist und das mit der Revision gerügt werden soll. Dann sind besondere Voraussetzungen in der Verfahrensrüge zu erfüllen, soll die Rüge nicht scheitern. Dazu verhält sich (noch einmal) der BGH, Beschl. v. 01.06.2015 – 4 StR 21/15:

„a) Die Verfahrensrügen, die die nochmalige Vernehmung der Zeugin J. zum Gegenstand haben, greifen – wie der Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 14. April 2015 ausgeführt hat – nicht durch. Ergänzend bemerkt der Senat:

Es bestehen bereits Zweifel an der Zulässigkeit dieser Rügen. Wird in der Revision die Ablehnung eines Antrags auf Vernehmung eines bereits angehörten Zeugen geltend gemacht, muss nämlich mitgeteilt werden, dass und wozu der Zeuge in der Hauptverhandlung bereits ausgesagt hat (BGH, Urteile vom 13. Dezember 2001 – 5 StR 322/01; vom 21. März 2002 – 5 StR 566/01; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. September 2012 – 1 StR 407/12). Denn nur dann kann geprüft werden, ob es sich nicht um einen bloßen Antrag auf Wiederholung einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme oder auf Feststellung ihres Inhalts handelte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2001 – 3 StR 211/01, NStZ-RR 2002, 257, 258 f. – bei Becker; vom 18. Februar 2004 – 2 StR 462/03, NStZ 2004, 630, 631; Urteil vom 16. Juni 2005 – 3 StR 338/04) und ob der An-trag als Beweisantrag zu verbescheiden war oder als Beweisanregung abgelehnt werden durfte (vgl. BGH, Urteil vom 18. Mai 2000 – 4 StR 647/99, BGHSt 46, 73, 80).

Ob hierfür – auch angesichts der Besonderheiten des Falles (vgl. UA S. 35 f.) – der bloße Vortrag ausreicht, die Zeugin sei in ihrer früheren Ver-nehmung weder zu den nunmehr behaupteten Tatsachen befragt worden noch habe sie sich hierzu geäußert, kann dahinstehen. Die Rügen sind nämlich jedenfalls wegen fehlenden Beruhens (§ 337 Abs. 1 StPO) unbegründet…….“

Streng ist man mit dem Zeugen, der nicht erscheint

© sss78 – Fotolia.com

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Der Zeuge, der nicht zur Hauptverhandlung erscheint, muss mit Sanktionen – Ordnungsgeld und – ggf. haft (§ 51 StPO) rechnen. Das weiß im Grunde jeder. Nicht so bekannt ist wahrscheinlich, dass die Rechtsprechung im Hinblick auf eine Entschuldigung für das Ausbleiben recht streng ist. Den sicherlich meinen viele Zeugen, dass z.B. eine Urlaubsreise ihr Frenbleiben entschuldigt. Das ist aber so nicht richtig. Denn die Gerichte, insbesondere auch die Obergerichte sind da sehr streng und gehen davon aus, dass auch eine Urlaubsreise den Zeugen grundsätzlich nicht von seiner Pflicht, zur Vernehmung vor Gericht zu erscheinen, entbindet. Das hat vor kurzem noch einmal das OLG Dresden im OLG Dresden, Beschl. v. 24.02.2015 – 2 Ws 82/15 – festgestellt:

„Die Pflicht eines Zeugen, vor Gericht zu erscheinen, ist eine von der Strafprozessordnung vorausgesetzte allgemeine Staatsbürgerpflicht, bei deren Nichterfüllung § 51 StPO verfassungsrechtlich unbedenklich die Möglichkeit gibt, dem ordnungsgemäß geladenen und nicht genügend entschuldigten Zeugen die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten aufzuerlegen und gegen ihn ein Ordnungsgeld festzusetzen (BVerfG NJW 2002, 955 m.w.N.).

Private und berufliche Pflichten haben gegenüber dieser staatsbürgerlichen Pflicht grundsätzlich zurückzutreten. Der Zeuge ist daher verpflichtet, der Ladung auch dann zu folgen, wenn dies für ihn Unannehmlichkeiten mit sich bringt oder wenn er zur zeitweisen Umgestaltung seines Organisationskreises gezwungen ist. Eine Geschäfts- oder Urlaubsreise muss er notfalls verlegen oder vorzeitig abbrechen, wenn dringende Hinderungsgründe nicht entgegenstehen und dies nicht zu unverhältnismäßigen Nachteilen führt (vgl. Thüringer Oberlandesgericht NStZ-RR 1997, 333; Meyer-Goßner/Schmitt, § 51 Rdnr. 12 m.w.N.).

