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Klassischer Fehler XI: Wann man sich eingelassen hat, geht das Gericht nichts an

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Taufrisch von der Homepage des BGH – gestern eingestellt – ist der BGH, Beschl. v. 28.05.2014 – 3 StR 196/14, mit einem Dauerbrenner/klassischen Fehler in der Beweiswürdigung, bei dem einen wundert, dass einer (erfahrenen) Strafkammer der Fehler unterläuft. Für die Strafkammer war nämlich bei der Würdigung der Einlassung des für die Tatzeit ein Alibi geltend machenden Angeklagten „von entscheidender Bedeutung„, dass er dieses erst zu einem sehr späten Zeitpunkt im Verfahren vorbrachte, was nicht nachvollziehbar sei.Dazu der BGH – verhältnismäßig kurz und zackig:

„Damit hat das Landgericht in unzulässiger Weise aus dem anfänglichen Schweigen des Angeklagten für diesen nachteilige Schlüsse gezogen. Diesem steht es frei, ob er sich zur Sache einlässt (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO). Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der anfänglichen Aussageverweigerung nachteilige Schlüsse gezogen werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 1965 – 5 StR 515/65, BGHSt 20, 281, 282 ff.; Beschluss vom 7. Dezember 1983 – 3 StR 484/83, StV 1984, 143).

Da dem Urteil entnommen werden kann, dass der Angeklagte erstmals in der Hauptverhandlung überhaupt Angaben machte, liegt auch kein Fall eines – der Würdigung grundsätzlich zugänglichen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 – 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147, 148) – teilweisen Schweigens vor, so dass der dargelegte Rechtsfehler auf die Sachrüge hin zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 1996 – 3 StR 248/96, NStZ 1997, 147). Auf diesem beruht das Urteil auch. Da die Kammer dem prozessualen Verhalten des Angeklagten ausdrücklich entscheidende Bedeutung beigemessen hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer anderen Überzeugung bezüglich der Täterschaft des Angeklagten gelangt wäre, wenn es dessen Einlassung rechtsfehlerfrei gewürdigt hätte.

Ich frage mich bei solchen Sachen immer, warum so etwas beim Lesen der Urteilsgründe vor der Unterschrift nicht auffällt. In der Revision sind das i.d.R. dann „Selbstläufer“.

Bitte fair bleiben – auch bei der Pflichtverteidigerbestellung

© M. Schuppich - Fotolia.com

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Ein bisschen Jura dann doch, nicht viel, aber ein wenig muss sein, denn morgen wird ja wieder gearbeitet. Zwar wahrscheinlich auch nicht viel, aber immerhin ein bisschen – bei dem ein oder anderen.

Hinweisen möchte ich dann heute auf den LG Hamburg, Beschl. v. 03.12.2013 – 632 Qs 31/13, der sich mit Fragen der rückwirkenden Bestellung des Pflichtverteidigers befasst. Aber zunächst: Den Beschluss habe ich von dem Kollegen erhalten, der ihn erstritten hat. Das nehme ich zum Anlass mich bei allen Kollegen, die mir in 2013 Beschlüsse zugesandt haben, herzlich für den „Bring-Service“ zu bedanken. Es freut mich sehr und gibt mir die Möglichkeit, das Blog interessant zu gestalten. Also: Nur her damit, vor allem natürlich auch mit gebührenrechtlichen Entscheidungen.

 Zurück zum LG Hamburg. Da hatte der Rechtsanwalt seine Bestellung zum Pflichtverteidiger beantragt. Die Voraussetzungen lagen auch. Das AG hat aber mit der Bestellungsentscheidung „gewartet“, bis das Verfahren nach § 154 StPO eingestellt war und hat den Kollegen dann dahin beschieden, dass das Verfahren gem. § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt sei und kein Fall der notwendigen Verteidigung gem. § 140 Absatz 1 oder 2 StPO vorliege.

Das hat das LG zutreffend anders gesehen:

Dem steht auch nicht entgegen, dass das vorliegende Verfahren durch Beschluss des Amtsgerichts Hamburg — St. Georg vom 30.10.2013 gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Zwar ist die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers umstritten, wird jedoch überwiegend in den Fällen anerkannt, wo der Antrag auf gerichtliche Beiordnung vor Verfahrensabschluss gestellt wurde und die Voraussetzungen des § 140 StPO vorlagen (LG Hamburg, Beschluss vom 27.05.1999, AZ: 620 Qs 14/99; LG Aachen, Beschluss vorn 13.10.2003, AZ 62 Qs 117/03; LG Dortmund, Beschluss vom 05. Januar 2009, AZ: 39 Qs 238/08; u.a.).

Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass ein Pflichtverteidiger, wenn er befürchten muss, bei Tätigwerden vor Ergehen eines Beiordnungsbeschlusses keine Vergütung zu erhalten, nicht mehr für den Angeklagten tätig wird (LG Bremen, NStZ-RR 2004, S. 114; LG Stuttgart, Beschluss vom 18.07.2008 u.a.). Hier erfolgte die Antragstellung bereits am 06.05.20’13, mithin über fünf Monate vor Verfahrenseinstellung. Ferner wurde am 23.05.2013 an den Beiordnungsantrag erinnert und am 19.06.20’13 Untätigkeitsbeschwerde erhoben.

Die gegenteilige Auffassung, die eine rückwirkende Beiordnung eines Verteidigers nach Verfahrenseinstellung mit dem Argument ablehnt, dass die Beiordnung nur der Sicherung einer ordnungsgemäßen Verteidigung dienen solle und nicht dazu, dem Verteidiger einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu sichern (u.a. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.12.1995; OLG Hamm, Beschluss vom 10.07.2008; OLG Bamberg, Beschluss vom 15 10.2007), kann im vorliegenden Fall angesichts der bereits im Mai 2013 beantragten Beiordnung, der entfalteten Tätigkeit des Verteidigers und der insgesamt mehr als fünfmonatigen Dauer, die das Amtsgericht nicht über die Pflichtverteidigerbeiordnung entschieden hat, nicht zu einem anderen Ergebnis führen.“

Freut mich die Entscheidung. Denn: Habe ich doch schon immer so gesagt. Kann man bei mir, u.a. im Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren bei der Rn. 1375, nachlesen 🙂 🙂 :-). Ist m.E. auch ein Gebot der Fairness, nicht so lange zu warten, bis die Voraussetzungen des § 140 StPO ggf. nicht mehr vorliegen.

 

 

Wer zu früh kommt/beantragt, den bestraft das OLG…

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Als ich den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.01.2013 – 2 AR 51/12 – gelesen habe, habe ich gedacht: Den M. Gorbatschow zugeschriebenen Satz: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, kann man auch abwandeln in: „Wer zu früh kommt (beantragt), den bestraft das Leben/das OLG aber ggf. auch“.

Worum geht/ging es? Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger des Angeklagter, der vom Vorwurf des Betruges vom LG frei gesprochen worden ist. Nach Bewilligung mehrerer Vorschusszahlungen wurden zuletzt am 6. 6. 2011 die Pflichtverteidigergebühren und Auslagen des Verteidigers festgesetzt. Mit Antrag vom 15. 3. 2012 begehrte der Antragsteller darüber hinaus die Festsetzung und Auszahlung der Differenz zwischen den Mittelgebühren eines Wahlanwalts und den ihm bereits ausbezahlten gesetzlichen Gebühren. Diesem Antrag wurde mit einemKostenfestsetzungsbeschluss vom 28. 3. 2012 in vollem Umfang entsprochen und die Differenz-Gebühren festgesetzt. Mit Schriftsatz vom 5. 4. 2012 beantragte der Verteidiger schließlich die Festsetzung einer die gesetzlichen Gebühren übersteigenden Pauschgebühr. Der Vertreter der Staatskasse ist diesem Antrag, dem nicht zu entnehmen ist, ob er die Bestimmung des § 42 oder diejenige des § 51 RVG zur Grundlage hat, entgegengetreten. Das OLG hat den Antrag zurückgewiesen.

Begründung:

„Mit dieser dreifachen Wahlmöglichkeit ist der Pflichtverteidiger eines freigesprochenen Angeklagten – lässt man die Möglichkeit einer Honorarvereinbarung außer Betracht – besser gestellt als ein Wahlverteidiger. Hat er indessen seine Wahl getroffen und auf einem der aufgezeigten Wege eine gerichtliche Entscheidung erlangt, sind die anderen Möglichkeiten ausgeschlossen. Es liegt auf der Hand, dass einem Verteidiger, dem eine Pauschgebühr gemäß § 51 RVG bewilligt worden ist, nicht auch noch eine Pauschgebühr gemäß § 42 RVG zugesprochen werden kann. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall. Ferner ist ein Antrag auf Feststellung einer Pauschgebühr gemäß § 42 RVG unzulässig, wenn über einen Antrag auf Festsetzung der Wahlverteidigergebühren abschließend entschieden ist (Thüringer OLG Rpfleger 2008, 98 und 2011, 177f.; OLG Celle StraFo 2008, 398; OLG Bamberg DAR 2011, 237). Schließlich besteht nach Ansicht des Senats keine Möglichkeit der Bewilligung einer Pauschgebühr gemäß § 51 RVG, wenn dem Antrag die Bestimmung und antragsgemäße Festsetzung der Wahlverteidigergebühren gemäß §§ 52, 14 RVG vorangegangen ist. Denn wenn der Verteidiger gemäß § 14 RVG nach eigenem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände, zu denen auch die für die Bewilligung einer Pauschgebühr gemäß § 51 RVG maßgeblichen Kriterien, Umfang und Schwierigkeit der Tätigkeit des Rechtsanwalts, an erster Stelle gehören, die für angemessen erachteten Gebühren verbindlich bestimmt hat, ist kein Raum mehr für die Annahme, diese Gebühren seien für ihn unzumutbar.“

