Und dann hier noch einmal ein Beschluss zur nachträglichen Beiordnung eines Pflichtverteidigers, und zwar der LG Bochum, Beschl. v. 17.02.2025 – 11 Qs 4/25. Ich stelle ihn vor, weil es ein sehr schöner Beschluss ist, in dem das LG alle maßgeblichen Fragen „kurz und zackig“ anspricht.
Der Sachverhalt wie gehabt: Die Staatsanwaltschaft hat unter dem 13.08.2024 gegen den Angeklagten Anklage wegen versuchten Diebstahls beim AG erhoben. Dort wird Hauptverhandlungstermin auf den 29.11.2024 bestimmt. Mit beim AG am 28.11.2024 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag zeigte der Verteidiger seine Beauftragung durch den Angeklagten an. Unter dem Hinweis, dass der sich derzeit in Haft in der JVA Gelsenkirchen befinde, beantragte er seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Ferner beantragte er den Termin am 29.11.2024 aufzuheben, da er erst am 28.11.2024 von diesem Kenntnis erlangt habe.
Mit Beschluss vom 28.11.2024 stellte das AG das Verfahren gegen den Angeklagten gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig ein. Über den Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger entschied das Amtsgericht nicht. Darum wird dann gestritten. Das AG hat dann letztlich den Antrag zurückgewiesen. Dagegen die sofortige Beschwerde, die beim LG Erfolg hatte:
1. Gemäß § 141 Abs. 1 StPO hätte dem Beschwerdeführer unverzüglich nach Antragstellung ein Pflichtverteidiger bestellt werden müssen.
a) Die Voraussetzungen des § 140 StPO für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers lagen bis zur Einstellung des Verfahrens und bereits im Zeitpunkt der rechtzeitigen Antragstellung vor.
Zum Zeitpunkt der Antragstellung war ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gegeben. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Antragstellung am 28.11.2024 in einer Anstalt, der JVA Gelsenkirchen, inhaftiert.
b) Der Beschwerdeführer war auch unverteidigt im Sinne des § 141 Abs. 1 StPO.
Er ist unverteidigt, wenn der Beschwerdeführer noch keinen Verteidiger hat oder der gewählte Verteidiger bereits mit dem Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung ankündigt, das Wahlmandat mit der Bestellung niederzulegen (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 54. Ed. 1.1.2025, StPO § 141 Rn. 2). Durch diese Regelung soll der Vorrang der Wahlverteidigung aufrechterhalten werden. Grundsätzlich ist in dem Bestellungsantrag indes bereits konkludent die Ankündigung enthalten das Wahlmandat niederzulegen (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, 54. Ed. 1.1.2025, StPO § 141 Rn. 2). So liegt der Fall hier. Der Verteidiger hat ausdrücklich und erkennbar im Namen des Beschwerdeführers um seine Beiordnung als Pflichtverteidiger nachgesucht, wobei diesem Vorbringen zu entnehmen ist, dass das Wahlmandat im Falle der Beiordnung niedergelegt werden soll.
2. Der zwischenzeitliche Abschluss des Verfahrens durch Einstellung steht einer Beiordnung ausnahmsweise und aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles nicht entgegen.
Dem Grunde nach zutreffend stellt das Amtsgericht fest, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Einstellung des Verfahrens grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt. Denn im Falle einer Einstellung des Verfahrens, sei es auch nur nach § 154 StPO, kann das Ziel, dem Beschuldigten eine angemessene Rechtsverteidigung zu ermöglichen, nicht mehr erreicht werden.
Von diesem Grundsatz sind aber im Einzelfall Abweichungen zuzulassen und die Rechtslage anders zu beurteilen. Ein solcher Einzelfall liegt hier vor.
Ein solcher Einzelfall liegt vor, wenn der Beschuldigte einen Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers gestellt hat, die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung zum Zeitpunkt der Antragstellung offensichtlich vorgelegen haben, das Gebot der unverzüglichen Pflichtverteidigerbestellung missachtet wurde und dies auf behördeninteme Vorgänge zurückzuführen ist (vgl. LG Bonn (13. große Strafkammer), Beschluss vom 23.12.2024 – 63 Qs 61/24 (930 Js 309/24); LG Amberg (1. Strafkammer), Beschluss vom 27.05.2024 -11 Qs 43/24).
Der Beschwerdeführer hat einen Tag vor dem angesetzten Hauptverhandlungstermin, am 28.11.2024, den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers gestellt. Zu diesem Zeitpunkt lag auch ein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO (siehe unter II. 1. a.) vor. Das nunmehr über die Inhaftierung und somit den Grund der notwendigen Pflichtverteidigung in Kenntnis gesetzte Gericht hat am selben Tag – nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft – das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und nicht über den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung entschieden. Eine Entscheidung wäre ihm ungleich möglich gewesen. Über den Beiordnungsantrag ist folglich nicht unverzüglich gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO entschieden worden, da eine Entscheidung über diesen weder vor noch zusammen mit der Einstellungsentscheidung getroffen wurde.
Der Grundsatz der grundsätzlich nicht rückwirkenden Beiordnung darf vor diesem Hintergrund nicht insofern missbraucht werden, dass vor der Entscheidung des bereits gestellten Beiordnungsantrags auf die Einstellung des Verfahrens hingewirkt und so planmäßig die Verfahrensrechte der Beschuldigten unterlaufen werden (vgl. LG Bonn (13. große Strafkammer), Beschluss vom 23.12.2024 – 63 Qs 61/24 (930 Js 309/24).
Auch § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO steht im vorliegenden Fall der Beiordnung nicht entgegen. Die Möglichkeit, von einer Bestellung in denjenigen Fällen abzusehen, in denen beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen, gilt ausdrücklich nur für die Fälle des § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 und nicht für Fälle einer notwendigen Verteidigung nach § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO, demzufolge einem Angeklagten unverzüglich ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, wenn er dies ausdrücklich beantragt (vgl. LG Wuppertal, Beschluss vom 08.04.2024, Az. 26 Qs 333/23). Eine entsprechende Anwendung des § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO auch auf Fälle einer ausdrücklichen Antragsstellung nach § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO kommt nicht in Betracht, da aufgrund des eindeutigen Wortlautes keine planwidrige Regelungslücke ersichtlich ist (AG Wuppertal Beschl. v. 8.5.2024 – 722 Js 1914/24, BeckRS 2024, 11985).“