Dringende Hinderungsgründe oder unverhältnismäßige Nachteile lagen indes nicht vor. Der Termin zur Hauptverhandlung fand nur einen Tag vor dem ohnehin geplanten Ende des 14-tägigen Urlaubs statt, sodass einem unterbrochenen Erholungseffekt schon deshalb keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Der Zeuge hätte auch lediglich aus Schwerin zum Termin nach Chemnitz anreisen müssen; die Kosten für diese Anfahrt wären erstattungsfähig gewesen (§§ 5 Abs. 5, 19 Abs. 1 Nr. 1 JVEG). Zudem fand der Termin vor dem Landgericht des Ortes statt, in dem der Zeuge wohnt. Der Zeuge hätte seine Urlaubsreise deshalb unterbrechen oder abbrechen müssen.“

Toll, wenn man das so liest: „Allgemeine Staatsbürgerpflicht“ macht sich immer gut als Argument und hier kann man die Entscheidung auch noch, da es der letzte Tag war, einigermaßen nachvollziehen. Nur: Was ist, wenn der Termin mitten im Urlaub liegt? Muss ich dann auch in jedem Fall unterbrechen? Egal, wo ich bin? M.E. wohl kaum. Und wie ist es, wenn die ganze Familie mit dem Auto unterwegs ist? Müssen dann alle mitzurückfahren oder bleibt die Familie am Urlaubsort? Darum müsste man sich sicherlich auch mal Gedanken machen. Alles in allem: So einfach ist es m.E. nicht, aber so natürlich einfach für die Gerichte. Vor allem, wenn man – wie das OLG Dresden – davon ausgeht, dass man als Zeuge beim Schweigen des Gerichts nachfragen muss. Warum eigentlich muss eigentlich ich als Zeuge nachfragen? Das Gericht will doch was von ihm. Ach so, sicher. Staatsbürgerliche Pflicht.

Rettung in solchen Fällen kommt dann allerdings häufig über § 153 StPO. Die Gerichte stellen das Verfahren ggf. entsprechend dieser Vorschrift ein. Aber: Nach Auffassung des OLG Dresden erfasst die Einstellung des Verfahrensneben den Ordnungsmitteln nicht auch die Kostenüberbürdung . Auf denen bleibt der Zeuge dann ggf. „hängen“.

Wenn sich der Polizeibeamte als Zeuge nicht mehr erinnern kann

entnommen wikimedia.org Original uploader was VisualBeo at de.wikipedia

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Der Kollege Müller hat in der vergangenen Woche in seinem Posting: „Wo “Polizist” draufsteht, ist nicht unbedingt „guter Zeuge“ drin“ den Umgang der Gerichte mit polizeilichen Zeugen beklagt. Teilweise kann man sicherlich von einer gewissen „Polizeihörigkeit“ sprechen, um nicht das Bild/Dogma von der „Unfehlbarkeit des polizeilichen Zeugen“ zu bemühen. Zu den Fragen passt dann m.E. ganz gut der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.04.2014 – IV-2 RBs 37/14, in dem sich das OLG mit der Frage auseinandersetzt, wie denn nun ggf. mit dem Umstand umzugehen ist, wenn sich ein Polizeibeamter als Zeuge an einem Vorfall nicht mehr so genau erinnern kann:

„Das Amtsgericht hat hinreichend begründet, wie es aufgrund der Aussage des vernommenen Zeugen zu der von ihm gebildeten Überzeugung darüber, dass der Betroffene ein Mobiltelefon während der Fahrt benutzt hat, gelangt ist. Zutreffend weist die Verteidigung allerdings darauf hin, dass, wenn ein Polizeibeamter sich an einen Vorfall nicht mehr erinnern kann und auf die von ihm erstattete Anzeige Bezug nimmt, der Tatrichter klären muss, ob der Polizeibeamte die volle Verantwortung für den Inhalt der Anzeige übernimmt, in welcher Weise er bei der Anzeigeerstattung beteiligt gewesen ist und ob und inwieweit ein Irrtum ausgeschlossen ist und warum es verständlich erscheint, dass der Polizeibeamte den Vorfall nicht mehr in Erinnerung hat, falls insoweit Zweifel einsetzen können (OLG Düsseldorf NZV 1999, 348). Das indes ergibt sich aus den Ausführungen im angefochtenen Urteil. Dort heißt es im dritten Absatz im Abschnitt III., dass der Zeuge die in der Anzeige gemachten Daten bestätigt habe, womit er die volle Verantwortung für deren Inhalt übernommen hat. Aus den Ausführungen ergibt sich ferner, dass er der beobachtende und zugleich die Anzeige aufnehmende Beamte war. Auch mit der Frage, inwieweit ein Irrtum ausgeschlossen ist, hat sich das Amtsgericht befasst, wenn es ausführt, der Zeuge habe bekundet, bei der Verfolgung wegen „Handyverstößen“ nur dann eine Anzeige zu schreiben, wenn er sich absolut sicher sei. Anlass dazu zu hinterfragen, warum der Polizeibeamte an den Vorfall keine Erinnerung mehr hatte, bestand nach den getroffenen Feststellungen nicht.“