Ich bin mir noch nicht sicher, ob das OLG damit richtig liegt und ob nicht die Unterschiede zwischen dem Anspruch des Angeklagten und dem eigenen Anspruch des Verteidigers auf die gesetzlichen Gebühren, wozu ja auch die Pauschgebühr gehört, verwischt werden. Für § 42 RVG folge ich dem OLG, bei § 51 RVG kann man es m.E. auch anders sehen. Jedenfalls: Was lernt man daraus als Verteidiger? Man muss sich schon genau überlegen, welchen Antrag man wann stellt. Ist das Bestimmungsrecht aus § 14 RVG erst einmal ausgeübt, dann war es das.

Und das kann ärgerlich sein. Vor allem, wenn man dann im OLG, Beschluss auch noch liest: „Im vorliegenden Fall hat der Verteidiger die Mittelgebühren, die einem Wahlverteidiger zustehen würden, bestimmt; von der hier nicht fern liegenden Möglichkeit, höhere Gebühren zu bestimmen, hat er keinen Gebrauch gemacht…“ :-(. Der letzte Satz musste nicht sein ….

Pflichtverteidiger für den inhaftierten Beschuldigten – Eile tut not.

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Ein Kollege hat mir den LG Frankfurt, Beschl. v. 16.08.2012 – 5/27 Qs 40/12 übersandt. In der Sache geht es um die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach dem (neue) § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO wegen Inhaftierung des Beschuldigten. Die Entscheidung ist aus zwei Gründen interessant.

Zunächst: Das LG hat sich der – inzwischen wohl h.M. – angeschlossen, wonach einem Beschuldigten gem. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO, auch wenn die Untersuchungshaft in anderer Sache vollzogen wird, ein Pflichtverteidiger zu bestellen (s. z.B. auch OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 22.04.2010, 3 Ws 351/10).

Und dann: Eile tut not. Denn das LG rügt inzidenter, dass das Ag zu zögerlich gearbeitet hat.

„Dem Amtsgericht ist zwar zuzugeben, dass die Anwendung dieser Vorschrift nicht mehr in Betracht kommt, wenn zum frühstmöglichen Zeitpunkt der Entscheidung keine Untersuchungshaft mehr vollzogen wird. Dieser Zeitpunkt hätte jedoch – entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – noch vor der Haftentlassung der Beschuldigten gelegen. Sofern das Amtsgericht seiner Entscheidung eine aktuelle Vollstreckungsübersicht zugrunde legen wollte, so hätte es diese unverzüglich nach Eingang des Beiordnungsantrags am 09.03.2012 anfordern können. Eine Antwort auf diese Anordnung wäre in jedem Fall vor dem 16.03.2012, dem Entlassungstag der Beschuldigten, zu erwarten gewesen. Indem das Amtsgericht die Vollstreckungsübersicht jedoch erst am 27.03.2012 anforderte und am 29.03.2012 die Haftentlassung mitgeteilt bekam, hat es den Entscheidungszeitpunkt für den Beiordnungsantrag ohne erkennbaren Grund – weitere vorrangige Bearbeitungsschritte sind der Akte nicht zu entnehmen – nach hinten verschoben, so dass der Beschwerde zu entsprechen war.“

Folge: Beiordnung des Rechtsanwalts, obwohl der Beschuldigte sich nicht mehr in Haft befunden hat.

Entbindungsantrag – auch in der Hauptverhandlung noch nicht zu spät

Ein Mittel, die Verwerfung des Einspruchs des unentschuldigt nicht erschienenen Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG zu verhindern, kann der noch in der Hauptverhandlung gestellt Antrag sein, den Betroffenen von der Erscheinenspflicht zu entbinden (§ 73 OWiG). Die OLGs sind sich inzwischen einig, dass der Antrag auch noch in der Hauptverhandlung vom Verteidiger gestellt werden kann, allerdings zeitlich begrenzt bis zu dem Zeitpunkt, zu dem zur Sache verhandelt wird. So jetzt aich der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.02.2012 – IV 2 RBs 13/12. mit dem Leitsatz:

„Der Antrag, den Betroffenen von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, kann durch den mit einer besonderen Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger zulässigerweise noch zu Beginn der Hauptverhandlung nach dem Aufruf der Sache gestellt werden, bevor zur Sache selbst verhandelt worden ist.“

A.A. ist – soweit ist das sehe – wohl nur noch Göhler in der Kommentierung zu § 74 OWiG. Er hält seine andere Auffassung tapfer, aber sie ist im Grunde nicht mehr zu halten.