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Der BGH, Beschl. v. 20.10.2014 – 5 StR 176/14 – ist der zweite von den gestern auf der BGH-Homepage eingestellten, der für die Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist (zum BGH, Beschl. v. 21.10.2014 – 5 StR 296/14 s. Sleepless in Berlin – Vernehmung nach 36 Stunden ohne Schlaf?). Er ist zwar auch bemerkenswert, aber aus Verteidigersicht nicht ganz so “schön”. Zum Gegenstand hat er die Problematik der Notwendigkeit der Beiordnung eines Pflichtverteidigers in einem sehr frühen Verfahrensstadium, nämlich – zumindest bei Kapitaldelikten – ggf. schon vor einer verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten nach dessen Ergreifung. Um diese Frage wird in Rechtsprechung und Literatur gestritten, es gibt dazu auch eine BGH-Entscheidung aus den 90-ziger Jahren, die ganz hoffnungsvoll stimmte. Danach ist aber der BGH – gerade auch der 5. Strafsenat – wieder zurück gerudert. Man/ich hatte gedacht, dass durch die Neuregelung in § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO sich an der Stelle etwas bewegt und man aus dieser Regelung den Schluss auf eine möglichst frühe Beiordnung zieht. Die Vorschrift hat der 5. Strafsenat auch herangezogen, aber gerade zur Stützung seiner Auffassung, dass regelmäßig eben noch keine notwendige Verteidigung im Ermittlungsverfahren schon vor einer verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten nach dessen Ergreifung aufgrund eines Haftbefehls in einer Kapitalsache anzunehmen ist:
“aa) Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, dass nach geltendem Recht (§ 141 Abs. 3 Satz 2 StPO) auch mit Bedacht auf Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK keine Pflicht besteht, dem Beschuldigten stets bereits frühzeitig im Ermittlungsverfahren, etwa beginnend mit dem dringenden Verdacht eines (auch schweren) Verbrechens, einen Verteidiger zu bestellen (BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2002 – 5 StR 588/01, BGHSt 47, 233, 236 f.; vom 17. Dezember 2003 – 5 StR 501/03, BGHR StPO § 141 Bestellung 8; vom 19. Oktober 2005 – 1 StR 117/05, NStZ-RR 2006, 181, 182; vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1010). Das gilt auch dann, wenn ein Haftbefehl besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2003 – 5 StR 501/03, aaO).
Von dieser Rechtsprechung abzurücken, besteht kein Anlass. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2274) den Zeitpunkt der rechtlich zwingenden Bestellung eines Pflichtverteidigers in § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO in Kenntnis der bestehenden Rechtsprechung bewusst auf den Beginn der Vollstreckung der Untersuchungshaft festgelegt hat. Nach § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO hat die Verteidigerbestellung „unverzüglich“ zu erfolgen, sofern der Haftbefehl nach seiner Verkündung nicht außer Vollzug gesetzt wird (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13097, S. 19). Erst mit der Aufrechterhaltung der Haft nach § 115 Abs. 4 Satz 1 StPO liegt eine Vollstreckung der Untersuchungshaft im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vor. Forderungen, frühere Ereignisse, wofür beispielsweise der Erlass eines Haftbefehls oder die Ergreifung des Beschuldigten in Betracht gekommen wären, haben sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht, aaO, S. 16 f.; siehe auch BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 – 5 StR 588/01, aaO, S. 237; Jahn in Festschrift Rissing-van Saan, 2011, S. 275, 277 f. mwN).”
Allerdings:
“cc) Allerdings haben die Polizeibeamten gegen § 115 Abs. 1 StPO verstoßen, indem sie die Angeklagte nach ihrer Ergreifung nicht unverzüglich dem zuständigen Gericht vorgeführt, die Vorführung vielmehr zum Zweck der Durchführung polizeilicher Beschuldigtenvernehmungen aufgeschoben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 1995 – 5 StR 547/94, BGHR StPO § 128 Abs. 1 Vorführungsfrist 2; Urteil vom 17. November 1989 – 2 StR 418/89, NJW 1990, 1188). Dieser Verfahrensfehler verengt jedoch nicht den der Staatsanwaltschaft in § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO übertragenen Beurteilungsspielraum betreffend das Hinwirken auf sofortige Verteidigerbestellung. Viel-mehr wäre es – sofern eingebunden – deren Pflicht gewesen, nachhaltig für die Wahrung des Unverzüglichkeitsgebots nach § 115 Abs. 1 StPO Sorge zu tragen. Infolge der in erster Linie auf Gewährleistung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG zielenden Schutzrichtung des § 115 Abs. 1 StPO (vgl. BVerfG [Kammer], NStZ 1994, 551, 552; LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 115 Rn. 1), die das Interesse an frühzeitiger Verteidigerbestellung (vgl. auch KK/Graf, StPO, 7. Aufl., § 115 Rn. 1a) gleichsam als Reflex mit umfasst, vermag die Verletzung dieser Vorschrift den Zeitpunkt rechtlich zwingender Verteidigerbestellung aber nicht vorzuverlagern….”
Die letzte Frage war dann aber revisionsrechtlich ohne Bedeutung: Denn der Angeklagte hatte die Verletzung des in § 115 Abs. 1 StPO normierten Unverzüglichkeitsgebots mit seiner Verfahrensrüge nicht beanstandet, sondern sich vielmehr ausdrücklich auf die Rüge unterlassener Verteidigerbestellung beschränkt. Das war es dann.
Vielleicht war der Beschluss dann (auch) das Vermächtnis des pensionierten Vorsitzenden? Der Verteidiger wird jedenfalls beides nicht gerne lesen.