Also im Grunde genommen ganz einfach: Der Polizeibeamten bestätigt die ggf. in einer Anzeige gemachten Angaben. M.E. macht es sich die Rechtsprechung an der Stelle aber ein wenig zu einfach. Denn offen ist dann immer noch die Frage, ob denn nun der Zeuge nach Vorhalt der Angaben der Anzeige eine eigene Erinnerung hat oder nicht. Es reicht nicht aus, wenn der Polizeibeamte auf seine Anzeige nur „Bezug nimmt“ (so auch das OLG Düsseldorf, a.a.O.).

Der unerreichbare Zeuge – ist er wirklich unerreichbar?

© Dan Race - Fotolia.com

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In einem BtM-Verfahren stellt der Verteidiger einen Beweisantrag auf Vernehmung einer Zeugin. Die Strafkammer lehnt den Antrag wegen Unerreichbarkeit der Zeugin ab (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO). Zur Begründung bezieht sie sich auf ein ärztliches Attest betreffend die Zeugin, wonach aktuell eine Verhandlungsfähigkeit nicht gegeben sei , da die Zeugin dem Verhandlungsverlauf u.a. wegen Konzentrationsprobleme  nicht folgen könne. Dem BGH greift diese Begründung zu kruz und er hebt im BGH, Beschl. v. 07.05.2014 – 2 StR 506/13 – auf:

„3. Das Landgericht, das die Zeugin H. zunächst von Amts wegen hatte vernehmen wollen, darauf aber nach Eingang der ärztlichen Bescheinigungen verzichtet hatte, durfte den Beweisantrag nicht mit der mitgeteilten Begründung zurückweisen. Es hätte sich im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht mit der Frage auseinander setzen müssen, ob nicht zumindest eine kommissarische Vernehmung der Zeugin für eine Sachaufklärung geboten gewesen wäre.

a) Es liegt ein Beweisantrag vor. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts handelte es sich bei den unter Beweis gestellten Umständen (noch) um hinreichend bestimmte Beweistatsachen, nicht lediglich um ein Beweisziel. Dass der Zeuge W. zum Zeitpunkt der Tat (II. 3 der Urteilsgründe) als  Verkäufer von Crystal aufgetreten ist, ist ein der Wahrnehmung der Zeugin H. zugänglicher Umstand, über den sie als damalige Lebensgefährtin des Zeugen Angaben machen kann. Dies gilt ohne Weiteres auch, soweit der An-trag – wie sich im Wege der Auslegung entnehmen lässt – weiter unter Beweis stellt, die Zeugin habe gegenüber dem Zeugen K. angegeben, W. habe Betäubungsmittel verkauft.

b) Die Ablehnung des Beweisantrags wegen Unerreichbarkeit der Zeugin hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar durfte die Strafkammer aufgrund der vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen davon ausgehen, dass sie für eine zeugenschaftliche Vernehmung in der Hauptverhandlung auf absehbare Zeit nicht zur Verfügung stehen würde. Mit dieser Feststellung durfte sie sich allerdings mit Blick auf den ergänzenden ärztlichen Hinweis, eine Vernehmung der Zeugin könne im privaten Umfeld oder auf der Polizeistation A. ärztlicherseits verantwortet werden, nicht begnügen. Das Landgericht hätte sich nach Maßgabe der Amtsaufklärungspflicht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob eine danach grundsätzlich mögliche kommissarische Vernehmung der Zeugin zur Sachaufklärung geeignet und geboten erscheint (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 57. Aufl., 2014, § 244, Rn. 65 mwN zur Rspr.). Es hätte eine umfassende Abwägung vornehmen müssen, bei der neben dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme und dem zeitlichen und organisatorischen Aufwand einer solchen Vernehmung insbesondere die Qualität des angebotenen Beweismittels, die Bedeutung des Beweisthemas für das Verfahren sowie die Frage zu berücksichtigen gewesen wäre, ob es erforderlich ist, zu Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin einen persönlichen Eindruck von ihr zu erhalten (vgl. BGH NJW 2010, 2365, 2368; NStZ 2011, 422). Die Strafkammer war sich der Notwendigkeit dieser Überlegungen ersichtlich nicht bewusst und hat deshalb den Beweisantrag rechtsfehlerhaft abgelehnt.“